Die ersten Reformen. Maria Theresia. Schubart von Kleefeld

Zum Glück für Deutschland war es damals gerade seinen Fürsten zur klaren Einsicht gekommen, dass ihr Wohl mit dem Wohle des Volks verbunden sei, dass eine Steigerung der Macht ihres Staats nur durch Erhöhung des Volkswohlstandes erzielt werden könne, und darum hatten auch manche schon vor dem Siebenjährigen Kriege einige Verbesserungen in der Landwirtschaft versucht. Doch während dieses Kriegs fand besonders die Kaiserin Maria Theresia Gelegenheit, einen tiefen Blick in den traurigen Zustand ihrer deutschen Staaten zu werfen, denn Österreich stand damals in vielen Dingen, und so auch in agrarischen Verhältnissen, andern deutschen Staaten am meisten nach. Mit sehr geringen Ausnahmen waren alle Landbebauer in Böhmen, Mähren und Unterösterreich nördlich der Donau noch auf tiefster Stufe der Kultur; sie hießen zwar Bauern, hatten aber kein Grundeigentum und waren leibeigen. Daneben gab es eine Menge umfangreicher Güter, deren Produkte, durch den Mangel größerer Gewerbstätigkeit und regeren Handelsverkehrs, nur sehr geringe Preise hatten und ungleich wohlfeiler als in Sachsen waren. Österreich bedurfte also einer Umgestaltung des Landwirtschaftlichen Wesens am meisten und darum begann die Reformation desselben hier auch zuerst.

Es galt zunächst, einen zahlreichen Bauernstand persönlich freier Leute mit eigenem Grundbesitz zu schaffen; er sollte den Kern der Volksmasse bilden und Mittel erhalten, um sich allmählich zu einigem Wohlstand und aus der traurigen Beschaffenheit seines geistigen Zustandes erheben zu können. Darum gab die Kaiserin 1770 das den armen Leibeigenen so günstige Landeinkaufungsgesetz. Gleichzeitig wollte sie, durch Gründung und Begünstigung vieler Fabriken und Manufakturen aller Art, den Austausch der Waaren befördern, den Handel beleben, und hoffte dadurch die innere Kraft ihrer deutschen Staaten bedeutend zu mehren.


Bald zeigte sich in dem Kaiserreiche ein neuer Geist, in allen Teilen des Staats blühten die Fabriken empor, der Handel entwickelte seine Kraft, und in den bäuerlichen Verhältnissen hatten ihre Bemühungen durch die Unterstützung des hohen Adels den besten Erfolg. Als nun Kaiser Joseph II. im Jahre 1780 auch die Leibeigenschaft aufhob, als er 1786 auf Domanial- und Kirchenbesitzungen das Robotablösungsgesetz in Kraft treten ließ, kam Österreich durch einen zahlreichen, freien und begüterten Bauernstand 7) gar manchem deutschen Staate voran und gewann eine innere Kraft, durch welche es später dem Andrange der Napoleonischen Heere weit kräftiger zu begegnen vermochte als der im Siebenjährigen Kriege so gewaltige Nachbar.

Preußen stand nämlich vor dem Siebenjährigen Kriege den deutschen Landen des Kaisertums an bessern agrarischen Institutionen offenbar weit voran. Eigentlich fehlte nur den ostwärts der Elbe und nordwärts der Oder gelegenen Landesteilen, namentlich Pommern, Ukermark, Neumark und Oberschlesien, ein zahlreicher Bauernstand, und auch nur dort war die Leibeigenschaft häufig zu finden. Der übrige Teil des Königreichs hatte einen Bauernstand, dessen Bildungsstufe ungleich höher als unter den armen Leibeigenen Österreichs war; besonders zeichneten sich hierin die Bauern von Magdeburg, Quedlinburg, Halberstadt, Ravensberg, Kleve und der Mark Westfalen vorteilhaft aus. Außerdem bewegte sich in Preußen das Volksleben weit reger, sodass es in keinem Teile der Monarchie einer Erweckung der Gewerbstätigkeit und des Handels in der Art bedurfte wie in Böhmen und Mähren; doch eine Reformation der agrarischen Verhältnisse tat auch hier, und besonders für den Osten des Königreichs, recht not.

Das erkannte auch Friedrich der Große; doch als er nach dem Siebenjährigen Kriege mit wesentlichen Verbesserungen beginnen wollte, legten sich ihm von Seiten der Privilegierten so große Hindernisse entgegen, dass er, verdrießlich darüber, fast alle Reformen ausgab und nur aus seinen Domanialbesitzungen die Leibeigenschaft aufhob. Im übrigen beschränkte er sich bloß auf das Austrocknen von Sümpfen und aus Verbesserung des Landwirtschaftlichen Betriebs, war aber in letzterer Beziehung nicht immer sehr glücklich. Daher blieb in Preußen das ganze Heer der feudalistischen Bande samt der Leibeigenschaft in voller Kraft, und schärfer als früher wurden die drei Stände, Adel, Bürger und Bauern, voneinander getrennt. 8) Ja sogar neue Lasten und neue Beschränkungen kamen hinzu 9), denn nur die Justiz, welche durch Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit den Besitz sicher stellte, war in Preußen vortrefflich zu nennen.

Diese starren Formen, in welchen Preußen verharrte, trugen sehr viel zu seinem nachmaligen Sturze bei. Wer freilich gewohnt ist, den Staat nur für eine Maschine zu halten, wird Preußens Unglück natürlich auch bloß in den strategischen Fehlern suchen, die in den Feldzügen 1806 und 1807 gemacht worden sind; wer ihn aber als einen lebendigen Organismus anerkennt, muss zugestehen, dass dem preußischen Staate in seinem Verharren beim Alten der alles belebende geistige Odem gebrach, der nur im Fortschritt, bei reger, ineinander greifender Tätigkeit aller Klassen des Volks, geweckt und erhalten wird. Wenigstens glaubte der Minister vom Stein nach dem Tilsiter Frieden, dass der Wiedererhebung Preußens notwendig eine gründliche Reformation des agrarischen und industriellen Wesens vorangehen müsse, damit es sich lohne, Gut und Blut für das Vaterland einzusetzen. Geschichtlich ist auch der ruhmreiche Sieg der preußischen Heere in den Feldzügen 1813 —15, ungeachtet der vielen strategischen Fehler, die man in den Memoiren des Generalquartiermeisters von Müssling nachlesen kann, denn der Geist der Armee wusste sie zu Paralysieren.

Im übrigen Deutschland lagen die Verhältnisse sehr ungleich. In der Lausitz, in Hoya, Münster, Mecklenburg und mehreren kleinern Gebieten dauerte die Leibeigenschaft fort und war stellenweise sogar noch im Kurfürstentum Sachsen zu finden; in Thüringen, Holstein und mehreren Ländern am Rhein und in Franken war sie entweder gar nicht gewesen oder, wo sie stellenweise herrschte, hob sie Humanität und eigener Vorteil auf; denn die Kameralisten hatten überzeugend bewiesen, dass Leibeigenschaft für die Herren nicht einmal vorteilhaft sei. In Sachsen, Thüringen, Franken, Bayern, Schwaben, Rhein, Niedersachsen und Holstein, wo der Bauernstand der vorherrschende Teil der Grundbesitzer war, geschah schon während der sechziger Jahre manches für dessen Hebung; besonders bemühte man sich, den Obst- und Flachsbau zu fördern, wozu die Landwirtschaftlichen Vereine, welche seit den sechziger Jahren entstanden waren 10), viel beitrugen.

Man würde gewiss diesen Vereinen sehr unrecht tun, wenn man behaupten wollte, dass ihre Wirksamkeit unbedeutend gewesen wäre; denn für Gutsbesitzer und Pächter und für einige Zweige der Ökonomie, worunter namentlich Schafzucht, Obst- und Flachsbau gehört, haben sie viel Gutes gestiftet; nur konnte das zur Wohlfahrt des Ganzen nicht dienen. Die Masse des Volks musste so lange beim alten schlechten Betriebe der Landwirtschaft verharren, als die Grundübel der Ökonomie, das Trift- und Hutservitut der Felder und Wiesen, fortbestanden und die freie Benutzung des Grundeigentums, die Verwertung der Brachen zum Futterbau, dadurch versperrten. Daher behaupteten auch die Kameralisten, vor allen der freimütige von Justi 11), dass mit dem Verbessern im einzelnen wenig geholfen sei, dass durch die Aufhebung der drückendsten Servitute eine höhere Blüte des Vaterlandes angebahnt werden müsse.

Nur ein einziger Verein, die Sozietät zu Kaiserslautern, gab den Mahnungen der Zeit Gehör. Sie wandte sich schon 1770 an die Fürsten des Rhein mit der Bitte, ein Gesetz für die Aufhebung des Hut- und Triftservituts für Wiesen und Felder, zum bessern Aufkommen der Landwirtschaft, erlassen zu wollen, und hatte die Freude, dass ihr Gesuch bei allen Fürsten des Rheinlandes Beachtung fand. Nun wurden die Brachfelder bestellt; Klee, Kartoffeln, Runkeln und Rüben kamen ins Feld, die Rinder wurden im Stalle gefüttert, der Viehstand verdoppelte sich, die reichvermehrte Dungmasse erzeugte üppige Saatfelder, und schon 1779 schrieb Schlözer 12): „Das Rheinland ist jetzt wie ein Garten so schön.“

Dort am Rhein sah Hofrath Schubart, später koburgischer Geheimrat, dann vom Kaiser Joseph II. in den Adelstand erhoben und „von Kleefeld“ genannt, den neuen Landwirtschaftlichen Betrieb. Er amte ihn seit 1774 auf seinem Gute zu Würchwitz bei Zeitz mit großen Erfolgen nach, übertraf sogar, durch glückliche Versuche im Anbau der Kleearten, der Kartoffeln und Runkeln und des Rapses, seine rheinischen Lehrer, und verkündete durch Wort und Tat die Vortrefflichkeit des neuen Systems. Schon 1783 zog er die Aufmerksamkeit der bedeutendsten Ökonomen und Staatsmänner auf sich 13); im Jahre 1785 hatten sich bereits die Fürsten von Anhalt und Thüringen, nebst mehreren Fürsten und Grafen in Böhmen und Mähren, für Schubarts Wirtschaftssystem erklärt; in ihren Ländern wurden die Bauern vom Hut- und Triftservitut der Felder und Wiesen befreit, ans ihren Domänen war die Besömmerung der Brachen und die Stallfütterung der Rinder eingeführt, und die Untertanen ahmten die neue Betriebsart nach.

Auf diese Weise gewann nun, im Laufe der achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, Thüringen, Sachsen, Harzland und die benachbarten Gegenden eine ganz neue und weit schönere Gestalt. Der traurige Anblick der kahlen Brachen verschwand, auf Feldern wechselten Klee, Kartoffeln und Handelsgewächse mit reichen Saaten, an Rändern und Bergen prangte der Obstbaum, und die Masse der Produktion stieg später allmählich zu nie geahnter Höhe empor. Wohl ist es wahr, dass Schubarts Lehre für die Gutsbesitzer des weniger kleefähigen und zugleich menschenärmern Nordens nicht so wie für Mitteldeutschland geeignet sein konnte und, bei der mechanischen Auffassung derselben, durch ungeschickte Anwendung schlechten Erfolg geben musste; doch ebenso wahr ist auch, dass sie für Mitteldeutschland ein großer Segen wurde und besonders dem kleinen Grundbesitzer mit auffallender Schnelligkeit zu höherem Wohlstande verhalf. Die ganze Wirtschaftsweise des Bauern in Thüringen, Sachsen, Hessen, Franken und Harzland ist nach Schubarts System eingerichtet, und den ungleich höhern Ertrag derselben verdankt er Schubart von Kleefeld, dem sächsischen Reformator der Landwirtschaft.