Zwei Optimisten 1840 - 1912

Die Historiker der Prostitution, deren es eine ganze Masse gegeben hat, sind seit langem darüber einig, dass die Prostitution auf dem Aussterbeetat steht. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schrieb Paul Lacroix in der Einleitung zu seinem wissenschaftlichen Koloss, betitelt „Die Prostitution“: „Der Augenblick ist nicht weit, wo die Prostitution vor sich selbst erröten wird, wo sie für immer das Heiligtum der Sitten verlassen wird, wo sie in Dunkelheit und Vergessenheit geraten wird. Es gibt solche Krankheiten, sowohl des menschlichen Herzens wie des Körpers, die verschwinden, indem sie sich selbst verzehren, und die ihre verderbliche Wirkung unter dem Einfluss eines geordneten Lebens verlieren.“ Inzwischen hat sich eine Sexualwissenschaft konsolidiert, eine Wissenschaft, die, um mit den eigenen Worten eines Sexualforschers zu reden, „gleich in voller Wehr und Rüstung dastand wie die aus dem Haupte des Zeus entsprungene Wissensgöttin selbst, schwer belastet mit den Ansprüchen eines schon zu voller Entfaltung gediehenen enzyklopädisch aus- und durchgearbeiteten selbständigen Forschungsgebietes“. Inzwischen hat die Lösung der sexuellen Frage, die Aufklärung über das Sexualleben des Menschen, Ladungen von Papier verschlungen, dass man damit alle Schweineställe der Welt austapezieren könnte und die Wohnungen einiger Sexualforscher noch dazu. Inzwischen hat sich an dem sogenannten kulturellen Leben herzlich wenig geändert, die Zahl der Prostituierten ist auch prozentual gewachsen, die zunehmende Ehelosigkeit erhöht sichtlich die Bedeutung der Prostitution für das öffentliche Leben. Die Prostitution tritt von Jahr zu Jahr mehr in die Öffentlichkeit, und sie hat sich in dem Nachtleben der großen Städte ein Gesellschaftsbild geschaffen, in dem sie allein dominiert. Die optimistische Stellungnahme der berufenen oder berufsmäßigen Historiographen der Prostitution ist noch immer die gleiche: „Viele Momente bereiten eine neue Gesellschaft vor, die von der heutigen so verschieden sein wird, wie die für uns bereits der Vergangenheit angehörige Neuzeit sich vom Mittelalter unterscheidet. In diesem Zusammenhange gewinnt auch die Prostitutionsfrage ein ganz anderes Aussehen, als sie früher hatte, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, vor der Zeit des Industriestaates, des Sozialismus, der allgemeinen Volksbildung und der Frauenbewegung. Besonders die letztere wird von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Prostitution werden, und die Frage, ob sie ein notwendiges Übel im Leben der modernen Kulturvölker sei, im negativen Sinn bestimmen“, so schreibt Iwan Bloch im Jahre des Heils 1912 über den Untergang der Prostitution.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Prostitution