Einleitung
Der Plan, eine Jagdreise nach Rußland zu unternehmen, stieg in mir auf, bald nachdem ich die norwegischen Elchreviere bei Namsos besucht hatte. Nach Erscheinen des Reisewerkes "Durch norwegische Jagdgründe“ wurde ich darauf hingewiesen, daß ich, bei Aufzählung der europäischen Länder, welche noch den urigen Elch als Standwild beherbergen, Rußland völlig vergessen habe. Dieses Versehen lastete um so schwerer auf meinem Gewissen, als ich von Seiten russischer Jäger darauf aufmerksam gemacht wurde, daß die ungeheuren Waldungen Rußlands nicht nur überhaupt Elchwild enthielten, sondern daß kein anderes Land, insbesondere Norwegen nicht, sich mit den russischen Elchständen zu messen vermöge!
Eine im Jahre 1900 unternommene Jagdexpedition nach Ostafrika hinderte mich, der Ausführung des Planes einer russischen Jagdreise näher zu treten; als ich von Afrika zurückkam, war ich, kaum von schwerer Malaria-Erkrankung wieder hergestellt, derart reisemüde, daß ich die sehr verlockende Einladung eines in St. Petersburg ansässigen deutschen Landsmannes, der mir sein Elchrevier für den Herbst zur Verfügung stellte, völlig unberücksichtigt ließ.
Im Frühjahr 1901 erhielt ich abermals eine Einladung für ein in der Nähe St. Petersburgs, an der Nicolaibahn - St. Petersburg-Moskau, gelegenes Elchrevier; dieses Mal zündete der Funke derart, daß das Reisefieber mächtig aufflackerte und ich, im Laufe des Sommers, die nötigen Vorbereitungen für die in den Monaten November und Dezember auszuführende Expedition traf.
Eine Reise nach Rußland ist nichts Großes, und das Unternehmen erschien mir nach der Afrikareise um so weniger bedeutungsvoll, als die Fahrt ebensoviel Tage, als dorthin Wochen beansprucht. Es ist schließlich doch ein Unterschied, ob man wochenlang Meere zu durchschiffen hat, oder binnen dreimal vierundzwanzig Stunden im Schnellzug das Reiseziel erreicht. Die Aussicht, in Rußland, während der Monate November und Dezember, weder durch afrikanische Glühhitze und Moskitos, noch durch Malaria oder Sandflöhe belästigt zu werden, konnte als weiterer Vorzug des Unternehmens betrachtet werden.
Im übrigen war für mich das heilige Rußland, was es für jeden Westeuropäer, der noch nicht dort gewesen ist, naturgemäß sein muß - ein Buch mit sieben Siegeln, ein „böhmisches Dorf“. Von Rußland hört man hierzulande in der Regel etwas, wenn die Nihilisten Bomben geworfen, ein Attentat begangen haben, oder irgend ein Gewaltakt russischer Polizeimeister, der Unschuldige nach Sibirien befördert, die sittliche Entrüstung civilisierter Westeuropäer gegen den "Barbarenstaat“ erregt! Daß Rotten von Wölfen hinter jedem Schlitten herjagen, dessen Insassen sich in die endlosen russischen Einöden verirren, kann man ja in zahllosen Bilderbüchern, aus den Schauergemälden aller Menageriebuden ersehen. - Eine unheimliche Gegend nach den Vorstellungen des friedlichen deutschen Spießbürgers, der so gerne mit dem Schlagwort von den "russischen Zuständen“ um sich wirft .
Wer viel gereist und Länder gesehen hat, welchen die Phantasie allerlei Ungeheuerlichkeiten und Gefahren anzudichten liebt, weiß, daß diese Vorstellungen zu neunzig Prozent auf Übertreibungen oder auch freier Erfindung sensationslüsterner Berichterstatter beruhen und daß, nachdem der erste fremdartige Eindruck des unbekannten Landes verwischt ist, die Dinge und Menschen daselbst genau so alltäglich und prosaisch aussehen, wie anderwärts auch.
Demgemäß bereitete ich mich vor, ein rauhes Land mit dünner Bevölkerung und weiten Urwäldern kennen zu lernen, wo das Elchwild keinesfalls in zahllosen Rudeln umherziehen, sondern nur durch mühsames Kreisen zu bestätigen sein werde. Nach den weiteren Erfahrungen, welche ich mit Raubzeug in Norwegen und Ostafrika gemacht hatte, war ich sicher, daß das Zusammentreffen mit Wölfen und Luchsen Sache reinen Waidmannsheils sei, während ich allerdings im Anfang mit einiger Gewißheit darauf rechnete, Bären zu Schuß zu bekommen. Allein auch diese Hoffnung wurde erschüttert durch die Mitteilung des russischen Jagdbesitzers, daß vor Neujahr die Jagd auf Raubzeug höchst unsicher wäre, weil der Bär sich erst bei tiefem Schnee und andauernder Kälte einschlage und zu bestätigen sei. Im November und Dezember werde aber die Kälte häufig durch Tauwetter unterbrochen.
So gewann ich die Überzeugung, daß auch die landläufige Vorstellung von russischer "Bärenkälte“, wenigstens für die Zeit meines Aufenthaltes, nicht zutreffen werde, und beschloß, meine Ausrüstung den Anforderungen eines kalten deutschen Winters anzupassen. Überdies schien mir die Meinung, daß die Russen wohl am besten verstehen würden, sich gegen Kälte zu schützen und besonders praktische Kleidungsstücke verwendeten, als selbstverständlich. Diese Ausrüstungsstücke beabsichtigte ich, nach Bedarf, in St. Petersburg zu kaufen.
Die meisten Schwierigkeiten verursachte, nach allen mir zu Ohren gekommenen Berichten, die Einfuhr der Schußwaffen. Um Gewehre einzuführen, war die Erlaubnis des russischen Gouverneurs des betreffenden Grenzgouvernements erforderlich. Erhaltener Anweisung gemäß wendete ich mich deshalb bereits Anfang September an das deutsche Generalkonsulat in Warschau mit der Bitte, mir beim russischen Gouverneur daselbst die Erlaubnis zu erwirken, Anfang November über Wirballen eine Repetierbüchse, einen Drilling und eine Repetierpistole mit genau bezeichneter Patronenzahl einzuführen. Dem Schreiben fügte ich fünf Mark zur Bestreitung der Kosten bei.
Anfang Oktober erhielt ich ein Schreiben des deutschen Generalkonsulates folgenden Inhaltes.
"Auf die Eingabe vom 4. vorigen Monats benachrichtige ich Sie, daß nach einer mir zugegangenen Mitteilung der hiesige Generalgouverneur Ihnen die Erlaubnis erteilt hat – folgt die Aufzählung der Gewehre und Patronen - unter Beobachtung der bestehenden Zollvorschriften über das Grenzzollamt Wirballen einzuführen. Die zuständige Grenzbehörde ist mit entsprechender Anweisung versehen worden. Beim Passieren der Grenze wollen Sie sich auf vorstehende Benachrichtigung berufen. Bei der Zollabfertigung ist eine Kaution in der Höhe der tarifmäßigen Gebühr für die eingeführten Waffen zu hinterlegen, welche Ihnen, falls die Wiederausfuhr binnen Monatsfrist erfolgt, zurückzuerstatten ist.
Von den eingesandten 5 Mark sind 3 Mark 10 Pfennig zur Deckung der diesseitigen Auslagen verwendet worden. Den Rest von 1 Mark 90 Pfennig erhalten Sie anbei zurück.
Der Kaiserliche Generalkonsul"
Die gewohnte deutsche Pünktlichkeit hatte nur einen unbedeutenden Fehltritt in diesem Schriftstück begangen. Statt "200 Patronen“ waren "20 Patronen“ als einfuhrberechtigt verzeichnet. Auf meine Reklamation erwiderte der Generalkonsul.
"Es ist tatsächlich die Einfuhr von 200 Patronen genehmigt worden. Die Angabe im diesseitigen Schreiben vom 1. des Monats beruht anscheinend auf einem Schreibfehler.“
Ich setze diese Schriftstücke deshalb nach ihrem Wortlaut hierher, weil ein gläubiges deutsches Gemüt, mit solchen Ausweisen in der Brusttasche, fraglos zu dem Schluß kommen mußte. "Die Sache ist in bester Ordnung - irgend ein Anstand an der russischen Grenze unmöglich, undenkbar, absolut ausgeschlossen!“ In dieser Hinsicht erscheint das zweite Schreiben von Bedeutung, weil es eine Bestätigung der Einfuhrgenehmigung seitens des russischen Gouverneurs enthält. O - ahnungsloser deutscher Biedermeier, der russische Zustande vertrauensvoll durch die deutsche Brille betrachtet!
An Schußwaffen nahm ich die bereits in Ostafrika erprobte Repetierbüchse Modell 98 mit, eine herrliche Waffe, was Solidität, Treffsicherheit und Durchschlag anbelangt; ihre Vorzüge kommen, nach meiner Erfahrung, allerdings nur mit der Originalmilitärladung voll zur Geltung. Die übliche Ladung mit 2,3 Gramm Blättchenpulver ergibt auf starkes Wild nicht die erforderliche Stauchung und Schußwirkung. Einen Teil der Patronen wählte ich mit Vollmantelgeschossen und ließ diese mit "Expansion“ bohren; solche Hohlspitzengeschosse ergeben nach meinen bisherigen Erfahrungen vorzügliche Schußwirkung und haben den weiteren großen Vorzug, dass Ladehemmungen, wie sie die Teilmantelgeschosse stets mit sich bringen, völlig ausgeschlossen sind.
Außerdem versah ich mich mit Drilling, Browning-Rückstoßladepistole und dem kurzen Militärseitengewehr als Hirschfänger.
An einem wunderbaren Oktobertag, der die Trennung von den heimatlichen Hühnerrevieren nicht gerade erleichterte - die Jagd auf Novemberhühner zählt zu meinen Specialitäten - dampfte ich zunächst nach Berlin, wo ich einige Tage zu verbringen gedachte. Mit meinem Schwager fuhr ich zur Birsch in den Spreewald, um die Repetierbüchse an einigen verspäteten Böcken und an Geltricken zu erproben. Das Rehwild steht in jenen Gebieten mit Vorliebe im Felde. Von Sprüngen konnte hier keine Rede sein - wir trafen mehrmals auf Rudel von zwanzig bis dreißig Stück Rehwild. Das Anbirschen im kahlen Felde war allerdings eine andere Sache; selbst den Birschwagen hielt das scheue Wild schlecht genug aus. Bemerkenswert erscheint mir die auch anderwärts mehrfach gemachte Beobachtung, daß aus der 8-mm-Büchse beschossenes Rehwild mit tadellosen Blattschüssen noch hundert bis zweihundert Gänge weit flüchtet, bevor es verendet zusammenbricht. Im Spreewald geriet mir infolge dieser fatalen Eigentümlichkeit, welche ich dem kleinkalibrigen Geschoß zuschreibe, eine Geltricke in eine undurchdringliche Kieferndickung und damit zugleich über die Grenze! Dabei ist zu beachten, daß ich keine Gartenbüchsenladung, sondern 2,75 Gramm Blättchenpulver schoß und daß das Teilmantelgeschoß mitten auf dem Blatte saß.
In Berlin wurden mir prächtige, leichte Jagdpelze, bis ans Knie reichend, gezeigt. Ich fand es jedoch lächerlich, auf einer Reise nach Rußland Pelzsachen in Deutschland zu kaufen und war nicht von dem Glauben abzubringen, daß sich in der Heimat der Pelzröcke weit praktischere Jagdbekleidung kaufen ließe. Die fixe Idee, daß die russischen Jäger etwas ganz Besonderes, Unvorstellbares, den dortigen Verhältnissen hervorragend Angepaßtes, hinsichtlich Jagdkleidung besitzen müßten, verließ mich keinen Augenblick.
Einem glücklichen Zufall verdankte ich in Berlin das Zusammentreffen mit einem russischen Kaufmann, Herrn D. aus St. Petersburg, an den ich durch einen befreundeten deutschen Waidgenossen empfohlen war. Herr D., selbst passionierter Jäger, der schon eine größere Zahl Bären gestreckt hatte, beabsichtigte die Rückreise nach St. Petersburg anzutreten; meine Freude über diese angenehme Reisegesellschaft war natürlich keine geringe. Seinem Rat folgend, gab ich den Plan auf, mit dem jeden Donnerstag und Sonntag früh 9 Uhr aus Berlin abgehenden "Nordexpreß“ zu reisen, der in dreißig Stunden nach St. Petersburg fährt. Der gewöhnliche Schnellzug legt die 1630 Kilometer messende Strecke in zweiunddreißig Stunden zurück, ist in der ersten Klasse weniger besetzt und nebenbei etwa 45 Mark billiger.
Im Reisebureau von Karl Stangen kaufte ich ein einfaches Billet erster Klasse nach St. Petersburg für 125 Mark und bestellte, von Wirballen ab, einen Schlafwagenplatz. Am andern Morgen 9 Uhr dampften wir, zum Bahnhof Friedrichstraße hinaus, der fernen Grenze des Zarenreiches zu.
Eine im Jahre 1900 unternommene Jagdexpedition nach Ostafrika hinderte mich, der Ausführung des Planes einer russischen Jagdreise näher zu treten; als ich von Afrika zurückkam, war ich, kaum von schwerer Malaria-Erkrankung wieder hergestellt, derart reisemüde, daß ich die sehr verlockende Einladung eines in St. Petersburg ansässigen deutschen Landsmannes, der mir sein Elchrevier für den Herbst zur Verfügung stellte, völlig unberücksichtigt ließ.
Im Frühjahr 1901 erhielt ich abermals eine Einladung für ein in der Nähe St. Petersburgs, an der Nicolaibahn - St. Petersburg-Moskau, gelegenes Elchrevier; dieses Mal zündete der Funke derart, daß das Reisefieber mächtig aufflackerte und ich, im Laufe des Sommers, die nötigen Vorbereitungen für die in den Monaten November und Dezember auszuführende Expedition traf.
Eine Reise nach Rußland ist nichts Großes, und das Unternehmen erschien mir nach der Afrikareise um so weniger bedeutungsvoll, als die Fahrt ebensoviel Tage, als dorthin Wochen beansprucht. Es ist schließlich doch ein Unterschied, ob man wochenlang Meere zu durchschiffen hat, oder binnen dreimal vierundzwanzig Stunden im Schnellzug das Reiseziel erreicht. Die Aussicht, in Rußland, während der Monate November und Dezember, weder durch afrikanische Glühhitze und Moskitos, noch durch Malaria oder Sandflöhe belästigt zu werden, konnte als weiterer Vorzug des Unternehmens betrachtet werden.
Im übrigen war für mich das heilige Rußland, was es für jeden Westeuropäer, der noch nicht dort gewesen ist, naturgemäß sein muß - ein Buch mit sieben Siegeln, ein „böhmisches Dorf“. Von Rußland hört man hierzulande in der Regel etwas, wenn die Nihilisten Bomben geworfen, ein Attentat begangen haben, oder irgend ein Gewaltakt russischer Polizeimeister, der Unschuldige nach Sibirien befördert, die sittliche Entrüstung civilisierter Westeuropäer gegen den "Barbarenstaat“ erregt! Daß Rotten von Wölfen hinter jedem Schlitten herjagen, dessen Insassen sich in die endlosen russischen Einöden verirren, kann man ja in zahllosen Bilderbüchern, aus den Schauergemälden aller Menageriebuden ersehen. - Eine unheimliche Gegend nach den Vorstellungen des friedlichen deutschen Spießbürgers, der so gerne mit dem Schlagwort von den "russischen Zuständen“ um sich wirft .
Wer viel gereist und Länder gesehen hat, welchen die Phantasie allerlei Ungeheuerlichkeiten und Gefahren anzudichten liebt, weiß, daß diese Vorstellungen zu neunzig Prozent auf Übertreibungen oder auch freier Erfindung sensationslüsterner Berichterstatter beruhen und daß, nachdem der erste fremdartige Eindruck des unbekannten Landes verwischt ist, die Dinge und Menschen daselbst genau so alltäglich und prosaisch aussehen, wie anderwärts auch.
Demgemäß bereitete ich mich vor, ein rauhes Land mit dünner Bevölkerung und weiten Urwäldern kennen zu lernen, wo das Elchwild keinesfalls in zahllosen Rudeln umherziehen, sondern nur durch mühsames Kreisen zu bestätigen sein werde. Nach den weiteren Erfahrungen, welche ich mit Raubzeug in Norwegen und Ostafrika gemacht hatte, war ich sicher, daß das Zusammentreffen mit Wölfen und Luchsen Sache reinen Waidmannsheils sei, während ich allerdings im Anfang mit einiger Gewißheit darauf rechnete, Bären zu Schuß zu bekommen. Allein auch diese Hoffnung wurde erschüttert durch die Mitteilung des russischen Jagdbesitzers, daß vor Neujahr die Jagd auf Raubzeug höchst unsicher wäre, weil der Bär sich erst bei tiefem Schnee und andauernder Kälte einschlage und zu bestätigen sei. Im November und Dezember werde aber die Kälte häufig durch Tauwetter unterbrochen.
So gewann ich die Überzeugung, daß auch die landläufige Vorstellung von russischer "Bärenkälte“, wenigstens für die Zeit meines Aufenthaltes, nicht zutreffen werde, und beschloß, meine Ausrüstung den Anforderungen eines kalten deutschen Winters anzupassen. Überdies schien mir die Meinung, daß die Russen wohl am besten verstehen würden, sich gegen Kälte zu schützen und besonders praktische Kleidungsstücke verwendeten, als selbstverständlich. Diese Ausrüstungsstücke beabsichtigte ich, nach Bedarf, in St. Petersburg zu kaufen.
Die meisten Schwierigkeiten verursachte, nach allen mir zu Ohren gekommenen Berichten, die Einfuhr der Schußwaffen. Um Gewehre einzuführen, war die Erlaubnis des russischen Gouverneurs des betreffenden Grenzgouvernements erforderlich. Erhaltener Anweisung gemäß wendete ich mich deshalb bereits Anfang September an das deutsche Generalkonsulat in Warschau mit der Bitte, mir beim russischen Gouverneur daselbst die Erlaubnis zu erwirken, Anfang November über Wirballen eine Repetierbüchse, einen Drilling und eine Repetierpistole mit genau bezeichneter Patronenzahl einzuführen. Dem Schreiben fügte ich fünf Mark zur Bestreitung der Kosten bei.
Anfang Oktober erhielt ich ein Schreiben des deutschen Generalkonsulates folgenden Inhaltes.
"Auf die Eingabe vom 4. vorigen Monats benachrichtige ich Sie, daß nach einer mir zugegangenen Mitteilung der hiesige Generalgouverneur Ihnen die Erlaubnis erteilt hat – folgt die Aufzählung der Gewehre und Patronen - unter Beobachtung der bestehenden Zollvorschriften über das Grenzzollamt Wirballen einzuführen. Die zuständige Grenzbehörde ist mit entsprechender Anweisung versehen worden. Beim Passieren der Grenze wollen Sie sich auf vorstehende Benachrichtigung berufen. Bei der Zollabfertigung ist eine Kaution in der Höhe der tarifmäßigen Gebühr für die eingeführten Waffen zu hinterlegen, welche Ihnen, falls die Wiederausfuhr binnen Monatsfrist erfolgt, zurückzuerstatten ist.
Von den eingesandten 5 Mark sind 3 Mark 10 Pfennig zur Deckung der diesseitigen Auslagen verwendet worden. Den Rest von 1 Mark 90 Pfennig erhalten Sie anbei zurück.
Der Kaiserliche Generalkonsul"
Die gewohnte deutsche Pünktlichkeit hatte nur einen unbedeutenden Fehltritt in diesem Schriftstück begangen. Statt "200 Patronen“ waren "20 Patronen“ als einfuhrberechtigt verzeichnet. Auf meine Reklamation erwiderte der Generalkonsul.
"Es ist tatsächlich die Einfuhr von 200 Patronen genehmigt worden. Die Angabe im diesseitigen Schreiben vom 1. des Monats beruht anscheinend auf einem Schreibfehler.“
Ich setze diese Schriftstücke deshalb nach ihrem Wortlaut hierher, weil ein gläubiges deutsches Gemüt, mit solchen Ausweisen in der Brusttasche, fraglos zu dem Schluß kommen mußte. "Die Sache ist in bester Ordnung - irgend ein Anstand an der russischen Grenze unmöglich, undenkbar, absolut ausgeschlossen!“ In dieser Hinsicht erscheint das zweite Schreiben von Bedeutung, weil es eine Bestätigung der Einfuhrgenehmigung seitens des russischen Gouverneurs enthält. O - ahnungsloser deutscher Biedermeier, der russische Zustande vertrauensvoll durch die deutsche Brille betrachtet!
An Schußwaffen nahm ich die bereits in Ostafrika erprobte Repetierbüchse Modell 98 mit, eine herrliche Waffe, was Solidität, Treffsicherheit und Durchschlag anbelangt; ihre Vorzüge kommen, nach meiner Erfahrung, allerdings nur mit der Originalmilitärladung voll zur Geltung. Die übliche Ladung mit 2,3 Gramm Blättchenpulver ergibt auf starkes Wild nicht die erforderliche Stauchung und Schußwirkung. Einen Teil der Patronen wählte ich mit Vollmantelgeschossen und ließ diese mit "Expansion“ bohren; solche Hohlspitzengeschosse ergeben nach meinen bisherigen Erfahrungen vorzügliche Schußwirkung und haben den weiteren großen Vorzug, dass Ladehemmungen, wie sie die Teilmantelgeschosse stets mit sich bringen, völlig ausgeschlossen sind.
Außerdem versah ich mich mit Drilling, Browning-Rückstoßladepistole und dem kurzen Militärseitengewehr als Hirschfänger.
An einem wunderbaren Oktobertag, der die Trennung von den heimatlichen Hühnerrevieren nicht gerade erleichterte - die Jagd auf Novemberhühner zählt zu meinen Specialitäten - dampfte ich zunächst nach Berlin, wo ich einige Tage zu verbringen gedachte. Mit meinem Schwager fuhr ich zur Birsch in den Spreewald, um die Repetierbüchse an einigen verspäteten Böcken und an Geltricken zu erproben. Das Rehwild steht in jenen Gebieten mit Vorliebe im Felde. Von Sprüngen konnte hier keine Rede sein - wir trafen mehrmals auf Rudel von zwanzig bis dreißig Stück Rehwild. Das Anbirschen im kahlen Felde war allerdings eine andere Sache; selbst den Birschwagen hielt das scheue Wild schlecht genug aus. Bemerkenswert erscheint mir die auch anderwärts mehrfach gemachte Beobachtung, daß aus der 8-mm-Büchse beschossenes Rehwild mit tadellosen Blattschüssen noch hundert bis zweihundert Gänge weit flüchtet, bevor es verendet zusammenbricht. Im Spreewald geriet mir infolge dieser fatalen Eigentümlichkeit, welche ich dem kleinkalibrigen Geschoß zuschreibe, eine Geltricke in eine undurchdringliche Kieferndickung und damit zugleich über die Grenze! Dabei ist zu beachten, daß ich keine Gartenbüchsenladung, sondern 2,75 Gramm Blättchenpulver schoß und daß das Teilmantelgeschoß mitten auf dem Blatte saß.
In Berlin wurden mir prächtige, leichte Jagdpelze, bis ans Knie reichend, gezeigt. Ich fand es jedoch lächerlich, auf einer Reise nach Rußland Pelzsachen in Deutschland zu kaufen und war nicht von dem Glauben abzubringen, daß sich in der Heimat der Pelzröcke weit praktischere Jagdbekleidung kaufen ließe. Die fixe Idee, daß die russischen Jäger etwas ganz Besonderes, Unvorstellbares, den dortigen Verhältnissen hervorragend Angepaßtes, hinsichtlich Jagdkleidung besitzen müßten, verließ mich keinen Augenblick.
Einem glücklichen Zufall verdankte ich in Berlin das Zusammentreffen mit einem russischen Kaufmann, Herrn D. aus St. Petersburg, an den ich durch einen befreundeten deutschen Waidgenossen empfohlen war. Herr D., selbst passionierter Jäger, der schon eine größere Zahl Bären gestreckt hatte, beabsichtigte die Rückreise nach St. Petersburg anzutreten; meine Freude über diese angenehme Reisegesellschaft war natürlich keine geringe. Seinem Rat folgend, gab ich den Plan auf, mit dem jeden Donnerstag und Sonntag früh 9 Uhr aus Berlin abgehenden "Nordexpreß“ zu reisen, der in dreißig Stunden nach St. Petersburg fährt. Der gewöhnliche Schnellzug legt die 1630 Kilometer messende Strecke in zweiunddreißig Stunden zurück, ist in der ersten Klasse weniger besetzt und nebenbei etwa 45 Mark billiger.
Im Reisebureau von Karl Stangen kaufte ich ein einfaches Billet erster Klasse nach St. Petersburg für 125 Mark und bestellte, von Wirballen ab, einen Schlafwagenplatz. Am andern Morgen 9 Uhr dampften wir, zum Bahnhof Friedrichstraße hinaus, der fernen Grenze des Zarenreiches zu.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des braunen Bären: Jagd- und Reisebilder aus Russland