Die Kennzeichen der Tollwut

Der Polizeipräsident von Berlin bringt in Folgendem die Ergebnisse wiederum zur Kenntnis, welche über die Kennzeichen der Hundswut durch langjährige Erfahrungen an der Tierärztlichen Hochschule sich herausgestellt haben:

1. Die Tollkrankheit der Hunde kommt nicht allein bei großer Sonnenhitze oder bei strenger Winterkälte vor, wie viele Leute glauben, sondern sie entsteht in jeder Jahreszeit und zwar direkt aus Ursachen, welche man noch nicht kennt, oder durch Anstecken vermittelst des Bisses von tollen Hunden. Auf die letztere Weise kann die Krankheit von einem tollen Hunde zu jeder Zeit auf viele andere Hunde übertragen werden.


2. Unrichtiger Weise glaubt man, dass Hunde mit sogenannten Wolfsklauen, Hündinnen und kastrierte Hunde nicht toll werden können; die Erfahrung lehrt aber, dass auch diese Tiere, im Fall sie von einem wutkranken Hunde gebissen werden, nicht gegen die hierbei mögliche Ansteckung geschützt sind.

3 Wasserscheu, ein sehr auffallendes Symptom bei dem in die Wutkrankheit verfallenen Menschen, fehlt bei dieser Krankheil der Hunde so gänzlich, dass man sagen kann: „Kein toller Hund ist wasserscheu.“ Der Durst ist zwar bei vielen nur gering, aber alle lecken und trinken Wasser, Milch und andere Flüssigkeiten und einzelne tolle Hunde sind sogar durch Wasser geschwommen.

4. Die allgemeine Annahme, dass tolle Hunde Schaum vor dem Maule haben sollen, ist ganz unrichtig, denn die meisten solcher Hunde sehen um das Maul ganz so aus, wie gesunde Hunde, und nur diejenigen von ihnen, denen die Kaumuskeln so erschlafft sind, dass ihnen das Maul offen steht, lassen etwas Speichel oder Schleim, aber nicht Schaum aus dem Maule fließen.

5) Ebenso ist es unrichtig, dass tolle Hunde beständig geradeaus laufen und dass sie immer den Schwanz zwischen die Hinterbeine gebogen halten. Dagegen sind als die wirklichen Merkmale der Hundswut-Krankheit folgende zu beachten:

a) Die Hunde zeigen zuerst eine Veränderung in ihrem gewohntem Benehmen, indem manche von ihnen mehr still, traurig oder verdrießlich werden, mehr als sonst sich in dunkle Orte legen; andere dagegen sich mehr unruhig, reizbar und zum Beißen oder Fortlaufen geneigt zeigen, b) Viele wutkranke Hunde verlassen in den ersten Tagen der Krankheit das Haus ihres Herrn und laufen mehr oder weniger weit davon, sie kehren aber dann, wenn sie nicht hieran gehindert werden, nach etwa 24 bis 48 Stunden wieder zurück, c) Die meisten dieser Hunde verlieren schon in den ersten zwei Tagen der Krankheit den Appetit zu dem gewöhnlichen Futter, aber sie verschlucken von Zeit zu Zeit andere Dinge, welche nicht als Nahrung dienen, wie z. B. Erde, Torf, Holzstückchen, Lappen und dergl. d) Alle tollen Hunde zeigen eine andere Art des Bellens; sie machen nämlich nicht mehrere von einander getrennte Laute oder Schläge der Stimme, sondern nur einen Anschlag und ziehen den Ton etwas lang in die Höhe. Diese Art des Bellens ist ein Hauptkennzeichen der Krankheit, e) Manche Hunde bellen sehr viel, andere sehr wenig. Bei den ersteren wird nach und nach die Stimme heiser, f) Fast alle tollen Hunde äußern eine größere Beißsucht, als im gesunden Zustande. Dieselbe tritt gegen andere Tiere mehr und mehr hervor, als gegen Menschen, ist aber zuweilen so groß, dass auch selbst leblose Gegenstände nicht verschont werden. Doch behalten die Tiere hierbei oft noch so viel Bewusstsein, dass sie ihren Herrn erkennen und seinem Zuruf folgen, zuweilen aber verschonen sie auch ihn nicht, g) Bei manchen tollen Hunden findet sich bald gleich beim Eintritt der Krankheit, bald im weiteren Verlauf derselben eine lähmungsartige Erschlaffung der Kaumuskeln ein, und in Folge hiervon hängt der Unterkiefer etwas herab und das Maul steht etwas offen, doch können auch diese Hunde von Zeit zu Zeit noch beißen. h) Alle tollen Hunde magern in kurzer Zeit sehr ab, sie bekommen trübe Augen und struppige Haare: sie werden nach etwa 5-6 Tagen allmählich schwächer im Kreuze, zuletzt im Hinterteile gelähmt und spätestens nach 8-9 Tagen erfolgt der Tod. Es ergibt sich hiernach, dass die Erkenntnis der Hundswut nicht immer leicht ist. Es ist daher jedem Besitzer eines Hundes dringend anzuraten, dass er, sobald an dem Hunde irgend welche Abweichungen seines gewöhnlichen Zustandes oder Verhaltens bemerkbar werden, schleunigst einen Tierarzt zu Rate zieht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit 26. Jahrgang 1901