Regulierung der Prostitution

Je nach dem Respekte vor der individuellen Freiheit lässt ein Land eine solche zu oder nicht.

Zwölf Kantone der Schweiz, einige Städte in den Vereinigten Staaten untersagen jede Prostitution. Die Erfahrung, welche man in München mit diesem System gemacht hat, war nicht günstig, da die Zahl der Syphilitischen sich in einigen Jahren verdreifachte (Seitz).


Andere Länder ignorieren die Prostitution und lassen ihr so alle Freiheit. So in den übrigen Kantonen der Schweiz, in einigen Teilen der Vereinigten Staaten und besonders in England, wo eine Frauensperson nur wegen offenkundiger Unanständigkeit oder Zügellosigkeit arretiert werden kann. In Norwegen ist seit dem 15. Februar 1888 jede Reglementierung der Prostitution abgeschafft. Doch ist die tatsächliche Abschaffung nicht erfolgt, so nicht in Bergen und Drontheim, wohl aber in Christiania. Hier kann die Polizei nur Personen arretieren, welche auf der Straße sich skandalierend oder unanständig betragen. Man hat versucht, dieselbe Ausflucht wie in Schweden zu nehmen, nämlich die Prostituierten unter die Vagabonden einzureihen, was erlauben würde, sie in Arbeitshäuser zu stecken. Aber in Christiania hat das Arbeitshaus nur 70 Plätze, und außerdem konnten die bedrohten Prostituierten durch Aufstellung einer Nähmaschine in ihrem Zimmer immer geltend machen, dass sie von anständiger Arbeit lebten. Gegenwärtig hat der ärztliche Verein in Christiania auf grund der Zunahme der venerischen Krankheiten unter den vorher wenig ergriffenen Bevölkerungsklassen und besonders unter den Dienstboten in den bürgerlichen Häusern mit 93 gegen 6 Stimmen eine Resolution zu Gunsten der Wiedereinführung einer Kontrolle gefasst. „Die Prostitution ist ein unvermeidliches Übel, welches man weder durch eine Polizeiverordnung noch durch ein Gesetz unterdrücken kann. Solange Prostituierte bestehen, werden sie einen stets drohenden syphilitischen Infektionsherd bilden.“ Die Regel, einen solchen gefährlichen Infektionsherd zu überwachen, kann bei der Syphilis ebenso wenig wie bei anderen ansteckenden Krankheiten außer Acht gelassen werden, und so haben die meisten europäischen Staaten gedacht.

Aber Dänemark allein hat die Angelegenheit durch Gesetz geregelt und zwar durch das vom 10. 4. 1874 die Einschreibung und Überwachung der Prostituierten der Polizei zugeschrieben.

In Frankreich ist die Regelung der Prostitution der Polizei unterstellt, sodass jede Gemeinde Modifikationen treffen kann, so zwar, dass vor Kurzem ohne das Veto des Präfekten in Marseille der Sittendienst unterdrückt worden wäre.

In Paris — und ebenso aber in jeder anderen französischen Stadt, wo die Prostitution überhaupt geregelt ist — wird jede Frauensperson, welche sich notorisch der öffentlichen Prostitution ergibt, als öffentliche Dirne betrachtet und als solche eingeschrieben, sei es auf ihr Verlangen, sei es von Amtswegen. Die öffentlichen Dirnen zerfallen in 2 Klassen; in die Einzelwohnenden und in die Kasernierten. Die Einschreibung erfolgt meist freiwillig, bei Minorennen und Verheirateten aber nur nach einer Prüfung durch eine Spezialkommission, von Amtswegen nur bei den wenigen Frauenspersonen, welche aus irgend welchen Gründen, so wegen ansteckender Krankheiten, sich der Untersuchung entziehen wollen. Die Eingeschriebenen werden mit ihrem Nationale auf einem besonderen Register geführt, erhalten eine Identitätskarte und werden bestimmten Überwachungsregeln unterworfen, über welche sie instruiert werden.

In Ungarn gibt es nur eine Inskription auf Verlangen der Prostituierten, ebenso in Augsburg und Stuttgart. In Deutschland ist die Prostitution ernsthaft — angeblich — geregelt.

In Italien wurde Einschreibung und Überwachung der Prostitution 1860 eingeführt, 1888 aufgehoben, 1891 wieder eingeführt; die Überwachung variiert in den verschiedenen Städten, oft ist die Zahl der Polizisten zu gering (11 in Neapel, 4 in Turin, Mailand, Venedig, Palermo).

Anderwärts bleiben die Regeln unbeachtet, weil sie den Gemeinden überlassen sind; man erhält lächerliche Zahlen in Belgien und Holland, so 169 Prostituierte in Brüssel (200.000 E.), 102 in Lüttich (168.000 E.), 39 in Gent (159.000 E.), 110 in Amsterdam (400.000 E.), 8 im Haag (150000 E.)

Besondere Bestimmungen gibt es noch mancherorts. So dürfen in Russland die Dirnen ihr Gewerbe während der Menstruation nicht ausüben, in Bosnien und in der Herzegowina müssen sie ihr Buch mit dem Zeugnis über ihre letzte ärztliche Untersuchung zur Verfügung der Besucher haben.

Auf dem internationalen Kongress zu Brüssel ist das Votum angenommen worden, dass die Regierungen von ihren Machtbefugnissen dahin Gebrauch machen sollten, um bürgerlich Minorenne von der Prostitution ganz auszuschließen. In Belgien ist bereits ein bezügliches Projekt dem Parlament vorgelegt.

Die Einrichtung der Bordelle (Maison de tolerance) bietet polizeiliche Vorteile der Überwachung, aber nicht hygienische, die spezifischen Erkrankungen scheinen sich nicht zu vermindern. Die Bordelle fehlen in nicht überwachten Ländern, so in England, Schweden, der Schweiz (ausser Bern, Genf, Zürich, Solothurn). In Deutschland sind sie verboten, finden sich aber in verschiedenen Städten, desgleichen in Amsterdam unter dem Namen von „Hotels“, und wie in Holland, so auch in Dänemark, Italien, Frankreich. In Paris ist die Zahl der Bordelle von 138 in 1878 auf 41 in 1897, in Marseille von 125 in 1873 auf 12 jetzt herabgegangen. Dafür sind die Absteigequartiere („Maison de rendez-vous“) der geheimen Prostitution in der Zunahme begriffen — eine neue Sitte, gegen die sich nichts machen lässt.

„Die Geheimprostitution ist die Hauptquelle der Ausbreitung der Syphilis; denn sie entgeht zu oft auch der besten Überwachung.“ Oft sind die Geheimprostituierten geschützt durch mehr oder minder ausgiebige Ausübung eines Gewerbes (Kellnerinnen, Verkäuferinnen u.b.w.), oft durch hohe Stellung.

Natürlich wird die Geheimprostitution dort, wo überhaupt die Prostitution nicht geregelt ist, nicht beunruhigt, doch hat man in Schweden und Christiania, freilich meist vergeblich, versucht, auch sie unter die Vagabundage einzuregistrieren.

In Frankreich und den übrigen geregelten Ländern ist die Untersuchung und Überwachung der geheimen Prostitution Sache der Polizei. Diese veranstaltet Recherchen in den verdächtigen Häusern, Hotels garnis, Schänken, bringt die Angetroffenen zur ärztlichen Untersuchung und, wenn sie krank sind, ins Krankenhaus, aber erst beim zweiten Falle zur Einschreibung als Dirnen.

In Dänemark umgibt das Gesetz vom 10. 4. 1874 die Einschreibung der Geheimprostituierten noch mit besonderen Formalitäten. Eine Frauensperson, welche Prostitution betreibt, erhält zuerst eine Benachrichtigung seitens der Polizei. Beim ersten Rückfall kommt sie ins Gefängnis oder, wenn sie krank ist, ins Lazarett. Nach dem Austritt bleibt sie 6 Monate lang unter polizeilicher und ärztlicher Kontrolle. Die Einschreibung erfolgt, wenn sie während dieser Überwachung krank befunden oder beim zweiten Rückfall ertappt wird, wobei es ihr außerdem wie beim ersten Rückfall ergeht (Hospital oder Gefängnis).

Die periodischen ärztlichen Untersuchungen sind nur dann von Wert, wenn sie sehr oft, von einem erfahrenen Arzte und gründlich vorgenommen werden.

In Paris werden die Kasernierten einmal pro Woche, die einzeln Wohnenden einmal in 14 Tagen untersucht. Außerdem erfolgt ärztliche Untersuchung bei jeder Arretierung, jedem Austritt aus dem Hospital, jedem Wechsel des Bordells oder der Klasse. Warum die einzeln Wohnenden seltener untersucht werden, ist unerfindlich.

In Kopenhagen ist die Untersuchung zweimal wöchentlich; die Prostituierten erhalten 4 Tage Gefängnis, wenn sie nicht erscheinen, und 24 Tage schwere Arbeit, wenn sie dann venerisch befunden werden.

Eine Untersuchung ein- bis zweimal wöchentlich ist überall bei geregelter Prostitution vorgeschrieben, doch ist die Praxis oft anders. In Berlin sollen 4 Untersuchungen im Monat sein; es sind aber nur 2; auch ist die Zeit der Untersuchung, wie in den meisten großen Städten, zu klein.

Andererseits wird in Anhalt jede Frauensperson untersucht, welche zu mehreren Männern, wenn auch unentgeltlich, in geschlechtlichen Beziehungen steht. Dasselbe gilt in Posen für Kellnerinnen beim Eintritt in den Dienst.*) In Frankfurt hat man eine ärztliche Untersuchung für alle Dienstboten und Mägde eingerichtet.

*) In Danzig werden die Kellnerinnen allwöchentlich vom Polizeiarzte untersucht.

In Christiania wird Jede Frauensperson, welche als syphilitisch angezeigt wird — außer anonym — von einer Sanitätskommission untersucht und eventuell hospitalisiert.

In Lyon werden die Dirnen, welche einmal Syphilis gehabt haben, in der Folge zweimal wöchentlich, statt sonst einmal wöchentlich, untersucht.

In Rumänien werden solche 4 Jahre unter Beobachtung gehalten und in einer besonderen Liste geführt. Das sollte weiter ausgebreitet werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit 26. Jahrgang 1901