Zustand nach dem Hubertusburger Frieden

Blickt man auf die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück, so zeigt sich unser deutsches Volk, in Bezug auf Gewerbe, Fabriken und Handel, ja selbst auch in Art und Weise wissenschaftlicher Forschungen, auf einer Stufe, die mit der Gegenwart sehr kontrastiert; aber ganz dasselbe ergibt sich auch, wenn man die damalige Stufe der Landwirtschaft mit ihrem jetzigen Zustande vergleicht. Damals hatten Landwirtschaft, Technik und Handel noch einen langsamen, schleppenden Gang und die Wissenschaften bei weitem noch nicht den frischen Geist, der jetzt sie durchweht. Erforscht man die Ursachen davon, so wird man diejenigen Hindernisse, welche die Landwirtschaft im Aufkommen hemmten, auch für die letzten Gründe erklären müssen, warum die Technik und der Handel nicht rascher vorwärts schritten und weshalb die Wissenschaft dem praktischen Leben so fern blieb.

Was die Landwirtschaft in ihrer Entwickelung aufhielt, war zunächst nur ein Vorurteil damaliger Zeit, ein wissenschaftlich sein sollendes Raisonnement, in welchem man Gleichungen über ungleiche Gebiete zog. Man stellte nämlich die sonderbare Behauptung auf, dass der Boden, gleich dem Haustiere, einer periodischen Ruhe bedürfe, beschönigte damit die bestehende Dreifelderwirtschaft mit reiner Brache und dadurch blieb, wie seither, der dritte Teil des Bodens unproduktiv. Zwar gab es kleine Landstriche, besonders Stadtfluren, welche durch frühzeitige Abschaffung der reinen Brache die Richtigkeit dieses Urteils tatsächlich widerlegten 1), oder auch Länder, denen der Anblick öder Brachflächen schon seit dem frühesten Mittelalter fremd war2); doch solche Ausnahmen lagen, gleich unbedeutenden Oasen, im großen Ganzen vereinzelt. Wo aber auch dieses Vorurteil weniger allgemeine Verbreitung fand, da war bei weitem die Hauptmasse der Landwirte, namentlich fast der ganze Bauernstand, durch mittelalterliche Einrichtung verhindert, das Land nach Gutdünken zu nutzen, denn der Bestellung der Brachen standen die Hut- und Triftservitute entgegen. 3)


Die nächste Folge davon war eine geringe Produktion unsers tragbaren Landes. Die unproduktiven Brachen veranlassten nicht allein einen bedeutenden Ausfall an Pflanzenstoffen, sondern es entging auch der Wirtschaft das nötige Futter; dadurch fehlte es am nöthigen Vieh, daher an Dungkraft, und deshalb trug sogar auch der produktive Teil der Äcker nur spärliche Ernten. Wiesenreiche Gegenden, wo ein umfangreicher Grasbau die Wirtschaft kräftig zu unterstützen vermochte, brachten zwar das Quantum der Ernten auf zwei Drittel der jetzigen Produktion, aber im ganzen darf man nicht die Hälfte annehmen, und Fluren, die einen Mangel an Wiesen hatten, produzierten nicht den dritten Teil, wie eine Ermittelung der Ernten des Dorfes Else bei Koburg, vor Einführung der besömmerten Brachen in Vergleichung mit jetzt, uns deutlich beweist. Die Flur Else lieferte vor 1784 nur 135 Fuder Heu und 20 Fuder Klee; jetzt liefert sie 450 Fuder Heu, 600 Fuder Klee und 360 Fuder Rüben. Sie ernährte vor 1784 170 Rinder und 146 Schafe, und jetzt hat man 372 Rinder und 213 Schafe. Man erntete vor 1784 bloß 1813 Simri Getreide und jetzt 5.175 Simri nebst 5.270 Säcken Kartoffeln.

Natürlich war damals auch die Bevölkerung ungleich geringer als jetzt, denn das Land konnte weit weniger Menschen ernähren. Man darf annehmen, dass sich die Volksmasse in Deutschland seit 1784 verdoppelt hat, wie einzelne Beispiele von Ländern, deren frühere Volkszahl bekannt ist, beweisen. Böhmen zählte z. B. 1783 nur 2.852.000 Menschen, jetzt zählt es 4.705.000; Alt-Bayern und Oberpfalz hatten 1799 bloß 790.000 Einwohner, jetzt haben sie 1.803.000 bei gleicher Größe, denn die hinzugekommenen Stiftsländer sind für das abgekommene Neuburg zu rechnen. Die Kurmark Brandenburg besaß 1799 nur 790.000 Einwohner, und zählt man jetzt die Bevölkerung aller Landesteile zusammen, welche damals zur Kurmark gehörten, so hat sich deren Menschenzahl fast bis auf 1 1/2 Millionen gesteigert. 5) Aus diesem allen ergibt sich nun, dass das Wachstum der Volksmasse Deutschlands mit der Zunahme der Nahrungsmittel bisher gleichen Schritt gehalten hat.

Die geringe Höhe der Volkszahl erstreckte sich nicht allein aus Dörfer, sondern auch Städte hatten kaum halb so starke Bevölkerung als jetzt. Damals gab es in Deutschland nur 8 Städte mit über 40.000 Einwohnern, jetzt kann man deren 24 zählen, und viele haben seither die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt. Wien z. B. war 1790 eine Stadt mit 250.000 Menschen, jetzt hat es eine halbe Million; Berlin wird 1786 mit 140.000 Einwohnern angegeben, und jetzt rechnet man 460.000 Menschen. Ebenso haben sich die Fabrikdistrikte in Zahl, Umfang und Menge ihrer Einwohner vermehrt. Die Grafschaft Ravensberg hatte 1803 nur 84.000 Einwohner und jetzt über 160.000, und dennoch war sie damals schon durch ihre Manufakturen berühmt. Das Schönburger Land, welches im Königreich Sachsen liegt und gegen 11 Quadratmeilen hält, wird 1784 als eine der blühendsten Fabrikgegenden Deutschlands geschildert, „die wohl an 52.000 Einwohner haben könne“, und jetzt beläuft sich die Volkszahl desselben an 150.000 Menschen. Also folgt, dass der produzierende und fabrizierende Teil der Bevölkerung gleichmäßig gewachsen ist.

Bei der damals noch so geringen Stufe der Ausbildung aller Gewerbe war auch der Handel weit unbedeutender als jetzt. Langsam und schwerfällig bewegte er sich aus den schlechten, im Frühling fast grundlosen Wegen, und das Bedürfnis nach bessern Straßen war kaum erwacht. Chausseen gehörten zu Seltenheiten, liefen nur kurze Strecken, weshalb im Binnenlande an einen weitern Transport des Getreides gar nicht zu denken war. Selbst auch zur See führten nur wenige Küstenländer, am meisten Ostsriesland, einigen Weizen nach Holland und England aus. Daher waren die Fruchtpreise der verschiedenen Märkte meistens sehr ungleich, auch gebrach es an Kornspekulanten und an massenhafter Ausspeicherung des Getreides; bei guten Ernten wurde das Brot außerordentlich wohlfeil, in Missjahren aber entstand große Teuerung und an einigen Orten sogar Hungersnot.

Dürfen wir uns nun wundern, wenn bei so beschaffenen Umständen sich die Wissenschaft wenig geneigt fand, unserm Gewerbswesen hilfreich entgegenzukommen? Man konnte ja selten nur in Deutschland neue Erfindungen verwerten. In der Technik war der Absatz zu gering, um in größerem Maßstabe fabrizieren zu lassen, und in der Landwirtschaft gab es der Hindernisse zu viele, um den Betrieb intensiver einrichten zu können. Es stand zu befürchten, dass neue Erfindungen unbeachtet beiseite geschoben würden, ein Schicksal, das schon manche erfahren hatten, weil ihre Verwendung im Kleinen keinen Nutzen darbot. 6) Das Ausland aber hatte sie zu benutzen verstanden, und besonders beutete das in Ökonomie und Technik blühende England deutsche Erfindungen aus. Daher kam es, dass spekulative Köpfe ihre neuen Erfindungen nach England trugen, worüber man sich damals ganz mit Unrecht beschwerte, denn das Vaterland gab dem Erfinder keinen Dank.

Sollte nun dieser Zustand ein Ende nehmen, sollte der Bauernstand, die Hauptmasse des Volks, bereits noch arm und roh, stellenweise sogar noch leibeigen, zu einigem Wohlstande kommen; sollte der Bürger, im mechanischen Treiben seines Handwerks versunken, zur regen Tätigkeit für Verbesserung und Erweiterung seines Geschäfts erwachen; sollten die deutschen Fabriken eine Stufe erreichen, auf welcher sie der Konkurrenz mit dem Auslande Trotz bieten konnten; sollte der bisher nur schleichende Handel in seinen Bahnen mit gesteigerter Schnelligkeit ziehen; sollte die Wissenschaft durch ihr Eingehen ins praktische Leben eine neue Weihe empfangen; sollte mit Einem Worte unser Deutschland einer bessern Zukunft entgegengehen: so musste zuvor der Damm des Stromes gebrochen werden, dessen stauendes Gewässer den Abzug aller Flüsse versperrte, es mussten die Fesseln der Landwirtschaft fallen, um ihr nebst allen Zweigen menschlicher Tätigkeit neue Bahnen zu öffnen.