Vorrede
Das vorliegende Buch ist das Ergebnis zweier hauptsächlich zu jagdlichen Zwecken unternommenen Reisen durch die nördlichen Teile des europäischen Rußland.
Jedoch enthält das Buch selbstverständlich nicht ausschließlich jagdliche Schilderungen; wer einen Band mit der Darstellung russischer Jagderlebnisse anfüllen wollte, ohne Gefahr zu laufen, weitschweifig zu werden und den Leser zu langweilen, der müßte den Aufenthalt in den russischen Jagdgründen nicht nach Monaten, sondern nach Jahren bemessen. Ich möchte hier schon betonen, daß sich, abgesehen von Niederwild, bedeutende Jagderfolge, d. h. reiche Strecken, wie sie z. B. in Afrika möglich sind, in Rußland nicht erzielen lassen. Hieran ist keineswegs Wildarmut schuld, denn die russischen Bestände an Elchwild sind überaus reich, und starkes Raubzeug - Bär, Luchs, Wolf - findet sich allenthalben noch heute in viel größerer Zahl, als man in Westeuropa annimmt.
Der Hauptgrund, der größere Jagderfolge verhindert, ist in den Verhältnissen des Landes zu suchen. Die Jagd in den endlosen Urwäldern des Nordens ist in einem solchen Maße mit Schwierigkeiten, Strapazen, Zeitverlust und Kosten verbunden, daß der Jäger zufrieden sein muß, wenn er keine Mißerfolge erlebt. Es genügt wohl, darauf hinzuweisen, daß die einzige in der Waldregion Rußlands anwendbare und gebräuchliche Jagdart die kostspielige und umständliche Treibjagd bleibt und daß die Birschjagd zu den unbekannten, weil unmöglichen Dingen gehört. Überdies ist es nicht gerade leicht, Zutritt in Elchreviere zu erlangen, da die ein-heimischen Jagdbesitzer gegen Fremde äußerst verschlossen sind.
Die Jagd auf den urigen Elchhirsch und den wehrhaften Bären, wie sie in jenen fernen, kulturlosen Wäldern betrieben wird, enthält aber anderseits wieder für den aus unseren zahmen Kulturgebieten kommenden Jäger so viel des Neuen und Fremdartigen, - es haftet ihr so viel wilder Zauber an, daß ihre Schilderung, nach meiner Überzeugung, des allgemeinen Interesses, auch ohne Berichte über Massenstrecken, sicher sein darf.
Meine Kreuz- und Querzüge führten mich in Gebiete, welche für den gewöhnlichen Reiseverkehr verschlossen sind; in jene weit-fernen, kultur- und pfadlosen Urwälder dringt kein Reisender ein, sondern allein der büchsenbewaffnete Jäger, welcher das einsame Winterlager des nordischen Bären aufspürt. Und auch die Menschen, welche in jenen abgeschiedenen, unbekannten Wäldern hausen, stehen der europäischen Kultur beinahe ebenso fern wie die Schwarzen im Innern Centralafrikas. Aus jenen entweder unter Schnee begrabenen oder durch unwegsame Sümpfe abgesperrten Einöden dringt kaum eine Kunde hervor bis zu den wenigen, das Riesenreich durchziehenden Verkehrslinien.
Rußland ist eines der merkwürdigsten, interessantesten Länder, welche ich auf meinen Reisen kennen gelernt habe. Wie sein heißer Sommer beinahe unvermittelt in den härtesten Winter übergeht, so berühren dort höchste Geistesbildung, ungestümer Fortschrittsdrang, raffiniertester Luxus die stumpfsinnigste Lethargie, die vollkommenste Kulturlosigkeit, die erbarmungswürdigste Armut! Mit vollem Rechte bezeichnet man das Reich des Absolutismus als eine Sphinx. Die Literatur über Rußland bestätigt diese Anschauung; denn die in ihr enthaltene Fülle von Widersprüchen und Gegensätzen läßt das rätselhafte Staatsgebilde noch rätselhafter erscheinen.
Die in diesem Buche entworfenen Schilderungen von Land und Leuten erheben keinen Anspruch darauf, mehr zu sein als die einfache Wiedergabe von Reiseeindrücken. Ich möchte sie vergleichen mit photographischen Momentaufnahmen, deren Beschaffenheit ausschließlich abhängt von der Art der Beleuchtung, und welche frei sind von Einmischung fremder Motive. Ich habe die Dinge in Rußland so gezeichnet, wie sie sich mir darstellten und sie beurteilt nach meiner eigenen Weltanschauung. In einzelnen Fällen habe ich sogar in der ersten Abteilung des Buches die auf der ersten Reise gewonnenen Eindrücke wiedergegeben, ohne Rücksicht darauf, daß mein Urteil, durch die aus der zweiten Reise gemachten Erfahrungen, in mancher Hinsicht umgestaltet worden ist. Dadurch ist das Gepräge der Schilderung allerdings noch subjektiver geworden; wie aber jedes Ding durch die Verschiedenartigkeit der Beleuchtung sich dem Auge klarer darstellt, so dürfte der Leser auch ein besseres Bild von manchen russischen Verhältnissen gewinnen, wenn er weiß, wie eine Anschauung zustande gekommen ist, und welche Einflüsse sie abgeändert haben.
Ist es im allgemeinen schon schwierig, ein fremdes Land gerecht zu beurteilen, so steigern sich diese Schwierigkeiten noch bedeutend, wenn es sich um ein Staatswesen, gleich dem russischen, handelt, dessen Verhältnisse ebenso riesenhaft, wie ungeordnet und unfertig sind. Und die Aufgabe wird keineswegs dadurch erleichtert, daß die darstellende Feder von einem Schriftsteller geführt wird, welchem die Wanderlust im Blute steckt; das Urteil wird nur zu leicht beeinflußt durch die Sehnsucht nach der Ferne und durch die Erinnerung an vergangene Tage freien, ungebundenen Jägerlebens.
So manchem civilisierten Westeuropäer mag es unfaßlich erscheinen, daß Rußland imstande sein soll, derartige Gefühle wachzurufen. Wer aber seine endlosen, düsteren Fichtenwälder und weiten Schneeflächen im einsamen Schlitten durchquert, wer sein interessantes Volksleben kennen gelernt hat, der weiß, daß jenen unter dem Eishauche des nordischen Winters erstarrten Gefilden ein ganz eigenartiger Zauber anhaftet, unter dessen Einwirkung die Erinnerung an das gewaltige Zarenreich eine durchaus freundliche Färbung erlangt.
Kehl am Rhein, im Herbst 1904.
Waidmannsheil!
Der Verfasser.
Jedoch enthält das Buch selbstverständlich nicht ausschließlich jagdliche Schilderungen; wer einen Band mit der Darstellung russischer Jagderlebnisse anfüllen wollte, ohne Gefahr zu laufen, weitschweifig zu werden und den Leser zu langweilen, der müßte den Aufenthalt in den russischen Jagdgründen nicht nach Monaten, sondern nach Jahren bemessen. Ich möchte hier schon betonen, daß sich, abgesehen von Niederwild, bedeutende Jagderfolge, d. h. reiche Strecken, wie sie z. B. in Afrika möglich sind, in Rußland nicht erzielen lassen. Hieran ist keineswegs Wildarmut schuld, denn die russischen Bestände an Elchwild sind überaus reich, und starkes Raubzeug - Bär, Luchs, Wolf - findet sich allenthalben noch heute in viel größerer Zahl, als man in Westeuropa annimmt.
Der Hauptgrund, der größere Jagderfolge verhindert, ist in den Verhältnissen des Landes zu suchen. Die Jagd in den endlosen Urwäldern des Nordens ist in einem solchen Maße mit Schwierigkeiten, Strapazen, Zeitverlust und Kosten verbunden, daß der Jäger zufrieden sein muß, wenn er keine Mißerfolge erlebt. Es genügt wohl, darauf hinzuweisen, daß die einzige in der Waldregion Rußlands anwendbare und gebräuchliche Jagdart die kostspielige und umständliche Treibjagd bleibt und daß die Birschjagd zu den unbekannten, weil unmöglichen Dingen gehört. Überdies ist es nicht gerade leicht, Zutritt in Elchreviere zu erlangen, da die ein-heimischen Jagdbesitzer gegen Fremde äußerst verschlossen sind.
Die Jagd auf den urigen Elchhirsch und den wehrhaften Bären, wie sie in jenen fernen, kulturlosen Wäldern betrieben wird, enthält aber anderseits wieder für den aus unseren zahmen Kulturgebieten kommenden Jäger so viel des Neuen und Fremdartigen, - es haftet ihr so viel wilder Zauber an, daß ihre Schilderung, nach meiner Überzeugung, des allgemeinen Interesses, auch ohne Berichte über Massenstrecken, sicher sein darf.
Meine Kreuz- und Querzüge führten mich in Gebiete, welche für den gewöhnlichen Reiseverkehr verschlossen sind; in jene weit-fernen, kultur- und pfadlosen Urwälder dringt kein Reisender ein, sondern allein der büchsenbewaffnete Jäger, welcher das einsame Winterlager des nordischen Bären aufspürt. Und auch die Menschen, welche in jenen abgeschiedenen, unbekannten Wäldern hausen, stehen der europäischen Kultur beinahe ebenso fern wie die Schwarzen im Innern Centralafrikas. Aus jenen entweder unter Schnee begrabenen oder durch unwegsame Sümpfe abgesperrten Einöden dringt kaum eine Kunde hervor bis zu den wenigen, das Riesenreich durchziehenden Verkehrslinien.
Rußland ist eines der merkwürdigsten, interessantesten Länder, welche ich auf meinen Reisen kennen gelernt habe. Wie sein heißer Sommer beinahe unvermittelt in den härtesten Winter übergeht, so berühren dort höchste Geistesbildung, ungestümer Fortschrittsdrang, raffiniertester Luxus die stumpfsinnigste Lethargie, die vollkommenste Kulturlosigkeit, die erbarmungswürdigste Armut! Mit vollem Rechte bezeichnet man das Reich des Absolutismus als eine Sphinx. Die Literatur über Rußland bestätigt diese Anschauung; denn die in ihr enthaltene Fülle von Widersprüchen und Gegensätzen läßt das rätselhafte Staatsgebilde noch rätselhafter erscheinen.
Die in diesem Buche entworfenen Schilderungen von Land und Leuten erheben keinen Anspruch darauf, mehr zu sein als die einfache Wiedergabe von Reiseeindrücken. Ich möchte sie vergleichen mit photographischen Momentaufnahmen, deren Beschaffenheit ausschließlich abhängt von der Art der Beleuchtung, und welche frei sind von Einmischung fremder Motive. Ich habe die Dinge in Rußland so gezeichnet, wie sie sich mir darstellten und sie beurteilt nach meiner eigenen Weltanschauung. In einzelnen Fällen habe ich sogar in der ersten Abteilung des Buches die auf der ersten Reise gewonnenen Eindrücke wiedergegeben, ohne Rücksicht darauf, daß mein Urteil, durch die aus der zweiten Reise gemachten Erfahrungen, in mancher Hinsicht umgestaltet worden ist. Dadurch ist das Gepräge der Schilderung allerdings noch subjektiver geworden; wie aber jedes Ding durch die Verschiedenartigkeit der Beleuchtung sich dem Auge klarer darstellt, so dürfte der Leser auch ein besseres Bild von manchen russischen Verhältnissen gewinnen, wenn er weiß, wie eine Anschauung zustande gekommen ist, und welche Einflüsse sie abgeändert haben.
Ist es im allgemeinen schon schwierig, ein fremdes Land gerecht zu beurteilen, so steigern sich diese Schwierigkeiten noch bedeutend, wenn es sich um ein Staatswesen, gleich dem russischen, handelt, dessen Verhältnisse ebenso riesenhaft, wie ungeordnet und unfertig sind. Und die Aufgabe wird keineswegs dadurch erleichtert, daß die darstellende Feder von einem Schriftsteller geführt wird, welchem die Wanderlust im Blute steckt; das Urteil wird nur zu leicht beeinflußt durch die Sehnsucht nach der Ferne und durch die Erinnerung an vergangene Tage freien, ungebundenen Jägerlebens.
So manchem civilisierten Westeuropäer mag es unfaßlich erscheinen, daß Rußland imstande sein soll, derartige Gefühle wachzurufen. Wer aber seine endlosen, düsteren Fichtenwälder und weiten Schneeflächen im einsamen Schlitten durchquert, wer sein interessantes Volksleben kennen gelernt hat, der weiß, daß jenen unter dem Eishauche des nordischen Winters erstarrten Gefilden ein ganz eigenartiger Zauber anhaftet, unter dessen Einwirkung die Erinnerung an das gewaltige Zarenreich eine durchaus freundliche Färbung erlangt.
Kehl am Rhein, im Herbst 1904.
Waidmannsheil!
Der Verfasser.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des braunen Bären: Jagd- und Reisebilder aus Russland