Das Lager im Busch -1-



Die armen Reisenden blieben in einer wenig beneidenswerten Lage zurück. Den meisten taten noch die Glieder von dem rauhen Sturz weh. Der Wagen war umgeworfen, die Pferde im Geschirr verwickelt, der Ermordete lag zwischen ihnen. Der Kutscher, um den sich keiner der Räuber gekümmert hatte, lag noch immer bewußtlos im Sand ausgestreckt. So standen die Leute ratlos da und wußten im ersten Augenblick gar nicht, was sie zuerst beginnen sollten.


„Sind sie weg?“ sagte da plötzlich eine immer noch vorsichtig gedämpfte Stimme. Als sich alle rasch umdrehten sahen sie zu ihrem Erstaunen, daß es der Kutscher war, der bislang den Halbtoten gespielt hatte. Allerdings war er wohl auch ziemlich unsanft gestürzt. Als er wieder zu sich kam und die Szene übersah, wußte er recht gut, was hier vorging. Also verhielt er sich ruhig - das war das Beste, was er tun konnte. Die Kutscher wurden bei diesen Überfällen, nach einem stillschweigenden Übereinkommen der Räuber, nie belästigt. Jedenfalls galt das so lange, wie sie sich nicht zur Wehr setzten, was aber eigentlich nie geschah. Da die Kutscher kein persönliches Interesse an der Sache hatten, kümmerte es sie auch wenig, was mit den Passagieren oder den Poststücken geschah - er konnte dafür nicht verantwortlich gemacht werden.

Sowie er übrigens die Bestätigung erhielt, daß die Räuber oder Bushranger im Busch verschwunden waren, erhob er sich langsam und stand dann, sich verlegen am Kopf kratzend, neben seinem arg zugerichteten Geschirr, das er mit sehr betrübten Blicken betrachtete. Um den Erschossenen, um den sich jetzt die übrigen Reisenden versammelten, kümmerte er sich gar nicht. Das war ja nur ein Passagier.

Der junge, kräftige Mann, den niemand weiter kannte, mochte vielleicht der Sohn eines Stationsbesitzers sein. Er lag regungslos in seinem Blut am Boden. Das matte, unsichere Licht des Mondes verriet nur, daß die mörderische Kugel ihm in die Brust gegangen war - aber er war noch nicht tot, sein Röcheln verriet noch Leben in dem mißhandelten Körper. Ein alter Herr mit weißen Haaren kniete jetzt neben ihm, hob ihm den Kopf auf sein Knie und begann die Wunde zu untersuchen.

Der Kutscher hatte sich inzwischen darangemacht, die Pferde zu entwirren. Es gelang ihm schließlich, denn hier oben konnten sie nicht haltenbleiben. Das wichtigste war jetzt, den umgestürzten Wagen wieder aufzurichten.

Glücklicherweise war kein Rad gebrochen, und der Kutscher - jetzt ganz sicher, daß ihn die Bushranger nicht mehr hören konnten - fluchte in einer Weise, wie man sie vielleicht nur in Australien zu hören bekommt. Er schimpfte auf die Halunken, die seinem Fuhrwerk in so heimtückischer Weise eine Falle gegraben hatten. Über die Art, wie sie hier überlistet wurden, blieb natürlich kein Zweifel mehr - die tief aufgewühlte Spurrinne verriet das deutlich genug.

Während sich der alte Mann noch immer um den Verwundeten kümmerte, halfen die anderen Passagiere beim Aufrichten des umgestürzten Karrens, was nicht gerade leichte Arbeit war. Nach einer guten Stunde hatten sie wenigstens die Genugtuung, ihr Fuhrwerk wieder soweit hergerichtet zu haben, daß sie ihre Fahrt fortsetzen konnten. Von hier aus waren auch die beiden zurückgebliebenen Pferde imstande, die königliche Post fortzubringen, denn der Weg ging fast ausschließlich bergab. Die Frage blieb, was mit dem Verletzten werden sollte.

Der alte Herr verlangte, daß vier Mann ihn bis zum nächsten Haus tragen sollten, da ihm das rüttelnde Fuhrwerk vielleicht den Tod bringen konnte. Dagegen protestierten aber alle anderen und erklärten, sie hätten genug erlebt und keine Lust, noch eine Leiche stundenlang zu tragen. Die Brustwunde sei tödlich, und es wäre am einfachsten, den armen Teufel hier unter einen Baum zu legen und dann vom nächsten Haus Leute herzuschicken, die ihn begraben oder mit ihm machen sollten, was sie wollten. Was kümmerte sie überhaupt der fremde Mensch!

Aber da widersprach der alte Herr ganz entschieden. Den Verwundeten hier ohne Hilfe zurückzulassen wäre kein geringeres Verbrechen als der Mord selbst. Obwohl sich noch ein paar der Rohesten dagegen sträubten, setzte er doch endlich die Mitnahme durch. So gut es die Umstände erlaubten, wurde dem Unglücklichen ein bequemer Platz hergerichtet. Der alte Herr nahm ihn dann selbst in die Arme. Mit der Ermahnung des Kutschers, bis zur nächsten menschlichen Wohnung nur langsam zu fahren, setzte sich der geplünderte Postwagen endlich wieder in Bewegung.

Inzwischen hatten sich die Bushranger in den Wald bis an einen ihnen gut bekannten Abhang zurückgezogen, wo sie ganz sicher waren, daß keiner sie in der Nacht entdecken würde. Hier konnten sie auch unbesorgt ein Lagerfeuer anzünden. Lebensmittel und Getränke waren schon tagsüber hierher geschafft worden, und mit dem behaglichen Gefühl eines vollständig geglückten Unternehmens suchten die Verbrecher diesen Zufluchtsort auf. Sie wollten sich vor allen Dingen stärken und dann ihr weiteres Verhalten besprechen.

An ihrem Lagerplatz hatten sich die an das Buschleben gewöhnten und abgehärteten Männer bald behaglich eingerichtet, brieten fette Hammelrippen auf den Kohlen und ließen eine Rumflasche kreisen. Dabei gaben sie sich dem Gefühl völliger Sicherheit hin, das nur durch einen Umstand getrübt wurde - den ausgeführten Mord. Die Beraubung der königlichen Postkutsche und der Passagiere hätte ihnen sonst wenig Sorge gemacht.

„Sag mal, Bill“, begann Jim, „was dir auf einmal durch den Kopf ging, als du den jungen Swell 1) so einfach über den Haufen geschossen hast. Die ganze Geschichte ging so schnell und so ruhig ab, daß ich nicht einmal klug daraus geworden bin, obwohl ich dicht daneben stand.“

„Er hatte mich erkannt und - mußte sterben“, erwiderte der junge Mann. Er schien sich Mühe zu geben, bei diesen Worten gleichgültig zu bleiben. Aber so abgebrüht hatte ihn seine Tätigkeit noch nicht, daß er von einem Mord teilnahmslos sprechen konnte - auch wenn er das seinen abgehärteteren Kameraden weismachen wollte. Sein Gesicht sah totenbleich aus, und seine Hand zitterte, als er nach der Flasche griff, um mit dem starken Getränk die aufsteigenden Gedanken zu betäuben.

„Hm - ’s bleibt immer eine verfluchte Geschichte“, brummte der Trompeter vor sich in den Bart. „Blut ist Blut, und je weniger man damit zu tun hat, um so besser. Wird jetzt ein Riesengeschrei in der Kolonie geben und die ganze Polizei monatelang auf den Beinen halten.“

„Was macht’s?“ lachte der junge Verbrecher höhnisch zurück. „Wir wissen alle, wohin wir gehen müssen, um dem Lärm aus dem Weg zu gehen, bis er vorübergeblasen ist. Sowie wir geteilt haben, brechen wir auf. Es müßte schon mit dem Bösen zugehen, wenn sie uns auf die Spur kommen wollten. Ich jedenfalls fürchte die ganze Polizeibande nicht.“




1) Swell ist die Bezeichnung im Busch für städtisch Gekleidete

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch