Die Familie Sutton -3-



Mit einem eigenen, treffenden Humor schilderte Holleck jetzt seinen Weg in die Berge und das Leben da oben, beschrieb die kauzigen Charaktere, die da zusammenströmen, die Arbeit und die Erfolge. Dabei bestätigte er auch die ausgefallensten Gerüchte, so daß Kapitän Becker wie erstarrt saß und kaum wußte, ob er seinen eigenen Ohren trauen sollte.


In der einen Woche waren schon enorme Mengen Gold ausgegraben und zahlreiche Nuggets, also größere Goldklumpen, von einem bis zu zwölf Pfund reinem Gold von glücklichen Goldsuchern zutage gefördert worden.

Noch während er erzählte, brachte die Magd einen Brief herein, der eben im Haus abgegeben worden war.

„Von Bathurst?“ fragte Mr. Pitt, der den Stempel betrachtete.

„Endlich von Charles!“ rief Mrs. Pitt und sprang von ihrem Stuhl auf.

„Nein, es ist eine fremde Handschrift, die ich nicht kenne“, sagte ihr Mann. Er trat zum Licht, um den Brief zu öffnen.

„Aber doch vielleicht Nachricht von ihm?“ sagte die Mutter.

„Wohl kaum. J. Sutton?“ las Mr. Pitt die Unterschrift.

„Etwas von Charles?“ wiederholte seine Frau, deren Blick ängstlich an ihm haftete. Mr. Pitt stand mit dem Gesicht zur Lampe und kehrte seiner Frau den Rücken zu. Er schüttelte nur langsam den Kopf und verharrte in seiner Stellung.

Holleck hatte einen Augenblick mit Erzählen innegehalten, er wollte die Frage nicht stören. Als aber Mr. Pitt jetzt ruhig weiterlas und seine Frau wieder mit einer getäuschten Hoffnung auf ihren Stuhl zurücksank, fuhr er fort. Er gab ihnen eine so komische Schilderung eines Deutschen, der da oben eine komplizierte Maschine an Plätzen aufstellen wollte, wo er gar nicht arbeiten konnte, daß alle laut lachten. Selbst Mrs. Pitt vergaß für den Augenblick die Sorge um den Sohn, die sie sonst nur selten verließ.

Mr. Pitt hörte von der ganzen Erzählung kein Wort, denn er hielt Mr. Suttons Zeilen in den Händen, der ihm in kurzen Worten den Unfall seines Sohnes berichtete und ihn bat, so rasch er könne selbst hinaufzukommen. Der Brief war nach dem Datum schon fünf Tage alt und, wie das Postzeichen ergab, über Bathurst gegangen. Was sollte er jetzt tun? Seiner Frau den Inhalt mitteilen? Sie wäre vor Angst selbst krank geworden, und jetzt konnte sie ihm direkt auch nichts nützen. Da war es viel besser, sie blieb noch einige Tage in ihrer Ungewißheit, bis sie wenigstens sichere Nachricht von der Besserung des Verwundeten hatten. Ganz in Gedanken vergaß Mr. Pitt die Anwesenheit der anderen und ging mit dem Brief in der Hand im Zimmer auf und ab.

Mr. Beatty saß ihm am nächsten und sah, wie er die Stirn in düstere Falten zog. Er sagte deshalb:

„Doch keine unangenehmen Nachrichten, Mr. Pitt?“

„Ach ja“, erwiderte der Mann und sammelte sich gewaltsam. „Es scheint da oben in Bathurst ganz schlimm gewirtschaftet zu werden. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als selbst hinaufzugehen und die Sache in Ordnung zu bringen.“

„Ja, Charles, das ist richtig“, rief Mrs. Pitt erfreut. „Ich habe dich schon lange darum gebeten, früher erfahren wir doch nichts von Charley.“

„Und wann wollen Sie los?“ erkundigte sich Kapitän Becker. Noch während er sprach, bekam er einen roten Kopf.

„Wenn ich wüßte, wie, noch heute abend“, sagte Mr. Pitt. „Da das aber unmöglich ist, morgen mit Tagesanbruch.“

„Donnerwetter, das ist früh“, brummte der Kapitän. „Wissen Sie, Mr. Pitt, daß ich höllische Lust hätte, Sie zu begleiten?“

„Aha!“ lachte Pauline. „Bei Ihnen haben Mr. Hollecks Berichte schon gezündet. Ich sehe Sie da oben noch im Schweiße Ihres Angesichts Ihr Gold ausgraben.“

„Ach nee, Miß“, sagte der Kapitän verlegen. „Wegen des albernen Goldes wahrhaftig nicht. Aber, zum Wetter auch, man muß die Geschichte, wenn man sie so dicht vor der Nase hat, doch wenigstens mit ansehen. Sonst wird man später noch ausgelacht, daß man in Australien war und noch nicht einmal die Minen gesehen hat.“

„Kapitän, Kapitän!“ drohte Mr. Beatty lachend mit dem Finger. „Ich werde demnächst selbst hinaufgeschickt werden, um die Minen zu inspizieren. Wenn ich Sie dann aber oben mit Schaufel und Waschschüssel erwische, dann nehmen Sie sich in acht!“

„Haben Sie keine Angst! Ich werde den Teufel tun und in dem harten Boden nach Gold scharren. Aber was soll ich hier? Ihre Polizei in Sydney ist so ausgezeichnet, daß jetzt ganze Schiffsmannschaften spurlos verschwinden, ohne daß man einer einzigen Seele wieder auf die Spur kommt. Allein kann ich mein Schiff nicht fahren, Geld verbrauche ich hier wie da, und ein bißchen Bewegung kann mir nicht schaden. Aber bis Tagesanbruch komme ich nicht klar, Mr. Pitt. Können Sie nicht wenigstens bis morgen abend warten?“

„Das ist ganz unmöglich, lieber Kapitän“, lautete die Antwort. „Einen Platz auf der Postkutsche finden wir nicht so schnell, und ich muß deshalb die Reise zu Pferd machen.“

„Zu Pferd? Schockschwerenot“, sagte Kapitän Becker. Er dachte an einige Ausritte in Valparaiso und auf den Sandwichinseln. „Den ganzen Weg zu Pferd - das ist eine große Anstrengung.“

„Und noch dazu in einem scharfen Trab.“

„Danke Ihnen“, sagte der Kapitän. „Da wäre mir schon bis Paramatta die Seele aus dem Leib geschüttelt. Nee, dann lieber nicht.“

„Wenn Sie bis übermorgen früh warten wollen, Kapitän“, sagte der Polizeileutnant, „dann verschaffe ich Ihnen eine sichere und bequeme Fahrt in einem Einspänner. Ich muß jemand nach Bathurst schicken. Der kleine Wagen, den er mitnimmt, ist dorthin verkauft.“

„Das wäre famos. Und könnte ich da meinen Steuermann gleich mitnehmen?“

„Wenn Sie wollen, warum nicht?“

„Bravo, dann habe ich weiter keine Sorgen. Mein Steward kann inzwischen das Schiff bemuttern, damit es nicht den Anker zwischen die Zähne nimmt und durchgeht.“

„Sie entschuldigen mich bitte“, sagte Mr. Pitt und ging zur Tür. „Ich muß heute abend so viel besorgen und auch noch einmal in mein Büro.“

„Aber ich sehe dich doch noch, Papa?“ rief Pauline ihm nach.

„Gewiß, mein Kind. Ich laufe euch ja nicht davon“, sagte der Vater, grüßte lächelnd und verließ dann das Zimmer. Die kleine Gesellschaft blieb in bester Laune noch bis elf Uhr zusammen. Selbst Mrs. Pitt machte sich heute keine Sorgen mehr, denn morgen früh ging ihr Mann ja selbst in die Minen hinauf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch