Abschnitt 3

Zweites Kapitel
Die Revolutionsheere.


Ein bizarres Zeugnis, wie Altes und Neues, Militarismus und nationaler Geist sich in der neuen französischen Armee mischten, ist ein Befehl Napoleons über Einstellung von Negern. Als er in Ägypten, von der Heimat abgeschnitten, seine Armee zusammenschmelzen sah, schrieb er den General Desaix (22. Juni 1799): „Bürger-General, ich möchte 2000 oder 3000 Neger über 16 Jahre alt ankaufen und etwa 100 davon in jedes Bataillon stecken“.


So lange das Tiraillieren ein bloßer Notbehelf war, war immer die Gefahr gewesen, daß es zu weit ausgedehnt wurde und für den eigentlichen Angriffsstoß nicht genügend Truppen in der Hand der Führung blieben. Als also die Ordnung sich wieder durchsetzte, suchte man das Tiraillieren wieder zu beschränken. Schützengefecht, Linear-Aufstellung und Kolonnen wurden je nach Bedarf gleichzeitig und abwechselnd angewandt. Der fundamentale Gegensatz zwischen der neuen und der alten Taktik fiel daher dem äußeren Beobachter nicht so sehr in die Augen, wie man meinen möchte, und die Zeitgenossen, namentlich die Franzosen selber sind sich der Abwandlung, die sich vor ihren Augen vollzog, kaum bewußt geworden und aus mancherlei Zeugnissen ist zu erkennen, wie wenig man an systematischen Ausbau der neuen Formen dachte. Zum Schützengefecht gehört naturgemäß Ausbildung des Mannes im Schießen; dafür aber geschah so wenig, daß der Stabschef Bonapartes, Berthier, noch im Jahre 1800 ein paar Tage vor dem Abmarsch über den großen St. Bernhard befehlen mußte: „Von morgen an soll man die Konskribierten ein paar Gewehrschüsse abgeben lassen: man soll sie unterweisen, wie man mit richtigem Augenmaß das Gewehr anlegt, um zu zielen und endlich, wie man das Gewehr ladet.“ In eben diesem Jahr (1800) erschien in Deutschland die schon erwähnte, vortreffliche „Geschichte der Kriegskunst“ von Hoyer. Hier fragt der Verfasser (II, 891): „Hat wohl die Kriegskunst durch diesen Krieg (seit 1792) an Ausbildung gewonnen?“ „Unmöglich könne man, meint er, diese Frage ohne Einschränkung mit ja oder nein beantworten“. Dann werden aufgezählt: Vervielfältigung des Gebrauchs der Artillerie, die glückliche Anwendung der Tirailleurs im Gebirgskriege; der Gebrauch der Luftbälle zum Rekognoszieren: „Es läßt sich aus diesem Grunde allerdings behaupten, daß die Kriegskunst überhaupt durch diesen, wie durch jeden Krieg mehr erweitert worden sei, daß keineswegs aber die Taktik einen gänzlichen Umsturz erlitten habe.“ An einer Stelle (II, 958) spricht er von dem Schützengefecht in der Vendee. Die Kolonnen sind ihm, was ja äußerlich zutrifft, bloße regellose Haufen. In keinem Kriege, meint er (S. 1017), „ward wohl die Feldverschanzungskunst so häufig angewendet, als in dem gegenwärtigen“. Wieder an anderer Stelle (Bd. I, Vorrede) spricht er von der Verbesserung der Gewehre, den stärkeren Pulver, den Signal-Telegraphen, die man erfunden habe. Endlich (S. 886) meint er, diejenigen Revolutions-Generale hätten gesiegt, die die von den alten französischen Generalen in den Grenzgegenden gefundenen und im Kriegsministerium verzeichneten Stellungen herausgefunden, die Karten zu lesen verstanden, und sich zu Nutzen gemacht hätten.

Wir, die wir die Entwickelung in ihrem Fortgang überblicken, sehen die kriegsgeschichtliche Bedeutung der Revolutionskriege nicht in der Verbesserung des Pulvers und der Gewehre; was da geschah, erscheint uns so unbedeutend, daß wir sogar sagen, die Kriege Friedrichs und Napoleons seien mit demselben Gewehr ausgefochten worden. Auch was damals die Beobachtung aus dem Luftballon geleistet hat, scheint es uns kaum mehr als ein Kuriosum. Niemand sieht eine wesentliche Eigenschaft der Revolutionskriege in dem Gebrauch der Feldbefestigungen oder leitet gar die Siege der Revolutionsgenerale daraus ab, daß sie aus den Karten, die von früheren Generalen herausgefundenen guten Stellungen abzulesen verstanden. Das einzig Entscheidende ist uns die neue Armee-Verfas sung, die erst eine neue Taktik gebar und aus der dann auch eine neue Strategie erblühen wird. Hoyer, dieser kluge, fachmäßig gebildete Beobachter, sieht die neue Taktik nur im Gebirgskrieg und in der Vendee und von der neuen Strategie ahnt er nichts.

Als der allgemeine Krieg herannahte, haben die Franzosen den Oberbefehl über ihr Heer dem Herzog Ferdinand von Braunschweig angetragen, demselben, der dann das Heer der Koalition gegen sie führte und 1806 bei Auerstädt besiegt wurde. Friedrich der Große hatte den tapferen Prinzen so hoch gestellt und mit solchen Lobsprüchen bedacht, daß man ihn für den größten lebenden General hielt. So trugen einst die Goten dem gegnerischen Feldherrn Belisar die Krone an, und wie dieser naive Gotenplan uns als Beweis dient, daß irgend ein politischer Gedanke ihrem Kriegertum fremd war, so darf jene französische Idee als ein Zeugnis verwertet werden, daß die Franzosen ohne jede Ahnung davon gewesen sind, daß ihre Revolution auch eine ganz neue Epoche des Kriegswesens heraufzuführen im Begriff sei.

Bei der neuen Fechtweise waren die Verluste erheblich geringer, als in der Linear-Taktik, wo die geschlossenen Truppenteile ins Kartätsch-Feuer kamen oder sich gegenseitig mit ihren Salven überschütteten. Das ist schon von Zeitgenossen bemerkt worden. Scharnhorst führte 1803 gelegentlich der Rezension eines französischen Buches aus, daß in den Revolutionskriegen wenig höhere Generale gefallen seien. Ganz anders war es bei der preußischen Armee im siebenjährigen Kriege. Gleich in den ersten Jahren verlor diese nur sehr kleine Armee ihre beiden Feldmarschälle – Schwerin und Keith – außerdem noch Winterfeld und andere der berühmtesten und ältesten Generale. Aber auch in einer Schlacht dieses Krieges (z.B. Prag, Zorndorf, Kunersdorf, Torgau) blieben mehr Menschen auf der Stelle, wie in einem ganzen Feldzuge des Revolutionskrieges (d.i. in mehr als vier bis zehn Schlachten) selbst den in Italien unter Bonaparte nicht ausgenommen.

Auch 1813 ist, so weit ich mich erinnere, Scharnhorst selbst der einzige preußische General geblieben, der gefallen ist. Im allgemeinen aber sind die Verluste im Verlauf der Napoleonischen Kriege wieder sehr gestiegen.

Bei den alten Mächten sah man in der neuen französischen Fechtweise nichts als eine Entartung und lehnte sie selbstbewußt ab. Der österreichische Feldmarschalleutnant und Generalquartiermeister MACK verfaßte im Oktober 1796, also als Bonaparte in Italien gesiegt hatte, Jourdan und Moreau aber aus Deutschland wieder hatten zurückweichen müssen, eine Denkschrift, in der er die Vorzüge der alten Fechtweise darlegt. Auch die österreichische Armee habe sich in Flandern, wo das koupierte Terrain den Angriff in geschlossener Front nicht möglich mache, den „Angriff en Tirailleurs“ angewöhnt. Auch ohne angeordnet zu sein, arte der Infanterie-Angriff dazu aus, sobald die Hitze des Gefechts die erste Ordnung im Anrücken verschwinden mache. Diesem Mißbrauch müsse man entgegentreten, weil er den Nachdruck des Angriffs schwächt, bei einem unerwarteten Widerstande des Feindes die ersten Vorteile aus den Händen winden kann und im Falle des Erscheinens einiger feindlicher Kavallerie den Untergang der zerstreuten siegestrunkenen Truppe unvermeidlich macht. „... Eine reguläre, abgerichtete und solide Infanterie kann, wenn sie mit geschlossener Front in gestreckten Schritten mutvoll unter Protektion ihres Artillerie-Feuers avanciert, von zerstreuten Plänklern in ihren Fortschritten gar nicht aufgehalten werden, muß es daher verachten, sich weder mit Plänkeln noch mit Abteilungfeuer aufhalten, und ihrem Gegner mit möglichster Geschwindigkeit bei stets anhaltender größter Ordnung zu Leibe gehen. ... Diese Methode ist die wahre Menschenschonung; alles Schießen und Plänkeln kostet Leute und entscheidet nichts.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4