Abschnitt. 1

Auf dem rechten Ufer der breitströmenden Elbe, im gesegnetesten Marschland, durchflossen von der hellströmenden Alster und der freundlich murmelnden Bille, liegt die 793 Jahre alte ehrwürdige Hammonia, die freie, reiche Hanse-Stadt Hamburg.
Zahllose Paläste erblickt das überraschte Auge des Fremden innerhalb seiner Mauern, zahllose Paläste liegen in der reizerfülltesten Gegend vor den Thoren, als Zeuge vom Glanze der ehemals so mächtigen, in ihrem Handel immer noch frischblühenden Stadt. ? 120000 Einwohner bergen geräumig die Mauern Hamburgs (das Gebiet zählt circa 30000), und Alle leben Handel und Gewerbe treibend ruhig in ihr fort, gehen wie das blinde Pferd in der Mühle vom Sonnen-Aufgang bis Sonnen-Niedergang denselben Weg, treiben dieselben Geschäfte, einen Tag wie den andern, haben dieselben Vergnügungen, dieselben Sorgen, und tragen ein Jahr wie das andere dieselben Lasten, ohne zu klagen, ohne zu murren! Sie sehen fortwährend dieselben altersgrauen Institutionen, die nicht mit dem Geiste der Zeit fortschreiten, der sich ja trotz Allem, was man gegen ihn unternimmt, so laut ausspricht für Duldung, Licht, und Geistesfreiheit, fühlen wohl, daß Vieles einer bedeutenden Reform bedarf, daß Manches ganz verschwinden müßte, aber ? sie thun nichts dafür, daß eine Aenderung eintrete, oder mindestens vorbereitet werde, wozu doch jeder Einzelne bei der herrschenden aristodemokratischen Regierungsform so wesentlich beitragen könnte. In den Bürgerversammlungen ist Jedem nicht nur erlaubt, seinem Ansichten für das Wohl des Ganzen mitzutheilen, er ist sogar dazu verpflichtet, und die Stimme in seinem Busen sollte ihn antreiben, sich zu erheben, um das Gute zu fördern, das weniger Gute zu bessern, das Schlechte aber mit aller Kraft zu Boden zu schlagen. ? Dies ist ja das edelste, das schönste Recht, das der freie Bürger Hamburgs ausüben kann, und Niemand sollte anstehen, diesen seinen heiligsten Pflichten nachzukommem. ?
Ja Hamburg ist eine der schönsten Städte des nördlichen Deutschlands, und seine Handelsverhältnisse, seine Verbindungen mit der neuen Welt, mit allen Ländern jenseits des Ocean weisen ihm einen Ehrenplatz unter den deutschen Handelstaaten an, den ersten Platz unter den Hanse- und freien Städten. ? Wenn nun aber der Fremde hierher kommt, und neben so manchen guten, mitunter vortrefflichen Einrichtungen, leider noch so viele Mißbräuche und Uebelstände sieht, wenn er sich sagen muß: diese Mißbräuche sind so leicht abzustellen, aber der Hamburger sieht sie nicht, oder will sie nicht sehen, er ist bei allem Comptoir- und Handelsfleiß zu indolent, um auf Verbesserung anzutragen, die sein materielles und geistiges Wohl befördern würden, so schüttelt er betrübt das Haupt und denkt: Was ist Hamburg und was könnte es sein!! ?
Mehre dieser Mißbräuche und veralteten Institutionen kennen zu lehren, Sitten und Gebräuche im Leben und Verkehr zu schildern, Schwächen und Lächerlichkeiten aufzudecken, die sehr niedrige Stufe anschaulich zu machen, auf der hierorts Kunst, Wissenschaft und Literatur stehen, ? dies allein ist der Zweck dieser Zeilen, dies die Aufgabe, die der Verfasser sich gestellt hat.
? Frei und offen wird er Alles beleuchte, was ihm der Beleuchtung und Beachtung werth scheint; nicht wird er sich abschrecken lassen durch das Schwierige seiner Arbeit, nicht wird er fürchten die Horden der Rezensenten, die bellend und kläffend ihn anfallen werden, nicht wird ihn schrecken der Zorn der Blosgestellten ? er erwidert auf Alles dies nur: Ich schrieb Wahrheit, nach meiner innigen Ueberzeugung lautere Wahrheit, ich entnehme meine Schilderungen dem Leben, der Wirklichkeit, nicht dem Reiche der Phantasie und Romantik, und habe den guten Wille, zum Bessermachen anzuregen. Ob es mir gelingt, weiß ich nicht ? der Wille war da! ? Treu und redlich werde ich das Gute loben und anerkennen, das Schlechte verdammen, und fühle mich überreich belohnt, wenn unter der gro-ßen Zahl meiner Mitbürger nur ein kleiner Theil, dies Buch aus der Hand legend, spricht: der Mann schrieb ungeschminkt die Wahrheit. ?
Die nachfolgenden Capitel werden nicht nach systematischer Folgereihe geordnet sein, sondern bunt durcheinandergeworfen erscheinen, wie ich sie nach den mir gewordenen Eindrücken, nach den gemachten Erfahrungen niederschrieb. ? Die, welche statistische Bemerkungen enthalten, werden dieselben mit möglichster Genauigkeit angeben, und habe ich die richtigsten und besten Quellen dazu benutzt. ? Manche Gegenstände werde ich ernst und streng, manche andere, mit Humor und Satyre, persiflirend besprechen, noch einmal aber: Alle sollen Wahrheiten enthalten, und werden, wie schon oben bemerkt, nicht nur Staatseinrichtungen, sondern auch Kunstleben, Sitten und Gebräuche abzuspiegeln versuchen, und einige Portraits wiedergeben, Typen, die man, selbst ohne den Namen zu nennen, in Hamburg allgemein erkennen würde. ?
Ich füge schließend noch folgende statistische Bemerkungen dieser Vorrede bei, die Manchem vielleicht nicht ganz unwillkommen sind. ?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg, wie es ist.