Entwicklung des Stadtbildes von Oberbaudirektor Prof. Dr. Fritz Schumacher

Wenn man von der Entwicklung eines Stadtbildes spricht, handelt es sich um die Vereinigung, die sich im Laufe der Zeit aus der Natur-Anlage eines Stückes Welt mit ihrer technischen Ausgestaltung vollzogen hat. Die Gegebenheiten der Natur spielen dabei in der Regel, insbesondere wo es sich um Städte an den großen Wasserläufen handelt, eine entscheidende Rolle.

Blickt man auf die Stadt Hamburg, so scheint das auch in hohem Maße der Fall zu sein; sieht man aber etwas tiefer in den Gang des historischen Entstehens herein, so erkennt man bald, dass das nur in einem ganz besonderen Sinne zu verstehen ist. Was uns heute als Natur-Vorbedingung der Stadt Hamburg erscheint hat mit den Gegebenheiten der Natur, die einst bestanden, als die Stadt im 9. Jahrhundert gegründet wurde, gar nichts mehr gemein. Alles, was heute an Elementen der Natur in die Wirkungen dieser Stadt hereinspielt, ist von ihr selbst künstlich geschaffen. Sie ist wie vielleicht keine andere Großstadt ganz und gar ein Produkt der technischen Energie ihrer Bewohner.


Ursprünglich lag Hamburg gar nicht an der Elbe; es lag an der Alster und hat die Elbe erst künstlich in unermüdlicher Arbeit an sich herangezogen. Ursprünglich spielte die Alster keine ausschlaggebende Rolle im Stadtbilde: sie ist erst künstlich zur beherrschenden Wasserfläche des ganzen Stadtinnern gemacht worden.

Keiner der Wasserläufe, die heute mit dieser Stadt in irgendwelcher Beziehung stehen, hat seine ursprüngliche Form behalten; alle sind erst durch Menschenhand in das Bett gebracht, das sie heute füllen. Hamburg hat sich seine Natur selbst geschaffen.

Ursprünglich bildete die Elbe bei Hamburg einen tiefen Meerbusen von etwa 8 1/2 km Breite. In dieser Bucht lagerten sich zuerst Sinkstoffe ab, die durch Eindeichungen und Aufhöhungen der Überschwemmung durch die Flut entzogen wurden. So bildete sich neben dem hochgelegenen Siedlungsland der Geest die angeschwemmte Marsch, und die charakteristischste Eigentümlichkeit des landfesten Teiles der Stadt Hamburg trat in die Erscheinung: es ist eine Stadt, die, trotzdem sie in ganz flachem Lande liegt, in zwei verschiedenen Höhenlagen erbautest; da, wo Marsch und Geest sich berühren, stoßen wir auf einen jähen ca. 5 m tiefen Absturz.

Die ganzen Stadtteile, die auf Marschboden entstanden, sind mit unendlicher Mühsal auf tiefgegründetem Pfahlwerk standfest gemacht. Die Hälfte der Baukonstruktion steckt unter der Erde, wie in Venedig.

Ist so das Land als benutzbare Fläche vom Menschen der Natur zäh abgerungen, so gilt vom Wasser als benutzbarer Fläche das gleiche.

Der erste Anlauf zum eigentümlichen Wassercharakter des jetzigen Hamburg, der auf dem Gegensatz des ernsthaft fließenden Stromes der Elbe und des heiteren Binnensee-Eindrucks der Alster beruht, wird im 12. Jahrhundert gemacht: die Schauenburger Grafen errichten 1124 in der Gegend des jetzigen Burstah einen Damm und gliedern so das Gewirr der kleinen Wasserläufe, an dem Hamburg liegt, in einen Teil, der Ebbe und Flut Untertan bleibt und in einen Teil, der zum festen Gewässer wird. Der erste Hafen lag im 12. Jahrhundert weit vom jetzigen Elblauf in der Alster. *)

*) Siehe "Hamburg und seine Bauten", Melhop. Historisch-topographische Übersicht.

Sieben Jahrhunderte lang seit seiner Gründung begnügte sich Hamburg mit der Alsterlage. Erst 1550 wird vermittels des Durchstiches der zwischengelagerten Insel die Elbe für Hamburg gewonnen: die Einfahrt des Hafens liegt nunmehr am Fahrwasser der Elbe. Nun folgte am neueroberten Strom Umgestaltung auf Umgestaltung. Arme des Wassers werden umgeleitet oder trocken gelegt, verbreitert oder kunstvoll beeinflusst in unablässigem Ringen um die Tiefhaltung des Fahrwassers, an das die Zeit immer größere Ansprüche stellt: ein großartiges Schauspiel menschlicher Tatkraft und Beharrlichkeit. Dann erfolgten Einschnitte in das flache Land, die den malerisch gewundenen Lauf des Stromes mit einem System streng technisch gebildeter Hafenbecken und Kaianlagen umgeben: ein großartiges Schauspiel technischer Gestaltungskraft.

Neben diesem noch heute in ständigem Fluss befindlichen Prozess einer organisch sich weiterentwickelnden Umformung eines Stückes Welt zur mächtigen Maschine eines Hafens geht nun ein zweiter Wasservorgang mehr idyllischer Natur einher.

Nachdem die Alster als Hafen entthront war, fristete sie durchaus nicht ein stilles Dasein, sondern begann nach anderer Richtung hin eine Entwicklung, die in mancher Hinsicht im Gefüge der Stadt nicht weniger wichtig wurde wie die der Elbe. Der Abschluss des Alsterlaufes durch einen Deich im 12. Jahrhundert führte zu einer künstlichen Aufstauung des unscheinbaren kleinen Gewässers zu einer stattlichen Wasserfläche, die Hand in Hand mit dem Bedürfnis des auf dem Deiche angesiedelten Mühlenbetriebes in ihrer Ausdehnung wechselte. Die alten Karten zeigen, dass sie vom 13. bis 16. Jahrhundert in Form und Umfang ziemlich gleich bleibt. Erst als im 17. Jahrhundert der ganze Charakter der Stadt sich dadurch entscheidend ändert, dass ein Ring mächtiger Festungswerke sich um das bis dahin lose Gebilde als festet Panzer zieht, übt diese Umgestaltung auch auf die Physiognomie der Wasserfläche einen tiefgreifenden Einfluss aus: der Kranz der Bastionen wird quer durch das Wasser gezogen, und es gliedert sich nun in einen weiträumigen See und ein enger umschlossenes fast quadratisches Becken: Außenalster und Binnenalster sondern sich voneinander. Damit ist ein entscheidender Schritt für den Teil des Bildes der Stadt getan, der in seiner Art einzigartig ist.

Das Ergebnis dieses seltsamen Umformungsprozesses von Wasser und von Land, der eine Eigentümlichkeit der Stadt Hamburg ist, wird nun gefasst von einem architektonischen Rahmen, der natürlich im Wandel der Zeiten einen sehr elastischen Charakter aufweist. Seine Entwicklung tritt uns heute Lebenden noch aus einem anderen Grunde nur in sehr verwischten Linien entgegen: die Stadt ist in seltenem Maße Zerstörungen und Bränden ausgesetzt gewesen, und die kargen Reste haben absichtliche Niederlegungen aus wirtschaftlichen, Verkehrs technischen und hygienischen Gründen noch mehr verkleinert.

So kommt es, dass auch die Architektur heute nur verhältnismäßig wenig vom alten Hamburg erzählt. Am deutlichsten sprechen wohl die Kirchen von früheren Zeiten, deren fünf Türme das Stadtbild in überaus reizvoller Verteilung beherrschen. Das Panorama dieses Stadtbildes genießt man in Hamburg infolge der großen inneren Wasserflächen nicht nur, wie in den meisten sonstigen Städten, wenn man die Stadt von außerhalb betrachtet, sondern es entfaltet sich auch im Innern an vielen Stellen als besondere Schönheit.

Die fünf Hauptkirchen der Stadt sind der Gründung nach alte Gotteshäuser, als äußere Erscheinung sind sie nicht so alt, wie man im ersten Augenblick ihrem Stilcharakter nach vermuten mag. Drei von ihnen sind erst im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert in der jetzigen Form der Asche entstiegen, und die wirklich älteste Erscheinung unter ihnen sieht nicht so aus, als ob sie es wäre. Es ist die im 13. Jahrhundert gegründete St. Katharinenkirche, ein frühgotischer Bau, der im Stadtbilde durch einen phantasievoll durchgebildeten Renaissance -Turm wirkt. Diesen erbaute 1603, als der alte Turm abbrannte, Meister Peter Marquard, der Hamburg drei der schönsten Türme schenkte, von denen nur dieser erhalten ist.

Aus der Zeit ihrer heutigen Stilformen stammt auch die Jacobi-Kirche, die in den wesentlichsten Teilen der uns erhaltenen Gestalt den Jahren 1354 bis 1391 angehört, während das der Gründung nach und auch seiner äußeren Wirkung nach älteste Hamburger Gotteshaus, die Petrikirche, im Jahre 1843 nach dem großen Brande durch Chateauneuf so gut wie ganz neu aufgebaut werden musste. Diese Neuschöpfung hat, ohne sich sklavisch an das Vorbild zu halten, ganz den Geist der alten norddeutschen Backsteindome getroffen. Trotz aller Schlichtheit und Neuheit ist sie ein ehrwürdiger Mittelpunkt der alten Stadt geworden. Ungeachtet des weit größeren Aufgebots von künstlerischen Mitteln ist es der etwa gleichzeitig aus dem Schutt des großen Brandes entstiegenen Nikolaikirche nicht gelungen, den Hauch der Unmittelbarkeit zu erfassen. Der Engländer Scott zeigt in ihr eine virtuose aber etwas kühle Beherrschung der gotischen Formensprache, die in dieser akademischen Werksteinprägung dem Norden fremd ist.

Weit mehr im alten Geiste ist die Michaeliskirche aus dem Brande wieder hervorgegangen, der sie 1906 niederlegte. Ihr Innenraum war wohl die bedeutendste architektonische Leistung, die das alte Hamburg hervorgebracht hat. Prey und Sonnin hatten in ihm um 1750 eine der glänzendsten Lösungen des Problems der protestantischen Predigtkirche geschaffen, einen Zentralraum für 3.000 Personen von schönsten Verhältnissen und reifster Durchbildung. Dieser Innenraum ist fast unverändert wieder entstanden. Er hat in Hamburg einen interessanten Vorläufer in der St. Georger Dreifaltigkeitskirche, die Prey wenige Jahre vorher erbaut hat: Ein überaus feinsinniges kleines Werk, dessen Innenraum zu den besten protestantischen Predigträumen zu rechnen ist. Neben der Katharinenkirche ist sie wohl das künstlerisch wertvollste alte Monument, das Hamburg besitzt.

Neben diesen Kirchen ist die Stadt nicht reich an öffentlichen Profanbauten, die historischen Charakter tragen, weil der große Brand von 1842 gerade den Teil zerstörte, in dem sich um das Rathaus herum die Hauptbauten früherer Jahrhunderte gruppierten. So gehören denn Bauten wie das stattliche alte Waisenhaus in der Admiralitätstraße schon zu ihren architektonischen Würdenträgern. Suchen wir nach Zeugen für das Hamburg vor dem Brande, so rücken neben diesen Bau von 1781 bereits Bauwerke des ig. Jahrhunderts, wie das Stadttheater, eine inzwischen stark umgebaute Schöpfung Schinkels, oder das 1837 von Wimmel und Forsmann erbaute Johanneum, oder das Mittelstück der Börse, das die gleichen Architekten 1839 zu errichten begannen.

Man sieht, wir hätten nur sehr karge Anhaltspunkte über das alte Hamburg, wenn es nicht die Eigentümlichkeit dieser Stadt wäre, dass für ihr architektonisches Gesicht von jeher das Bürgerhaus der maßgebende Faktor gewesen ist. Von Zeugen seiner charakteristischen Entwicklung ist die ganze ältere Stadt noch durchsetzt.

Ursprünglich war die Stadt eine Holzstadt. Fachwerkbauten, mit denen die Schwierigkeiten des Untergrundes am leichtesten zu überwinden waren, standen in enggeschlossenen Gruppen aneinandergedrängt. Denn das Gelände der zwischen den Wasserläufen der Kanäle, die Flete genannt werden, liegenden Wohninseln wurde in schmale lange Streifen aufgeteilt, so dass an den Straßen und Wasserläufen lauter hohe schmale Giebel einer neben dem anderen entstanden. In mittelalterlicher Zeit wurde in den reicheren Vierteln aus dieser Holzstadt eine Backsteinstadt. Man begann die Straßenfronten der Fachwerkhäuser in Backsteinen massiv aufzuführen. Diese massive Mauer lag vor dem Dachdreieck und fand ihren Abschluss in abgetreppten Abstufungen. In der Renaissancezeit, als der wachsende Reichtum das Bedürfnis fühlte, sich im Schmuck zu zeigen, knüpfte der Ziertrieb an diese Giebelabstufungen vorzugsweise an. Unter dem Einfluss über Bremen auftretender holländischer Vorbilder begann man die Silhouette des Giebels durch Heranziehung von Werksteinformen reicher zu beleben, und dies Bestreben steigerte sich während der Barockzeit zu kühn geschwungenen volutenartigen Bildungen, die den Hamburger Kaufmannshäusern ein überaus stattliches Gepräge geben. Im Grimm, Cremon und der Katharinenstraße kann man noch manche Zeugen dieser reichen Entwicklung sehen. Der Werkstein bemächtigt sich allmählich der meisten architektonisch betonten Teile, vor allem die Portale werden zu Schmuckstücken der Steinmetzkunst. Aus der Backsteinstadt ist eine Stadt geworden, der eine feine Mischung von Backstein und Werkstein den Stempel aufdrückt. In diesen Eindruck reißt dann der große Brand von 1842 an maßgebendster Stelle eine empfindliche Lücke, und was hier neu entstand, war eine Stadt ganz anderer Art als die verschwundene. An die Stelle der malerisch gegiebelten, farbig belebten Straßen traten Zeilen von gradlinig abgeschlossenen hellen Häusern von antikischem Charakter. Hamburg ist zu einer Putz-Stadt geworden.

Noch heute kann man die Zonen dieser in ganz verschiedenem Materialcharakter erbauten Stadtgebiete sich deutlich voneinander scheiden sehen.

Jede hatte ihren besonderen Reiz, denn auch die Putzstadt, die aus dem großen Brand von 1842 hervortauchte, trug in ihrer kühlen Vornehmheit ein höchst einheitliches und würdiges Gepräge. Ihr Entstehen bedeutet aber nicht nur für den architektonischen Charakter eine völlig neue Note, auch der Bebauungsplan, der in ihr seine Verwirklichung fand, war eine ganz neue Tat. Erst jetzt erhielt der Kern der Stadt jenes Gepräge, das für das gegenwärtige Hamburg maßgebend ist.

An der Stelle, wo jetzt das Kaiserdenkmal steht, war 1842 noch ein unregelmäßig sich weitendes Wasserbecken, in dem Schiffe lagen; ein Damm trennte es von dem Becken der Binnenalster, dessen eine Seite von einem Gewirr von Häusern abgeschlossen wurde, die unmittelbar aus dem Wasser emporstiegen.

Erst die Kommission, die unter Chateauneufs Vorsitz unter Benutzung von Studien des Ingenieurs Lindley und Gottfried Sempers den Plan für den Wiederaufbau herstellte, ließ den Alsterdamm entstehen und damit das rings von Promenaden umgebene heutige Becken. Erst sie gestaltete die feine Form der von Arkaden begleiteten „Kleinen Alster" und schuf den wirkungsvollen Einblick vom Jungfernstieg auf den Rathausplatz und das anschließende festliche Bautengefüge von Rathaus und Börse. Das Motiv, das damit als Kernstück Hamburgs entstand, zeigt den gleichen städtebaulichen Gedanken wie der Markusplatz in Venedig, eine hakenförmige Platzform, deren kleinerer Schenkel sich frei zum Wasser öffnet. Leider hat die Stellung und architektonische Ausbildung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals diesen schönen Platzgedanken später wesentlich gestört.

Auch sonst hat die Architektur-Epoche, die etwa mit den siebziger Jahren beginnt, vieles getan, um den einheitlichen Charakter der früheren Stadt zu verwischen. Je lebendiger ein Gemeinwesen war, umso mehr hat es in jener Zeit von der Unsicherheit leiden müssen, mit der die Architektur in allen Stilarten herumprobierte und alle nur erdenklichen Baumaterialien durcheinandermischte.

Im allgemeinen herrscht in dieser Zeit des stilistischen Tastens der Renaissance-Charakter vor. In Postgebäuden, Banken und Museen sehen wir meist ein italienisierendes Gepräge, eine Richtung, die schließlich im Palast des Oberlandesgerichtes ihren Gipfelpunkt findet. Daneben geht ein Streben nach deutscher Renaissance, das beispielsweise in den beiden anderen Gerichtsgebäuden vorwaltet, und das im stattlichen neuen Rathause seinen höchsten Ausdruck erreicht. In reichster Gliederung durchgeführt ist dieser Bau ein stolzes Symbol von Hamburgs Lebenskraft. Da es ganz in Werkstein ausgeführt ist, fehlt ihm der Zusammenhang mit dem in Hamburg bodenständig entwickelten Charakter. Dieser ist an den Backstein gebunden, dessen Pflege in Hamburg eine Zeitlang stark zurücktritt, wenn sie auch nie ganz abreißt. Nach dem Brande von 1842 trat der Backstein im Gebäude der Patriotischen Gesellschaft und vor allem im alten Postgebäude charaktervoll hervor, dann folgt eine Periode, in der unter hannoverschem Einfluss die Ursprünglichkeit des Materialcharakters und der Formengebung mehr und mehr verschwindet. Manche neuere Kirchen sind dafür ein Zeugnis. Allmählich erst sucht man Anschluss an alte hamburgische Überlieferung. Der Bau der Musikhalle und manche Bauten des Staates aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, wie die Navigationsschule und das Steuergebäude am Rödingsmarkt, sind dafür Beispiele. Aber die Großstadtaufgaben ließen es nicht zu, dass die Backsteinsprache in dieser absichtlich historischen Gebundenheit blieb; allmählich setzte sich in den Bauten des Staates und manchem bedeutsamen Geschäftshause eine freiere Auffassung der Backstein-Behandlung durch, die gegenwärtig auf dem Wege ist, eine für Hamburgs Eigenart bezeichnende und zugleich für neuzeitliche Großstadtaufgaben brauchbare Architektursprache zu entwickeln.

Es ist bemerkenswert, dass sowohl die Villen der letzteren Jahre als auch die zahlreichen neueren Schulbauten, die hauptsächlichen Kontorhäuser der Mönckebergstraße als auch das Gewerbehaus und die staatlichen Verwaltungsgebäude, das Lotsenhaus am Eingang des Hafens und die Kunstgewerbeschule am Kuhmühlenteich den gleichen Geist einer norddeutsch anmutenden freien Backstein-Behandlung atmen. Einen zusammenfassenden Ausdruck wird diese Strömung im Museum für Hamburgische Geschichte finden.

Aber wir dürfen nicht nur von den öffentlichen Gebäuden sprechen, wenn wir uns das Wesen des Hamburger Architekturbildes vergegenwärtigen wollen: noch heute liegt vielleicht sein wichtigster Teil in der Entwicklung des Bürgerhauses. Hier ist vom Alt-Hamburger Typus wenig in unsere Zeit hinübergenommen, und das hängt mit einem Vorgang zusammen, der für die moderne Großstadt von typischer und scharf einschneidender Bedeutung ist. Die Verbindung von Geschäftshaus und Wohnhaus, die das Wesen des alten Bürgerhauses auszumachen pflegte, hört völlig auf, und beide werden zu ganz spezialistischen Gebilden. Für das Geschäft entsteht eine eigene Gebäudegattung, das Kontorhaus, ein Bauwerk, das ganz im Gegensatz zu den einfachen kleinen, niedrigen Kontoren früherer Zeit aus den weitgehendsten Ansprüchen an Luft, Licht, Bequemlichkeit, ja vielfach auch an repräsentativem Luxus geboren ist. Demgemäß ist es in der Regel ein Eisenbetonbau mit schmalen Fensterpfeilern und großen Fensterflächen; außen ist es inkrustiert mit Werkstein oder mit keramischen Baustoffen, wobei oftmals höchst interessante Versuche mit farbigem Steinzeug entstanden sind. Innen greift die Inkrustation oft zu kostbarem Marmor und einer Fülle von Fliesen. Um die verschiedensten Teilungsmöglichkeiten zu gestatten, ist der Bau meist in ein immer wiederkehrendes Achsensystem aufgeteilt, so dass ein ganz besonderer, vertikal beherrschter Typus entsteht, der für das modernste Hamburg charakteristisch wird.

Die gleiche Spezialisierung, die sich für die Zwecke des Geschäftes zeigt, zeigt sich nun auch für die Zwecke des Wohnens. Es dürfte in Deutschland wenige Privathäuser geben, die den Apparat der modernen Lebenskultur so vollkommen entwickelt haben, wie die vornehmen neueren Wohnhäuser, die in einem Kranz schöner Gärten besonders um die Alster herum liegen. Der Stolz des Hamburger Hauses ist das Wirtschaftsgeschoß und seine Tugend eine an Holland gemahnende Gepflegtheit, die in der schweren Luft besonders wohltut. Außerhalb der Villenbezirke hat sich in den Vorstädten leider das typische Bild der neueren Großstadt, die Zinshaus-Straße in weiten Teilen entwickelt und nur die zahlreichen Wasserarme und der reichliche Baumschmuck machen diesen Eindruck vielleicht etwas weniger auffallend, als anderwärts.

Heute hat Hamburg die Gefahr der mangelhaften Lösung der großstädtischen Wohnungsfrage voll erkannt und daraus weitgehende praktische Schlüsse gezogen. In den großen Gebieten seiner Wohngegend, die sich im Norden der Stadt erstrecken, wird nach neueren Bebauungsplänen die hochgetürmte Mietskaserne ganz verschwinden, Die höchste zulässige Bebauung beträgt 2 Obergeschosse und alle lichtraubenden Hinterflügel sind verboten. Weiter entfernt an der Peripherie der Stadt hat der Staat sogar begonnen, umfangreiche Kleinhaussiedlungen in größeren Gemüsegärten anzulegen, so dass die künftige Wohnentwicklung der Stadt ganz anderen Charakter tragen wird, wie die der letzten Jahrzehnte.

Vor allem aber hat Hamburg, gewarnt durch die Cholera-Epidemie des Jahres 1892, frühzeitig begonnen, die alten ungesunden Wohnverhältnisse seiner inneren Stadt umzugestalten. Schon die Bauten des Zollanschlusses hatten einen beträchtlichen Teil der veralteten Wohnquartiere verschwinden lassen, aber die systematische Lösung der Riesenaufgabe begann erst, als man zunächst das ganze Viertel verwinkelter Gassen zwischen der Michaeliskirche und dem Hafen niederlegte und hier an höher gelegten, dem Einfluss der Sturmflut entzogenen Straßen solide Wohnungen entstanden.

Ein zweiter Abschnitt dieses großartigen Sanierungswerkes begann 1909, als man Hand in Hand mit der Anlage der neuen Hoch- und Untergrundbahn den Durchbruch der Mönckebergstraße zwischen dem Rathausmarkt und dem neuerbauten Hauptbahnhof vollzog. Damit verschwand ein besonders winkliger und gefährlich gewordener Stadtteil und machte einer Prachtstraße Platz, die in wenigen Jahren aus der Erde schoss.

Als man die anschließenden zum Hafen hin sich erstreckenden Stadtteile eben niedergelegt hatte, um auch hier ein großes neues Stadtviertel zu schaffen, unterbrach der Krieg dieses große Unternehmen.

So sind mannigfache Ansätze gemacht, um die Großstadt, deren Schäden wir ja erst allmählich bewusst zu überblicken gelernt haben, hygienischer zu machen.

Diesem wichtigen Zweck dient vor allem auch die Grünanlagen-Politik der Stadt, denn es ist klar, dass eine Siedlung, die viele Etagenhäuser aufweist, besonders eifrig darauf bedacht sein muss, den Gartenlosen Ersatz in öffentlichen Anlagen zu bieten.

Die natürliche Entwicklung hat für Hamburg in dieser Hinsicht besonders günstige Verhältnisse geschaffen. Das große von reizvollen Anlagen umzogene Alsterbecken liegt wie ein riesiger Park in Hamburgs Herzen und gewährt Sport- und Erholungsmöglichkeiten, wie sie nicht leicht von einer Stadt zum zweitenmale geschaffen werden können. Mit diesem glänzenden Mittelstück verbindet sich der Zug der Grünanlagen, der aus den alten Befestigungswällen entstanden ist. Er reicht bis zum Hafen, wo jetzt das riesige Granitbild Bismarcks ihm einen monumentalen Abschluss gibt. An diesen Kranz der Wälle schließt sich das große für gelegentliche Veranstaltungen freigehaltene Heiligengeistfeld und weiter im Zentrum der Botanische und Zoologische Garten, die durch eine Gruppe alter, nicht mehr benutzter Friedhöfe zu einem großen Grünkomplex zusammengehalten werden. Dicht dabei öffnet sich einer der reizvollsten Grüneindrücke, die eine heutige Großstadt besitzen dürfte, die Dammtorwiesen, die zwischen Reihen mächtiger Bäume dem Volk beliebte Spiel- und Lagerstätten bieten.

Kleinere Parks und Spielplätze sind in der ganzen Stadt verstreut, aber bis 1909 entbehrten die Vorstädte eines Erholungsmittelpunktes. Der ist inzwischen in dem neuen Stadtpark geschaffen, einem Volkspark von über 2 km Längsentwicklung, der Volkswiese, Wasserflächen, Spielplätze mannigfachster Art, eine Sportarena und die verschiedensten Erholungsstätten zu einem grünen Gefüge vereinigt. Den Endpunkt einer großen vom Hauptrestaurant aus entwickelten Achse bildet ein mächtiger Wasserturm, der, mit zwei anderen derartigen Bauten zusammen, dem Bild der neuen Teile der Stadt fernhin wirkende neue Betonung gegeben hat. Sehr erfreulich ist, dass auch im Süden durch die Umgestaltung des altberühmten Hammer-Hofes zum öffentlichen Park ein grüner Mittelpunkt geschaffen ist.

Spricht man in Hamburg von Grünanlagen, so darf man auch seinen großen Zentral-Friedhof in Ohlsdorf nicht vergessen, der so angelegt ist, dass er in der Tat der Bevölkerung als sehr besuchter Park dient. Er wird künftig durch die Kanalisierung des oberen Alsterlaufes, die sich von einem Grünstreif begleitet quer durch das nördliche Hamburger Gebiet zieht, inniger mit dem System der ganzen Anlagen der Stadt und ihren Wohndistrikten verbunden Sein.

Es ist nicht möglich, in diesem knappen Rahmen auch nur annähernd ein wirkliches Bild davon zu geben, wie sich eine zähe, niemals rastende Bevölkerung ein Stück Welt zur Wohnstätte umgeschaffen hat. Aus offenem Land sieht man allmählich in stetem Wechsel einen Organismus werden, der versucht, immer vollkommener den steigenden Anforderungen des Handels, des Verkehrs, und des täglichen Lebens Herr zu werden. Diese Anforderungen haben sich durch das ungeheure Zusammenballen der Menschen in den großen Städten während des letzten halben Jahrhunderts so kompliziert, dass sie dem organisierenden Geiste der Menschen schier übermäßige Anforderungen steilten. Dass er es nicht sogleich vermochte, technische und künstlerische Erfordernisse zu restloser Harmonie miteinander zu verbinden, ist nicht verwunderlich. Er hat inzwischen die Notwendigkeit, dieses Ziel zu erstreben, deutlich erkannt und Hamburg ist auf dem besten Wege, alle Kraft zu seiner Erreichung einzusetzen. Es wird die Energie, die es bisher trotz aller Schicksalsschläge stets bewiesen hat, sicherlich nach dieser Richtung entfalten.