Abschnitt 2

Die todten Maler


Malte der große Rubens einen pissenden Prinzen (†), warum sollte ich nicht eine pissende Kuh malen? Hab ich doch den Geruch nicht mitgemalt. – Du hast Recht, Paul, lachte Jan Steen; allein in Deiner Stelle hätte ich der Kuh einen silbernen Nachttopf untergepinselt, so hätte die Prinzessin wohl geahnt, daß Deine Kuh keine gemeine alltägliche Kuh sei, die schlankweg auf den Boden strullt, sondern vielleicht eine verzauberte Prinzessin, die in ihrem viehischen Zustande sich noch des Silbergeschirres vom Hofe ihres Herrn Papa’s bedient. Nun, auf Wiedersehn, Paul, auf Wiedersehn Du Liebling unsers Schutzpatrons Sankt Lukas, der eben so wie Du ein Ochsenmaler war, wie man aus seinem apostolischen Thierzeichen ersieht. – Gelobt und gepriesen sei unser Schutzpatron Lukas, sagte Paul Potter, Lukas, der uns alljährlich an seinem Namenstage vom alten Herrn die Erlaubniß auswirkt, wieder einmal im Licht umher zu spatzieren. Dort unten aber ist es schauerlich, man sieht weder Ochsen noch Kühe, Noch grüne Wiesen, nur Sand und wieder Sand und scheußliches Gewürm. – Wer spricht da so verächtlich von Würmern, schwirrte und krächzte eine Fledermausstimme aus einem Winkel des Saals. – Otto Marzelis, was machst Du da oben? rief Jan Lievensze. – Ich zähle die Augen einer Kreuzspinne, antwortete die Stimme aus der Hohe. – Wo steckt der Schnüffler, fragte Jan Steen, ich höre seine Stimme wohl, aber ich sehe ihn nicht. – Höher hinauf, dort oben in der Ecke. – Oben an der Wand, mit dem Kopf unter der Gypsdecke, saß oder hing ein kleiner grüner Knirps, der mit beiden Armen sich schwebend erhielt am Stiel einer Eule, deren rauhes Ende er gegen den Fußboden stemmte. Dies kleine Gespenst hatte ganz das ängstliche Lupengesicht des berühmten holländischen Insektologen Svammerdam, dessen Büste ich in einer Kirche zu Delft gesehen, ganz diese Neuntödteraugen, diese vom Bücken aufgeschwollene Nasenwurzel, die gesperrten runden Nasenlöcher, den gekniffenen Mund. – Kerl, rief Jan Lievensze, plagt Dich der Teufel, willst Du gleich herunter, warte, ich will Dich holen; und damit ergriff er den Eulenstaken mitsammt dem Männchen, das oben daran saß und wie ein gespießter grüner Käfer mit den Beinchen zappelte. Dann trug er ihn mitten durch die hohe Saalthür, die Uebrigen hinterher und Jan Steen rief mit einer Ausruferstimme: hier ist zu sehen der große Schnüffler, Otto Marzelis, weiland Maler und Inhaber einer Menagerie von Flöhen, Raupen, Spinnen und allem möglichen Geziefer und Ungeziefer, das auf Erden kriecht oder in Lüften schwirrt. Heran, heran! hier ist zu sehen u.s.w. Halt, schrie das kleine Männchen, halt Jan Lievensze, ihn mir den einzigen Gefallen und laß mich an den Floh kommen, der dort auf der Staffelei sitzt. – Gewahrt, sagte Jan Lievensze und hielt ihn über die Staffelei, worauf ein halbfertiges Blumenstück nach Huysum lag, woran ich eine junge Dame hatte arbeiten sehn. – Welch ein Engel von Floh! schrie der Mistkäfer; hat man je solch einen Floh gesehn. Glücklich ist der Leib, welcher ihn getragen, selig sind die Brüste, welche ihn gesäugt. – Marzelis, rief Jan Steen, Du verdienst, daß ich Dich zum Ritter vom Floh schlage, hier hast Du Deinen Orden – er packte den Floh und setzte ihn dem Kleinen auf das grüne verblichene Mäntelchen – und hiermit empfange den Ritterschlag – er schlug ihn mit der Mütze so stark in den Nacken, daß der Kopf des Kleinen vorüberfuhr, sein Rüssel gegen die Spitze der Eule stieß und er selbst schreiend herabfiel. Allgemeiner Jubel. Darüber ging die Thür des Directors auf. Der Director trat heraus mit verstörtem Gesicht und rief, was ist das hier, meine Herren? –


Nichts! sagte Jan Steen ganz unbefangen; ich schlug so eben den Otto Marzelis, vulgo der Schnüffler genannt, zum Ritter vom Floh. – Wer sind Sie, mein Herr, fragte der Director. – Mein Herr, ich bin Jan Steen. – Possen! Was bedeuten diese Kleider, diese Larven, worin Sie sich vermummt haben; das Museum, meine Herren, ist kein Ort, um Faschingsspiele aufzuführen. Zeigen Sie mir Ihre Einlaßkarten, wenn’s gefällig – meine Herren, ich bin der Director des Museums und verlange Ihre Einlaßkarten zu sehen. – Deine Einlaßkarte, Deine Einlaßkarte, Deine Einlaßkarte, riefen grenlich-lustig im nachäffenden Ton die Maler sich einander zu, indem Jeder die Hand gegen seinen Nachbar ausstreckte. Mein Herr Director, sagte ein Maler im braunen Mantel, gestützt auf den verrosteten stählernen Griff eines alten Reiterdegens, mein Herr Director, halten’s zu gut, wir haben keine Einlaßkarten. – So soll das Wetter fahren in den Conciergen, brauste der aufgebrachte Director, und war im Begriff, nach unten zu stürzen, um dem armen Mann den Kopf zu waschen. Halt, rief der Mann im braunen Mantel, wobei er mit dem Fuße auf den Boden stampfte, daß bis großen Reitersporen, die er trug, mit den Fenstern zusammenklirrten; halt, mein Herr Director, wird sind nicht durch die große Thür gekommen, der Concierge ist unschuldig. – Also aus dem Keller, fragte der Director. – Aus dem Keller! antwortete eine Stimme aus dem Haufen, welche noch tiefer kam, als aus dem Keller. Wer sind Sie, stotterte der bebende Director. – Ich, ich bin Philipp Wouvermann – und ich bin Adrian Brauer – und ich bin Franz Mieris – und ich bin Gabriel Metzü – und ich bin Gerhard Dow – und ich bin Jan Lievensze – ich van Schalken – ich Terburg – ich Ari de Vois, sagte mein Begleiter, und Jan Steen sang

Es weiß die ganze Nachbarschaft,
Was ich für’n Vogel bin.

Meine Herren! stammelte der arme Director – Auf Leute, sagte der Maler im braunen Mantel, der sich Philipp Wouvermann genannt, auf, laßt uns dem Director zeigen, daß wir die Maler sind, für welche wir uns ausgeben, Pinsel und Paletten her, sagte er darauf im befehlenden Ton zum Director. In mechanischer Angst holte der Director Pinsel und Paletten aus seinem Zimmer. Jeder an sein Stück! rief Philipp Wouvermann, und fuhr mit der flachen Hand über ein Gemälde, welches die Ankunft einer Gesellschaft zu Pferde in einem Wirthshause vorstellte. Was seine Hand berührte, verblich und erlosch – in drei Secunden war vom schönen Stück nichts übrig als die graue Todtenfarbe, wie die Maler die erste Deckfarbe nennen. Der Director stieß einen Schrei des Entsetzens und der Verzweiflung aus, mich durchrieselte ein eiskalter Schauer. Die andern Maler thaten dasselbe, jeder fuhr mit der Hand über ein Gemälde, Jan Steen über einen Jan Steen, Metzü über einen Metzü, bis eben so viel Gemälde, als Personen im Zimmer, außer mir, dem Director und dem Fortwinselnden Ritter vom Floh sich in Aschfarbe verwandelt hatten. Das wäre gethan, sagte Philipp Wouvermann; nun frisch an die Arbeit, Jeder stelle sein Stück wieder her. – Die Maler mischten die Farben auf der Palette und fingen an zu pinseln. Nie hat die Welt solche Pinselei gesehn, die Pinsel fuhren auf und nieder, fuhren kreuz und quer wie gemeine Thürstreicherpinsel, und jeder Strich war ein Bein, ein Kopf, ein Hals, ein Fuß, ein Arm, ein Glas, ein Tisch, ein Fenster, ein Baum – Gerhard Dow, der im Leben nie anders malte, als mit selbst verfertigten Pinseln, mit Farben auf Krystall gerieben, Gerhard Dow, der an einem fertigen Besenstiel noch für drei Tage zu malen fand, derselbe brachte einen Besenstiel in weniger als drei Secunden zu Stande. Wouvermann rief frisch, frisch, frisch, die Pinsel gingen husch, husch, husch, ich rieb mir ungläubig die Augen, der Director schlug die Hände über den Kopf zusammen, und die Maler waren fertig, ehe wir es uns versahen, ja ehe wir es sahen. Hier, Director, rief Jan Steen, hier ist mein Zahnarzt – hier ist mein Jäger, rief Gabriel Metzü – hier ist der meinige, rief An de Vois – hier ist mein Trompeter, rief Terburg – hier meine schmauchenden Bauern, rief Brau er – hier meine junge Hausfrau mit dem Wiegenkinde, rief Gerhard Dow – hier mein kleiner Seifenblaser, rief Franz Mieris – hier mein Uringlasgucker, rief van Schalken – hier – der Director sah und hörte nichts mehr, er lag ohnmächtig neben dem Ochsen von Paul Potter. Vor Schreck und Mitleid wachte ich auf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Zweiter Theil