Der Überfall -2-



Endlich war die Arbeit beendet und das Loch für tief genug erachtet, um den Zweck vollkommen zu erreichen. Die Nacht war auch vollständig hereingebrochen. Nur kurze Zeit herrschte noch jenes dämmrige Zwitterlicht, bis auch der letzte Schein im Westen verblichen war und die Sterne ihren matten Strahl durch die zerstreuten Wolken wieder auf die Erde sandten.


Die vier Männer hatten jetzt weiter nichts zu tun, als abzuwarten. Ein kleines Stück vom Weg ab, von wo aus sie jedoch alles übersehen konnten, lagerten sie im Busch unter einem der alten Gumbäume. Gemeinsam tranken sie aus einer großen Flasche Rum, die Bill mitgebracht hatte und den Kameraden großzügig überließ - er selbst trank nur sehr wenig von dem starken Getränk.

Die Unterhaltung war dabei freilich sehr einsilbig, denn alle horchten immer wieder in die Nacht hinaus, ob sie nicht das jetzt längst erwartete Fuhrwerk hören konnten. Es dauerte aber wohl noch eine volle Stunde, bis Jim plötzlich in die Höhe fuhr und mit leiser, vorsichtig gedämpfter Stimme sagte:

„Sie kommen!“

Niemand antwortete ihm - alle lauschten schweigend wohl eine Minute lang. Jim hatte aber recht gehabt. Ein dumpfes Knarren und Poltern ließ sich hören, das freilich noch sehr undeutlich zu ihnen herüberdrang. Jetzt konnten sie Stimmen unterscheiden. Einer der Näherkommenden pfiff das Lied „The last rose of summer“ - näher und näher kamen die Leute -, jetzt war plötzlich alles wieder totenstill.

„Sie steigen ein“, flüsterte Bill. „Der Wagen hält.“

Jim nickte nur, denn jetzt war nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Als sie sicher waren, daß die Postkutsche herankam, hatte Bill eine kleine Blendlaterne angezündet und unter seiner Jacke versteckt. Die vier unheimlichen Gestalten griffen ihre Waffen und nahmen die schon vereinbarten Posten ein. Sie wußten ja ziemlich genau, wo der Wagen umschlagen mußte, sowie nur das linke Vorderrad in die gegrabene Falle geriet.

Jetzt rollte das Fuhrwerk rasch herbei. Der Kutscher, der hier die schwierigste Passage überwunden hatte und jeden Fußbreit Weges genau kannte, hieb auf die Pferde ein, um sie zu schärferem Trab anzutreiben. Er wollte doch wenigstens eine Dreiviertelstunde seiner Zeit nachholen. Die Passagiere, die an der letzten steilen Bergkuppe abgestiegen waren und den Razorback zu Fuß überschritten hatten, brauchten noch einige Zeit, bis sie sich wieder auf ihren Sitzen zurechtrücken konnten. Jetzt erschien der dunkle Schatten des offenen Fuhrwerks auf der matt beleuchteten Straße - näher kam es - immer näher - schon erreichten die Pferde den Platz, auf dem Jim die losgeschlagene Erde sorgfältig weggezogen und in den Busch hinübergeworfen hatte.

„Woh! Wohah!“ schrie da der Kutscher plötzlich und versuchte, die Tiere nach rechts hinüberzureißen. Sein scharfes Auge hatte selbst bei der ungewissen Beleuchtung entdeckt, daß dort im Weg nicht alles in Ordnung war, wenn er auch nicht erkennen konnte, ob der Schatten da vor ihm ein Loch oder ein hingeworfener Baumstamm war. Aber es war zu spät. Die Pferde waren an die rauhen Buschpfade zwar gewöhnt, wo sie alle Augenblicke rechts oder links ausweichen mußten, und gehorchten sofort, aber das Vorderrad hatte schon das Loch erreicht, der schwere Wagen rollte, und gleichzeitig mit dem Ruf des erschreckten Kutschers sanken beide linke Räder tief bis über die Achsen ein. Die Royal Mail, wie der offene Postkarren etwas übertrieben getauft war, schlug unter dem Geschrei der Passagiere nach der linken Seite um.

Der Kutscher selbst wurde weit vom Bock weggeschleudert, traf wahrscheinlich mit dem Kopf an einen Stein und blieb bewußtlos liegen. Die Pferde, die sich in dem zur Seite gerissenen Geschirr verwickelten, stampften und schlugen und bäumten sich auf, bis sich die beiden vorderen Tiere losarbeiteten und dann in voller Flucht die Straße hinabtobten.

Einer der Räuber wollte vorspringen und sie zurückscheuchen, aber es war nicht mehr möglich. Die Tiere waren durch das Schreien und Toben der Passagiere und den Unfall selbst so scheu gemacht, daß sie sich nicht mehr halten ließen. Sekunden später verhallte der donnernde Hufschlag auf der Straße in weiter Ferne.

Bill und seine Gefährten hatten auch jetzt keine Zeit, sich weiter um sie zu kümmern, denn der Moment nahm ihre ganze Tätigkeit in Anspruch. Der junge Mann wurde besonders von Jim und dem Trompeter unterstützt, die beide keineswegs Neulinge in dem „Geschäft“ waren.

Beide waren mit einer gespannten Pistole in der Hand, die Gewehre auf der Schulter, zwischen die am Boden liegenden Passagiere gesprungen. Ehe die sich aufraffen oder nur recht begreifen konnten, was eigentlich geschehen war, sahen sie ein paar dunkle, drohende Gestalten und hörten Jims tiefe, leidenschaftslose Stimme, als er laut und deutlich sagte:

„Bleibt ruhig liegen, meine Herzchen. Dem ersten, der Miene macht, aufzustehen, ja, der nur den Kopf vom Boden hebt, schicke eine Kugel durch den Kopf, weiter nichts. Wer mich dann nicht verstanden hat, soll sich hinterher nicht beklagen.“

Nur ein Stöhnen antwortete ihm. Wenn die Passagiere nicht schon selbst einen ähnlichen Überfall erlebt hatten, waren sie doch in Bathurst und unterwegs mit Erzählungen von „Bushrangern“ und ihren Überfällen gefüttert und ständig gewarnt worden, sich um Gottes willen in einem solchen Falle nicht zu widersetzen. So blieben sie, teilweise vom Sturz, teilweise von der neuen Überraschung, wie gelähmt am Boden liegen. Niemand machte den Versuch, Widerstand zu leisten.

Jim beobachtete sie ein paar Sekunden schweigend, und dann zufrieden nickend, fuhr er fort:

„So ist es recht, meine Herzblättchen! Sind lauter brave Burschen, wie ich sehe. Würde euch aber auch nicht viel helfen, wenn ihr unartig sein wollt, denn wir sind hier sechzehn Mann, alle bis an die Zähne bewaffnet, und genau in der Laune, auch auszuführen, was wir so nett begonnen haben. Also, Bill, fang an, damit wir mit den Herren bald fertig sind. Es könnte ihnen sonst zu langweilig werden.“

Bill war sehr geschickt und sollte das Ausplündern vornehmen. Deshalb hatte er sich eine Art Maske über das Gesicht gezogen, die aus schwarzer Gaze mit Löchern für die Augen bestand. Sie reichte aber aus, um seine Züge zu verbergen. Er mußte auch genau wissen, wo sich das meiste Geld befand. Er sprang zu dem umgestürzten Karren, öffnete mit ein paar Schlägen der schweren Spitzhacke das Schloß des Kastens, in dem die Briefbeutel waren, und hatte bald gefunden, was er suchte: ein nicht sehr großes, aber sehr schweres Paket, in Leder eingeschnürt, das er mit den Briefbeuteln herausnahm und etwas in den Wald hineintrug. Dann kehrte er rasch zurück, und jetzt begann die Untersuchung der Passagiere selbst. Sie mußten herausgeben, was sie an Geld und Wertsachen bei sich trugen.

Das geschah in der gewöhnlichen Weise. Jeder wurde einzeln vorgenommen, mußte sich halb aufrichten und die Arme ausgestreckt von sich halten. Während der Trompeter das gespannte Gewehr dem Bedrohten direkt in das Gesicht hielt, durchsuchte Bill rasch die Taschen des Opfers und seinen Körper nach einem verborgenen Geldgurt oder versteckten Schmuckstückchen. In Einzelfällen zog er den Unglücklichen auch die Stiefel aus, um sich zu überzeugen, daß nichts in ihnen oder den Strümpfen versteckt war.

Das Ganze ging aber verhältnismäßig rasch vor sich. Nur ein junger Mann war noch übrig, der jetzt ebenfalls an die Reihe kam. Er war sehr gut gekleidet und gab bereitwillig her, was er hatte: eine Uhr, ein gut gefülltes Taschenbuch und das Geld, das er lose in der Westentasche trug. Bill hatte ihm aber in das Gesicht geleuchtet, befühlte ihn dann am ganzen Körper und entdeckte auf seinem Rücken noch ein kleines, sorgfältig eingenähtes Paket.

Der Reisende seufzte tief, als er sein Geheimnis verraten sah, aber er leistete keinen Widerstand, der ja auch unter diesen Umständen vollkommen nutzlos gewesen wäre. Bill machte ebenfalls rasche Arbeit, indem er ein kleines Messer herausnahm und den Teil der Jacke, der den verborgenen Schatz hielt, einfach herausschnitt.

Dabei hatte sich der Räuber aber etwas bücken müssen, und gerade als er das erbeutete Paket in seine eigene Tasche schob, fiel ihm die Maske vom Gesicht. Unwillkürlich ließ in diesem Augenblick der junge Fremde den Strahl des Lichts voll auf das Gesicht des Räubers fallen, und erschrocken, aber mit nur halblauter Stimme rief er aus:

„Bill, um Gottes willen, bist du das?“

Bill biß die Zähne fest zusammen, brachte seine heruntergefallene Maske wieder in Ordnung und sagte dann mit völlig ruhiger Stimme:

„Es tut mir leid um dich, daß du mich erkannt hast, Kamerad.“ Gleichzeitig nahm er seine Pistole aus dem Gürtel, und im nächsten Moment dröhnte der Schuß durch den Wald. Der unglückliche Passagier brach lautlos an der Stelle, an der er kniete, zusammen.

„Alle Teufel, das macht Lärm!“ rief Jim überrascht aus.

„Wir sind fertig“, sagte Bill, der die Laterne aufgriff und die abgeschossene Pistole wieder in seinen Gürtel zurückschob. „Hier, Bob, trag das, ich bringe allein nicht alles fort. Habt ihr von euren eigenen Sachen nichts zurückgelassen?“

„Die Spitzhacke liegt noch beim Wagen.“

„Die können sie als Andenken mitnehmen“, knurrte der Trompeter. „Verdammt, wenn ich die alte Hacke auch nur noch einen Schritt weit schleppe.“

„Gut! Also fort! Guten Abend, meine Herren. Sie können jetzt Ihre Reise ungestört fortsetzen.“ Mit diesen Worten waren die Räuber im Wald verschwunden, noch ehe die Überfallenen es wagten, den Kopf zu heben. Die geplünderte Reisegesellschaft blieb sich selbst überlassen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch