Rechtsgelehrsamkeit. Vaterländische Gesetzgebung

Es ist unmöglich, in der hamburgischen Gesetzgebung und Handhabung der Gesetze einen gewissen Geist der Mäßigkeit und Milde zu verkennen, welcher sie Frucht einer wahren und vernünftigen Freiheit ist, die unsern kleinen Staat vor so vielen andern vorteilhaft auszeichnet, und dem einzelnen Bürger die mancherlei Beschwerden, welche aus der gesellschaftlichen Verbindung notwendig entstehen müssen, kaum bemerkbar macht. Vergleicht man selbst diejenigen hamburgischen Gesetze, welche zur Aufrechthaltung und zum Flor der Handlung gegeben sind, mit den bisweilen äußerst strengen Gesetzen anderer handelnden Staaten, z. B. Englands, welche dieselbe Absicht haben: so wird man finden, dass sie mehr aus Menschlichkeit als aus Strenge berechnet sind. Aus Unkunde, oder aus Mangel an Beobachtungsgeist, oder aus Liebe zum Schreckenssystem haben sich Einige unterstanden, diesen Geist der Milde und Mäßigung für Schwäche der Regierung zu halten; allein, diese irren recht sehr, und ich wüßsse keinen einzigen Fall anzuführen, wo nachdrückliche Maßregeln der Regierung ohne Wirkung geblieben wären, und unsre Obrigkeit weiß sich eben so gut Ehrfurcht und durch die Gesetze geheiligtes Ansehen zu verschaffen, als sie sich durch Milde und Menschlichkeit eine respektvolle Liebe längst erworben hat. Oder will man das etwa Schwäche nennen, dass man nicht jede Verordnung der Polizei mit der äußersten Strenge exekutiert? Dass man nicht Scharen von Spionen hält, um die kleinen häuslichen Geheimnisse der Bürger auszukundschaften? dass nicht auf jeder Straße eine Kompagnie Polizeibediente im trägen Müßiggange lauert, um jeden kleinen Verbrecher gegen die Gassenordnnng sogleich zu ergreifen und vor Gericht zu schleppen? Nennt man etwa das Schwäche, dass die Formalien bei Prozessen vielleicht noch nicht so simplifiziert sind, als sie wohl sein könnten? Soll das Schwäche sein, dass man die Stimme der Menschheit auch für den gröbsten Verbrecher hört? Es scheint in der Tat, als wenn wir Menschen mehr angeborne Neigung, zu tadeln, als Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, hätten.

Auch das ist ein geheiligtes Vorrecht eines Bürgers in unserm kleinen glüklichen Staate, dass er über die Gesetze nnd Verfügungen der Regierung seine Meinung freimütig sagen darf. Dass dieses mit Anständigkeit, Bescheidenheit, und der einer jeden Regierung gebührenden Ehrfurcht geschehen müsse, versteht sich von selbst, und nie wird es sich ein wahrhaft aufgeklärter und gebildeter Mann erlauben, unanständige Ausdrücke gegen die Obrigkeit zu gebrauchen; selbst, wenn die Obrigkeit auch großmütig oder nachsichtig genug wäre, nicht darauf zu achten, und den Verbrecher nicht zur Rechenschaft zu ziehen.


Über die neue hamburgische Falliten-Ordnung habe ick von manchen wahren oder eingebildeten Kennern und Nichtkennern sehr verschiedene Urteile gehört, und da ich als ein Dilettant in der Rechtsglehrsamkeit keinen großen Beruf fühlte, und keine nähere Veranlassung dazu fand, mir auch nicht Kenntnisse genug zutraute, diese Urteile genauer zu prüfen und zu erwägen, so habe ich diese Falliten-Ordnung auch so lange ganz aus der Acht gelassen, bis mir ein Werk in die Hände fiel, wovon ich meinen Lesern jezt die Fortsetzung und den zweiten Teil kürzlich anzeigen werde, nämlich:

Erläuterung der hamburgischen Falliten-Ordnung. Von Theodor Hasche, b. R. Dr. Zweiter Teil. Hamburg 1802. bei Friedrich Perthes.

Auch unter dem allgemeinen Titel:

Hamburgisches Privatrecht. Siebenten Teils zweite Abteilung, welche den zweiten Band der Erläuterung der hamburgischen Falliten-Ordnung enthält.

Der Herr Doktor Hasche, einer unserer vorzüglichsten und aufgeklärtesten Rechtsgelehrten, kommentiert in diesem Werke mit seltener Genauigkeit, Treue und Einsicht die hamburgische Falliten-Ordnung, und setzt dadurch jeden Leser von gesundem Menschenverstande und Unbefangenheit in den Stand, dieses wichtige Gesetz zu verstehen, über seinen Wert gehörig zu urteilen, und selbst als Curator honorurn etc. in vorkommenden Fällen gehörig zu befolgen und anzuwenden. Es ist daher dieses schäzbare Werk des Herrn Hasche nicht bloß Spekulation für den eigentlichen Juristen, sondern ein vortrefliches Handbuch für Jeden, der auf nähere oder entferntere Weise mit Konkurssachen zu tun hat, und verdient in dieser Rücksicht gewiss in den Händen aller gebildeten hamburgischen Bürger, ja jelbst aller Ausländer zu sein, die mit Hamburg durch Handel und Verkehr in Verbindung stehen, weil sie daraus leicht, deutlich und bestimmt ersehen können, was in vorkommenden Fällen zu tun oder zu lassen sei. Der Verfasser erläutert mit großem Fleiße, mit prüfender Genauigkeit das Gesetz, sucht die Begriffe und Vorstellungen in das helleste Licht zu setzen; zeigt aufs Bestimmteste das Verhalten eines Jeden, der bei Konkursen auf irgend eine Weise interessiert ist, rügt dabei anständig-freimütig, was ihm an dem Gesetze nicht gefällt, zeigt einige Widersprüche desselben, und das Alles auf eine Art, welche jedem unbefangenen und verstandigen Leser äußerst schäzbar und belehrend sein muss. Jeder Freund des Vaterlandes, der vaterländischen Gesetzgebung und Geschichte wird ihm daher aufrichtig für eine Bemühung danken, die keine andere als segenreiche Folgen für den Staat haben kann.

Ich habe oben bereits aufrichtig bekannt, dass ich bloß Dilettant in der Jurisprudenz bin, und mir nicht Kenntnisse genug zutraue, um eine gehörige kritische Übersicht zu geben. Um jedoch diese Anzeige für meine Leser so lehrreich als möglich zu machen, werde ich Einiges aus diesem zweiten Teile anführen, und vielleicht bisweilen eine bescheidene Anmerkung hinzufügen, welche der Verfasser und Leser so aufnehmen mögen, wie ich es wünsche, d. h. als Gedanken, die ich als Bürger zwar äußern kann, aber keinen Menschen aufdringen will.

In der Vorrede Seite 1. etc. sagt der Verfasser: „Übrigens darf ich mir die Bemerkung erlauben, dass die Ermunterung, das Buch fortzusetzen, mir nicht aus dem Absatze desselben entstanden ist; ich habe lange nicht die Kosten ersetzt bekommen. Da ich demnach auch die ferneren Bände größtenteils auf meine Kosten werde herausgeben müssen; so habe ich mich um so weniger darüber zu entschuldigen, dass ich drei Bände (statt der versprochenen zwei) drucken lasse. Ich bin indes sehr gleichgültig über den Verkauf des Buches, da die Aufnahme desselben durch meine Mitbürger und die Urteile der Rezensenten mir hinreichend Bürge sind, dass ich nicht etwas Unnützliches ausgearbeitet habe. Auch bin ich durch die Erwähnung des Buchs in Büschs Zusätzen zu seiner Darstellung der Handlung ermuntert worden, das angefangene Werk nicht unvollendet zu lassen.“ Diese Äußerung des Herrn Hasche lehrt uns ihn als einen Mann von echter Vaterlandsliebe und seltener Uneigennützigkeit schätzen. Er übernimmt nicht nur Mühe und Arbeit, welche mehrere Jahre erfordern, um seinen Mitbürgern wahrhaft nüzlich zu sein, sondern er achtet auch einen beträchtlichen Verlust, welchen er an Kostenaufwand leidet, für zu geringe, als dass er ein nüztliches Werk unvollendet lassen sollte. Dies ist die Gesinnung eines Griechen und Römers in den schönsten Perioden dieser Nationen; dies die Gesinnung eines Gabe und andrer patriotischen Bürger unserer hamburgischen Republik, welche bei der Vergrößerung und Verschönerung unsers Jungfernsteiges auch einen augenscheinlichen Verlust nicht scheuten. Aber Ihr, meine reichen Mitbürger, die Ihr oft Tausende für elende Romane, Komödien und seichte Modelektüre ausgebet, Ihr lasst ein Buch ungekauft und ungelesen, was Euch über einen der wichtigsten Gegenstände in Rücksicht Eures Vaterlandes und Eures Gewerbes belehren kann? — Doch, ich will nicht immer diese empfindliche Seite berühren; ich bin fest überzeugt, dass, wenn irgend eine Angelegenheit, welche die Menschheit und das Vaterland interessiert, nur einige beredte Sprecher und Worthalter unter uns finden würde, sie sicher gedeihen könnte. Verstände ichs doch, ein solcher Sprecher zu sein!

Ebendaselbst Seite III. sagt Herr Hasche: „Ich bin von einigen meiner Leser aufgefordert, ein alphabetisches Register zu verfertigen. Allein ich kann mich von der Wichtigkeit desselben nicht überzeugen, und erlaube es mir daher, dies von mir abzulehnen.“ Ich bedaure es sehr, dass der Verfasser sich von der Nützlichkeit eines alphabetischen Registers in einem wissenschaftlichen Buche nicht überzeugen kann, da doch alle unbefangene Sachkenner darin übereinstimmen, dass ein solches Buch ohne alphabetisches Register die Hälfte seiner Brauchbarkeit verliert. Ich gestehe es sehr gern ein, dass die Verfertigung eines solchen Registers unendlich viel Mühe und Zeit kostet, dass der oberflächliche Leser es als etwas sehr Überflüssiges ansteht, und dass die Schnelligkeit, mit welcher unsere Geisteskinder in unsern übererleuchteten Zeiten ans Licht der Welt gefördert werden, eine solche Arbeit ekelhaft, und in den mehrsten Fällen unmöglich macht. Allein, ein menschenfreundlicher, patriotischer Mann, der, ohne Rüksicht auf Belohnung, bloß für das Edle und Schöne arbeitet, muss sich nur von dem leiten lassen, was wahrhaft gut ist. Unsern Messfabrikanten ist die Verfertigung eines alphabetischen Registers nicht anzuraten. Der Verleger bezahlt es ungern, und der gewöhnliche Leser sieht es als etwas Unnützes an, dessen Stelle eine Sammlung von Anekdötchen weit besser füllen würde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg und Altona - Band 2 Heft 4