Paul Lacroix und Iwan Bloch

Man kann es sehr wenig nett von den Historiographen der Prostitution finden, dass sie jener Erscheinung, der sie selbst die intensivste Forscheraufmerksamkeit schenken, so wenig Zukunftsmöglichkeit zusprechen, und man kann es für ein eigentümliches psychologisches Phänomen ansehen, dass sie sich ausgerechnet mit der Erscheinung des sexuellen Lebens beschäftigen, die ihren tiefsten Abscheu erregt. Das absprechende Urteil beruht jedoch in beiden Fällen auf durchaus verschiedener Basis. Bei Lacroix ist es mehr eine Verbeugung vor dem Publikum, das damals wie heute nach außenhin seinen Abscheu vor der Prostitution proklamiert hat. Der Optimismus Lacroix' durchdringt sein Werk durchaus nicht, innerlich kann er sich nicht zu jener erhabenen Verachtung aufschwingen, und die schöne wilde Bestie Weib scheint ihm sehr begehrenswert. Er vermag nicht, grundsätzlich jene starken Kurtisanen „abzulehnen“, die durch die Verachtung der sogenannten anständigen Welt keineswegs deformiert werden wie die schwachen und talentlosen, sondern deren Kräfte durch sie nur gesteigert werden, dass sie alles erreichen und üben, was an Schönheiten diese anständige Welt für sich allein nur hervorbringen und halten zu können glaubt.

Ganz anders Iwan Bloch. Bei ihm ist die Darstellung der Prostitutionsgeschichte von einer Tendenz durchdrungen, von der Tendenz, dass die Prostitution sich überlebt hat, dass sie in die moderne Welt nicht mehr hineinpasst und dass die Bedingungen, die die Prostitution geschaffen haben, heute nicht mehr bestehen oder jedenfalls, dass deren Bestand nicht notwendig ist. Da nun aber die Prostitution ein „negativer Faktor des menschlichen Artprozesses ist, muss ihre Ausrottung eine soziale Pflicht sein. So berühren sich Optimismus und Tendenz, und man gelangt so weit, dass man die Sexualwissenschaft völlig zur Sexualpolitik macht und in ihr vornehmlich die Vorbereitung auf die Verwirklichung der Sexualreform sieht. So schaffen Optimismus und Tendenz dem Autor die Illusion der billigen Lorbeeren, ein eminent moralisches Buch geschrieben zu haben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Prostitution