Das Lager im Busch -1-



Inzwischen setzte die königliche Mail ihren Weg den Berg hinunter fort. Der Kutscher schien Lust zu haben, das wie üblich im scharfen Trab zu tun, um von der versäumten Zeit so viel wie möglich aufzuholen. Was kümmerte er sich um den verwundeten Passagier! Der alte Herr war aber nicht gewillt, seine Hilfe nur halb zu tun. Er griff die Schulter des Kutschers mit einer Hand, während er im anderen Arm den Verwundeten hielt. Dabei schwor er, daß er ihn in Sydney sofort wegen absichtlicher Tötung verklagen werde, wenn er nicht sofort langsamen Schritt bis zum nächsten Haus fahren würde. „Der Angeschossene hat einen der Räuber erkannt“, sagte er, „und das ist die Gelegenheit, der Bande auf die Spur zu kommen, wenn er am Leben bleibt. Bei dieser Fahrweise ist das aber nicht möglich, und der Kutscher macht sich verdächtig, gemeinsame Sache mit den Mördern zu machen, wenn er nicht sofort meinem Befehl nachkommt.“


Das half. Der Bursche fluchte zwar grimmig in seinen Bart hinein, wagte aber doch nicht, sich dem Befehl zu widersetzen. Nach etwa anderthalb Stunden erreichten sie die erste menschliche Wohnung. Es war ein kleines Haus dicht am unteren Berghang, wo der Verwundete vom Wagen genommen werden mußte, denn einen weiteren Transport hätte er nicht ertragen.

Selbst hier würde er nur schlechte und ungenügende Pflege erhalten, denn der Platz war nichts weiter als einer der zahlreichen, am Wege verstreuten Grogshops oder Trinkhäuser, eine Art Wirtschaft, wo die Reisenden jedoch nur Alkohol der schlechtesten Sorte erhielten. Heute war das Haus auch nur mit einer Gruppe halbtrunkener Irländer gefüllt, die nach Bathurst hinauf wollten, um Arbeit zu suchen. Nicht weit davon entfernt lag aber die Station eines sehr wohlhabenden Herdenbesitzers in einem kleinen, freundlichen Tal. Eben war von dort der Stockkeeper herübergekommen, um von Bathurst erwartete Briefe des Eigentümers in Empfang zu nehmen und andere nach Sydney aufzugeben. Er stand mit den aus der Trinkstube herausgeströmten Iren am Wagen, als der Kutscher einen mehr aus Flüchen als Worten bestehenden kurzen Abriß des Überfalls gab. Kaum erfuhr er, daß einer der Passagiere schwer verwundet, aber noch am Leben sei, als er auch sofort beschloß, ihn zur Station schaffen zu lassen. Vier der Leute fanden sich auch bereit, den armen Teufel für ein gutes Trinkgeld hinüberzutragen. Einen anderen schickte der Stockkeeper voraus, um die Ankunft des Verwundeten zu melden. Der alte Herr versprach, von Pendrith einen Arzt herüberzuschicken. Damit war für den Augenblick alles getan, was nur geschehen konnte, um den Funken Leben zu erhalten und wieder zu wecken.

Hier hatte man auch die beiden Pferde eingefangen, die sich am Berg losgerissen hatten, und schon einen Überfall vermutet. Solche Überfälle kamen aber zu oft vor, und da sie nur sehr selten blutig abliefen, hatte man sich nicht ernsthaft darum gekümmert. Kutscher und Passagiere wußten sich bei solchen Vorfällen schon selbst zu helfen. Die Bushranger im Walde zu verfolgen wäre eine undankbare und wahrscheinlich auch völlig nutzlose Anstrengung gewesen, von der Gefahr ganz abgesehen, der man sich dabei unnötig aussetzte.

Etwa eine halbe Stunde später rasselte die Post durch nichts mehr behindert in wilder Eile ins Tal. Die Passagiere wurden unbarmherzig durcheinandergeschüttelt. Auf einer rasch zusammengezimmerten Bahre trugen vier Männer den Schwerverwundeten durch die Nacht zur Station hinüber, wo schon Frauenhände arbeiteten, um ihm ein bequemes und weiches Lager herzurichten.

Der vom Stockkeeper abgesandte Bote hatte schon seine Meldung gemacht. In keinem Land der Welt herrschte wohl, besonders noch vor der Entdeckung des Goldes, das dann allerdings alles veränderte, eine größere Gastfreundschaft als in Australien.

Jeder Reisende, der nicht gerade mit der Post fuhr und dann auf die Gasthäuser angewiesen blieb, wo die Pferde gewechselt wurden, wurde freundlich und herzlich aufgenommen. Gehörte er nicht zu den besseren Schichten, so daß man ihm ein Zimmer im Herrenhaus anweisen konnte, so durfte er doch fest damit rechnen, in der Küche oder beim Stock- oder Hutkeeper sein Nachtquartier zu bekommen. Dazu gab es so viel Tee, Hammelrippen und das australische Brot, Damper genannt, wie er nur essen konnte.

Auch die Familie Sutton auf dieser Station machte von dieser Regel keine Ausnahme. Kaum hörten sie beim Tee von dem Überfall, als auch sofort ein kleines Fremdenzimmer für den Verwundeten hergerichtet wurde. Daß der Stockkeeper den Mann, ohne vorher anzufragen, hierher brachte, sah jeder als ebenso selbstverständlich an. Eine Stunde später lag der noch immer Bewußtlose mit einem notdürftigen Verband, wie ihn Mr. Sutton anlegen konnte, auf seinem Lager ausgestreckt. Jede Bequemlichkeit und Sorgfalt, die unter diesen Umständen möglich war, brachte man ihm entgegen.

Ob die Wunde tödlich war, mußte erst eine ärztliche Untersuchung bestimmen. Es ließ sich jetzt nur feststellen, daß die Kugel in die rechte Brust gedrungen und schräg unter dem rechten Schulterblatt wieder ausgetreten war. Hatte sie dabei wichtige Organe stark verletzt, so war der Tod unvermeidlich.

Weiter und weiter rasselte inzwischen die Post bis zur nächsten Station, wo die Pferde gewechselt wurden. Von hier aus konnte der alte Herr, der sich so liebevoll um den Verletzten gekümmert hatte, einen Arzt absenden. Dann ging es weiter der Haupt- und Residenzstadt Sydney entgegen, die die Kutsche am nächsten Tag erreichte. Sie brachte aber nicht nur die Nachricht von dem Überfall mit. Ein solches „Abenteuer“ wäre ziemlich spurlos an den Bewohnern Sydneys vorübergegangen. Sooft auch tatsächlich Überfälle geschahen, soviel zirkulierten auch erdichtete Geschichten von Überfällen. Eine solche Tatsache bestätigte dann nur die anderen. Nein, die Reisenden von Bathurst brachten ganz andere, viel wichtigere Nachrichten mit, und zwar die Bestätigung eines anderen Gerüchts, das schon einige Tage in der Stadt verbreitet wurde. Jetzt kam es plötzlich mit voller Kraft zum Ausbruch, ohne daß jemand die Tragweite übersehen konnte, die es für diese und alle anderen Kolonien Australiens haben sollte: die Entdeckung des Goldes.

„Gold! - Oben in den Bergen liegt Gold - Minen liegen dort, viel reicher, als sie je in Kalifornien gefunden wurden - Schätze, von denen das Land in seinen kühnsten Träumen keine Ahnung gehabt hatte - Gold! Reisende von oben haben schon ganze Klumpen mitgebracht, und in den Bergen liegt’s, man braucht nur hinzugehen und es aufzuheben.“

Gewöhnlich ist an jedem Gerücht etwas Wahres, wenn es die Phantasie der Weiterträger auch nach eigenem Gefallen ausschmückt und entstellt. Einer der Reisenden der Bathurst Mail hatte allerdings Proben körnigen Goldes von dort oben mitgebracht und sie vor den gierigen Blicken der Bushranger verbergen können. Das war die Bestätigung der Meldung, die dem Gouverneur schon vor einiger Zeit von anderer Seite gemacht worden war.

Die königliche Mail war in den blauen Bergen von Bushrangern überfallen, die Briefe geraubt und ein oder ein halbes Dutzend Passagiere dabei getötet worden - wen kümmert das jetzt? Wer dachte noch daran? Oben in den Bergen lag Gold! Als ob ein Telegrafendraht die Wohnungen Sydneys verbunden hätte, sprach an diesem Abend kein Mensch in der Stadt von etwas anderem als Gold, Gold, Gold!

Und wie sah es in Sydney am anderen Morgen aus?

Sonst begann das Geschäftsleben des immer lebhaften Ortes gewöhnlich um acht oder halb neun Uhr morgens und beschränkte sich dann immer auf den Detailverkauf der kleinen Läden, da größere Geschäfte selten vor zehn oder elf Uhr begonnen wurden. Heute dämmerte kaum das Licht des jungen Tages, als sich schon hier und da Haustüren öffneten und Leute, fertig zur Reise gerüstet, herauskamen, um ihre bestellten Fuhrwerke oder Pferde aufzusuchen. Packkarren, sogenannte Drays, mit Proviant und Handwerkszeug beladen, rasselten schon über das Pflaster der Stadt. Sie mußten noch in der Nacht beladen worden sein. Neidische Blicke der anderen folgten ihnen überall. Einige Arbeiter waren schon für bestimmte Beschäftigungen im Haus gar nicht mehr zu bekommen. Wer wollte jetzt noch für zwei oder drei Schillinge pro Tag arbeiten, wenn er oben in den Bergen vielleicht in einer Stunde genausoviel Pfund Sterling aufsammeln konnte? Viele kleine Läden blieben geschlossen, weil sich die Eigentümer entweder selbst zum Marsch in die Minen rüsteten oder doch wenigstens mit der Frage beschäftigt waren, ob sie gehen sollten oder nicht. -

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch