Die Familie Pitt -1-



In Sydneys George Street stand ein festes, großzügig gebautes Sandsteinhaus. Es schien einem Privatmann zu gehören, denn kein Schild oder Firmenname stand daran. Aber dem widersprach das geschäftige Leben, das hier herrschte. Mehlsäcke, Kisten, Ballen und Tonnen wurden durch das schmale Hoftor gebracht, und Mr. Pitt, der Hausherr, wollte eben eine ziemlich große Warensendung persönlich in die Minen begleiten.


Charley Pitt, wie er von seinen Freunden vertraulich genannt wurde, war das Urbild eines echten australischen Geschäftsmannes und Familienvaters seiner Zeit. Wenn wir einen Blick auf seinen Haushalt werfen, tun wir einen vollen und fast erschöpfenden Blick in Hunderte von anderen, gleichen Häusern.

Charley Pitts Vater war als Konvikt, also als Sträfling auf Lebenszeit, nach Australien gesandt worden. Er war ein sogenannter „Lifer“, der in der Heimat ein schweres Verbrechen begangen hatte und jetzt hier in Australien zum Nutzen seines Staates büßen sollte. Da er sich aber gut und fleißig betrug und seinen Aufsehern keinen Grund zur Klage gab, bekam er mit der Zeit sein „Ticket of leave“, d.h. seinen Erlaubnisschein oder Paß, mit dem er sich in der Kolonie selbständig als Arbeiter vermieten konnte. Er mußte nur eine bestimmte Geldsumme abgeben und stand ständig unter polizeilicher Aufsicht.

Auch hierbei betrug er sich mustergültig. Da er einmal einen Überfall verwegener, vielleicht zur Verzweiflung getriebenere Bushranger auf das Haus, in dem er arbeitete, zurückschlagen half, wurde er im Laufe der Zeit begnadigt und „freier Kolonist“.

Das änderte aber wenig in seinem Leben. Er hatte schon ein paar Jahre vorher ein ebenfalls deponiertes Mädchen geheiratet. Sie war bei der Geburt ihres Sohnes gestorben. Pitt, der allgemein in der Kolonie mit seinem Sträflingsnamen Pumpkin bezeichnet wurde, arbeitete trotzdem weiter, erzog seinen Sohn so gut, wie es die Umstände erlaubten, lebte mäßig und wurde ein reicher Mann, der seinen Sohn schließlich sogar nach England schicken konnte, um seine Erziehung dort zu beenden.

Charles Pitt kehrte nach vier Jahren in die Kolonie zurück und brachte nicht nur hervorragende Zeugnisse, sondern vernünftigerweise auch gleich eine Frau mit. Von seinem Vater großzügig unterstützt, errichtete er dann in Sydney ein Import- und Exportgeschäft. Bald gehörte er zu den wohlhabendsten und geachtetsten Bürgern der Stadt.

Der alte Pitt hatte sich draußen vor der Stadt, in der Nähe des Leuchtturms, ein kleines, wohnliches Haus gebaut und eine alte Haushälterin angestellt, die alles in Ordnung hielt. Sein Sohn wünschte sich zwar, daß er zu ihm zöge und seine letzten Tage nicht so allein da draußen verlebte, aber der alte Mann fühlte, daß er in die heranwachsende Generation nicht passe. Er stammte aus den untersten Schichten der Bevölkerung und hatte zeitlebens nie Lesen und Schreiben gelernt. Er wollte jetzt, wo viele neue und freie Einwanderer eintrafen, seinem geliebten Sohn gesellschaftlich nicht schaden. Deshalb war er auch durch nichts zu bewegen, sich persönlich bei ihm in der Stadt sehen zu lassen. Nur sonntags mußten ihn seine Enkel, auch als sie schon herangewachsen waren, besuchen. Dann feierten sie jedesmal in dem Garten an der wundervollen Bai ein kleines Fest.

Charles Pitt hatte drei Kinder, einen achtundzwanzigjährigen Sohn, die achtzehnjährige Tochter Pauline und die jüngste, erst sechs Jahre alte Tochter.

Zwei Kinder waren gestorben. Pitt lebte so glücklich, wie nur ein guter Familienvater leben konnte, der keine anderen Sorgen hatte als die, die das Geschäft eben mit sich bringt - und die auch wieder die Würze der ganzen Existenz sind.

Er war völlig unabhängig, und doch ging die plötzliche Entdeckung des Goldes auch an ihm nicht spurlos vorüber. Aber vernünftigerweise verlegte er sich auf eine ganz sichere, ruhige Spekulation, die nicht das Gold in Klumpen nach Hause bringen sollte, sondern in gemünzter Form. Pitt sandte Waren, wie sie für den sofortigen Bedarf der Tausende nötig waren, nach Bathurst, wo er schon seit mehreren Jahren ein besonderes Geschäft hatte. Vor kurzer Zeit wurde auch sein Sohn hinaufgeschickt, um einiges dort zu ordnen und verschiedene, kleinere Schuldbeträge einzukassieren.

Jetzt war auch die richtige Zeit, das zu tun, denn noch waren die Straßen passierbar. Sobald aber die in dieser Jahreszeit häufigen Regenfälle einsetzten, ließ sich voraussehen, daß die Straße von den zahllosen Karren und Fuhrwerken zu einer einzigen Schlammbahn verwandelt wurden. Der Transport wurde dann, wenn auch nicht unmöglich, so doch für Fuhrwerk und Zugtiere eine fürchterliche Strapaze.

Die wichtigsten Geschäfte waren heute erledigt. Das Frachtgut hatte der damit beauftragte Angestellte übernommen. Die kleine Familie saß beim Lunch, einer Art zweitem Frühstück, als rasche Schritte laut wurden und gleich darauf ein junger Mann in einem brennendroten Minerhemd die Tür aufriß und ins Zimmer sah. Er trug außerdem eine Jacke aus englischem Leder, mächtige Wasserstiefel und hatte den sogenannten kalifornischen Hut in der Hand.

„Nun?“ rief er aus. „Sehe ich aus wie ein Miner, und kann ich jetzt mit Anstand in die Berge rücken?“

„Mr. Holleck! Wirklich!“ rief Pauline und sprang von ihrem Stuhl auf. „Ich habe ihn im ersten Augenblick gar nicht erkannt!“

„William - tatsächlich!“ sagte auch der Vater und schüttelte erstaunt den Kopf. Seine Frau, eine noch wirklich schöne Brünette, schlug die Hände zusammen. Die kleine Therese aber kletterte von ihrem Stuhl herunter, lief auf den Besuch zu und rief, freudig die Hände zusammenklatschend:

„Ach, Onkel William geht in den Wald und holt Gold, und dann bringt er mir auch eine Menge große Stücke zum Spielen mit, nicht wahr?“

Der junge Mann hob die Kleine vom Boden hoch und hielt sie im Arm. Dann streckte er dem jungen Mädchen die Hand entgegen und sagte mit einem herausfordernden Lachen:

„Na, gefall ich Ihnen so?“

„Nein“, sagte Pauline nach einer kleinen Pause, in der sie den Mann von Kopf bis Fuß betrachtet hatte und dabei etwas rot wurde. „Ganz und gar nicht. Sie sehen viel besser in Ihrer normalen Kleidung aus. Viel vernünftiger. Ich kann mir nicht helfen, aber es kommt mir noch immer so vor, als ob die ganze Welt wahnsinnig geworden ist und deshalb eine gemeinsame Tracht anzieht.“

„Pauline hat recht“, bemerkte auch der Vater. „Wenn die Arbeiter und Tagelöhner hinauflaufen und das da oben mit Spitzhacke und Schaufel fortsetzen wollen, was sie hier unten mit Spitzhacke und Schaufel angefangen haben, dann läßt sich nichts dagegen einwenden. Wer aber sein Brot noch auf andere Weise verdienen kann, der... sollte zweimal nachdenken, ehe er den Unsinn macht und in ein Leben hineinspringt, dem er... dem er nicht gewachsen ist und das er deshalb nur zu schnell wieder satt bekommen wird.“

„Aber Mr. Holleck wird doch da oben nicht selbst graben und waschen wollen“, sagte die Mutter lächelnd. „Er denkt bestimmt nicht daran.“

„Die Mutter ist die einzige Vernünftige aus der ganzen Gesellschaft“, lachte der junge Miner in seiner dreisten Art. „Aber, Papa Pitt, glauben Sie wirklich, ich hätte den Verstand verloren und würde mich da oben in die Berge setzen und angenehme Löcher in den Boden hacken? Und Miß Pitt denkt das auch? Das ist aber stark.“

„Nun, mein junger Freund“, sagte der Vater mit ernster Miene, „ich glaube, dafür haben wir in diesen Tagen genug Beispiele gehabt, um einen solchen Verdacht bei den geringsten Anzeichen zu haben! Für solche Anzeichen, und zwar sehr starke, halte ich nun einmal ein rotes Wollhemd und Wasserstiefel. Wenn Sie aber nicht in die Berge wollen, wozu dann die Maskerade?“

„In die Berge will ich tatsächlich“, sagte der junge Mann. Er setzte die Kleine wieder ab und nahm dann ohne weiteres am Tisch Platz, wo immer ein paar zusätzliche Gedecke standen. Er war ohnehin ein ständiger und, wie er hoffte, auch gern gesehener Gast im Haus. „Aber ich will mir das Leben da oben nur einmal ansehen, natürlich nicht, um zu arbeiten, zu hacken und zu graben.“

„Läßt Sie denn Ihr Arbeitgeber so lange weg?“ erkundigte sich Mr. Pitt. „Ich dachte, daß es gerade in dieser Zeit soviel Arbeit hier gäbe, daß man seine Leute nicht entbehren kann. Ich jedenfalls könnte jetzt keinem meiner Leute einen achttägigen Urlaub geben.“

„Ich habe längst in dem Geschäft gekündigt“, sagte der junge Holleck gleichgültig. Er nahm sich aus einer Zinnbüchse Sardinen.

„Wirklich?“ sagte Mr. Pitt erstaunt und sah zu ihm auf.

„Jetzt ist die Zeit günstig, um sich in Australien selbständig zu machen“, fuhr Holleck fort. „Mit dem Seeleben, das ich zuerst versucht hatte, ging es nicht. Meine Existenz als schlechtbezahlter Angestellter war auch langweilig, und da kamen im entscheidenden Moment meine schon lange erwarteten Wechsel aus der Heimat. Da habe ich mich entschlossen, meinem alten Brummbär von Chef den Stuhl für immer vor die Tür zu setzen, und jetzt bin ich mein eigener Herr. Ich glaube, das war das Beste, was ich tun konnte, und deshalb will ich mir auch einmal selbst die Verhältnisse in den Minen ansehen, von denen wir hier unten doch keine richtige Vorstellung haben. Später kann ich mich entscheiden, ob ich meine neue Tätigkeit gleich dort an der Quelle beginne. - Aber, wo ist denn Charley? Noch immer in Bathurst?“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch