J. K. Weiser verläßt Großaspach.

Einer dieser 14.000 war Johann Konrad Weiser aus Großaspach, Kreis Backnang. Auch seine Heimat war in den Kriegszeiten schlimm verheert worden. Im Dreißigjährigen Krieg, schreibt der Ortspfarrer Häge­lin, der zu Weisers Zeit die Gemeinde betreute, „sind die meisten Pfarrkinder wegen Kriegs- und erbärmli­cher Hungersnoth theils Hunger gestorben, theils in frembde Länder, ihr Nahrung und Lebensmittel suchen gegangen. Noch 1653 ist der hiesige Weingardtsberg umb des leydigen Kriegs und mangel der leuth willen noch wüst gelegen.“ Auf einem großen Teil der Mar­kung konnte ,,wegen mangel der Untertanen, auch wegen des Gewildts nichts gebaut werden“. Als die Gemeinde sich von diesem Elend notdürftig erholt hat­te, wurde am 18. Juli 1693 der Ort überfallen von den französischen Horden. Hägelin berichtet, daß er „wegen allzuplötzlichem Einfall des Feindes mit leerer Hand sich auf die Flucht begeben und alles mit dem Rücken ansehen müssen, wie theils durch Raub in der Plünderung, theils in Rauch alles auf und zugrunde gegangen und verloren“. Kirchenbücher und alles war vernichtet. 24 Gebäude lagen in Asche. So schlimm stand es nun wieder, daß ein Angehöriger einer angesehenen Familie, aus der Weisers Frau stammt, „Hans Übelin, ein alter Bürger, mehrerentheils aus Hunger und pfleglos verschmachtete“. Die arm gewordene Ge­meinde mußte nach vier Seiten zehnten, hatte sonst noch harte Auflagen mit Frondienst usw. 1707 waren die Franzosen wieder plündernd durch Großaspach marschiert, hatten Kontributionen mitgenommen und dafür die „hitzigen Gichter“ zurückgelassen, woran die Betroffenen nach zwei Tagen starben.

Auch hier mußte die Kunde von Amerika wie eine Er-lösung erscheinen, und der Auswanderertrieb packte auch Johann Konrad Weiser. Er stammte aus angese­hener Familie. Vater und Großvater waren Schulthei­ßen (Bürgermeister) gewesen, und auch der Bruder Hans Michael war es. J. K. Weiser war lange Soldat, zuletzt Korporal im Württembergischen Blauen Drago­ner-Regiment. Im Taufbuch heißt er 1699 noch Korpo­ral im Dragoner-Regiment. Im Oktober 1700 wird er im Kirchenregister anfgeführt als „Beckh und gewesener Korporal“. So hat er also 1700 den Dienst quittiert und sich als Bäcker in seinem Heimatort niedergelassen. 1705 wird die Trauung seiner Tochter Maria Katharina registriert: „Hans Konrad Weisers, Bürgers und Beckhen allhie, auch gewesenen Korpo­rals unter dem hochlöblichen Karlinischen Tragonerregiment eheliche Tochter.“ Am 1. Mai 1709 hat er seine Frau Anna Magdalena geborene Übelin verloren. Der Sohn schreibt darüber in seinem Tagebuch, in dem er gegen Ende seines Lebens das Wichtigste notiert hat: „Anno 1709 ist meine Mutter in die Ewigkeit gegan­gen, den ersten Tag Mai im 43. Jahr ihres Alters, als sie mit ihrem 16. Kind *) schwanger ging, hinterlies Kinder Katharina, Margreda, Magdalena, Sabina, Konrad, Georg Friedrich, Barbara, Christoph, Johann Friedrich und ward allda, bey ihren Voreltern begraben: Sie war eine Gottesfürchtige und bey ihren Nachbare sehr geliebte Fran. Ihr Wahlspruch war: ,Jesus Dir leb ich, Dir sterb ich, Dein bin ich todt und lebendig.‘ In gemelten Jahr nemlich 1709 ist mein Vatter aus Großen Ostbach weggezogen, den 24. Juny, hat 8 Kin­der mitgenommen: Meine älteste Schwester Cathrina blieb alda bey ihrem Mann, Konrad Boß, mit welchem sie bereits 2 Kinder erzeugt. Mein Vatter ließ ihnen sein Haus, Äcker, Wiesen, Weinberg und Gärten: Sie konnten ihm nicht mehr als 75 Gulden aufbringen, das übrige bis zu 600 Gulden hat mein


Vatter nachmals sollen abholen lassen, ist aber nicht geschehen und ist ihnen nun geschenket.“

So machte sich also der 45jährige Witwer auf, um ein neues Leben im neuen Land zu beginnen. Fünf Kinder und die Frau hatte er in der Heimat begraben. Mit acht Kindern, wovon das viertälteste, Konrad, der weltgeschichtliche Bedeutung erlangen sollte, 13 Jahre alt war, und mit 75 Gulden verließ er die Heimat. Wie groß muß das Elend gewesen sein, daß es solche Leute forttrieb! Wie groß muß aber auch der Mut gewesen sein, der den Mann beseelte, daß er mit acht mutterlo­sen Kindern die schwere Reise ins unbekannte Land unternahm!

Er wird uns überall geschildert als ein tapferer Mann, treu und bieder, dessen Kraft und Mut sich in der Ge­fahr steigerte bis zum härtesten Trotz, so daß er lieber sterben wollte als nachgeben. Er war eine ,,echt schwäbische Bauernnatur, wahr und redlich, aber auch schroff und eckig, hartnäckig und querköpfig“. Der Gouverneur von Neuyork klagte später über ihn: „Weiser ist der Rädelsführer. Die Ansiedler wären zufrieden, wenn Weiser sie nicht immerfort aufhetzen würde.“ Er war aber nicht bloß erfüllt von stolzem Bau­erntrotz, von soldatischem Mut, der keine Gefahr fürchtete, sondern auch von großem Verantwortlich­keitsgefühl, von seltener Pflichttreue, schlichter Frömmigkeit und felsenfestem Gottvertrauen.

Damit wurde er zum Führer des wichtigsten Teils der Auswanderer, damit zu einem der bedeutendsten Pio­niere der Besiedlung Nordamerikas.

Bald hatten die Auswanderer, eine recht bunt gemischte Menschenmenge, starke Führung bitter nötig. Neben solchen, die wegen ihrer tief innerlichen Frömmigkeit das Land verlassen hatten, oder solchen, die nur in Fleiß und Ehrlichkeit für sich und ihre Kinder Brot suchten, waren doch auch manche, denen der heimatliche Boden zu heiß geworden war und die abenteurerhaft ins neue Land fuhren. Die große Menge jedenfalls waren schlichte, einfältige Leute, verängstigt und ganz unselbständig, die allein nur zu leicht fremden Ausbeutern zum Opfer gefallen wären.



*) Nach dem Kirchenregister von Großaspach das 15. Kind.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches J. K. Weiser, Vater und Sohn