Die Heilkunde im alten Testament

Die ältesten Aufzeichnungen über die Juden finden wir bekanntlich in den fünf Büchern Moses und in allen anschließenden heiligen Büchern, deren Gesamtheit das alte Testament ausmacht. Es ist ohne weiteres klar, dass die ersten Anschauungen über Heilung und Krankheit, welche wir aus diesem Dokumente erkennen können, ähnliche sein werden, wie bei anderen Völkern der frühesten Zeit; das würde also bedeuten, dass die Krankheit als etwas Unerklärliches und daher als etwas Übernatürliches, als etwas, was außer dem Bereich des Menschen und der von ihm bewohnten Erde lag, angesehen wurde. Krankheit war eine Schickung Gottes, eine Prüfung und zumeist eine Strafe, die er dem sündigen Menschen auferlegte; folglich war Gott der Arzt, in dessen Macht die Heilung lag, aus dessen Gnade die Heilung entsprang, und eine Pathologie in unserem Sinne, eine Krankheitsanalyse, konnte gar nicht vorhanden sein. Schon von Abraham wird erzählt, dass er Gott um Heilung des Abimelech anflehte, und die aussätzige Mirjam wurde erst wieder gesund, als ihr Bruder Moses Gott darum gebeten hatte. Ahrons Brandopfer setzten einer Epidemie, der 14.700 Personen erlegen sein sollen, als Strafe für die Auflehnung gegen Gott, ein rasches Ende. Wie festgewurzelt dieser Glaube an Gottes Macht über Gesundheit und Krankheit war, geht z. B. daraus hervor, dass Moses als Bote Gottes verkünden konnte, niemals würden die ägyptischen Plagen die Bekenner seiner Gebote treffen, Krankheit und Unheil aber seine Verächter.

Kein Wunder ist es also, wenn die Priesterkaste, die Leviten, den ärztlichen Stand im alten jüdischen Volke darstellte; aber eben so wenig wunderbar ist es, dass die jüdischen Priester nur Staatsärzte waren, die wesentlich in Funktion zu treten hatten, wenn es galt, zu prüfen, ob eine der heiligen Vorschriften erfüllt war oder nicht. Diese Vorschriften hatten vor allem Bezug auf die Reinheit derer, welche den Tempel betraten; unrein war der Aussätzige, unrein die menstruierende Frau u. a. m. Ferner musste der Arztlevite die Geschlechtsreife erkennen, von der die Volljährigkeit bedingt wurde. Die Heilbestrebungen gegen den Aussatz, dessen Diagnose sehr wohl bekannt war, beschränkten sich auf Reinigung des kranken Körpers und auf Opferungen und Gebete; vom Propheten Elisa wird erzählt, dass er den syrischen Feldherrn Naemon durch ein Bad im Jordanflusse vom Aussatze geheilt habe. Von chirurgischen Hilfeleistungen konnte wiederum nur insoweit die Rede sein, als damit ein göttliches Gebot erfüllt ward; die ganze Chirurgie des alten Testaments beschränkte sich also auf die rituelle Beschneidung. Ähnlich war aus dem Gebiete der Geburtshilfe den Leviten nur bekannt, dass die Genitalblutungen der Frauen teils Menorrhagieen, teils Metrorrhagieen sind, dass ferner die Lochien anfänglich rot, dann weiß gefärbt sind; sie nahmen an, dass die roten Lochien nach der Geburt eines Knaben sieben, nach der Geburt eines Mädchens aber vierzehn Tage flössen, die weißen im ersten Falle dann dreiunddreißig, im zweiten aber sechsundsechzig Tage. Diese Kenntnisse waren notwendig, um die Reinheit einer Frau zur Erfüllung der mannigfaltigsten Zeremonieen zu entscheiden. Trotz der Bekanntschaft vieler Pflanzen gab es aber bei den Juden des alten Testaments keine Heilmittellehre, was wiederum aus dem ausgesprochenen theurgischen Charakter ihrer Mediein zu erklären ist; nur Feigen und Galle von Fischen werden gelegentlich als Heilmittel erwähnt.


Privatärzte gab es überhaupt nicht; was hätten sie auch gegen die göttliche Fügung zu tun vermocht? In späterer Zeit wurden Tempel- und Wundärzte fest angestellt.

Der bedeutendste Arzt in ältester Zeit war ohne Zweifel Moses, der Gottesmann, selbst. Sein unleugbares und unsterbliches Verdienst liegt auf dem Felde der öffentlichen Gesundheitspflege. Alle seine Gebote über die Ernährung, seine Vorschriften über den Geschlechtsgenuss, selbst sein Gesetz der Sabbathruhe, welches dem Menschen eine Ruhepause in dem fortlaufenden Gange der Arbeit und der Geschäfte anbefahl, sind Erfüllungen hygienischer Empfindungen und Wünsche. Das Verbot des Schweinefleisches, das ja auch bei anderen orientalischen Völkern nachgeahmt wurde, ist mit Sicherheit auf die Erfahrung zurückzuführen, dass der Genuss dieses Tieres oft Erkrankungen nach sich zog; die Schlachtungsart sollte eine Gewähr für gesundes Fleisch bieten in ähnlicher Weise, wie die heutigen allgemeinen Schlachthäuser dies verbürgen. Dabei wäre es müssig, zu streiten, ob die empfohlene Methode die beste sei; der Geist, der sie hervorrief, ist so vom Bewusstsein des Segens der Gesundheitspflege erfüllt, dass der Mann, der ihn besaß, nur um seinetwillen schon verdient hätte, unsterblich zu werden! Eine eben so große Bedeutung hatte sowohl in hygienischer, als auch in sozialpolitischer Beziehung das Gebot, dass eine Frau in den ersten Tagen nach vollendeter Regel unrein sei, also auch nicht vom Manne berührt werden dürfe; denn in der Tat scheint die Empfänglichkeit der Frau in diesen Tagen am größten zu sein, und einer zu großen Anzahl von Kindern musste Moses als Arzt, wie als Staatsmann allerdings vorbeugen — dies umsomehr, als berichtet wird, dass die jüdischen Frauen oft und leicht gebaren, öfter und leichter, als die ägyptischen. Selbst der Zweck der rituellen Circumcision dürfte wenigstens teilweise ein vernünftiger, hygienischer sein; jedenfalls wurde dadurch der Balanitis und der Balanoposthitis, zu der die Juden damals, wie andere orientalische Völker noch heute, infolge reichlicher Schweissabsonderung unter dem warmen Himmelstriche ihrer Heimat, vielleicht auch infolge ungenügender Sauberkeit sehr geneigt waren, auf das wirksamste vorgebeugt. Dass endlich ein Ruhetag für Geist und Körper zur Erhaltung eines gesunden Individuums und somit zur Erhaltung eines gesunden Geschlechts nötig ist, bedarf keines Beweises.

Aus späterer Zeit wäre zu erwähnen, dass König Salomon, dem im Buch der Könige nachgerühmt wird, dass er der weiseste im Orient und in Ägypten gewesen, dass er die Pflanzen von der Zeder an auf Libanons Höhe bis zum schlichten Ysop an der Mauer kannte, dass er die Geschichte der Vierfüssler, der Vögel, der Fische und der Insekten wusste, auch ein Werk verfasst haben soll über die Heilung der Krankheiten mit natürlichen Mitteln. Ezechias soll aber dieses Werk vernichtet haben, weil es dem Ansehen der Levitenärzte schadete. Wie Carmoly erwähnt, gestützt auf Alman, soll noch unter den Arabern Salomons Ruhm als Arzt lebendig gewesen sein.

Nach Salomon gewannen bekanntlich die Propheten den größten Einfluss unter den Juden, und es ist daher nicht wunderbar, dass ihnen auch Eigenschaft und Beruf des Arztes zugesprochen wurde. Sie vermochten im Namen des erzürnten Gottes Krankheiten zu erzeugen, wie überliefert wird, und sie vermochten im Auftrage des versöhnten Gottes Krankheiten zu heilen. Dass Elisa den Aussatz des Naemon geheilt haben soll, habe ich schon erwähnt; auch soll derselbe eine Frau vom Scheintode wieder erweckt haben. Der bedeutendste Arzt unter den Propheten war aber Elisas Vorgänger, Ely, welcher den scheintoten Sohn einer Witwe in das Leben zurückrief, und welcher dem König Joram und auch dem Ahasja eine verderbliche Eingeweidekrankheit anzukündigen imstande war. Prophet Isai ferner heilte den König Ezechias durch ein Feigenkataplasma von seiner Drüsenkrankheit. Prophet Ezechiel endlich scheint Knochenbrüche durch Immobilisationsverbände zu heilen gewusst zu haben. Unter den letzten Propheten (Jeremias, Zachariasu. s.w.) scheint die ärztliche Kunst geradezu Bedingung gewesen zu sein, um die Herrschaft über das Volk zu erlangen. Das beweist auch das Wort Josuas, des Sohnes von Sirach, welches die Achtung vor dem Arzte in damaliger Zeit kennzeichnet. Er sagt: „Achte den Arzt; sein Wissen lässt ihn mit erhobenem Haupte einherschreiten und gewinnt ihm die Bewunderung der Fürsten; wenn Du Dich krank fühlst, so rufe Gott an, und lasse den Arzt kommen — denn ein verständiger Mensch verachtet nicht die Heilmittel der Erde!“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der jüdischen Ärzte