Die Essäer (Therapeuten).

Nach Maleachi, dem letzten Propheten, der etwa 400 vor Chr. Geb. gelebt hat, folgen in der jüdischen Geschichte Zeiten politischer Wirren und religiöser Verfolgungen und Kriege, welche den Zeitraum bis zur Geburt Christi und noch über diese hinaus so vollständig erfüllen, dass für die kulturelle Fortentwicklung der Juden, also auch der jüdischen Ärzte kein günstiger Boden gegeben war — denn Wissenschaft und Kultur sind Kinder des Friedens! Bald beherrschten die Syrer, bald die Ägypter das jüdische Volk, in dessen Mitte die Gelehrten, d. h. die Kundigen der heiligen Schrift, etwa dieselbe Rolle, wie einst die Propheten, spielten. Doch hielten sich diese viel zu streng an das Überlieferte und pflanzten dieses nur mündlich, nicht schriftlich fort, als dass im Gebiete der Wissenschaften hätte ein merkbarer Fortschritt statthaben können. Im Gegensatze zu diesen Gelehrten vergaß der eigentliche Priesterstand mehr und mehr seinen hohen religiösen Beruf, so dass oft genug das Amt des Hohenpriesters jeder Würde und jeden Ansehens entbehrte. Kein Wunder ist es so, dass neben dem politischen Zerfall des jüdischen Reichs eine Spaltung der Israeliten in Sekten eintrat. Von allen diesen interessieren uns lediglich die sogenannten Essäer.

Die Essäer oder Essenen waren Mönche, die, abgeschieden von dem Geräusch und dem wilden Strudel des Alltagslebens, in Mäßigkeit und Sittenreinheit ihr Tagewerk zu vollbringen trachteten. Dieses aber bestand in Anbetung und Verehrung Jehovas nach alter Väter Weise und in Ausbreitung der Liebe unter den Menschen. Daher galten die Mitglieder dieser Sekte auch als Ärzte. Von den mannigfachen Deutungen, welche der Name Essäer gefunden hat, beruft sich die eine auf ein aramäisches Stammwort, das Arzt bedeutet, und aus dieser Erklärung entwickelte sich auch die griechische Bezeichnung der Essäer als Therapeuten. Der Hauptsitz dieser war das Gestade des toten Meeres ; nicht nur in Judäa, sondern namentlich in Ägypten auch breiteten sie sich aus und fanden zahlreiche Anhänger. Vielleicht gehörte der viel gerühmte Arzt Theodor von Alexandria zu dieser Sekte.


Die Absicht, in welcher sich die Essäer der Heilung der Krankheiten widmeten, war, durch einen gesunden Körper auf die Gesundung der Seele hinzuarbeiten. Daraus erklärt es sich, dass in ihrer Therapie Gebete und fromme Sprüche bedeutungsvoll waren, und dass besonders die geringeren Geister unter ihnen schließlich von der Höhe des Arztes auf den Standpunkt der Magier und Zauberer hin untersanken. Von wissenschaftlichen Leistungen ist nichts von ihnen überliefert worden; dass sie in der Tat auch nichts zum Fortschritt der Heilkunde beigetragen haben dürften, liegt in der Natur der Mönchs-Medizin.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der jüdischen Ärzte