Musik von Musikdirektor Prof. Julius Spengel

Hamburg ist von altersher eine Pflegstätte der Musik gewesen. Wenn andere Städte in der Führerschaft vorangegangen sind, so hat Hamburg doch eine Reihe von hervorragenden Musikern in seinen Mauern beherbergt, durch die auf die Entwicklung der Kunst in Deutschland ein bedeutender Einfluss geübt worden ist.

Den ersten Spuren der Musikpflege begegnen wir im Lehrplan der Domschule vom Jahre 834, der neben dem Unterricht im Christentum und im Lateinischen die Musik enthält. Als nach einer Zeit des Verfalls im Schulwesen im 12. und 13. Jahrhundert ein neuer Aufschwung begann, hatte sich die Musik bereits zu kunstvoller Mehrstimmigkeit entwickelt, und in den Lehrplänen steht wiederum als ein Hauptfach die Musik, selbstverständlich im Dienst der Kirche.


Die Instrumentalmusik tritt zuerst im Jahre 1283 in die Erscheinung, wo in den Stadtrechnungen als „Stadt- und Ratsmusikanten" 2 tympanistae aufgeführt werden. Von 1350 an werden regelmäßige Ausgaben für Spielleute, Pauker, Posaunisten, Flötenbläser, Trompeter, Hornisten und Lautenspieler verzeichnet. Diese Musiker hatten gesetzliche Vorrechte vor den Volksmusikanten, die zu den „Fahrenden" und „Histrionen", also zu den „unehrlichen Leuten" gehörten. Sie spielten bei Festen und wirkten bei Festgottesdiensten mit, sowie beim „Stadttanz" am Johannisund Paulstage. Ein Ratstrompeter war beim öffentlichen Erscheinen des Senats Vorreiter, hatte Heroldsdienste zu verrichten, bei amtlichen Mahlzeiten zu blasen, später auch der städtischen Reiterei mit seiner Musik zu dienen, den neuen Amtmann nach Ritzebüttel, die Visitation nach Bergedorf und den sogenannten „Apostelritt" bei Verkündigung der „Bursprake" zu begleiten.

Schon im 13. Jahrhundert schlossen sich die „Stadtpfeifer", Kunstpfeifer und „Türmer", alles Angestellte des Staats, zu Innungen zusammen unter der Führung von „Pfeiferkönigen" und „Spielgrafen", die im Hauptberuf Kuchenbäcker waren. Auch die Volksmusikanten erhielten schließlich ihre Gerechtsame in einer „Grünrolle", in die ihre Satzungen eingetragen waren. Sie wurden ,,Grünfiedler", „Bierfiedler" und „Pantaleonsfiedler" genannt und durften bei den Frühlings- und Sommerbelustigungen vor dem Tor aufspielen, so auch am St. Pantaleonstage am 28. Juli, an dem es besonders fröhlich herzugehen pflegte, wonach ein derartiges Volkstreiben auch „panteljonen" genannt wurde. Sie wurden gelegentlich von den Ratsmusikanten zur Verstärkung herangeholt.

Der Rat nahm sich seiner Künstler bei vorkommenden Anlässen schützend an, ,,damit die Musika, so bisher ein nicht gering Ornamentum und Zierrat dieser Stadt gewesen, nicht in Abgang geraten, sondern erhalten werden, auch gedachte Musici ihren notdürftigen Unterhalt haben mögen". Auch für das Ehrgefühl und das Ansehen seiner Leute trat er ein, als 1695 die bürgerliche Finanzbehörde ihre Stellen verkäuflich machen wollte, und dekretierte, dass ein Musikantendienst eine Kirnst in sich begreife, also unverkäuflich bleiben müsse, weil sonst ein Stümper, wenn er nur Geld habe, einen kunstreichen Dienst erlangen und zu Schanden machen könne".

Im Jahre 1668 berichtet der Chronist Kunrat von Hövelen: „auf hohen Festtagen höret man schier eine engelgleiche Musik in den Kirchen, und ist rühmlich, dass in dem Dom des Donnerstags ein Kollegium musicale sowohl für fremde als einheimische Liebhaber angestellet wird."

Auf eine hohe Stufe war um diese Zeit die Musik in Hamburg durch das Wirken einer Reihe bedeutender Männer gehoben worden, Schülern der großen holländischen, italienischen und deutschen Meister.

Als Kantoren und Kirchenmusikdirektoren sind zu nennen: Brasmus Sartorius, poeta laureatus, der um 1604 nach Hamburg kam und als Erster in der Gertrud-Kapelle eine Passionsmusik aufführte; Thomas Sellius, 1637, in der Stadtbibliothek eine beträchtliche Sammlung von Handschriften und Büchern vermachte; Christoph Bernhard, 1664, Schüler von Heinrich Schütz in Dresden, von wo ihm ein so großer Ruf vorausging, dass ihm zum Empfang die Vornehmsten der Stadt in 6 Kutschen bis Bergedorf entgegenfuhren.

Um 1637 hatte Heinrich Schütz schon einen Schüler nach Hamburg geschickt, um unter der Leitung der angesehenen Organisten Jacob Praetorius (St. Petri) und Heinrich Scheidemann (St. Katharinen) „die niederländische Art" zu lernen: Matthias Weckmann, der später Organist an St. Jakobi wurde. Dieser ist der Begründer eines regelmäßig im Dom stattfindenden Collegium musicum — des oben von Hövelen erwähnten — , in dem die beste aus Rom, Venedig, München, und Dresden zu erlangende Musik gepflegt wurde. Kantaten seiner Komposition sind in die „Denkmäler deutscher Tonkunst" aufgenommen, und Klavierwerke lassen auf eine bedeutende Höhe seiner Kirnst schließen.

Als Leiter der Ratsmusik und Organist wirkte von 1621 an der Geiger und Komponist Paul Schop. Er schuf mehrere noch heute lebendige Kirchenmelodien. Im selben Amt treffen wir 1678 abermals einen Geiger, Dietrich Becker, und von 1663 an war Jan Reinken Organist an St. Katharinen, zu dem der junge Johann Sebastian Bach häufig von Lüneburg herüberwanderte, um seinem Spiel zu lauschen.

Wir haben uns die Musik dieser Zeit ihren äußeren Mitteln nach keineswegs imposant vorzustellen. Der mehrstimmige Gesang, der selten über die Fünfstimmigkeit hinausging, wurde von Einzelstimmen ausgeführt, und ebenso wurden die Instrumentalstimmen nur einfach besetzt. Das erforderte ein sorgfältiges, feines Studium. Es ist bewunderungswürdig, dass diese Kunst während des 30jährigen Krieges und trotz aller Not und Zerrüttung zu so schöner Blüte gedeihen konnte.

Als allmählich größerer Wohlstand und ein sorgenfreieres Leben in Deutschland wieder eintrat, entstand auch das Verlangen nach Prachtentfaltung in der Musik und das Bestreben ihrer Loslösung vom Einfluss der Kirche. Die ersten musikdramatischen Versuche, die um 1600 in Italien gemacht waren, gewannen zunächst keinen Einfluss auf Deutschland. Erst von 1650 an begann die Oper, an den üppig werdenden Höfen eine Rolle zu spielen. Endlich aber 1678, wurde ein öffentliches Theater für deutsche Opernspiele errichtet, und Hamburger Männer unternahmen diesen bedeutungsvollen Schritt, an ihrer Spitze der Ratsherr Gerhard Schott, neben ihm unter anderen der Organist Reinken. Trotz des geistlichen Inhalts der ersten Darbietungen leisteten die Prediger den neuen Bestrebungen Widerstand, doch konnten sie nicht verhindern, dass die Bühne am Gänsemarkt alsbald eine glänzende Zeit erlebte.

Der erfolgreichste Komponist war Reinhold Keiser, ein schönes Talent, aber ein „Züchtung der Natur", der durch seine flotte Musik und seine ebenso flotte Lebensführung ein Liebling des Publikums wurde, dessen Neigungen er in jeder Weise entgegenkam. Die Texte seiner Opern waren seicht und unbedeutend. Das Christliche trat zurück, und von ausgeprägt deutscher Auffassung kann nicht geredet werden. Götter- und Heldengeschichten mit sentimentaler Ausnutzung der Liebesepisoden bildeten zumeist den Inhalt.

Ein Anderer hat dem musikalischen Drama höhere Ziele gegeben, wenn er es auch schließlich von der Bühne weg in den Konzertsaal und in die Kirche führte, indem er es zum Oratorium gestaltete: Georg Friedrich Haendel, der, vom Ruhm Hamburgs als junger Mann hergelockt, in den Jahren 1703 — 1706 als Geiger und Komponist an der Oper wirkte.

Um 1718 begegnen wir als Tenoristen an der Oper auch dem 1699 in Bergedorf geborenen Joh. Ad. Hasse, der sich als Komponist vieler Opern (auch einer deutsch geschriebenen) und Oratorien wie als Kapellmeister einen Weltruf verschaffte. In Italien wurde er il caro Sassone genannt. In London musste er hinter Haendel zurücktreten. Seinen bedeutendsten Wirkungskreis fand er, durch den 7jährigen Krieg zeitweilig gehemmt, in Dresden neben seiner Frau, der Italienerin Faustina Bordoni, die dort prima donna wurde. Von Hamburg ist Hasse, abgesehen von den wenigen Jahren an der Oper, ferngeblieben.

Von 1721 — 1767 war Georg Philipp Telemann Director musicus, ein ungemein fruchtbarer Komponist für Kirche und Oper, ein sehr regsamer Mann. Gleich Keiser Autodidakt, galt er seinen Zeitgenossen mehr als sein Freund Johann Sebastian Bach. Er gab seiner Kirchenmusik einen weltlichen Zug und führte anderseits seine Kirchenwerke in Konzerten auf, die er im Anschluss an das Collegium musicum seiner Vorgänger eingerichtet hatte. Das Kollegium der Oberalten wendete sich mit einer Eingabe an den Senat, weil seine ,,vor Geld in einem öffentlichen Wirtshause gegebenen Konzerte nicht nur durch die Darbietung heiliger Musik an profanem Ort, sondern auch durch Opern, Komödien und alle dergleichen zur Wollust anreißenden Spiele" anstößig geworden seien. Die Beschwerde wurde abgewiesen. Nicht unbeteiligt soll an ihr Johann Mattheson gewesen sein, wohl der beweglichste unter den regsamen Zeitgenossen und musikalischen Führern Hamburgs. Vortrefflicher Klavierspieler, vielbeschäftigter Lehrer, von 1690 — 1705 Tenorist an der Oper, fruchtbarer Komponist, unermüdlicher Schriftsteller als Theoretiker und Kritiker, in welcher Eigenschaft er nicht weniger als 188 Werke geschrieben hat, ein äußerst gewandter Mann, den seine diplomatische Begabung bei großen Sprach- und Rechtskenntnissen in die Stellung eines Legationssekretärs gebracht hatte, konnte er 1764 der Michaeliskirche für den Bau einer mit seinem Bildnis geschmückten Orgel ein Vermögen von 44.000 Mk. hinterlassen. Er rühmte sich, Haendel während seines Aufenthaltes gesellschaftlich gefördert zu haben, was ihn jedoch nicht gehindert hat, sich aus künstlerischer Eifersucht mit ihm zu entzweien und ihn zum Zweikampf zu fordern, bei dem ein Zufall den tödlichen Ausgang verhindert hat.

Zu Telemanns Nachfolger wurde 1767 Carl Philipp Emanuel Bach gewählt, der zweite Sohn des großen Joh. Sebastian. Es ist bekannt, dass Mozart und Haydn ihn sehr hochgeschätzt haben. Wenn der Ruhm eines Begründers der klassischen Sonatenform ihm heute um einiges geschmälert wird, so hat er doch als Komponist und Schriftsteller sich mit seinem ,,Versuch über die wahre Art des Klavierspiels" unvergängliches Verdienst erworben; er ist zweifellos ein ganz ursprüngliches Talent gewesen, das in seinen Kompositionen den Geist seiner Zeit anmutig und meisterhaft zum Ausdruck zu bringen vermochte. Mit der Kirchenmusik muss es aber unter ihm nicht glänzend bestellt gewesen sein. Es fehlte an Geld, und man meinte, dass mit Ausnahme der Michaeliskirche, die eine gute Akustik habe, alle Kirchen zu groß seien, um von den wenigen Musikern, die man bezahlen könne, ausgefüllt zu werden. Man wollte die Kirchenmusik ganz abschaffen und den Posten eines Kirchenmusikdirektors nicht wieder besetzen. Es blieb bei einer Einschränkung der zu bewilligenden Mittel, und unter recht ungünstigen Verhältnissen wurde 1789 Christian Friedrich Gottlieb Schwenke Bachs Nachfolger. Er lebte bis 1822 und durchkostete alle Leiden und Freuden der Franzosenzeit. Dann wurde die Stellung nicht wieder besetzt, da sie sich unter den traurigen Umständen nicht genügend dotieren ließ. Das war das Ende der einstmals berühmten Hamburger Kirchenmusik. — Ein schwacher Versuch der Wiederbelebung wurde in den 20er Jahren durch J. J. Berens mit der Einführung eines Chorgesanges in den drei Hauptkirchen gemacht; aber erst 1882 wurde durch R. Theodor Odenwald mit der Gründung des ,,Hamburger Kirchenchors" eine neue, durchgreifende Anregung gegeben. Bald nahm sich die Behörde des Unternehmens an und bewilligte genügend Mittel zur Erhaltung des Chors, der wechselnd in den Kirchen sang, bis, durch seine Wirksamkeit angeregt, an den meisten Kirchen selbständige Chöre entstanden. Seit 1891 singt der ,,Hamb. Kirchenchor" nicht mehr beim Gottesdienst, veranstaltet aber in der Petrikirche und abwechselnd in Gotteshäusern der Vorstädte regelmäßige Motetten. Seit 1899 steht er unter der Leitung von Wilhelm Böhmer.

Der zur Verfügung stehende Raum gestattet leider nicht, der Oper eingehende Betrachtung zu widmen, wie sie vom Ende des 18. Jahrhunderts an in einem französischen und einem deutschen Theater bedeutsam gepflegt wurde, und wie sie sich auch um das Konzertwesen verdient machte. Auch betreffs der neueren Zeit kann nur kurz der Jahre gedacht werden, in denen es Pollini gelang, die träge gewordene Teilnahme des Publikums durch seine außerordentlich geschickte Leitung neu und nachhaltig anzuregen. Jetzt ist es Dr. Hans Löwenfeld, der hohe Ziele mit gleichem Geschick verfolgt und dafür sorgt, dass neben Altbewährtem das Neuere und Neueste zur Geltung kommt.

Eine Volksoper besteht seit mehreren Jahren mit schönen Erfolgen, und an guten Operettenbühnen ist kein Mangel.

In das Konzertleben kam nach einem Tiefstand der Jahre 1815— 1820 neuer Aufschwung, als Friedrich Wilhelm Grund 1819 die „Singakademie" und 1828 die „Philharmonische Gesellschaft" ins Leben rief. Die beiden Institute bildeten lange Zeit den Mittelpunkt des Hamburgischen Musiklebens. 1862 zog sich Grund zurück und Julius Stockhausen, der geniale Sänger, übernahm bis 1867 die Leitung. Johannes Brahms, der 1833 in Hamburg geboren war und sich auf die Stellung Hoffnung gemacht hatte, wandte sich enttäuscht nach Wien, das seine zweite Heimat wurde. Schöne Genugtuung wurde ihm durch die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes im Jahre 1889.

Auf Stockhausen folgte Julius von Bernuth, der neue Einrichtungen schuf und 1873 das erste große Konservatorium in Hamburg errichtete, an dem er die meisten hiesigen Musiker von Ruf als Lehrkräfte beschäftigte. 1895 trat er von der Leitung der beiden Gesellschaften zurück und räumte den Platz Richard Barth, behielt jedoch das Konservatorium bis zu seinem Tode 1902. Auf Barth folgte an den philharmonischen Konzerten Max Fiedler, der schon vorher mit Erfolg eigene Orchesterkonzerte veranstaltet hatte. Die Singakademie blieb aber noch bis 1918 in Barths Händen. Hin Interregnum entstand für die Philharmoniker, als Fiedler für mehrere Jahre als Kapellmeister nach Boston ging; es wurde durch verschiedene Gastdirigenten ausgefüllt, 1910 wurde ihm durch die Berufung Siegmund von Hauseggers ein Ende gemacht. Dieser hat im Jahre 1920 Abschied genommen, und Dr. Gerhard von Keußler ist an seine Stelle getreten. V. Keußler leitet seit Barths Rücktritt auch die Singakademie. Die Leitung des Konservatoriums war nach v. Bernuths Tode auf Fiedler übergegangen, der sie bei seinem Rücktritt von der Philharmonie Barth überließ, in dessen Händen sie noch ruht.

Von den 50er Jahren an bis 1901 lebte und wirkte in Bergedorf Friedrich Chrysander, der sich unschätzbare Verdienste um die Musikgeschichte, besonders durch seine leider unvollendet gebliebene Biographie Haendels erworben hat. Mit Hilfe eines Jahreszuschusses von 1000 Talern, der ihm vom König Georg von Hannover gewährt und nach 1866 vom Preußischen Staat fortgeführt wurde, hat er nach bald gelöster Verbindung mit Gervinus fast allein die monumentale Ausgabe von Haendels Werken geschaffen und sich zu diesem Zweck in seiner ländlichen Wohnung zwischen Rosen und Weintrauben, die er meisterhaft züchtete, eine Notenstecherei eingerichtet. Mit vielen Arbeiten, die er in der , "Allgemeinen Musikzeitung", in den „Jahrbüchern für Musikgeschichte" in der „Allgemeinen deutschen Biographie" veröffentlichte und mit der Herausgabe der „Denkmäler deutscher Tonkunst" hat er einen Aufschwung in der gesamten musikhistorischen Forschung herbeigeführt. In das praktische Musikleben hat Chrysander durch kritische Bearbeitungen von Haendels Oratorien eingegriffen, die zuerst in Hamburg und später überall aufgeführt und vorbildlich geworden sind.

Um diese Zeit bildete der Hamburger Tonkünstlerverein einen gesellschaftlichen Mittelpunkt für die führenden Musiker, die damals noch Muße genug zu künstlerischer Betätigung neben ihren Berufspflichten fanden. Männer wie die Organisten Degenhardt und Armbrust, die Konzertmeister Bargheer, Schradieck und Marwege, der Musikdirektor Ad. Mehrkens, der Pianist von Holten, der Cellist Gowa, und andere Persönlichkeiten von charakteristischem Gepräge traten in ihm hervor, vor Allen aber der geistvolle originelle Carl Graedener, der mit seiner Lebhaftigkeit und kritischen Schärfe ungemein anregend wirkte. Er hat als Komponist von Kammermusik und Liedern, die unter Schumanns Einfluss stehen, sowie als Lehrer Tüchtiges geleistet. Sein Sohn Hermann lebt und schafft in Wien ähnlicherweise.

Eine inhaltsreiche Episode bildeten die Jahre von 1886 — 1894, als Hans von Bülow die Leitung von regelmäßigen Konzerten übernahm, die der Berliner Konzertagent Hermann Wolff ins Leben rief. Wie überall, wo Bülow als Klavierspieler und Dirigent auftrat, wirkte er auch hier reformierend, und er drängte die alte Philharmonie zeitweilig in den Hintergrund. Eine seiner höchsten Aufgaben sah er in dem Eintreten für Brahms, und er fand dafür verständnisvolles Entgegenkommen, das schon von anderer Seite vorbereitet war. Nicht leicht konnte einer der nachfolgenden Dirigier-Virtuosen ihn ersetzen, doch gelang es schließlich Arthur Nikisch, festen Fuß zu fassen und für sich und das Berliner Philharmonische Orchester, das er mitbrachte, begeisterte und treue Hörer zu finden.

Selbstverständlich sind neben den genannten Gesellschaften im Lauf der Zeit noch manche kleinere und größere Vereine mit verwandten Bestrebungen entstanden und haben kürzere oder längere Zeit gelebt. Gehalten hat sich der 1840 von Carl Voigt gegründete, seit 1878 von Julius Spengel geleitete Cäcilien-Verein, der neben großen Chorwerken die Pflege des a cappella Gesanges zu seiner Aufgabe macht. In den Jahren 1883, 1884 und 1886 trug er zur Einführung in Brahms' Kunst bei, indem er den gefeierten Meister zur Mitwirkung in mehreren Konzerten gewinnen konnte, in denen nur dessen Werke zum Vortrag gelangten ; auch wirkte er in dieser Richtung mehrfach gemeinsam mit Hans von Bülow. Unter den in letzter Zeit ins Leben gerufenen Vereinen ist der unter Alfred Sittards Leitung stehende Kirchenchor von St. Michaelis zu nennen, der sich in Konzerten dem a cappella Gesang und dem Oratorium widmet. Im benachbarten Altona leitet Felix Woyrsch, der bedeutende Oratorien-Komponist, Orchesterkonzerte und eine Singakademie.

Die Kammermusik hat stets eine andächtige, wenn auch entsprechend kleinere Zuhörerschaft in Hamburg gehabt, und die Streichquartett Vereinigungen Hafners im Anfang des 19. Jahrhunderts, später Böies, Bargheers und Anderer, sowie manche Trio-Verbände haben sich hohen Ansehens erfreut. Jetzt sind es unter anderen die Konzertmeister Heinrich Bandler und Jan Gesterkamp, die diese edle Musikgattung pflegen, und auch auswärtige Verbände werden immer wieder dankbar aufgenommen.

Eine gewaltige Zahl von Konzerten aller Art wird alljährlich von einheimischen Künstlern und von Gästen gegeben. Dafür sorgen die von den Musikalienhändlern eingerichteten Konzertagenturen, unter denen das alte Geschäft von Joh. Aug. Böhme voransteht, neben ihm das jüngere von Leichssenring und andere. Es gibt wohl keine Kunstgröße unter den Dirigenten, Sängern, Sängerinnen und Instrumental virtuosen, der nicht Gelegenheit gegeben wird, hier zu Gehör zu kommen. Eine führende Rolle spielt der im Jahre 1896 gegründete „Verein Hamburgischer Musikfreunde". Dieser hat ein erstklassiges Orchester organisiert und veranstaltet mit ihm, jetzt unter der Leitung von Jose Eibenschütz, regelmäßige Symphonie-Konzerte und Konzerte populären Charakters. Er hat den St. Michaelis -Kirchenchor, die philharmonische Gesellschaft und die Singakademie unter seinen Schutz genommen und steht in Verbindung mit der Verwaltung der im Jahre 1908 von dem Ehepaar Laeisz der Stadt geschenkten Musikhalle, in deren verschiedenen Sälen die größte Zahl der Konzerte gegeben wird. Gern wird daneben noch oft der alte, akustisch besonders gute Konventgarten benutzt, und es gibt noch eine ganze Reihe von anderen großen und kleinen Konzerträumen, die selten leer stehen.

Nicht unerwähnt bleibe eine Gesellschaft, die seit einigen Jahren regelmäßige Volkskonzerte mit Orchester-, Chor- und Kammermusik unter Hinzuziehung der besten Vereine und ersten hiesigen Künstler veranstaltet.

An neu entstehenden größeren und kleineren Musikschulen ist kein Mangel; sie geben in Prüfungskonzerten Beweise ihrer Leistungsfähigkeit.

Außerordentlich verbreitet ist das Männerchorwesen. Es gibt unzählige Vereine von verschiedener Größe, die sich zu Verbänden zusammengeschlossen haben, in denen sie bei festlichen Gelegenheiten imposant hervortreten. Einer der bedeutendsten ist der Lehrergesangverein, an dessen Spitze 1920 nach Dr. G. Göhlers Rücktritt der Kapellmeister Carl Manstaedt gekommen ist.

In den großen Kirchen sind prächtige Orgeln ; aus alter Zeit stammen noch die in St. Jakobi und St. Katharinen, während in St. Petri und St. Michaelis nach Zerstörung durch Feuersbrunst neue Werke entstanden sind. Das letztere ist nach Plänen von Sittard durch Walcker in Ludwigsburg erbaut und ist mit seinem Fernwerk eines der größten der Welt.

Wie in allen größeren Städten wird auch in Hamburg in Kaffee und Bierhäusern sehr viel Musik geboten und zum Teil vortrefflich ausgeführt. In den Programmen begegnen wir nicht selten klassischen Musikstücken, und mancher begabte junge Künstler findet hier einen materiell besser lohnenden Wirkungskreis als anderswo.

Sommerliche Gartenkonzerte von Militär- und anderen Kapellen finden im Uhlenhorster Fährhaus, im Zoologischen Garten und an anderen schönen Plätzen Hamburgs statt.

Nach all diesem darf gesagt werden, dass Hamburg auch heute in Bezug auf das, was es durch seine Institute und Kräfte auf allen Gebieten der Musik bietet, sich an die Seite der anderen großen Städte Deutschlands stellen darf, ohne den Vergleich scheuen zu müssen.