Glimpf und Schimpf in Titeln und Würden

Glimpf und Schimpf in Titeln und Würden

Die Titulaturen, ihre Geschichte, wie jene einzelner Würden und Ämter bieten ein nicht gewöhnliches kulturhistorisches Interesse. Einige allgemeine Bemerkungen mögen den einzelnen Erläuterungen vorangehen.


Die Sucht, eine gewisse Stellung in der sozialen Welt oder Staatswürden durch entsprechende, pomphafte Titel ins Licht zu setzen, erzeugte von jeher, wie noch jetzt oft, die abenteuerlichsten Titulaturen. Bekannt, aber minder des Erstaunens Wert, sind die Titel außereuropäischer Beherrscher und Despoten und ihrer Beamten, z. B. der des chinesischen Kaisers, der sich Sohn des Himmels und König aller Könige nennen läßt. Aber auch das gebildete Europa hat sein Kontingent zu dieser Literatur des Schwulstes und Unsinnes gestellt, und zwar oft in Zeiten des Glanzes und der Blüte alles geistigen Lebens, und noch heute bildet die Courtoisie der Titel im Verkehre der Höfe einen nicht unwichtigen Abschnitt der Geschichte, dessen Studium manchen um seinen Verstand bringen könnte, wenn er es nicht vorzieht, um sein — Amt zukommen.

Am lächerlichsten war stets, wie die ganze dortige Etikette, die Titelsucht in Spanien. So z.B. führte ein Don, der den Infanten irgend wohin zu geleiten hatte, den Titel: „Don des königlichen Transportes.“ Der Staatsminister Philipp's V., Don Sano Somo de Sylva fand für gut, seinem pomphaften Titel gegenüber sich „La Ensenada" d. h. „An sich nichts“ zu nennen.

Deutschland blieb nicht zurück. Übergehend die fein unterscheidenden Titulaturen der hundert und hundert Würdenträger der kleinen Höfe, müssen wir von den Zusammensetzungen irgend eines Prädikates mit hoch und höchst, wohl und wohledel usw. sprechen. Man kann sogar höchstselig und hochselig, ja auch wohlselig sein; und man kömmt sogar mit unserem Herrgott in Kollision, den wir in der Regel allein für den Allerhöchsten bezeichnen. Nun aber kommt es vor, dass ein allerhöchster Herr im Tempel des allerhöchsten Herrn sein Gebet verrichtet. Wohlgeboren, hochwohlgeboren und hochgeboren halten sich streng auseinander, wie gnädige Frau und Eure Gnaden usw.

Im Jahre 1510 erschien ein Briefsteller „Ars Francisci Nigri de scribendis epistolis,“ (Viennae Austriae, 58 Bl. in 4“), welcher in 18 Regeln die äußere und innere Form der Briefe aufstellte. Besonders ängstlich ist da auf die Gelehrten Rücksicht genommen; jede Wissenschaft hat ihre eigene Verherrlichung. So sind die Regeln 8—16 dem Theologen, Rechtsgelehrten, Ärzte, Philosophen, Mathematiker, Musiker, Dichter, Redner, Grammatiker und Scholasten gewidmet. Die Adresse an einen Philosophen z. B. lautete: „Dem vortrefflichsten Philosophen, dem nicht minder genauen als höchst scharfsinnigen Erforscher der Natur;“ und die Überschrift: „Sohn der Weisheit, Liebhaber der Forschung, Kenner der Natur, weisester, bescheidenster, vortrefflichster, tief- und scharfsinnigster Sohn!“ Dies Alles wiederholte sich auch im Texte oft genug. Die Musiker und Dichter wurden abwechselnd genannt: „Nachahmer der himmlischen Harmonie“; „Söhne der Pieriden“; „Zöglinge der Musen“; „Heiligtümer des Apollo“; „Geweihte des Thesbidenchors“; „Priester des Reigens der Hyppokreniden“; „Freunde der Pegasiden“; „Verehrer der Libethriden“; „von pegasischem Nasse Gesättigte“; „Lorbeerbekränzte“; „Epheuumwundene“; „im pierenischen Bronnen Getränkte“; „Hausgenossen der castalischen Quelle“; „Kenner des parnassischen Stromes“; „Eingeweihte des Cephisus“; „Anwohner des Helikon“; „Durchforscher des Parnassushaines“; „Einheimische auf Cirrhas Hügel“; „Bewohner des aeronischen Berges“; „Dolmetsch des phöbeischen Gottes“; „Bezwinger der Schildkrötleier“; „Besinger der neun Schwestern“; „des parnassischen Hauses heilige, göttliche, zierlichste, beredteste, süßeste, angenehmste, bescheidenste, berühmteste, gebildetste, hochtönende, anmutig klingende, honiggewürzte Bürger“. Zudem stand auf der Rückseite des Briefes: „Dem N. N., dem eben so zierlichen als eleganten Verehrer der Musen“. Im Texte wiederholten sich die Ausdrücke: „Göttlichkeit“, „Eleganz“,„Beredsamkeit“, „Anmut“, „Zierlichkeit“, „Vollkommenheit“, „Adel“ und „Vorzug.“ In Frauentiteln findet sich natürlich immer: „Zierde der Keuschheit“; „Beispiel der Schamhaftigkeit“; „Spiegel der Ehrbarkeit“ u. s. w.

Das war so unter Maximilian I., da die Künste und Wissenschaften blühten.

Ein Beispiel der lächerlichsten Titelsucht ist aber Folgendes: „Ein gewisser M. Seeger zu Wittenberg ließ sich malen, und zwar unter einem Kruzifixe stehend, wo aus seinem Munde die Worte: „Domine Jesu Christe, amas me?“ zum Heilande hinauf gingen; und aus dem Munde Jesu kamen nun folgende Titulaturen herab: „Clarissime, nobilissime atque doctissime Domine mag. Seeger, rector scholae Wittenbergensis meritissime atque dignissime, omnino amo te!“

Es begreift sich, dass der Stellvertreter Gottes nicht schlechter bedacht wurde. In der Zueignung z. B. von Thomas Maria Caraffas theologischphilosophischen Thesen, gedruckt 1609 auf Befehl der Obern zu Neapel, heißt der Papst Paul V. der „Vice-Gott,“ der unbesieglichste Monarch der christlichen Republik, der Erhalter der päpstlichen Allmacht (was meint der italienische König-Ehrenmann dazu?). Unterhalb seines Bildnisses erblickt man sich demütigende Könige und Königinnen mit Kronen auf den Häuptern mit dem Spruche aus Jesaias 49, 23: „Und die Könige sollen Deine Pfleger, und ihre Fürstinnen Deine Säugammen sein. Sie werden vor dir niederfallen zur Erde aufs Angesicht und den Staub deiner Füße lecken.“

Bekannt ist die Geschichte der neuesten Zeit mit dem Titel, welchen der höchstselige Kaiser Nikolaus dem dritten Napoleon nach seiner Erhebung zum Kaiser verweigerte und welchen er gab. Er ließ sich nur zu einem: „Mon cher frère“ herbei. Kaiser Alexander in seinen Briefen an den „großen Onkel“ nennt ihn auch très cher ami et frère; aber voraus geht: très sérénissime et très-puissant empereur et roi“

Im Jahre 1814 ward die Titel-Courtoisie zwischen Frankreich und Rußland neu geregelt. Es hies:

[i]„Au très-sérén., très-excellent et très-puissant prince, roi de France et de Navarre, notre très cher frère et ami. “
Und so fort unter der Restauration.

Das Jahr 1830 brachte viele Änderungen. Das russische Beglaubigungsschreiben für den Gesandten Pozzo di Borgo an Louis Philipp begann: „Très-sérénissime, très-excellent et très-puissant prince, Louis Phillipe I. roi des Français“ Die Worte frère und ami verschwanden.

Die Courtoisie zwischen Rußland und Frankreich ward noch im Jahre 1830 alteriert. Großfürst Constantin starb (27. Juni). Rußland teilte das Ereignis allen Hofen, nur dem von Frankreich nicht, mit. Dafür beschloß dieser, auch seinerseits, an Rußland keine Familienereignisse mehr zu notifizieren.

Das Jahr 1848 gab Gelegenheit, einen Titel für den „Präsidenten“ der französischen Republik zu erdenken. Rußland schrieb an ihn: notre grang et bon ami, monsieur le président de la république française; am Ende: „Grand et bon ami“ und unmittelbar vor der Unterschrift: „Votre très-affectionné“

Welche wird die nächste Veranlassung zur Änderung der Courtoisie sein?

Nun mögen einige speziellen Titulaturen folgen, und so diese Abteilung, aus der bereits die „historischen Wörter“ manchen Beitrag enthielten, als: Baron (Nr. 15), Durchlaucht (Nr. 59), Graf (Nr. 101), Großherzog (Nr. 105), Herr (Nr. 124), Herzog (Nr. 125), Königliche Hoheit (Nr. 235), Pascha (Nr. 190) vervollständigt werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort Teil 2