Politische und Verfassungsgeschichte von Archivrat Prof. Dr. H. Nirrnheim

Der Keim einer Entwicklung zur ersten Handelsstadt des Kontinents ist Hamburg nicht als mühelos empfangenes Patengeschenk in die Wiege gelegt worden. Jahrhunderte sind nötig gewesen, um die Stadt ihren eigentlichen Beruf finden zu lassen, weiterer Jahrhunderte hat es bedurft, um die Vorbedingungen für ihren Eintritt in den Wettstreit der europäischen Handelsstaaten und -Städte zu schaffen, und auch dann noch ist ihr Aufstieg nur unter den schwierigsten politischen Verhältnissen und wiederholt gehemmt durch feindliche Bedrohungen, heftige innere Kämpfe und jäh hereinbrechende Katastrophen möglich geworden.

Als karolingisches Kastell, am linken Ufer der Alster auf dem von Osten her sich vorschiebenden Geestrücken gelegen, dort wo wahrscheinlich eine aus dem Innern Deutschlands nach Norden führende Verkehrsstraße den Fluss erreichte: so tritt die Hammaburg in das zunächst noch fahle Licht der Geschichte. Manches spricht dafür, dass an dieser Stelle vorher eine altsächsische Burganlage sich befunden hatte; schon dass der Name Hamburg, umhegte Burg, noch einer zweiten, im Harz aufgedeckten altsächsischen Befestigung beigelegt war, lässt vielleicht diesen Schluss zu. Hat eine solche Burg hier gestanden, so ist sie vermutlich von den fränkischen Truppen zerstört worden, die Karl der Große im Jahre 804 nach Nordalbingien sandte und die das Land in eine Einöde verwandelten. Etwa sechs Jahre später ist dann, wenn die Zeichen nicht trügen, auf dem Platze der alten sächsischen Anlage die karolingische Hammaburg als ein Glied in der Kette jener Befestigungen entstanden, durch die Karl der Große das nördliche Sachsen gegen die Slaven und gegen die Dänen zu schützen suchte.


Indessen: nicht die militärische Bestimmung allein war es, die dieser Anlage in der Folge ihr Gepräge gab, vielmehr wurde ihr ein noch höheres Ziel gesteckt. Schon Karl der Große ließ, wenn wir einer noch aus dem 9. Jahrhundert stammenden Überlieferung glauben dürfen, in dem Kastell ein Gotteshaus erbauen, das ein kirchlicher Mittelpunkt in dem mühsam dem Christentum erschlossenen nordalbingischen Lande sein sollte. Sein Nachfolger Ludwig der Fromme aber, angeblich einen Wunsch des Vaters erfüllend, erhob die hamburgische Kirche zum Sitze eines Erzbischofs, der berufen sein sollte, den nordischen Völkern das Kreuz zu bringen und sie seinem geistlichen Zepter zu unterwerfen.

Mit der großartigen Missionstätigkeit, die sich an die Begründung des Erzbistums anknüpfte, ist der Name der kleinen Hammaburg für alle Zeiten verbunden. Sie selbst freilich musste auf die glänzende Rolle, die ihr zugedacht war, verzichten. Denn die Unsicherheit ihrer geographischen Lage, die sie feindlichen Angriffen nur allzu leicht preisgab, hat es verhindert oder doch nur ganz vorübergehend zugelassen, dass aus ihr die stolze Metropole eines nordischen Erzbistums wurde. Es war keine glückliche Vorbedeutung, dass gleich der erste Träger der erzbischöflichen Würde, Ansgar, nach vierzehnjähriger Wirksamkeit als Flüchtling die Burg verlassen musste, als sie mitsamt den Gebäuden, die er in ihr errichtet hatte, im Jahre 845 einem Überfall der Dänen zum Opfer fiel. Eine Zeitlang schien es, als sei unter ihrem Schutte auch das Erzbistum selbst mit all den großen Gedanken, die es ins Leben gerufen hatten, für immer begraben. Dann gelang es doch der Tatkraft Ansgars, seine Erneuerung durchzusetzen. Die eigentliche Residenz der Erzbischöfe aber war fortan nicht mehr das langsam wiedererstehende Hamburg, sondern der in größerer Sicherheit gelegene Ort Bremen, dessen Bischofssitz mit dem hamburgischen Erzbistum verbunden wurde. Gefehlt hat es freilich auch unter den Nachfolgern Ansgars nicht an Männern, die gern an der alten Pflanzstätte ihrer Kirche weilten und ihr besondere Pflege angedeihen ließen. Keiner hat das entschiedener getan als der mächtige Erzbischof Adalbert, jener leidenschaftliche und ehrgeizige Mann, der die Mission in ganz großem Stile aufnahm und bestrebt war, den Ruhm der hamburgischen Kirche in die entferntesten Gegenden des Nordens hineinzutragen. Er brachte Hamburg soviel Liebe entgegen, dass, wäre seinen hochfliegenden Plänen Erfolg beschieden gewesen, es doch vielleicht noch der Mittelpunkt des Erzbistums, ja eines nordischen Patriarchats, das ihm im Sinne lag, nicht nur dem Namen nach geworden wäre. Allein auch Adalberts Werk ist gescheitert. Hamburg aber, sein Lieblingssitz, fiel um dieselbe Zeit, da der Erzbischof aus dem Leben schied (1072), einem Ansturm der Wenden zum Opfer. Zwanzig Jahre lang hat damals Nordalbingien unter wendischer Herrschaft gestanden, und nur langsam wird sich Hamburg aus seinen Trümmern wieder erhoben haben. Mit seiner Anwartschaft, das Haupt einer völkerverbindenden kirchlichen Organisation zu werden, war es nun endgültig vorbei. Sie ging ihm um so sicherer verloren, je erfolgreicher die Loslösungsbestrebungen der dem Erzbistum unterstellten außer deutschen Bistümer wurden und je mehr das Erzbistum selbst in seiner Entwicklung die Richtung auf ein abgeschlossenes deutsches Fürstentum mit der Hauptstadt Bremen nahm.

Andere Wege waren es, auf denen die Zukunft Hamburgs lag. Ihr Ausgangspunkt war der Gegensatz, in dem die hamburgischen Erzbischöfe zu den Männern standen, die als Stellvertreter des deutschen Königs gräfliche Rechte in dem Gau Stormarn, dem Hamburg angehörte, ausübten.

Wie an allen Bischofssitzen, so sind auch in Hamburg die geistlichen Herren bestrebt gewesen, die gräflichen Rechte nicht nur in der unmittelbaren Umgebung ihrer Kirche, sondern darüber hinaus in weiterem Umkreise in ihre Hand zu bringen. Die Frage, inwieweit ihnen das gelungen ist, wird bei dem höchst ungenügenden Stand der Überlieferung vielleicht niemals eine völlig befriedigende Antwort finden. Spricht auf der einen Seite manches dafür, dass schon unter Ansgar auf erzbischöflichem, der Grafengewalt entzogenem Grunde sich eine Marktansiedelung gebildet hat, und erzählt auch der Geschichtsschreiber Adam von Bremen von der Tätigkeit der Erzbischöfe Unwan, Bezelin Alebrand und Adalbert in einer Weise, die sie als Herren der zu einem städtischen Gemeinwesen entwickelten Hammaburg erscheinen lassen könnte, so sind doch auf der anderen Seite Gründe genug vorhanden, die es zweifelhaft machen, ob sich ihre Herrschaft rechtlich über den engeren Dombezirk hinaus erstreckt hat. Wirklich sind sie allem Anschein nach in Hamburg zu keiner Zeit Stadtherrn in demselben Sinne gewesen, wie sie es in Bremen seit dem 10. Jahrhundert unbestritten waren. Sie haben hier ihre Ansprüche gegenüber den Männern, die die gräfliche Gewalt innehatten, nicht entscheidend durchzusetzen vermocht, haben vielmehr stets mit der entgegenstehenden Macht dieser Männer zu rechnen gehabt. Von den politischen Verhältnissen und von der Stärke der sich aneinander reibenden Persönlichkeiten hing es ab, welcher von den beiden Nebenbuhlern den größeren Einfluss in der Stadt hatte.

Dass gegenüber einem geborenen Herrscher, wie Erzbischof Adalbert es war, der weltliche Machthaber einen schweren Stand hatte, leuchtet ein. In der Tat gelang es Adalbert, seinen Gegenspieler, den sächsischen Herzog Bernhard II. aus dem mit dem Namen Billinger bezeichneten Geschlechte, der damals die gräfliche Gewalt in Hamburg ausübte, zu verdrängen. Dieser ließ das Schloss, das er in Hamburg besaß, im Stich und zog sich auf das gegenüberliegende Ufer der Alster zurück, wo er unweit ihrer Einmündung in die Elbe eine neue befestigte Niederlassung, eine neue Burg, errichtete. Hier liegt der Ursprung der späteren Entwicklung Hamburgs. Denn an dieser Stelle gründete nach Verlauf von mehr als einem Jahrhundert Graf Adolf III. aus dem Hause Schauenburg, das im Jahre im die Nachfolge der Billinger in den Grafschaften Holstein und Stormarn angetreten hatte, eine Marktansiedelung, indem er den Grund und Boden der Burg und ihrer Umgebung unter Marktrecht an Kaufleute aufteilen ließ. Er tat damit den entscheidenden Schritt, der Hamburg zu einer Handelsstadt gemacht hat. Ein von Kaufleuten der verschiedensten Gegenden besuchter Hafen sollte hier nach seinem ausgesprochenen Willen entstehen. Ihm die Möglichkeit ungehinderter Entfaltung zu geben, hat er den Kaiser Friedrich Barbarossa zu jenem berühmten, vom 7. Mai 1189 datierten Privilegium veranlasst, das den Bürgern der neuen Stadt Hamburg neben anderen wichtigen Zugeständnissen das bedeutsame Recht gab, den Elbstrom auf der Strecke von der Mündung bis zur Stadt und umgekehrt mit ihren Waren zollfrei zu befahren.

Die Gründung der Neustadt Hamburg und ihre Förderung durch den Grafen und den Kaiser steht wahrscheinlich in ursächlichem Zusammenhange mit dem Aufblühen der Handelsstadt Lübeck, einer Schöpfung Heinrichs des Löwen, deren erstaunlich schnelle Entwicklung auch durch den Sturz ihres Gebieters nicht aufgehalten wurde. Lübeck, seit dem Jahre 1181 eine kaiserliche Stadt, brauchte für die Entfaltung seines Handels einen Nordseehafen, und dieser wurde ihm in Hamburg gegeben, das, am Ausflusse der Alster in die Elbe gelegen, an einer Stelle, an der sich noch der Wechsel zwischen Ebbe und Flut bemerkbar macht, zugleich durch eine Landstraße mit Lübeck verbunden, hervorragend geeignet war, als Umschlagsplatz, Ein- und Ausfuhrhafen für den lübeckischen Warenverkehr zwischen Nordsee und Ostsee zu dienen. Die zukunftsreichen Aussichten, die sich daraus für die Entwicklung der jungen Pflanzstadt sofort ergaben, wurden freilich noch einmal in Frage gestellt, als im Jahre 1201 mit Lübeck und Holstein auch die alte und die neue Stadt Hamburg unter dänische Herrschaft gerieten und im Jahre 1214 von dem deutschen Könige Friedrich II. sogar förmlich an Dänemark ausgeliefert wurden. Zwar war der dänische König Waldemar II., wie er den Wunsch hatte, die alte Stadt Hamburg wieder zum Sitze eines nordischen Erzbistums zu machen, so auf der anderen Seite bemüht, in der neuen Stadt Handel und Wandel zu heben. Aber das gelang ihm nicht. Erst als die unnatürliche Trennung vom deutschen Reich wieder beseitigt war, als die Schlacht bei Bornhöved im Jahre 1227 Holstein aus der dänischen Herrschaft erlöst und dem schauenburgischen Grafen Adolf IV. zurückgegeben hatte, war auch für den Aufstieg Hamburgs die Bahn wieder freigemacht.

Das 13. Jahrhundert wurde, wie für so manche deutsche Stadt, auch für Hamburg das große Jahrhundert seiner mittelalterlichen Geschichte. In ihm machte die städtische Entwicklung so wesentliche Fortschritte, wie während der folgenden Jahrhunderte nicht wieder. Von grundlegender Bedeutung war, dass in ihm der Zusammenschluss der beiden bis dahin unter verschiedenen Rechten getrennt lebenden Städte zu einem Gemeinwesen erfolgte, das aus sich selbst heraus ein zuerst im Jahre 1270 kodifiziertes Stadtrecht schuf. Dieses Gemeinwesen umfasste außer dem St. Petri Kirchspiel, dem Bezirk der alten Stadt, und dem Kirchspiel St. Nikolai, der Gründung Adolphs III., das ihnen im Süden vorgelagerte St. Catharinen und das im Osten zunächst noch vor den Toren gelegene und erst allmählich in die Stadt hineinwachsende St. Jakobi Kirchspiel. Die Verwaltung der Stadt lag in den Händen eines sich selbst ergänzenden Rates, an dessen Spitze anfangs zwei, später vier Bürgermeister standen. Seine Macht war beschränkt auf der einen Seite durch die den Stadtherren, den holsteinischen Grafen, vorbehaltenen Rechte, die durch den gräflichen Vogt wahrgenommen wurden, auf der anderen durch die Befugnisse der Bürgergemeinde, die, sofern sie nicht selbst in Tätigkeit trat, durch einen aus den angesehensten Männern gebildeten Ausschuss, die Wittigsten, vertreten wurde. Das Bestreben des Rates war, nach beiden Seiten hin seine Macht zu erweitern. Es gelang ihm noch im 13. Jahrhundert, die wichtigsten Rechte der Grafen in seine Hände zu bringen und den Vogt, der ehedem den Vorsitz im Gerichte geführt hatte, in eine bedeutungslose Stellung hinabzuzwingen. Die Krönung dieser Bestrebungen war, dass im Jahre 1292 die holsteinischen Grafen die unbeschränkte Vollmacht der Stadt anerkannten, sich selbst Gesetze zu geben und Recht zu setzen. Über die Verteilung der Rechte zwischen dem Rat und der Bürgergemeinde fanden schon im 13. Jahrhundert lebhafte Kämpfe statt. Auseinandersetzungen dieser Art machen in der Folge den wichtigsten Teil der innerpolitischen Geschichte Hamburgs aus.

Wie sich im 13. Jahrhundert das Stadtbild Hamburgs zu der Gestalt formte, die es während des Mittelalters und darüber hinaus im wesentlichen behielt, wie in ihm die Grundzüge der hamburgischen Verfassung und des hamburgischen Rechtes festgelegt wurden, so wurden damals auch die Richtlinien gezogen, die für die Entwicklung Hamburgs als einer Handelsstadt während der nächsten Jahrhunderte maßgebend geblieben sind. Erfolgreiche und dauerhafte Beziehungen zu den wichtigsten handeltreibenden Ländern des Westens und auch des Nordens, zu Flandern, Holland, Brabant, England, Dänemark und Norwegen, werden angeknüpft und ausgebaut. In Utrecht, in Ostkerke bei Brügge, in Staveren, in London, später in Amsterdam entstehen hamburgische Niederlassungen. Hamburg wächst immer fester in die Stellung eines Zwischenmarktes und Umschlagsplatzes nicht nur auf dem über Lübeck führenden Wege zwischen den Ostsee- und den Nordseeländern, sondern auch auf dem Verkehrszuge zwischen den letzteren und einem Teil des inneren Deutschlands hinein und versucht außerdem mit Glück, einen Eigenhandel großzuziehen, der ganz vorwiegend auf der Ausfuhr des in der Stadt gebrauten Biers beruht.

So stellten sich im 13. Jahrhundert die Aufgaben klar heraus, die Hamburg als Nordseehafen in Verbindung mit Lübeck und anderen niederdeutschen Handelsplätzen zu erfüllen hatte. Als daher um die Mitte des folgenden Jahrhunderts unter Lübecks Ägide zum Schutze der Interessen des niederdeutschen Kaufmanns die Städtehanse sich bildete, war Hamburg ihr selbstverständliches, weil unentbehrliches Mitglied.

Die Zugehörigkeit zu der Hanse hat während der nächsten beiden Jahrhunderte die politischen Verhältnisse der Stadt auf das stärkste beeinflusst. Wenn auch die Hanse niemals die völkerrechtliche Stellung einer Territorialmacht eingenommen hat und von einer einheitlichen Bundespolitik nicht die Rede sein kann, so bestimmten doch die bedeutsamen Aufgaben, die ihr gestellt waren, Schutz des Handels und Aufrechterhaltung der Privilegien des deutschen Kaufmanns im Auslande, in erheblichem Maße die Politik der einzelnen Städte und zwangen sie, allen Eigenbrödeleien zum Trotz in größeren oder kleineren Gruppen zu gemeinsamem Handeln sich zusammenzuschließen. Als Mitglied der unter dem Vororte Lübeck stehenden wendischen Städtegruppe, des wichtigsten jener dauernden Verbände, die innerhalb der Hanse sich bildeten, hat die Stadt Hamburg in den grundsätzlichen Fragen, die die Gemeinschaft der Städte in ihrer Blütezeit beschäftigten, ihre Politik in der Regel auf diejenige Lübecks und der übrigen in der wendischen Gruppe mit ihr vereinigten Städte eingestellt, wenn auch ihre geographische Lage und ihre staatsrechtlichen Verhältnisse sie gelegentlich zu abweichenden Schritten zwangen. Schulter an Schulter mit Lübeck hat sie die großen hansischen Kriege durchgekämpft, zu denen die Städte, wie sehr sie ihrem ganzen Wesen nach auch bestrebt waren, ihre Ziele auf friedlichem Wege zu erreichen, sich im 15. Jahrhundert doch genötigt sahen: den Krieg gegen König Brich von Dänemark, der, 1426 begonnen, nach wechselvollem Verlaufe im Wordingborger Frieden vom Jahre 1435 der Hanse die ihr bestrittenen Privilegien im Norden zurückgab; den drei Jahre später ausgebrochenen Krieg mit Holland, der 1441 insofern mit einem Misserfolge der Städte endete, als sie auf die erstrebte Ausschließung der Holländer vom Ostseehandel verzichten mussten; endlich den Seekrieg, den die Hanse unter lebhafter Beteiligung Hamburgs in den Jahren 1472 und 1473 um die Behauptung ihrer englischen Privilegien mit den Engländern führte und dessen siegreicher Ausgang durch den Frieden von Utrecht 1474 bekräftigt wurde.

Neben der Pflicht, an den großen gemeinsamen Unternehmungen sich zu beteiligen, fiel Hamburg unter den Hansestädten die besondere Aufgabe zu, für die Sicherheit der Elbschifffahrt zu sorgen und darüber hinaus auch auf die Befriedung der Nordsee ein wachsames Auge zu haben. In den Jahrhunderten hansischer Größe begann die Elbe recht eigentlich Hamburgs Strom zu werden. Obwohl er die Stadt auch damals noch nicht unmittelbar berührte, verstand diese es doch, ihn ihren Zwecken in immer höherem Maße dienstbar zu machen. Im Interesse von Handel und Schifffahrt, nicht zum wenigsten auch des von ihr in Anspruch genommenen Stapelrechts, suchte sie bis hinauf zu dem Punkte, an dem der Strom in zwei Hauptarme sich gabelte, die Polizei auf ihm auszuüben. Sie übernahm die Last, sein Fahrwasser bis in die Nord seehinein durch Seezeichen kenntlich zu machen. Dass seine Schiffbarkeit auch für tiefer gehende Schiffe nirgends gestört werde, war ihr ein Gegenstand steter Sorge. Von großer Bedeutung für ihre Elbstellung war, dass ihr im Jahre 1394 gelang, den Schlüssel zur Elbmündung, das Schloss Ritzebüttel, mit dem anliegenden Gebiet nach ruhmvollem Kampfe in ihren Besitz zu bringen. Vier Jahrzehnte später ging sie, um dem Seeräuberunwesen auf der Nordsee Halt zu gebieten, sogar dazu über, in kühnem Unternehmen sich der Stadt Emden zu bemächtigen und sich zur Herrin Ostfrieslands zu machen. Doch vermochte sie diesen Stützpunkt an der Nordsee nicht dauernd zu behaupten und ebensowenig gelang es ihr, trotz einiger aussichtsreichen Versuche, weitere Gebiete an dem unteren Laufe der Elbe sich anzugliedern. Dagegen wurde in der Nähe der Stadt selbst eine Reihe von Gebieten erworben, die für die Zukunft Hamburgs und seine Herrschaft über die Elbe von hohem Werte werden sollten. Mehrere Landschaften und Elbinseln wie Billwärder, Moorburg, Ochsenwärder, einen großen Teil von Finkenwärder, um nur die wichtigsten zu nennen, brachte der Rat durch Kauf in seinen Besitz. Gemeinsam mit Lübeck aber wurden im Jahre 1420 das Städtchen Bergedorf und die Vierlande den Herzögen von Sachsen-Lauenburg in siegreichem Kampfe abgenommen und damit weite Gebiete am oberen Lauf der Elbe gewonnen. Auch in anderer Richtung dehnte die Stadt ihre Herrschaft aus. Schon in den Jahren 1306 bis 1310 hatte sie die ganze Alster in ihren Besitz gebracht; diesen zu sichern, erwarb sie im 15. Jahrhundert mehrere holsteinische Landesteile, die im Flussgebiet der oberen Alster belegen waren.

Die Kraftentfaltung, die in den erwähnten und anderen Unternehmungen zu Tage tritt, nötigt zur Bewunderung, wenn man bedenkt, dass die hamburgische Bevölkerung im Mittelalter wahrscheinlich bei weitem nicht die Zahl 20.000 erreichte. Sie setzt die ganze Tatkraft, politische Schulung und Selbständigkeit im Handeln voraus, die den führenden Persönlichkeiten in so manchen der seit dem 12. Jahrhundert wunderbar schnell erblühten deutschen Städten eigen waren. Sie wurde ermöglicht, obwohl die Männer, denen die politische Leitung Hamburgs anvertraut war, auf ihrem Wege besondere Schwierigkeiten fanden, die sich aus der staatsrechtlichen Stellung ihrer Vaterstadt ergaben. Denn diese galt als Glied der Grafschaft, dann des Herzogtums Holstein, und wenn auch der Rat es verstanden hatte, die meisten und wichtigsten gräflichen Rechte in seine Hand zu bringen, und Hamburg zeitweilig eine völlig freie Stadt zu sein schien, so blieb es formell doch eine holsteinische Landstadt, die freilich in weitgehendem Maße privilegiert war. Versuche, die der Rat im 14. Jahrhundert machte, die Stadt aus dem holsteinischen Verbände zu lösen und ihr die Reichsfreiheit zu erwerben, scheiterten. Dass die deutschen Kaiser sie gelegentlich als reichsunmittelbar behandelten, nützte nichts. Die holsteinischen Fürsten ließen ihre Ansprüche auf Hamburg nicht fallen; diese wurden vielmehr noch stärker geltend gemacht, seitdem nach dem Aussterben der Hauptlinie des schauenburgischen Hauses im Jahre 1459 die dänischen Könige als Grafen, dann als Herzöge in Holstein geboten. Mit ihnen hatte die hamburgische Politik stets sehr bestimmt zu rechnen. Hamburg geriet dadurch in eine Zwitterstellung zwischen dem Reich und Dänemark und hat der Not gehorchend nicht selten seinen Vorteil darin suchen müssen, die eine Seite gegen die andere auszuspielen.

Die Leitung der politischen Schicksale der Stadt war in die Hände des Rates gegeben, unter dessen Mitgliedern sich wiederholt Männer von feinem politischem Instinkte und ausgezeichneten diplomatischen Fähigkeiten befunden haben. In gewissen wichtigen Dingen war er zwar gewohnheitsmäßig gebunden an die Zustimmung der Bürger oder ihrer Vertreter, unter denen vor allem die Kirchengeschworenen und die Werkmeister der Handwerksämter namhaft gemacht werden. Doch trug das aristokratische Prinzip, das die Hanse vertrat, zunächst dazu bei, dass seine Macht in den äußeren wie in den inneren Angelegenheiten der Stadt eine Steigerung erfuhr. Schon gegen Ende des 14. Jahrhunderts regte sich aber in der Bürgerschaft starker Widerspruch dagegen, und in den Jahren 1410, 1458 und 1483 kam es zu ernsten Unruhen, die, von aufrührerischen Elementen angestiftet, doch jedesmal dank dem Eingreifen besonnener Männer in vernünftige Bahnen gelenkt und durch Vereinbarungen zwischen Rat und Bürgerschaft bald beigelegt wurden. Als Rezesse bezeichnet haben diese insofern die Geltung von Verfassungsurkunden gewonnen, als sie wichtige Bestimmungen über die Rechte des Rates und der Bürgerschaft schriftlich festlegten. Systematischer und tiefer noch als die genannten Vereinbarungen griff in das hamburgische Staatsleben der Rezess vom 19. Februar 1529 ein, der in innigster Verbindung mit der Einführung der Reformation in Hamburg stand. Ohne allzu gewaltsame Erschütterungen hatte sich die lutherische Lehre im Jahre 1528 in Hamburg endgültig durchgesetzt. Ihr Sieg über den Katholizismus war unter der begeisterten Zustimmung und mit der vorwärtsdrängenden Unterstützung der Bürgerschaft erfolgt und bedeutete zugleich eine unzweifelhafte Stärkung des bürgerlichen Elementes gegenüber dem Rate. In eigenartiger Verknüpfung mit der kirchlichen Neuordnung und in folgerechter Weiterentwicklung vorhandener Einrichtungen entstand eine Verfassung, die die Vorsteher der Gotteskasten und die Geschworenen in den einzelnen Kirchspielen zu Trägern politischer Rechte neben dem Rate berief und in den zwölf — seit dem Hinzutritt des St. Michaeliskirchspiels im Jahre 1685 fünfzehn — Oberalten, den 48ern (66ern) und den 144ern (180ern) ständige Kollegien schuf, die als Mittler zwischen dem Rate und der Bürgergemeinde in der ferneren Entwicklung der Stadt eine wichtige Rolle gespielt haben. Ihre Rechte wurden durch den erwähnten Rezess vom 19. Februar 1529 bekräftigt, der in seinen 132 Artikeln eine Reform auf den verschiedensten Gebieten des hamburgischen Lebens erstrebte. Drei Monate nach seinem Zustandekommen wurde auch die Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse zum Abschluss gebracht durch die hamburgische Kirchenordnung, die der zu ihrer Ausarbeitung nach Hamburg berufene Freund Luthers Dr. Johannes Bugenhagen verfasst hatte. Die Errungenschaften der Reformation zu schützen, insbesondere gegenüber den Anfechtungen des hamburgischen Domkapitels, das, seines bisherigen Einflusses beraubt, die Stadt beim Reichskammergericht auf Wiederherstellung der alten Zustände verklagte, trat Hamburg am 29. Januar 1536 dem Schmalkaldischen Bunde bei. Ihr Schicksal mit den Handlungen dieses Bundes verknüpfend nahm die Stadt an dem Schmalkaldischen Kriege teil, dessen unglücklicher Ausgang sie zwang, am 15. Juli 1547 zu Nürnberg einen demütigenden Frieden mit dem Kaiser zu schließen. Trotzdem gelang es dem Rate und der Bürgerschaft, den evangelischen Zustand der Stadt bis zum Augsburger Religionsfrieden des Jahres 1555, der die Gleichberechtigung des Protestantismus mit dem Katholizismus anerkannte, hinüberzuretten.

Die großen Opfer, die die Anstrengungen zur Behauptung der evangelischen Lehre gekostet hatten, brachten Hamburg in eine so schwere finanzielle Bedrängnis, dass eine Katastrophe drohte und der Rat sich im Jahre 1563 genötigt sah, die Verwaltung der Kämmerei aus den Händen zu geben und acht Vertretern der Bürgerschaft zu überlassen. Um dieselbe Zeit zwang die durch den Niedergang der Hanse und den starken Rückgang der hamburgischen Bierausfuhr verursachte Schwächung des wirtschaftlichen Lebens der Stadt, nach neuen Wegen zur Hebung des Handels zu suchen. Man entschloss sich zu einer bewussten Abkehr von den alten hansischen Prinzipien, die darauf gerichtet waren, fremde Handelsvölker nach Möglichkeit aus dem von der Hanse in Anspruch genommenen Machtbereich fernzuhalten. Hamburg trennte sich damit von der an der alten Tradition festhaltenden Politik Lübecks, zu der es sich seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts schon wiederholt in starkem Gegensatze befunden hatte. Zuerst im Jahre 1567, dann endgültig 1611 öffnete es unter dem erbitterten Widerspruche Lübecks und anderer Hansestädte einer geschlossenen Niederlassung der englischen merchants adventurers seine Tore, ein Schritt, dessen Nutzen, wie wir heute wissen, schwerlich im Verhältnis zu dem Schaden stand, den er dem aktiven Handel Deutschlands und Hamburgs selbst zufügte, ein Schritt, der überdies der politischen Stellung Hamburgs in der Folge manche Schwierigkeiten bereiten sollte. Weit fruchtbarer für den hamburgischen Handel erwies sich die Aufnahme niederländischer Flüchtlinge, die, ihres reformierten Glaubens wegen vertrieben, in Hamburg eine neue Heimat fanden und nicht, wie die englische Court bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1806, einen Fremdkörper in Hamburg bildeten, sondern wertvolle, mitschaffende Elemente im hamburgischen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsleben wurden. Wie durch sie dem hamburgischen Handel mit den Niederlanden eine mächtige Aufwärtsentwicklung gesichert wurde, so dankte die Stadt flüchtigen portugiesischen Juden, denen sie um dieselbe Zeit wie den Niederländern ein Asyl gewährte, den Aufschwung ihres Handels mit der pyrenäischen Halbinsel.

Indem Hamburg so seine eigenen Wege ging, indem es seinem Handel neue Bahnen eröffnete und neue besonders geartete Verbindungen anknüpfte, wurde aus ihm der größte deutsche Seehandelsplatz, zugleich ein Platz von internationaler Bedeutung, an dem sich deutsche Interessen mit denen fremder Handelsnationen begegneten. Nun bildete sich aus Hamburg der Stadtstaat von politischer Geltung, dessen Lenkern die schwierige Aufgabe zufiel, das Staatsschiff durch die Klippen der einander häufig widerstrebenden Anforderungen fremder Mächte hindurchzusteuern. Der klugen und geschmeidigen Politik des Rates ist es gelungen, dieser Aufgabe Herr zu werden, bis im Anfange des 19. Jahrhunderts seine Staatskunst an dem ehernen Willen des großen Korsen zerschellte.

Die hamburgische Politik strebte danach, in allen Streitigkeiten und Kriegen der europäischen Mächte die Neutralität der Stadt nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten. Sie hat, wenn auch ernste und selbst demütigende Konflikte dabei nicht ausblieben, doch im großen und ganzen in der Verfolgung dieses Ziels ihren Vorteil gefunden. Das zeigte, um ein augenfälliges Beispiel anzuführen, der dreißigjährige Krieg, in dem der Rat, wiewohl er nicht versäumte, die Stadt in verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen, mit Erfolg bemüht war, zwischen der kaiserlichen und der protestantischen Partei neutral zu bleiben. Diese Politik, der Hamburg es mit zu danken hatte, dass es von den Schrecknissen des verheerenden Krieges nur wenig merkte, ja dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse auch in dieser Zeit sich eher aufwärts entwickelten als zurückgingen, musste dem Rate um so näher liegen, als eins der Häupter des Protestantismus, der dänische König Christian IV., ein erbitterter Feind der Stadt war und nicht ohne merkliche Erfolge danach strebte, Hamburgs Handel und Schifffahrt zu unterdrücken, die Hoheit über die Elbe für sich zu erringen und der hamburgischen Freiheit den Todesstoß zu versetzen. Obwohl ein reichskammergerichtliches Urteil im Jahre 1618 die Reichsstandschaft und Reichsunmittelbarkeit der. Stadt anerkannte, betonte Christian IV. schärfer als irgendeiner seiner Vorfahren ihre Zugehörigkeit zum Herzogtum Holstein. Er zwang den Rat zu weitgehenden Zugeständnissen. Ebensowenig aber, wie es ihm schließlich gelang, Hamburg von der Elbe zu verdrängen — mit allen Mitteln, unterstützt durch ein am 3. Juni 1628 ihm vom Kaiser erteiltes Privileg suchte es seine Elbstellung zu behaupten — , ebensowenig vermochte er seine gegen die Selbständigkeit der Stadt gerichteten Absichten in die Tat umzusetzen. Auch seinem Enkel Christian V., der die Pläne des Großvaters noch einmal mit aller Energie aufnahm und im Jahre 1686 durch eine Belagerung Hamburg in die höchste Not brachte, gelang sein Vorhaben nicht. Dank der Entschlossenheit der Bürger, dank vor allem dem tatkräftigen Eingreifen des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg und des großen Kurfürsten von Brandenburg musste Christian V. die Belagerung der Stadt aufgeben und auf seine Absicht, sie zu demütigen und zur Erbhuldigung zu zwingen, Verzicht leisten.

Das Attentat des dänischen Königs war umso gefährlicher, als es in einem Augenblick geschah, in dem eine tiefgehende Zwiespältigkeit in der Stadt herrschte. Seitdem im Jahre 1529 die Bürgerschaft in den Kollegien ständige bürgerliche Vertretungen mit bestimmten Rechten und der Aufgabe, die öffentlichen Angelegenheiten zu kontrollieren, geschaffen hatte, war sie unaufhörlich darauf bedacht gewesen, ihre Macht weiter zu stärken und der Verfassung und Verwaltung der Stadt eine immer entschiedenere demokratische Richtung zu geben. Ein sehr wichtiger Schritt auf diesem Wege war die schon erwähnte im Jahre 1563 vollzogene Übertragung der Kämmerei auf acht Bürger gewesen, die notwendigerweise eine Vermehrung des bürgerlichen Einflusses auf allen Gebieten der städtischen Verwaltung zur Folge gehabt hatte. Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts setzten rücksichtslose Versuche der Bürgerschaft ein, die Macht in der Stadt an sich zu reißen. Die bürgerlichen Konvente, zu denen ehemals außer den Werkmeistern der Zünfte und den Mitgliedern der Kollegien nur wirklich erbgesessene, d. h. grundbesitzende Bürger Zutritt gehabt hatten, veränderten, um so mehr als der Begriff der Erbgesessenheit unklar geworden war, ihren Charakter. Sie wurden von zahlreichen unberechtigten Elementen besucht und der Schauplatz tumultuarischer Auftritte und zügelloser Angriffe gegen den Rat. Dieser verlor schließlich das Heft aus den Händen und musste die Herrschaft im Jahre 1685 mit einer Kommission von dreißig Männern teilen, an deren Spitze Cord Jastram und Hieronymus Snitger, von der Volksgunst getragen, eine Zeitlang als eigentliche Herren der Stadt standen. Es war ihr Verhängnis, dass sie sich in zum mindesten unvorsichtiger Weise mit dänischen Agenten einließen: Das Erscheinen Christians V. vor der Stadt öffnete der Bürgerschaft die Augen und hatte den Sturz und die Hinrichtung der beiden Volksführer zur Folge. Aber der innere Zwist, nur kurze Zeit durch eine Reaktion niedergehalten, brach bald von neuem aus und versetzte die Stadt in einen Zustand krassester Unordnung, wildester Zügellosigkeit, widerwärtigster Treibereien. Erst einer kaiserlichen Kommission unter der Führung des Grafen Hugo Damian von Schönborn gelang es in den Jahren 1708 bis 1712, die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen und durch die Ausarbeitung einer neuen Verfassung den Streit zwischen dem Rate und der Bürgerschaft um die oberste Gewalt beizulegen.

Diese Verfassung, die in dem Hauptrezess vom 15. Oktober 1712 und seinen Beilagen niedergelegt ist; verkündete die berühmte Formel, dass das ,,Kyrion", die höchste Gewalt, in untrennbarer Verbindung bei dem Rate und der erbgesessenen Bürgerschaft gemeinsam beruhen sollte. Sie setzte im übrigen die Rechte dieser beiden Träger der hamburgischen Souveränität genau fest, traf Bestimmungen über den Begriff und die Zusammensetzung der erbgesessenen Bürgerschaft und stattete, in organischer Weiterbildung des Bestehenden, die zwischen dem Rate und der Bürgerschaft eingeschobenen bürgerlichen Kollegien mit wichtigen staatsrechtlichen Befugnissen aus.

Viel bewundert, hat die Verfassung von 1712, von der gerühmt wurde, dass in ihr die Bedürfnisse eines Stadtstaates einen vollkommenen und harmonischen Ausdruck gefunden hätten, fast anderthalb Jahrhunderte hindurch bestanden und lange Zeit den inneren Frieden in Hamburg gewährleistet. Unter ihrem Schutze hat die Stadt sich im 18. Jahrhundert reich und glücklich entwickelt, obwohl auch in ihm es an äußeren politischen Schwierigkeiten keineswegs gefehlt hat. Der nordische und später der siebenjährige Krieg verursachten wiederholt Konflikte mit einzelnen der beteiligten Mächte und stellten den Rat vor Aufgaben, die sich nicht immer ohne große Opfer und selbst Demütigungen lösen ließen. Das Verhältnis zum kaiserlichen Hofe erlitt mehrfach schwere Trübungen. Vor allem blieben die Beziehungen zu Dänemark sehr gespannt, und die dänischen Zumutungen und Ansprüche bildeten dauernd einen Gegenstand schwerer Sorge für die Leiter der hamburgischen Politik, bis ihnen schließlich gerade in diesem Punkte dank dem Zusammentreffen verschiedener günstiger Umstände ein großer und unerwarteter Erfolg gelang: im Gottorper Vergleich vom 27. Mai 1768 ließen Dänemark und das Haus Holstein-Gottorp ihre Ansprüche auf die Stadt Hamburg fallen, deren Stellung als freie Reichsstadt nunmehr unbestritten war. Der Vergleich brachte Hamburg überdies in den gegenüber am südlichen Elbufer gelegenen Inseln und Wärdern einen Gebietszuwachs, dessen unschätzbarer Wert für die Erweiterung der Hafenanlagen sich in späteren Zeiten herausstellen sollte.

Das große weltgeschichtliche Ereignis, das dem ausgehenden 18. Jahrhundert den Stempel aufdrückte, die französische Revolution, brachte zwar in einzelnen Kreisen hamburgischer Idealisten die Geister in lebhafte Erregung, ließ aber im übrigen die Bevölkerung kalt und übte auf die verfassungsmäßigen Zustände der Stadt keinen Einfluss aus. Dagegen hatte es zusammen mit dem nordamerikanischen Freiheitskrieg zunächst einen glänzenden Aufschwung des hamburgischen Handels zur Folge. In seiner weiteren Entwicklung aber, besonders seitdem der Kampf, den das revolutionäre Frankreich mit Europa aufnahm, sich immer mehr zu einer Auseinandersetzung mit England zuspitzte, steigerte es die politischen Schwierigkeiten Hamburgs in erdrückendem Maße. Ein Opfer der gegen England gerichteten Politik Napoleons brach die Selbständigkeit der Stadt, die seit der Auflösung des deutschen Reichs im Jahre 1806 ein dem Namen nach völlig souveräner Staat war, in Wirklichkeit aber schon damals unter französischer Vormundschaft stand, schließlich zusammen. Durch Dekret vom 13. Dezember 1810 wurde sie dem französischen Kaiserreich einverleibt, um nun in Jahren der Fremdherrschaft den Kelch bitterster Erfahrungen und Leiden auszukosten. Die im März 1813 mit russischer Hilfe gelungene Abschüttelung des Joches hatte nur kurzen Erfolg. Schon am 30. Mai war Hamburg wieder in den Händen der Franzosen und erst ein volles Jahr später schlug nach einem überaus harten und entbehrungsreichen Winter die endgültige Befreiungsstunde für die erschöpfte, ausgesogene, entvölkerte und verarmte Stadt.

Auf eine mehr als tausendjährige Geschichte konnte sie damals zurückblicken. Wechselvoll genug hatte diese Geschichte sich gestaltet. An großen Schicksalen hatte es nicht gefehlt. Niemals aber, seitdem die ersten Jahrhunderte des Ringens gegen dänische und slawische Eroberungssucht vorüber waren und Hamburg seinen wahren Beruf gefunden hatte, war ihm ein gleich tiefer Fall bereitet worden, wie durch die französische Fremdherrschaft. Allein das Unglück stählte die dem hamburgischen Gemeinwesen innewohnenden Kräfte. Jetzt zeigte sich, was eine große und ruhmvolle Tradition bedeutet, was tief eingewurzelte Liebe zur Heimat gilt, was eine jahrhundertelange Erziehung zur Mitarbeit im Staatsleben und das Festhalten an einem klar erkannten Ziel zu wirken vermögen.

      Lass Flammen dich verzehren,
      O Hamburg reich und schön,
      Man wird in jungen Ehren
      Dich Phönix wiedersehn!


Schöner ist nie eine Prophezeiung in Erfüllung gegangen als diese, die Max von Schenkendorf der daniederliegenden Stadt nach dem Ende der Franzosenzeit zurief, denn einer ungeahnten Blüte sollte sie im Laufe des 19. Jahrhunderts entgegengehen.

Gewiss, leidenschaftliche Parteikämpfe innerhalb der hamburgischen Bevölkerung, Reibungen und heftige Auseinandersetzungen mit auswärtigen Gewalten, Hemmungen durch erschütternde Katastrophen sind auch in der Folge nicht ausgeblieben. Wenn trotzdem jener Aufschwung sich vollzog, so wurde das neben der Tüchtigkeit und dem Unternehmungsgeist der hamburgischen Kaufleute dem Umstände verdankt, dass Rat und Bürgerschaft entgegenstehende Schwierigkeiten zu überwinden, die Gunst äußerer Verhältnisse auszunutzen verstanden und dass in entscheidenden Momenten der einsichtige Wille, das Beste der Vaterstadt zu fördern, stets über Sonderwünsche, so heftig sie auch hervorgetreten sein mochten, den Sieg davontrug.

Das große Problem, das das 19. Jahrhundert der inneren hamburgischen Politik stellte, war, ,,die verjüngenden Keime", die nach einem Ausspruche des Rates ,,die Weisheit der Väter in die Verfassung gelegt hatte", zu entwickeln, die Verfassung mit den Ideen der Zeit in Einklang zu bringen. Schon vor der Befreiung der Stadt von den Franzosen waren Stimmen laut geworden, die auf eine Abänderung veralteter Vorschriften der Verfassung drangen und diese mit modernem Geiste erfüllt zu sehen wünschten. Aber wenn auch in dem ersten nach dem Abzug der Franzosen gehaltenen Rat- und Bürgerkonvent vom 27. Mai 1814 eine Reorganisationsdeputation niedergesetzt wurde, die in dem sogenannten Testament der Zwanziger dem Rate eine Reihe von Abänderungsvorschlägen überreichte, so blieb doch im wesentlichen alles beim Alten, und die reaktionäre Strömung, die sich sehr bald mit lähmendem Drucke in Deutschland bemerkbar machte, schuf vollends eine ungünstige Atmosphäre für die Durchführung von Neuerungen, wie sie nach dem Erlebnis der Befreiungskriege so manchem Patrioten vorgeschwebt hatten. Erst das furchtbare Unglück des großen Brandes, der in den Tagen vom 5. bis 8. Mai 1842 ein Fünftel der Stadt in Schutt und Asche verwandelte und nach Jahren fast harmlosen Stilllebens zum ersten Male wieder die ganze Bevölkerung aufrüttelte und sie vor eine Fülle großer Aufgaben stellte, brachte auch die Verfassungsfrage wieder in Fluss. Indessen konnte der Senat sich auch jetzt nicht entschließen, dem ihm ausgesprochenen Wunsche, bei der Bürgerschaft die Niedersetzung einer Kommission zur Prüfung der Verfassung zu beantragen, Folge zu leisten. Dann aber zwangen die Ereignisse des Jahres 1848 ihn, der Einsetzung einer konstituierenden Versammlung seine Zustimmung zu erteilen. Doch gelängte die radikale, rein demokratische Verfassung, die diese Konstituante ausarbeitete, nicht zur Einführung, und auch die gemäßigtere, die sodann von vier Mitgliedern des Senats und fünf der Bürgerschaft in gemeinsamer Arbeit entworfen wurde, vermochte sich nicht durchzusetzen. Erst nach zehnjährigem schwerem Ringen gelang es, das mühevolle Werk zustande zu bringen. Am 28. September 1860 wurde die neue Verfassung publiziert. Sie stellte neben den aus lebenslänglichen Mitgliedern bestehenden Senat eine aus Wahlen hervorgehende Bürgerschaft, der die höchste Staatsgewalt mit dem Senate gemeinschaftlich zustehen und die auch bei den Senatswahlen mitwirken sollte. Die Verteilung der Gewalten im hamburgischen Staate fand in der Weise statt, dass dem Senate und der Bürgerschaft die gesetzgebende, dem Senate allein die vollziehende, die gerichtliche aber den Gerichten übertragen wurde. Mit der letzten Bestimmung, die dem Senate auch die ihm bis dahin noch verbliebenen richterlichen Funktionen nahm, war endlich die seit dem Anfange des Jahrhunderts immer wieder erhobene Forderung einer vollständigen Trennung der Justiz von der Verwaltung restlos durchgeführt. Eine andere einschneidende Maßregel traf die Verfassung dadurch, dass sie die seit der Reformation bestehende enge Verbindung zwischen dem Staate und der evangelisch-lutherischen Kirche löste. In einem Gesetz vom 9. Dezember 1870 erhielt diese ihre eigene Verfassung. Dem Staate verblieben außer der Oberaufsicht, die er über sämtliche religiöse Gemeinschaften ausübte, ihr gegenüber nur gewisse Schutzrechte.

Inzwischen hatten sich auch in der äußeren Stellung der Stadt und den mit ihr verknüpften Befugnissen schwerwiegende Wandlungen vollzogen.

In die Wiener Bundesakte vom 8. Juni 1815 aufgenommen, hatte Hamburg seitdem einen souveränen Staat des deutschen Bundes gebildet. Als solcher hatte es wie alle Bundesmitglieder das Recht und die schwere Pflicht behalten, eine selbständige äußere Politik zu treiben, die nur nicht gegen die Sicherheit des Bundes und seiner Angehörigen gerichtet sein durfte. Obwohl es immer wieder hatte empfinden müssen, was es bedeutet, keine wirkliche nationale Macht hinter sich zu haben, hatte es doch namentlich auf dem Gebiete einer dem Handel dienenden Vertragspolitik manche nicht unerhebliche Erfolge buchen können. Dem im Jahre 1825 mit Großbritannien vereinbarten Handelsvertrag folgte eine lange Reihe von Verträgen mit europäischen und außereuropäischen Staaten, die zum Teil dem deutschen Handel ganz neue Wege eröffneten und als deren letzter der Handels- und Schifffahrtsvertrag mit Frankreich vom Jahre 1865 zu nennen ist. Die meisten von ihnen hat Hamburg gemeinsam mit Lübeck und Bremen abgeschlossen. Diese drei Städte betrachteten sich als Erben der im 17. Jahrhundert auseinander gefallenen Hanse. Die hansischen Traditionen waren in ihnen niemals erloschen und hatten ihr Gemeinschaftsgefühl gestärkt, seitdem die Not der Franzosenzeit ihnen gleiche Schicksale bereitet und seitdem zuerst die Auflösung des deutschen Reiches, dann ihre Aufnahme als souveräne Glieder in den deutschen Bund ihnen gezeigt hatte, wie wichtig es für sie als kleine Staaten sei, sich zur Vertretung gemeinsamer Interessen zusammenzuschließen.

Der Sorge um eine eigene auswärtige Politik sahen die Städte sich überhoben, als die deutsche Einheit, lange ein Traum, zur Wirklichkeit wurde. Die Notwendigkeit, in den Wandlungen der Einheitsbewegung Stellung zu der Politik des Bundes und der beiden deutschen Großmächte zu nehmen, hatte die führenden hamburgischen Politiker in den Jahrzehnten, die diesem Ereignis vorangegangen waren, vor schwierige und häufig recht unerfreuliche Aufgaben gestellt. An der Sehnsucht, das große Ziel zu erreichen, hatte es auch in Hamburg niemals gefehlt. Sie war 1848 und ganz besonders bei Gelegenheit der Schillerfeier im Jahre 1859 zu ergreifendem Ausdruck gelangt. Die Wege aber, die schließlich zu der Einigung führten, fanden nicht durchweg die Billigung Hamburgs. Zu dem von Preußen ins Leben gerufenen deutschen Zollverein, der eine wichtige Rolle in der deutschen Einheitsbewegung gespielt hat, stand Hamburg aus wirtschaftlichen und handelspolitischen Gründen in einem natürlichem Gegensatz, und die großdeutschen Sympathien, die in der hamburgischen Bevölkerung herrschten, erfuhren noch im Jahre 1857 dadurch eine mächtige Stärkung, dass Österreich seine hilfreiche Hand ausstreckte, um die Stadt vor den verderblichen Folgen einer schweren Handelskrisis zu bewahren. Trotzdem traten Senat und Bürgerschaft 1866 in dem Konflikte zwischen den beiden deutschen Großmächten nach anfänglichem Schwanken auf die Seite Preußens und retteten dadurch die staatliche Selbständigkeit Hamburgs in den norddeutschen Bund und das im Jahre 1871 ihm folgende deutsche Kaiserreich hinüber. Die Verfassung des neuen Reiches räumte der ihm als Bundesstaat angehörenden freien und Hansestadt Hamburg insofern ein Sonderrecht ein, als sie ihr die Befugnis zugestand, als Freihafen außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze zu bleiben, bis sie ihren Einschluss beantragen würde. Erst der 29. Oktober 1888, an dem sie unter Beibehaltung eines Freihafenbezirks in das deutsche Zollgebiet eintrat, hat diesem Zustand ein Ende gemacht und eine störende Schranke beseitigt, die bis dahin zwischen Hamburg und dem Reiche noch bestand.

Mit Genugtuung konnte die Stadt damals auf die bedeutsame Entwicklung zurückblicken, die sie in den sieben Jahrzehnten seit dem Ende der Franzosenzeit durchgemacht hatte. Ihre Bevölkerung, die im Jahre 1815, auf das ganze Staatsgebiet berechnet, etwa 120.000 Seelen betragen hatte, war um das vier- bis fünffache, der Raumgehalt ihrer Schiffe seit dem vierten Jahrzehnt des Jahrhunderts fast um das dreizehnfache, das Gewicht der jährlichen Ein- und Ausfuhr seit dem Jahre 1850 um mehr als das siebenfache gestiegen.

Und doch wurde das alles in den Schatten gestellt durch den glänzenden wirtschaftlichen Aufschwung, den Hamburg in dem Vierteljahrhundert nach dem Zollanschluss erlebte. Ihm haben auch so schwere Störungen, wie die unheilvolle Choleraepidemie im Jahre 1892 und der gewaltige Hafenarbeiterstreik in den Jahren 1897 und 98, die der Stadt blutige Wunden schlugen, nur auf kurze Zeit unterbrechen können, denn überraschend schnell hat sie diese Katastrophen überwunden und sich von ihnen erholt. Unablässig und erfolgreich hat sie an der Aufgabe gearbeitet, Deutschland den ersten Seehafen des Kontinents zu erhalten. Dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es nicht nur kaufmännischer Tüchtigkeit, nicht nur technischen Könnens, sondern nach wie vor auch politischer Köpfe, die die Fähigkeit besaßen, in Verhandlungen zäh und klug das Mögliche zu erkennen und durchzusetzen. Die mit Preußen abgeschlossenen Staatsverträge vom 19. Dezember 1896 und 14. November 1908, die die Strom- und Schifffahrts-Verhältnisse auf der Elbe regelten, für eine Verbesserung des Fahrwassers sorgten und Hamburg die Möglichkeit gaben, seine Häfen zu erweitern, legten Zeugnis davon ab, dass es der Stadt nicht an führenden Männern gebrach, die es verstanden, ihren Handelsbedürfnissen, die richtig gesehen mit denen Deutschlands zusammenfielen, gerecht zu werden.

So, dem deutschen Kaiserreich als wertvolles Glied fest eingefügt, im Innern dank einer gewiss nicht fehlerlosen, aber verständigen und entwicklungsfähigen Verfassung geordneter Zustände sich erfreuend, bestrebt, immer weitere Kreise zur Mitarbeit an den Aufgaben des Staates heranzuziehen, schien Hamburg bei steigendem Wohlstand seiner Bevölkerung einer ferneren glücklichen Zukunft entgegenzugehen. Da brach der Weltkrieg aus, und seine entsetzlichen Folgen vernichteten, was Generationen geschaffen hatten. Hamburgs Handelsblüte ist geknickt, sein inneres Leben gestört, seine Zukunft schwarz verhüllt. In diesem Elend kann die schicksalsreiche hamburgische Geschichte als Trösterin dienen. Ein Blick auf sie stärkt das Vertrauen, dass es der Stadt dank ihren natürlichen Vorzügen und der Betriebsamkeit ihrer Bevölkerung gelingen werde, wie aus so vielen anderen auch aus der gegenwärtigen Krisis dereinst siegreich und neu gekräftigt hervorzugehen.