Abschnitt 1

Die todten Maler


Eines Nachmittags wandelte ich allein in den leeren Sälen des Haager Museums umher. Die Arme übereinander geschlagen, betrachtete ich ein wundersam schönes Bildchen an der Wand, nur einen Fuß hoch, nur einen halben Fuß breit, aber tief, wie das grüne Waldesdunkel, worin der schöne Jäger saß, am Stamme einer alten Eiche – leichtes Röckchen, offene Brust, nackte Beine, dazwischen sein Gewehr, darunter sein Hund – ein Bild zum Küssen für Mädchen und selbst für Männer eine Freude. Auf, auf, zum fröhlichen Jagen, lullte ich vor mich hin. Der Morgen ist nicht weit, sang eine Geisterstimme hinter mir. Im Umdrehen erblickte ich einen leichenblassen Mann, der eben kein Anderer war, als der Jäger, den ich auf der Leinewand bewundert, nur anders gekleidet. Statt des leichten Jagdrocks steckte er in einem Wams von weißer Seide mit faltigen Aermeln, über die nackten Beine hatte er stahlgraue faltige Hosen gezogen, die unterm Knie festgebunden und mit zwei zierlichen Schleifen versehen waren, auf dem Kopf trug er einen braunen Hut mit überhängenden weißen Federn, an der Hand Manschetten, unterm Hals gestickte Bäffchen, einen Degen an der Seite – ganz wie der vornehme und begüterte Stand im siebzehnten Jahrhundert sich zu tragen pflegte. – Wer sind Sie, mein Herr, fragte ich erschrocken. – Ari de Vois, der Maler dieses Bildes, antwortete die Gestalt und schien über meine Befangenheit zu lächeln. – Wer bist Du, rief ich. – Ari de Vois, wiederholte der Mann ganz ruhig. Laß Dich das nicht anfechten, setzte er hinzu; ich bin allerdings ein Geist, ein Gespenst, Ober was thut das, wir müssen Alle mal Gespenster werden. Folge mir, wenn Du Lust hast; ich bringe Dich in gute Gesellschaft. Ich ging ihm nach, ohne es zu wissen und zu wollen. Im ersten Nebensaal wandelten mehrere Gestalten auf und ab. Das Weib sitzt nicht fest, murmelte ein wohlbeleibter schwarzeingehüllter Mann, indem er zugleich mit seinem schwarzen Federhut auf ein modernes Gemälde hindeutete, das erst kürzlich da aufgehängt worden war. Was willst Du damit sagen, fragte ein kleines, blaß und kränklich aussehendes Männchen. – Was ich damit sagen will, Lukas, versetzte der Schwarze, und fuhr sich mit der Hand durch den Wulst krauser Haare; ich will sagen, das geleckte Geschöpf da steckt nicht wirklich in der Leinwand, sondern ist nur von außen angekleckst. – Mein Führer zupfte mich am Rock. Das ist Rembrand, sagte er; schreibe, Du hast Rembrand gesehn, und Lukas von Leiden, der kleine Blasse ist Lukas. Lukas ist schon ziemlich was länger todt, als wir Anderen, mit Ausnahme von Martin Heemskerk, der auf der Fensterbank sitzt, und seine dürren scholastischen Beine übereinander schlägt. – Da irren Sie sich, mein Werthester, sagte ich hastig, Martin Heemskerk ist viel später gestorben, als Lukas von Leiden. Als ich diese Worte herausgestoßen hatte, ward ich roth und blaß, und ich begriff nicht, woher ich den Muth dazu genommen. – Heemskerk! schrie Ari de Vois, wie steht es damit, bist Du früher gestorben als Lukas, oder ist Lukas früher gestorben, als Du. Heemskerk lachte und sagte, ich habe den kleinen Lukas mit zu Grabe getragen – er war nicht schwer. Du warst mit dabei, langer Pieter, oder Pieter Aartsen, wie Du Dich lieber nennen hörst. Es war anno domini als man schrieb funfzehnhundert drei und dreißig. Den funfzehnten September, lispelte Lukas. Ich sehe, sagte Ari de Vois zu mir, Du bist in der Malergeschichte besser bewandert, als ich selbst. Ich bin früh aus der Zunft herausgekommen, ich heirathete ein junges reiches Weib, die sich verliebt hatte in meine nackten Beine. Du meinst, sagte ich, in Deine herrlichen Mannsbilder, Deine Fischer, Jäger, Spielleute, in welcher Art kleiner idealer Bilder Du in der That einzig bist. Wie Du willst, entgegnete Ari, meine Beine waren auch nicht von Stroh. Sieh nur den alten Bloemart, wie verliebt er seine Göttinnen im Olymp anäugelt, man sieht’s dem alten Gecken an, daß er in Paris gewesen ist. – Sieh da, alle Historienmaler bei sammen. Die beiden eleganten Ritter Karl de Moor und van der Werft becomplimentiren sich auf die anmuthigste und umständlichste Weise von olim. Wie sie ihre Oberleiber vornüber biegen, wie sie ihre Arme sinken lassen, wie sie sich drehn und schwenken, mit welch zierlichen Schritten sie gegen einander anwachsen, wie sie sich über Kreuz und über Quer an die Brust drücken – Rembrand wühlt sich ärgerlich im Pull, Jordaans wirst seine blaue Mütze in die Höhe und Jan Lievensze hält sich den Bauch vor Lachen. –


Welcher Lärm! Das ist ja Steen, er wankt, er singt, er wird seinen letzten Rausch in alle Ewigkeit nicht ausschlafen. – Jan Steen, oder wer es war, drehte sich das Barett auf dem Kopf herum und sang: nur immer langsam voran, nur immer langsam voran, daß die Amsterdammer Schütterei mir nachfolgen kann. Hinter ihm her marschirten tact- und ehrenfest, Tambour vorauf, Fähnlein in der Mitte, eine kleine Schaar bärtiger Männer. Willkommen, Ihr Schüttermaler von Amsterdam, rief Rembrand, willkommen Ihr würdigen Herren, mein Herr Gobert Flink, mein Herr van der Helst, mein Herr ver Schoten, meine alten werthen Freunde und Schüler allzumal. Da habt Ihr Euch einen saubern Capitän gewählt, fügte er hinzu. Wo steckt er nun, das Weinfaß. Meinst Du mich, sagte Jan Steen, und duckte aus einem Winkel des Zimmers auf, wo er in der Zwischenzeit etwas in aller Eile auf den Boden gemalt hatte. – Was machst Du da. – Ich wundere mich, sagte Jan Steen. – Worüber wunderst Du Dich, Narr, fragte Rembrand ungeduldig. – Ich wundere mich, daß Einem die Goldstücke hier vor den Füßen liegen, die Menschen zu unserer Zeit wußten den Werth des Goldes besser zu schätzen. – Wo, wo? fragte Rembrand, wo liegt Gold? – Hier. – Rembrand war mit drei Schritten an der bezeichneten Stelle, bückte sich und merkte den Betrug, den Jan Steen ihm gespielt hatte. Alle Maler lachten. Heemskerk klatschte sich auf seine brettharten Schenkel. Jan Lievensze rief nach einem unmäßigen Gelächter, nein, man könnte sich zu Tode lachen, wäre man nicht zufällig schon gestorben. Rembrand sagte ärgerlich zu Jan Steen, Du bist ein Narr und bleibst ein Narr und wenn Du auch noch tausend Jahre im Grabe liegst. Amen! rief Jan Steen. Dann wandte er sich an Jan Lievensze, der erschöpft vom Lachen tiefen Athem holte. Komm, Bruderherz, sagte er zu ihm, komm mit mir.

Ari de Vois sagte, ich bin neugierig, wohin sie wandern. Wir gingen hinterdrein. Auf der Thürschwelle rannte das Paar, das sich in Arm gefaßt hielt, gegen eine Gestalt, welche sich vergeblich bemühte an der Seite vorbeizukommen. Ruisdal! schrie Jan Steen, alter Ruisdal, einsamer Freund des murmelnden Bachs, Geliebter der Wassernixen, Vertrauter der Frösche, unsterblicher Kataraktenmaler, passire durch diese Thür, so breit Du bist, wir machen Dir Platz, denn Jan Livensze und ich, wir haben den allererdenklichsten Respect vor Wasser und Wassermalern. Süß ober Salz, gleichen Respect, daher passirt nur Bakheisen, Van der Velde, nur zu, nur durch, haltet Euch nicht auf, wenn’s gefällig, Eure Mäntel riechen gar zu stark nach Schiffstheer und Seewasser: – Gottlob, daß diese Seeungethüme vorüber sind, sie machen mich unwohl. Da stößt man doch wieder auf ordentliche Landgeschöpfe, auf den heerdenlichen Berghem, den wilden Savrey, den braunen romantischen Svaneveld, den silbernen Du Jardin – guten Tag Leute – Du Jardin, wie lange ist es her, daß Du nicht in Italien warst. Paul de Potter auch. Paul, Paul! wie konntest Du der Prinzessin Amalie von Solms-Braunfels eins pissende Kuh auf die Leinwand malen. Einer Prinzessin eine pissende Kuh! Du hast ein Gewissen wie ein Schlachterhund. Paul Potter strich sich die rothen Haare aus dem Gesicht und sagte, es ärgert mich noch im Grabe, daß ich mir so viel Mühe gegeben für die Prinzessin. Stehe Tage lang auf der Weide, laufe hierhin, dorthin, mit Papier und Stift, sehe jeder Kuh, die ihren Schwanz aufhebt in den After, male meine Kuh in der natürlichsten Stellung von der Welt, drücke jede Verrenkung, jede Muskel aus, die ein solches Beest beim Pissen verzieht, dann kommt mir einer von den Hofschranzen anspatziert, beäugelt das Bild, und giebt mir den freundschaftlichen Rath, die Prinzessin damit nicht zu erzürnen. Daß ich! Als wenn nicht eine Kuh, die gut pißt, hundert Ducaten mehr werth wäre, als eine Kuh, die nichts macht. Freilich faselte der Schranze von Anstand, Beleidigung des Zartgefühls und dergleichen; aber ich sehe nicht ein, wie eine pissende Kuh das Zartgefühl einer Prinzessin beleidigen kann.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Zweiter Theil