Religiöse Bedrückung.

In solchen Nöten und Ängsten, in denen viele stumpf und lahm oder gleichgültig und leichtsinnig wurden, suchten tiefer Veranlagte nach Sinn und Halt des arm­seligen Lebens in höheren Regionen. Ein großes reli­giöses Suchen begann. Es entstanden viele neue reli­giöse Gemeinschaften, die von der herrschenden ra­tionalistischen Kirchentheologie nicht genug für ein suchendes, geängstetes Herz bekamen, und die es satt hatten, in den konfessionellen Streitigkeiten um die rechte Gläubigkeit mitzutun. Sie gingen ihre eigenen Wege, gründeten Sondergemeinschaften, Sekten: die Pietisten, die Herrnhuter, die Quäker, die Mennoni­ten, die Wiedertäufer, die Siebentäger usw. Irgendwo bei einem „Bruder“ kamen sie zusammen, um sich zu erbauen. Sie wollten, wie sie es eben verstanden, das Christentum neu lebendig werden lassen, in Wort und Tat.

Aber nicht einmal hier ließ man die geplagten Men­schen Ruhe und Trost finden. Regierungen und Kirchen standen diesen Neuerungen und Sonderbestrebungen mißtrauisch und feindselig gegenüber. Es galt noch der Grundsatz: „cuius regio, eius religio“, das heißt, daß die Religion der Untertanen sich richten mußte nach der des Landesherrn. So zwang der ausschweifende Schwachkopf, Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, während der Einfälle der Franzosen die Pfälzer zum katholischen Glauben, obwohl auf sechs Pfälzer nur ein Katholik kam. Das war innerhalb eines Jahrhunderts für das Land der fünfte Glaubenswechsel, diesmal um so fürchterlicher, als die Feinde, die Franzosen, hierin mit dem Landesherrn ein Ziel hatten. Diese politische Zielrichtung der Katholisterung brachte dann allerdings Preußen und England auf den Plan, die 1705 eine Religionsdeklaration zustande brachten, wodurch wenigstens dem Papier nach der schlimmste Druck aufhörte.


Als zu allem Elend hin noch der Winter 1708/1709 härteste Kälte brachte, so daß, wie berichtet wird, der Wein im Faß gefror, der Vogel im Flug, und somit der Weinbau auf Jahre hinaus vernichtet war, wurde für die Weinbauern Württembergs und der Pfalz die Lage unerträglich. Verzweifelt standen die Menschen der Gewalttat, dem Hunger, den Seuchen gegenüber, jede Hoffnung verlierend, geschunden an Leib und Seele.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches J. K. Weiser, Vater und Sohn