Die Familie Sutton -2-



Der junge Mann nahm den Bleistift in seine noch zitternde Hand und versuchte zu schreiben. Als er aber ansetzte, sah er den alten Herrn plötzlich starr an. Es war, als ob ihn ein plötzlicher Gedanke durchzuckte, und ohnmächtig sank er auf das Kissen zurück.


„Da haben wir es“, murmelte Mr. Sutton ärgerlich vor sich hin. „Da komme ich her, nehme mir vor, ganz behutsam und sorgfältig vorzugehen, und stelle es so ungeschickt wie möglich an. Was jetzt? Ich muß Gertrud rufen, damit sie den unglücklichen Menschen wieder zu sich bringt.“

Gertrud erreichte, daß der Verwundete das Bewußtsein wiedererlangte. Aber er blieb den ganzen Tag zu schwach, um einen erneuten Versuch wagen zu können, mit ihm zu sprechen. Als der Arzt am Nachmittag kam, schimpfte er auch den alten Herrn aus, weil er so mit der Tür ins Haus gefallen wäre und gleich alles im ersten Moment erzwingen wollte.

An diesem Tag war nichts weiter zu tun, aber am nächsten Morgen schien sich der Kranke bedeutend besser zu fühlen, denn er verlangte von sich aus Papier und Bleistift und schrieb den Namen Charles Pitt auf.

„Pitt?“ rief der alte Herr, der wieder an seinem Bett saß. „Sind Sie ein Sohn von Charley Pitt in der George Street?“

Der Kranke nickte.

„Potz Blitz, dann freut es mich doppelt, daß wir Sie wieder auf die Beine bringen, lieber Freund. Aber welche Angst müssen Ihre Eltern ausgestanden haben! Denen müssen wir gleich mit der nächsten Post Nachricht geben.“

Wieder wurde der Kranke totenblaß. Er schloß die Augen und blieb still liegen. Der alte Herr glaubte schon an eine neue Ohnmacht, aber es war nur Schwäche. Mr. Sutton ging in sein Zimmer und schrieb ein paar Zeilen an Mr. Pitt in Sydney und teilte ihm das Wichtigste mit. Den Brief schickte er mit einem seiner Leute zum Gasthaus hinüber, damit er von dort mit der nächsten vorbeikommenden Post befördert werden konnte.

Die nächste Postkutsche ging aber nach Bathurst hinauf, und der halb betrunkene Barkeeper, der gleichzeitig die Post besorgte, gab sich nicht die Mühe, die Adresse zu lesen. Er sandte den Brief nicht nach Sydney, sondern in die Minen hinauf.

Inzwischen hatte Mrs. Pitt in Sydney schwere, trübe Tage verlebt. Zwar sagte sie sich, daß die neuen Goldfunde alle gewohnten, ruhigen Verhältnisse umwerfen würden und ihr Charles dadurch noch in Bathurst aufgehalten werden konnte. Auch ein Brief von ihm, wenn er überhaupt Zeit zum Schreiben hatte, konnte verlorengegangen sein. Aber damit beruhigte sich das Mutterherz nicht. Unwillkürlich kehrten ihre Gedanken immer wieder an die überfallene Mail und die damit verbundenen Gerüchte zurück.

Und nirgends ließ sich Genaues darüber erfahren. Selbst auf der Post wurden noch nicht einmal die Namen der Passagiere eingeschrieben. Was kümmerte die Leute der Name eines Reisenden, wenn sie nur das Geld für den Platz bekamen? Einen bestimmten Platz konnte man nicht bestellen. Wer seinen Körper leichtsinnig der Royal Mail auslieferte, mußte auch sehen, wie er einen Platz darauf fand und damit fortkam. Das war allein seine Sache.

Schließlich wurde auch Mr. Pitt unruhig, denn sein Geschäftsführer in Bathurst erwähnte Charles nicht einmal. Als er endlich bei ihm anfragte, erhielt er die Nachricht, daß er die Absicht gehabt hatte, nach Sydney an dem Tag zurückzukehren, an dem die Post überfallen wurde. Er sei aber noch bis zuletzt unschlüssig gewesen und habe vorher einen kleinen Abstecher in die Berge gemacht. Möglich, daß er dort geblieben war und vielleicht jetzt noch oben in einer von den Schluchten stecke.

Das ständig wachsende Geschäft nahm aber Mr. Pitts Tätigkeit so in Anspruch, daß er wirklich kaum zur Besinnung kam. Er wurde jetzt nur böse auf seinen Sohn, der seinem Vergnügen nachging und sich in den Bergen zwischen den Goldsuchern herumtrieb. Daß ihm ein Unfall zugestoßen sein könnte, wollte er nicht einmal entfernt annehmen.

Um diese Zeit war es, daß William Holleck aus den Bergen zurückkehrte und sofort die Familie Pitt besuchte.

Hier hatte sich gerade ein kleiner Kreis zum Tee versammelt. Außer Kapitän Becker war auch der Polizeileutnant Beatty anwesend, als Holleck eintrat. Diesmal trug er nicht seinen Minenanzug und wurde von allen, besonders aber von der kleinen Therese, freundlich begrüßt. Das Kind lief auf ihn zu, schlang seine Arme um seinen Nacken, und als er es zu sich hochhob, rief es laut und fröhlich:

„Na, Onkel William, hast du mir auch viel Gold aus den Minen mitgebracht?“

„Einen ganzen Sack voll, mein Schatz“, lachte der junge Mann und griff in die Westentasche. Er holte ein Stück in der Größe einer Haselnuß heraus und gab es ihr. „Da, hier hast du eine Probe davon, mit der du spielen kannst. Aber paß auf, daß du es nicht verlierst.“

„Richtiges Gold?“ rief die Kleine erfreut aus. „Oh, wie das blitzt und glänzt, und wie schwer es ist!“

„Wo haben Sie Charles gesehen?“ rief ihm die Mutter entgegen, kaum daß die Begrüßung vorbei war. „Warum schreibt er nicht wenigstens, damit man hier nicht Sorgen und Angst um ihn haben muß?“

„Gesehen habe ich ihn nicht“, sagte Holleck und setzte die Kleine wieder auf den Boden. „In Bathurst war er nicht zu finden, aber er soll in den Minen am Macquaire oder dort in der Nähe stecken. Das haben mir Leute erzählt, die ihn bei der Arbeit getroffen haben wollen. Die ganze Welt ist ja verrückt nach Gold da oben. Alle entwickeln einen Eifer mit Schaufeln und Spitzhacken, der ganz New South Wales in das erste Ackerbauland der Welt verwandeln würde, wenn sie nicht gerade da hacken und graben würden, wo nicht anderes als Quarzblöcke und Porphyr wachsen wollen.“

„Und haben sie auch im Geschäft in Bathurst noch immer keine Nachricht von ihm?“ erkundigte sich Mr. Pitt ärgerlich.

„Keine Silbe“, lachte Holleck. „Wo soll er da oben auch Feder und Tinte herbekommen! In den Minen geht es drunter und drüber!“

„Schön“, sagte Becker. „Hier haben wir wenigstens jemand, der einen genauen, authentischen Bericht über die fabelhaften Goldminen geben kann. Also, junger Mann, setzen Sie sich doch auf den Stuhl da und packen Sie Ihre Neuigkeiten aus, denn wir brennen alle darauf, Einzelheiten zu hören. Was man in der Stadt darüber erfährt, ist gerade genug, um einen sonst ganz vernünftigen Menschen verrückt zu machen. Ich möchte nun auch einmal jemand sprechen, der mit der Sprache herausrückt und die Flunkereien aufdeckt.“

„Flunkereien?“ rief Holleck lachend. „Lieber Kapitän, da sind Sie an den Falschen geraten. Wenn ich Ihnen nur das erzähle, was ich selbst gesehen habe, packen Sie morgen und machen, daß Sie so schnell wie möglich in die Minen kommen.“

„Das wäre mir aber lieb“, rief der Kapitän, ganz verblüfft von der unerwarteten Bemerkung. Holleck hatte die kleine Gesellschaft jetzt neugierig gemacht. Da jetzt doch nicht mehr an ein anderes Gespräch zu denken war, bat ihn sogar Mrs. Pitt, ihnen mitzuteilen, was er da oben erfahren habe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch