Wie es Jons Seele erging

Es lebten einmal ein Mann und seine Frau. Der Mann war sehr ungesellig und unbeliebt, und dazu war er faul und unnütz zu Hause. Seine Frau war damit sehr wenig zufrieden; oft schalt sie ihn aus und sagte, dass er zu gar nichts anderem tauge, als das zu verprassen, was sie zusammengespart hätte; denn sie war selber eine gar umsichtige Frau und ließ alle Kniffe gelten, um das Notwendige zu beschaffen, und verstand jeden so zu nehmen, wie er genommen werden musste. Aber wenn sie auch in manchen Dingen uneinig waren, so war die Frau ihrem Alten doch gut und ließ es ihm an nichts fehlen. So ging es eine ganze Weile; aber einmal verfiel der Mann in eine schwere Krankheit. Die Frau pflegte ihn, und als seine Kräfte abnahmen, fiel ihr ein, dass er wohl kaum so gut auf den Tod vorbereitet sei, dass es nicht zweifelhaft wäre, ob er auch Einlass in den Himmel fände.

Sie dachte deshalb bei sich selber, dass es wohl am ratsamsten sei, selbst zu versuchen, die Seele ihres Gebieters auf den rechten Weg zu bringen. Sie nahm daher einen Lederbeutel und hielt ihn vor die Nasenlöcher des Mannes, und als er seinen Geist aushauchte, fuhr dieser in den Beutel, und die Frau beeilte sich, die Öffnung zuzubinden. Dann begab sie sich nach dem Himmel, den Beutel in ihre Schürze gewickelt, kam an die Tore des Himmelreichs und klopfte an.


St. Peter kam an das Tor und fragte nach ihrem Begehr. „Guten Tag,“ sagte die Alte, „ich bin mit der Seele meines Jon hergekommen. Ihr werdet wohl von ihm gehört haben, und ich wollte Euch nun bitten, ihn hineinschlüpfen zu lassen.“ „Ach,“ sagte St. Peter, „das kann ich leider nicht, ich habe wohl von deinem Jon reden hören, aber nie etwas Gutes.“ Da sagte die Frau: „Ich hätte nie geglaubt, Peter, dass du so hartherzig wärst; du hast wohl vergessen, wie es dir einst erging, als du deinen Herrn und Meister verleugnet hast.“

St. Peter ging hinein und verschloss das Tor, die Alte aber blieb draußen stehen und stöhnte. Als eine kleine Weile verstrichen war, klopfte sie wieder an, und St. Paul kam heraus. Sie begrüßte ihn und fragte, wie er hieße, er aber sagte seinen Namen. Sie bat ihn, für die Seele ihres Jon Sorge zu tragen, er aber antwortete, dass er nichts von ihm wissen wolle; ihr Jon verdiene keine Gnade, sagte er. Da wurde die Frau giftig und sagte: „Das steht dir gut an, Paul! Du hast wohl die Gnade besser verdient, wie ich mir denken kann, weil du früher Gott und gute Menschen verfolgt hast. Es ist wohl am besten, dass ich aufhöre, dich zu bitten.“ St. Paul machte eiligst das Tor zu. Als die Frau aber zum dritten Mal klopfte, kam die Jungfrau Maria heraus. „Guten Tag, liebe Jungfrau,“ sagte die Frau, „ich hoffe, dass Ihr erlaubt, dass mein Jon hier hineinkommt, wenn auch Peter und Paul es nicht wollen.“ „Das darf ich leider nicht, meine Gute,“ antwortete Maria, „dazu ist dein Jon ein viel zu großer Taugenichts.“ „Ich will nicht mit dir darum rechten,“ sagte die Frau, „ich glaubte, du wüsstest, dass andere ebenso schwach sein können wie du, oder kannst du dich nicht mehr darauf besinnen, dass du ein Kind bekommen hast, dessen Vater du nicht nennen konntest?“ Maria wollte nichts weiter hören und beeilte sich zuzuschließen. Ein viertes Mal klopfte die Frau an das Tor. Da kam Christus selber und fragte, wohin sie wolle. Sie erwiderte demütig: „Ich wollte dich bitten, mein lieber Erlöser, diese arme Seele einzulassen.“ Christus antwortete: „Das ist Jon, — nein, Frau, er hat nicht an mich geglaubt.“ Da wollte er das Tor schließen, sie aber war nicht faul und warf den Beutel, in dem die Seele war, an ihm vorbei, so dass er weit hinein in das Himmelreich flog, und das Tor wurde verriegelt.

Da fiel der Frau ein Stein vom Herzen, dass Jon nun trotz alledem ins Himmelreich gekommen war, und sie kehrte fröhlich nach Hause zurück. Aber weder von ihr, noch von dem, was aus Jons Seele wurde, haben wir mehr zu sagen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen