Das Lager im Busch -2-



Aber selbst das schien nur die nutzlose Verzögerung eines doch nicht vermeidbaren Schrittes. Denn wer überhaupt schon so weit war, daß er mit sich zu Rate ging, blieb auch in fast allen Fällen nicht untätig zu Hause sitzen, auch wenn er seinen Marsch vorerst noch aufschob. Denn marschieren mußte er, darauf konnte er sich verlassen.


Gold! Was für ein Zauber in diesem Wort liegt, und wie leicht die kleine Silbe selbst die festesten Familienbande durchtrennen kann. Gold! Wie das durch alle Gesellschaftsschichten zuckte, vom reichen Schiffsreeder hinunter bis zu dem halb ausgestoßenen „Ticket of leave man“ 1) hinab, wie das im Nu Luftschlösser baute und für einen Augenblick fast alle Rangunterschiede aufzuheben schien - Gold! Hatte doch auch jeder jetzt gleiche Anrechte an den Schätzen, die der australische Boden barg, und gleicher Anspruch war allen gegönnt. Wer nur seine Zeit nutzen und sie nicht mit Trödeln versäumte, hatte die gleichen Chancen!

Die meisten Menschen kamen aber an diesem ersten Tage noch nicht richtig zur Besinnung, denn zu rasch war die betäubende Nachricht über sie hereingebrochen, um sich gleich zu einem entscheidenden Schritt entschließen zu können. Die weniger Zaghaften aber, die fast jede Stunde mit Sack und Pack zu den Bergen strömten, ließen sie nicht zur Ruhe kommen und trieben sie schließlich zu dem verzweifelten Schritt. Jeder wollte der erste sein, der das Gold in den Bergen einsammelte - denn an wirkliche Arbeit dachten nur wenige. Jeder Trupp, der jetzt die Straßen von Sydney auf seinem Weg in die Berge passierte, nahm ihnen einen „Platz“ da oben weg und konnte gleich die am reichsten geträumten Stellen entdecken. Jeder Wanderer trug in seiner Spitzhacke und Schaufel die Schlüssel zu ungezählten, märchenhaften Schätzen, und es blieb zuletzt nichts weiter übrig, als ihnen so schnell wie möglich nachzuziehen, denn zurückbleiben konnte man doch nicht.

Die natürliche Folge blieb nicht aus. Mehl und alle anderen Lebensmittel stiegen im Preis - nicht von Tag zu Tag, sondern von Stunde zu Stunde bis zu einer kaum geahnten, kaum zu erschwingenden Höhe. Drays oder andere Fuhrwerke waren kaum noch zu bekommen, und wenn, dann nur zu einem Preis, für den man früher Karren und Pferd bezahlt hätte. Wo sich sonst jemand einen Spazierstock oder Regenschirm gekauft hätte, handelte er jetzt in einer Eisenwarenhandlung ernsthaft um eine Spitzhacke und Schaufel. Große Blechpfannen schienen ein rasender Modeartikel geworden zu sein, und Glanzstiefel wurden verächtlich in die Ecke geschleudert, um gewöhnlichen, derbgearbeiteten Buschschuhen ehrfurchtsvoll Platz zu machen.

Selbst die Modegeschäfte änderten in kaum zweimal vierundzwanzig Stunden ihren ganzen Charakter. Wer kaufte jetzt noch Kleider aus Mull, Seide oder Damenputz? Kein Mensch mehr - rote Wollhemden und schokoladenfarbige Minerhüte waren auf einemmal Mode geworden, lange Wasserstiefel und wasserdichte Mäntel. Wo sonst hinter den Spiegelglasscheiben zarte rosafarbene Bänder und künstliche Blumen geflattert hatten, hingen jetzt Tabakbeutel aus roter oder blauer Wolle, kurze Holz- und Tonpfeifen, kleine Ledersäcke, um die gewonnenen Schätze sicher aufzubewahren, und bedrohliche Revolver und Buschmesser, um sich damit zu verteidigen.

Kein Mensch grüßte den anderen auf der Straße noch auf normale Weise. „Noch hier?“ oder „Wann geht’s los?“ schienen die einzigen Anreden geworden zu sein. Unbestimmte Gerüchte durchliefen dabei ständig die Stadt und reizten die Bevölkerung zur Wut gegenüber der Regierung. Es hieß nämlich, daß der Gouverneur die Absicht habe, sämtliches Staatsland als Eigentum der Krone zu erklären, und das Graben nach edlen Metallen darauf nicht nur verboten werde, sondern sogar als Diebstahl angesehen werden sollte.

Niemand überlegte sich, daß eine solche Bestimmung niemals ausführbar gewesen wäre, hätte man wirklich daran gedacht. Schon hielt sich jeder in seinen Rechten gekränkt, das Gold aufzusammeln, wo es ihm im Weg lag. Drohende Äußerungen, man werde Gewalt mit Gewalt beantworten, mischten sich wild mit neuen, meist erfundenen oder doch übertriebenen Berichten frisch entdeckter goldhaltiger Stellen.

Kurz gesagt, die Bewohner Sydneys hatte ein Rausch gepackt, der bei jedem einzelnen nur auf eine Art geheilt werden konnte: durch einen langen, mühseligen Marsch in die Berge und wochenlange und meistens nutzlose Arbeit in dem harten Boden. Überredung oder vernünftige Vorhaltungen nutzten bei einem Goldfieberkranken genausoviel, als hätte man den untergehenden Mond durch eine interessante Vorlesung dazu bringen wollen, seine Zeit zu versäumen.

Selbst die reichsten Leute der Stadt hatte der Taumel gepackt. Alte, würdige Herren waren dabei, die nie im Leben daran denken konnten, noch eine Schaufel oder eine andere Waffe des Proletariats in die Hand zu nehmen. Aber ihre Hand wollten sie in dem Auffinden des Goldes haben. Wo sie deshalb nicht selbst gehen konnten, mieteten sie Leute für viel Geld und rüsteten kleine Gesellschaften mit Mehl und Speck tonnenweise, mit Werkzeugen, Quecksilbermaschinen, Zelten und anderen Buschutensilien aus. Sie waren dabei in dem guten Glauben, daß diese „Goldgräber“ auch noch weiter für sie arbeiten würden, wenn sie wirklich nutzbare Vorkommen entdeckten - obwohl sie dann doch besser auf eigene Faust arbeiteten als für andere.

Aber wer dachte jetzt Wochen oder Monate voraus? Jetzt mußte man das Glück packen! Wie viele griffen dabei in die Luft, ohne es jetzt aber zu ahnen, und der Taumel, der alle gepackt hatte, riß auch sie mit fort.

Am allerschlimmsten traf diese Lockerung aller gesellschaftlichen und geschäftlichen Bande die gerade zufällig mit ihren Schiffen in der Bai ankernden Kapitäne, noch dazu, wenn sie gerade im Begriff standen, wieder auszulaufen. Zu den Matrosen drang das Gerücht der reichen Minen genauso rasch wie zu allen anderen. Wenn sie ihren geringen Monatslohn gegen das, was sie da oben finden konnten, in die Waage warfen, schnellte ihre Schale hoch empor. Natürlich liefen sie fort, und ob List oder Gewalt angewandt wurde, um sie an Bord zu halten, sie brachen mit List oder Gewalt aus. Es dauerte keine drei Tage, und kein einziges Schiff hatte noch genügend Mannschaft an Bord, um seine Reise in irgendeine Richtung fortzusetzen oder nur in See zu stechen.

Und was für bunte Züge bildeten sich jetzt! Junge Kaufleute und Beamte, Tagelöhner, weggelaufene Matrosen, Handwerker, Künstler - alles mischte sich durcheinander. Die roten Hemden, Wasserstiefel und braunen Hüte machten alle gleich. Eine gewisse Verbrüderung schien alle wie ein Taumel erfaßt zu haben.

Selbst das Theater mußte später in Sydney geschlossen werden, weil die Schauspieler keine Lust mehr hatten, ihre kostbare Zeit mit Komödienspielen vor leeren Bänken zu vergeuden. Wer dachte denn in diesem Augenblick daran, ein Theater zu besuchen, wo man alle Hände voll zu tun hatte, um sich für den nächsten Marsch zu rüsten.

Nie hatte die Polizei mehr zu tun gehabt als jetzt. Sie sollte vertragsbrüchige Arbeiter aufspüren und flüchtige Seeleute zurückbringen. Trotz ihres Eifers hatte sie jedoch nur geringen Erfolg. Draußen im Land war es sehr schwer, einen bestimmten Menschen unter den vielen roten Hemden herauszufinden, und die in die Minen strömende Schar nahm sofort Partei für die, die von der Polizei gesucht wurden. Was hatten die jetzt verfolgten armen Teufel anderes getan als andere - nämlich alles abgeschüttelt, was sie hielt, um nur so rasch wie möglich in die goldgespickten Berge zu kommen? Das war aber kein Verbrechen, und wo sie deshalb einem Gesuchten helfen konnten, taten sie es mit allen Mitteln.

Noch waren keine acht Tage vergangen, da sah man schon nicht mehr einzelne Gruppen in das Landesinnere ziehen, sondern der Zug der Goldgräber bildete eine feste, kaum noch durch Lücken unterbrochene Kette. Jetzt bekam die Polizei eine ganz andere Arbeit. Sie sollte nicht mehr nach einzelnen, weggelaufenen Matrosen suchen, sondern oben in den Minen die Arbeiten überwachen. Damit sollte das von der Krone beanspruchte und recht einträgliche Recht gewahrt werden. Dieses Recht bestand nämlich darin, daß jeder Arbeiter eine monatliche Prämie von dreißig Schilling zahlen mußte. Zu diesem Preis wurde es jedem gestattet, in den Bergen nach edlen Metallen zu graben und das Gefundene als sein rechtmäßiges Eigentum zu behalten.

Daß sie der großen Menge das Goldsuchen nicht mehr gewaltsam verbieten konnte, hatte die Regierung bald herausgefühlt. Eine Revolution, die alles über den Haufen geworfen hätte, wäre das Resultat einer solchen Anordnung gewesen, denn die Gier nach Gold ließ sich nicht mehr dämmen.




1) Ticket of leave man = In England Verurteilter, der zur Bewährung nach Australien in die (Straf)-Kolonie geschickt wurde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch