Domzeit, Weihnachten, Neujahr. (Beschluss)

Seliges Band der Menschlichkeit, Liebe und Eintracht, welches die Menschen in der goldnen Zeit umschlang, warum konntest du nicht ewig halten! Das unerbittliche Fatum, dieses höchste, unbegreifliche, unbekannte Wesen, welchem Jupiter, der oberste und eigensinnigste aller Götter, selbst untertan sein muss, hat es aber anders über die Menschen verhängt. Die beiden Greise, Saturn und Janus, starben dahin. Ersterer wurde nach seinem Tode der Gott der Zeit überhaupt, und lezterer der Gott des Jahrs, von welchem auch der erste Monat in unserm Jahre noch bis auf diesen Augenblik der Januar genannt wird. Die Menschen hatten nun ihren Typus, ihr Urbild verloren. Sie arteten aus; sie gingen Stuffenweise zu Verbrechen über. Die Götter entflohen von der Erde. Astraa, die himmlische Asträa, die Göttin der Gerechtigkeit und des Friedens, war die letzte, welche in ihr Vaterland, in den hohen Olymp, zurückkehrte. Eine andre Sage benachrichtigt uns, die Menschen hätten sie am Altare der Natur ermordet, stellten ein Conterfey von ihr in ihren Tempeln auf, und gäben lügenhaft vor, dass diese Tochter des Himmels noch immer auf Erden hause.

Selig waren die Zeiten des Janus und Saturns. Menschen von feinerm Ton gebildet, von weicherem Sinne stifteten ihnen zum Andenken das Saturnusfest oder die Saturnalien, welche bei den Römern im Dezember, in der Jahrszeit, in welcher man des Vergnügens am mehrsten bedarf, gefeiert wurden. An diesem Feste sollte man sich der ehemaligen, natürlichen Gleichheit der Menschen erinnern; an diesem Feste sollten tyrannische Herren menschlicher werden. An ihm überließ man sich einer hohen, oft ausgelassenen Freude. Freunde und Bkannte beschenkten sich unter einander; den Kindern wurde Vergnügen und Freude gemacht, und die Sklaven, diese Elenden und Unglüklichen, durften sich ihrer Bestimmung und ihrer natürlichen Rechte erinnern. An einigen Tagen des Festes saßen die Sklaven an der Tafel, schmaußten, scherzten und lachten, und die Herren warteten ihnen auf.


So fanden die Christen dieses Fest bei den Römern. Die Bekehrungssucht hatte sich bereits bei ihnen eingeschlichen, und da sie durch Erfahrung belehrt wurden, dass die Menschen ihren Festen durchaus nicht freiwillig entsagen, außer in dem Falle, dass die Mode sie zwingt: so setzten sie für die neubekehrten Christen unter den Römern ein ähnliches Dezemberfest ein, und verordneten es zum Andenken der Geburt Christi zu feiern. Daher entstand denn unser so höchst erfreuliches Weihnachtsfest.

Dieses Weihnachtsfest ist nun schon seit undenklichen Jahren und besonders in den Stiftern und Klöstern auch mit einem vorhergegangenen Markte gefeiert. Stifter und Klöster erhielten sehr früh Marktprivilegien vom Kaiser. Der Zusammenfluss des Volks in denselben durch den Gottesdienst und feierliche Prozessionen veranlasst, machte sie vorzüglich dazu geschickt, Marktplätze zu sein. Die Märkte pflegten gewöhnlich am Gedächtnistage eines Apostels oder Heiligen gehalten zu werden, weil sich alsdann des Gottesdienstes und der Messe wegen die Landleute in die Stadt begaben. Daher geschah es auch, dass die Märkte entweder in dem Schiffe der Kirche, oder auf dem Kirchhofe gehalten wurden. Von dem feierlichen Hochamte, welches an einem solchen Festtage gehalten wurde, erhielten die Märkte auch den Namen Messen, welcher noch an verschiedenen Orten zu Leipzig, Frankfurt, Braunschweig etc. in Gebrauch ist. Das älteste von den hamburgischen Märkten scheint dasjenige zu sein, welches am Tage des heiligen Vitus gehalten wurde, und jetzt noch auf dieselbe Zeit fällt. Seiner wird zuerst in einer Urkunde Kaiser Conrads II. vom Jahr 1038 erwähnt. Der hamburgische Christmarkt scheint weit späteren Ursprungs zu sein.

In unserem Hamburg, welches seinen Ursprung dem von Karl dem Großen angelegten Stifte zu verdanken haben soll, wird dieses Weihnachts- oder Christmarkt noch im Dom gehalten; obgleich jetzt die ansehnlichsten Galanterie- und Modenhändler den sogenannten Dom in ihrem eigenen Hause feiern. Die Miete für die Stellen uud Plätze der Verkaufenden macht auch jetzt noch einen sehr beträchtlichen Teil der Einkünfte des Stiftes aus.

Diese Christmesse wird in dem halbzerfallenen Kreuzgange, in der Annenkapelle oder dem Schappendom und auf dem Friedhofe, auch allenthalben, so weit sich die Gerechtigkeit des Doms erstreckt, eigentlich gehalten. Vorher erwähnte Gewohnheit, den Dom oder diesen Weihnachtsmarkt jetzt allenthalben zu halten, beeinträchtigt die Stiftsherren ziemlich in ihrer Einnahme, und, wenn sie nicht bald eine Hauptreparatur mit den Gebäuden der Domkirche, in welchen die Messe gehalten wird, vornehmen lassen: so dürften diese Einkünfte endlich ganz und gar wegfallen. Denn ich sehe durchaus nicht ein, warum man sich der Gefahr, einen Arm oder ein Bein zu brechen aussetzen soll, um Etwas zu kaufen, was ich allenthalben vielleicht wohlfeiler und besser haben kann. Es ist überall traurig anzusehen, wie sich das alte, ehrwürdige Gebäude der Domkirche seiner endlichen Auflösung mit schnellen Schritten nähert!

Dieser Dom oder dieses Christmarkt gewährt aber bei alledem, besonders des Abends, noch immer einen herrlichen und erfreulichen Anblick. Die Menge der Buden, der Waren, der Verkäufer, die ihre ausgelegten Sachen immer in dem hellsten Lichte zeigen; die Menge der Kerzen, welche den engen, sonst verödeten Kreuzgang erhellen; die ab- und zuströmende Menge von Käufern und Neugierigen; das Gestoße, Getobe und Geschrei der Zucker-Beckerknechte und andrer sich privilegiert dünkender Lärmer; bisweilen die Schwingung der furchtbaren Lanzen unseer Stadtsoldaten; die Verlegenheit, worin unsere Herren und Damen oft in Rücksicht ihrer Kleidung und ihrer Schadhaftigkeit geraten; das Treiben, Leben und Weben aller Anwesenden; dies Alles gibt dem unbefangenen Beobachter reichlichen Stoff zu ernsthaften und fröhlichen Betrachtungen, und ist oft im Stande, den entschlossendsten Menschenfeind wenigstens auf einige Zeit mit, diesem Völkchen auszusöhnen, welches ewig in geschäftiger Bewegung ist, um — am heiligen Abend Karpfen zu essen. Tätigkeit! du bist einer der edelsten Grundtriebe unserer Seele! Wer könnte deine Ausbrüche gleichgültig ansehen!

In dieser Domzeit, welche allemal acht Tage dauert, in Hamburg des Abends spazieren zu gehen, macht außerordentlich viel Vergnügen. Sehr viele Häuser, in welchen zum Christmarkt verkauft wird, die Buchladen, die Laden der Galanterie- und Modehändler etc. sind erleuchtet, und gewähren durch die geschmackvolle Ausstellung der Waren einen schönen Anblick. Man trift Warenlager, aus welchen vielleicht ganz Deutschland mit den Weihnachtsbedürfnissen für Kinder versorgt werden könnte, und allenthalben Leben und Tätigkeit; allenthalben Kauf und Verkauf.

In dieser fröhlichen Zeit unsere öffentlichen Blätter zu lesen, ist schon der Mühe wert. Da werden allerlei Weihnachtsgeschenke angeboten, versteht sich für bares Geld und gute Bezahlung. Da empfiehlt einer als Neujahrs- oder Weihnachtsgeschenk für Damen der Gräfin von Eglington besonderes Waschmittel, und der Marquise de Pompadour vortreffliches Zahnpulver; ein Andrer preißt sich mit allen nur erdenklichen Gattungen von Glükwünschen zu Neujahrs- Namens- und Geburtstagen, zu Verlobungen, Hochzeiten etc. mit und ohne Gold, in und ohne Rahmen an. Wieder Andre haben Neujahrswünsche von besonderer Eleganz und ganz neuer Erfindung. In einer Bude schmiedet ein Versemacher Gelegenheitsgedichte, zwei Mark à Stück; in der andern stopft eine Frau Strümpfe. Ein Perückenmacher empfiehlt sich dem geehrten Publikum mit französischen Damen und Herren-Perücken, Touren, Haarkäppchen, Chignons, und frisiert auf kraus Damenperücken nach der neuesten Mode. Hier wird den Damen das delikate Getränk Kirschsaft empfohlen; dort bittet sie einer, ja den rechten Eingang zu seinem Hause zu merken, wo sie mit den modernsten Artikel der Mode bedient werden können. Der Eine hat Lieder zur Erhöhung der Freude; der Andre die weit reelleren Pommerschen Gänsebrüste. Der Eine legt ein Museum, der Andre einen Beef-Steak-Keller an. Bei einer Dame sind Ballkleider, Kopfputz, Kleiderbesetzung, wie auch hübsch gekleidete Puppen, Alles nach der neuesten Mode in Hamburg verfertigt, direkt aus Paris angekommen; ein Herr hat den herrlichsten Schweizer und Chester, wie auch doppelten Limburger Käse erhalten. Hier wird ein Liebesbriefsteller durch Würfeln verkauft; dort die Geheimnisse der Liebe für einen Spciesthaler*). Hier sind Kupferstiche von berühmten fränkischen und englischen Kriegern zu haben; dort diverse weiße Mopshunde; hier Salzgurken und Waschblau, dort elastische Stiefelwixe etc. Am häufigsten werden Arzeneien, für die Seele sowohl als für den Körper, angepriesen; sie gehen auch außerordentlich ab, besonders, wenn sie nach dem Brownschen System verfertigt sind.

Doch, wozu soll ich alle Herrlichkeiten, welche hier, besonders in der Domzeit angepriesen und zur Schau gelegt werden, herzählen? Meine hamburgischen Leser kennen sie alle weit besser als ich, und der Auswärtige - wenn er lüstern ist, so komme er und schaue, nur hahe er gesunde Augen, gesunde Füße, und vorzüglich — geränderte Dukaten.

Wir haben sie glüklich wieder hingebracht, die angenehme Domzeit; wir haben die heiligen Weihnachten verschmauset, und haben das neue Jahr im schnellen Fluge erhascht. Der Himmel erhalte uns unsern Appetit, unsern frohen Mut, und segne unsre Geldbeutel. Mit dem Übrigen hats keine Not.

*) Gelegentlich sei hiemit einem jeden wohlmeinend geraten, ja keinen Hasen im Sacke, oder was ganz einerlei ist, versiegelte Liebes - und andre Geheimnisse, die die Unverschämtheit mit frecher Stirn feilzubieten sich nicht schämt, zu kaufen. Es ist öffentlicher, ahndungswerter Betrug, dem unsre duldsame Polizei hoffentlich auch einmal Grenzen setzen wird ein Glück für diese Beutelschneider ist, dass ihre Produkte entweder den höchsten Grad der Scham- und Sittenlosigkeit übersteigen, so dass sich niemand gern mit der Aufdeckung derselben befasst, oder auch so unbedeutend und dabei so unschädlich sind, dass die Erfahrung mit der Zeit der beste Arzt gegen diese Betrugskrankheit wird.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg und Altona - Band 2 Heft 5