In die Minen -3-



Hafften war heute abend besonders lustig, und es gelang ihm, sogar bei Mrs. Pitt die trüben Gedanken zu vertreiben. Er setzte sich ans Klavier und ließ Pauline und Therese zusammen tanzen. Dann mußte sich Pauline wieder hinsetzen, und er sprang und tanzte mit dem Kind, bis gegen neun Uhr noch Kapitän Becker kam und eine riesige Ziehharmonika mitbrachte. Jetzt mußte er spielen, und Hafften tanzte mit Pauline. Daß der ehrliche, gute Kapitän eigentlich keine Ahnung von Takt hatte und alle Augenblicke danebengriff, amüsierte die jungen Leute nur noch mehr, und Mr. Pitt selbst lachte mit, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. Er gestand, seit langer, langer Zeit keinen so vergnügten Abend verlebt zu haben.


Mit Tagesanbruch traf aber Hafften trotzdem seine Vorbereitungen zum Abmarsch. Es gelang ihm auch, weil er gut englisch sprach, etwas Gepäck auf einem Karren bis Bathurst unterzubringen. Von da aus ging es vielleicht auch noch weiter, bis in die Minen.

Er selbst wollte mit der Post nach Bathurst reisen. Als er aber hörte, daß sich schon für die nächsten sechs Tage Passagiere eingetragen hatten, gab er es auf. Dann dachte er daran, ein Pferd zu kaufen, aber die Preise waren so in die Höhe gegangen, daß er sich entschloß, den Marsch zu Fuß anzutreten. Man hatte ihm außerdem erzählt, daß ein Pferd bei den jetzigen Verhältnissen in den Minen kaum genügend Futter finden würde und deshalb eher hinderlich sei. Mit einem Revolver im Gürtel, einem kräftigen Stock in der Hand, zog er noch am selben Nachmittag leichten Herzens den Bergen entgegen.

Zwei oder drei Meilen von Sydney entfernt überholte er endlich einen anderen Fußgänger. Den anderen Gruppen, die oft stark angetrunken waren, hatte er sich nicht genähert. Auch an diesem einsamen Wanderer ging er mit kurzem Gruß vorbei. Aber der Mann hatte etwas so Eigentümliches an sich, daß er sich unwillkürlich nach ihm umsah. Dann ging er noch eine Weile langsamer weiter, um von ihm wieder überholt zu werden.

Es war eine schlanke, fast schmächtige Gestalt, mit ziemlich bleichen, aber interessanten Gesichtzügen, großen schwarzen Augen und dunkelbraunen, langen, lockigen Haaren. Der Mann war auch nicht wie ein Miner gekleidet. Er trug kein rotes Wollhemd, keine Wasserstiefel und keinen kalifornischen Hut, sondern dunkle städtische Kleidung, einen Seidenhut und einen Regenschirm. Ein kleiner, hübsch gearbeiteter Tornister auf seinem Rücken konnte nur etwas saubere Wäsche beinhalten. Der Mann machte überhaupt einen sehr sauberen Eindruck.

Und was wollte er in diesem Aufzug in den Minen? Hafften beschloß, eine Unterhaltung mit ihm anzuknüpfen. Er konnte ihn ja jeden Augenblick wieder verlassen, wenn ihm seine Gesellschaft nicht mehr behagte.

Der junge Fremde kam wieder näher.

„Wir haben ein Ziel?“ fragte Hafften in englischer Sprache und tippte leicht an seinen Hut.

„Wie alle Menschen“, sagte der junge Mann und erwiderte den Gruß freundlich. „Ein Ziel, das der eine leichter, der andere mit etwas größerer Mühe erreicht - aber dorthin kommen wir alle.“

„Ich meinte nicht unser letztes Ziel“, lächelte Hafften.

„Auch unser nächstes scheint dasselbe zu sein. Ich vermute, Sie ziehen ebenfalls in diese fabelhaften Berge und wollen Abenteuer erleben? Oder sich zumindest einmal den Platz ansehen?“

„Er ist mir nicht mehr neu“, sagte der junge Mann und ging neben seinem neuen Reisegefährten her. „Seit sieben Jahren habe ich oben in Bathurst gewohnt und die Berge nach allen Richtungen hin durchwandert.“

„Tatsächlich?“ rief Hafften überrascht. „Hatten Sie eine Ahnung, daß da solche Schätze zu finden sind?“

„Daß dort Schätze zu finden sind? Wer hätte je daran gezweifelt?“ sagte der junge Mann. „Noch manches Geheimnis liegt dort verborgen. Aber daß gierige Menschenkinder jemals in dieser Weise mit Schaufeln und Hacken ausströmen würden, um sie zu durchwühlen, hätte ich nicht gedacht.“

„Und gehören wir beide jetzt nicht auch dazu?“ lächelte Hafften.

„Ich nicht“, sagte der Fremde ruhig. „Ich ziehe mit hinauf, ja, aber nicht, um da oben mitzugraben. Was ich brauche, habe ich, mehr verlange ich nicht. Aber es ist immer interessant, die Leidenschaft der Menschen von sicherer Stelle aus zu beobachten, wenn sie wie ein angeschwollener Bergstrom an uns vorübertoben. Dieses Schauspiel wird uns da reichlich geboten!“

„Es ist aber auch eine sehr verführerische Geschichte.“ Hafften lachte. „Es ähnelt dem Hazardspiel am grünen Tisch etwa. Auch da gehört Fischblut dazu, den ganzen Abend danebenzustehen und nicht einmal selbst mit der Hand in die Westentasche zu greifen. Ich habe es schon in Kalifornien mit durchgemacht und möchte es nicht beschwören, ob ich mich hier nicht auch wieder verleiten lasse und trotz aller früheren, bitteren Erfahrungen noch einmal Hals über Kopf in den Strudel hineinspringe.“

Sein blasser Begleiter lächelte leise und verächtlich vor sich hin und sagte:

„Ich bin sicher, daß Gold für mich noch nie einen Reiz gehabt hat. Da, wo auch noch schwere, ungewohnte Arbeit hinzukommt, kann es ihn auch nie erreichen. Aber lassen wir das elende Gold. Es hat mir den Aufenthalt in Sydney unerträglich gemacht, weil man dort nichts weiter hört als Gold, Gold, Gold.“

„Um dem zu entgehen, haben Sie aber bestimmt nicht den richtigen Weg gewählt. Denn von was soll man sonst in den Minen reden? An was wird man da den lieben langen Tag lang denken können?“

„Oben in den Bergen kann ich allein sein, wie ich es will“, sagte der junge Mann. „Es gibt da Stellen und Schluchten, in die wohl kaum jemals ein anderer menschlicher Fuß als meiner gelangt wäre. Und da... - aber wir wollten ja von etwas anderem reden, als von den australischen Bergen“, brach er kurz ab. „Erzählen Sie mir lieber von Kalifornien - oder nein, nicht von Kalifornien, denn da spielt ja auch das Gold die Hauptrolle. Erzählen Sie mir von Deutschland. Es ist... eine lange, lange Zeit, seit ich etwas von dort gehört habe...“, setzte er mit einem Seufzer hinzu.

„Waren Sie schon dort?“ erkundigte sich Hafften.

„Ich bin Deutscher“, sagte der junge Mann ruhig.

„Was, tatsächlich?“ rief Hafften erstaunt. „Das hätte ich Ihrer englischen Aussprache nicht angehört. Aber dann sind Sie schon lange hier im Land, nicht wahr?“

„Schon seit zehn Jahren“, sagte der Deutsche leise.

„Das ist etwas anderes“, rief Hafften. „Dann kann unsere Unterhaltung aber beiden nutzen. Ich habe erst gestern australischen Boden betreten und bin ein vollkommener Neuling im Land. Der Weg wird uns sicherlich kürzer werden, wenn wir unsere Nachrichten austauschen. Aber - wenn es Ihnen recht ist, unterhalten wir uns in der Muttersprache, denn ich hasse es, wenn sich zwei Deutsche in einer fremden Sprache unterhalten.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch