Abschnitt 2

Zweites Kapitel
Die Revolutionsheere.


Nicht bloß die französischen Offiziere, auch die Mannschaften mußten sich im Dienste der Vaterlandsverteidigung Entbehrungen auferlegen, die die Söldner der alten Zeit nicht auf sich genommen hätten. Die Zelte wurden abgeschafft und man biwackierte unter freiem Himmel, während jedem preußischen Infanterie-Regiment nicht weniger als 60 Packpferde folgten, die die Zelte trugen.


Die neue Kriegsverfassung gebar auch eine neue Taktik.

Die Heere des 18. Jahrhunderts bestanden ziemlich gleichartig, wenn schon mit gewissen Variationen, aus Berufssoldaten, dem Offizierkorps, das lebte in dem übernommenen ritterlichen Ehr- und Treubegriff, und der Mannschaft, die als mehr oder weniger indifferent angesehen wurde. Die Disziplin schmiedete sie zu festen taktischen Körpern zusammen und je fester diese Formationen waren, desto höher wurden sie geschätzt. Der vollkommenste Typus ist die in drei Gliedern vorrückende, Salven feuernde Linie. Die neueren republikanischen Heere sind nicht mehr Söldnerheere im Dienste eines Herrn, sondern sie sind erfüllt von einer eigenen Idee, von einer neuen Weltanschauung, von Freiheit und Gleichheit, von der Verteidigung des Vaterlandes. Diese Ideen verloren nichts an ihrer Kraft dadurch, daß die ursprüngliche Freiwilligkeit ersetzt wurde durch eine gesetzliche Wehrpflicht und ergaben ein Soldaten-Material, das, grundverschieden von dem alten Söldnertum, sich zu hervorragenden kriegerischen Eigenschaften erziehn ließ. Es ist dabei aber nicht zu übersehn, daß in den französischen National-Regimentern auch vor der Revolution schon ein gewisser Nationalgeist lebte, der freilich militärisch noch nicht wirksam wurde, in der Revolution sogar dazu beigetragen hat, die Disziplin und damit die alte Armee aufzulösen, dann aber in den neuen Geist überleitete und den Übergang erleichterte. So ist es auch mit der neuen Taktik.

Die neuen republikanischen Heere versuchten sich natürlich zunächst in den überlieferten Formen zu bewegen. Aber sie konnten nicht leisten, was da verlangt wurde. Für das Avancieren in Linie und Salverschießen fehlte ihnen die Disziplin und das Exerzitium. Da man in den dünnen Linien die Mannschaften nicht zusammenhalten und bewegen konnte, faßte man sie in tiefen Kolonnen zusammen und gab diesen Kolonnen Feuerkraft, indem man ausgewählte Leute oder ganze Truppenteile als Schützen oder Tirailleure vorauf und nebenhergehen ließ.

Diese Fechtart war nicht etwas durchaus Neues. Nicht nur die Kroaten und Panduren hatten schon in den Friderizianischen Kriegen mit großem Erfolg das Schützengefecht gepflegt, sondern auch die Preußen hatten zu demselben Zweck Freibataillone errichtet. Auch die Franzosen fügten schon im österreichischen Erbfolgekriege den Linien-Infanterie-Regimentern einzelne Kompagnien leichter Infanterie bei. Aber alle diese Formationen waren nicht sowohl zur Unterstützung der Linien-Infanterie im Gefecht, als für die sekundären Zwecke des Krieges, Aufklärung, Patrouillen, Razzias bestimmt, wofür die Schlachten-Infanterie weniger geeignet war. Die Erfahrungen des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, wo die Volksaufgebote mit den regulären Truppen in englischem Solde fertig geworden waren, führten ein Stück weiter. Man errichtete eigene Bataillone leichter Infanterie, die Füsiliere (neben den Musketieren) und gab jeder Kompagnie eine Anzahl Schützen mit gezogenen Gewehren bei. Das gezogene Gewehr, die Büchse, die schon im 15. Jahrhundert erfunden worden ist, hat den Vorzug des sicheren Schusses, das glatte Gewehr den des schnelleren Ladens; es ist ein ähnlicher Unterschied wie zwischen Bogen und Armbrust. Viele Theoretiker aber hielten den Vorzug des schnelleren Ladens für den wichtigeren, weil in der Aufregung des Gefechts doch nicht scharf gezielt werde und mehrere nur beiläufig gezielte Schüsse des Gewehrs, namentlich in der Masse stärker wirkten, als die vereinzelten, wenn schon leidlich gezielte Schüsse aus der Büchse.

Den Tirailleurs der französischen Revolutionsheere folgten als Reserve und zu dem schließlichen, entscheidenden Stoß die Kolonnen. Wie das Schützengefecht, so hat auch die Kolonnen-Taktik der Revolutionskriege ihre Vorläufer. Während aber jenes aus der Praxis geboren wurde, so diese aus der Theorie. Die Entwickelung der Infanterie-Taktik hatte dahin geführt, daß, um der vermehrten Feuerwirkung willen, die Aufstellung immer flacher geworden war. Die dünne Linie sollte aber schließlich doch nicht bloß schießen, sondern auch stoßen. Bei der Schwierigkeit des Feuerns in der Bewegung hätten die Preußen sogar zeitweilig den Stoß ohne Feuer machen wollen. Das hatte man bald wieder aufgegeben, aber es waren Theoretiker aufgetreten, namentlich der Franzose Folard, die darauf hingewiesen hatten, daß die tiefere Kolonne eine ganz andere Stoßwirkung habe, als die dünne Linie. Die Kolonne müßte die Linie notwendig durchbrechen und zerreißen. Man wollte ihr sogar statt der Bajonettflinte wieder die Pike in die Hand geben. Graf Lippe, der Kriegsherr und Lehrer Scharnhorsts vertrat diesen Standpunkt und der junge Scharnhorst stimmte ihm zu (1784). Es wird auch von einem französischen Manöver berichtet (1778) unter dem Herzog von Broglie, einem der fähigsten französischen Generale dieser Epoche, wo die Verbindung vorbereitenden Feuergefechts mit schließlichem Angriff in Kolonnen die neue Kampfweise vorzeichnete; ja schon im Siebenjährigen Kriege, in der Schlacht bei Bergen (13. April 1759) hatte Broglie seine Infanterie in dieser Art fechten lassen. In dem ganzen Menschenalter zwischen dem Siebenjährigen Kriege und den Revolutionskriegen war theoretisch über die Vorzüge der Linie und der Kolonne debattiert worden, und wenn auch die Verteidiger der Linie dabei im allgemeinen die Oberhand behalten hatten, so hatte doch das französische Exerzier-Reglement von 1791, also schon in der Revolution, aber noch unberührt von ihrem Geist, neben der Linie auch mehrere Kolonnen-Formationen vorgesehn, darunter auch eine Bataillons-Kolonne nach der Mitte. Das Reglement selbst zieht daraus keine weiteren Konsequenzen; es ist durchaus im Geiste der Linear-Taktik gehalten. Die Kolonnen scheinen nur äußerlich angereiht, aber nicht organisch der Fechtweise der Infanterie eingefügt. Die Praxis der Revolutionsheere aber ließ nun fallen, was ihr nicht zusagte, die langen, ausgerichteten Linien, und benutzte die auch ohne peinliche Ordnung immer noch brauchbare Kolonnen-Formation, indem sie sie mit dem ja auch schon früher bekannten, aber jetzt sehr verstärktem Schützengefecht kombinierte. Die Kolonnen hatten nicht nur den Vorzug des stärkeren Stoßes, sondern konnten sich auch im Gelände mit viel größerer Leichtigkeit bewegen, als die langen Linien und fanden leicht eine Deckung, die sie dem Auge und der Geschützwirkung des Feindes entzog.

Man könnte die neue Fechtweise so charakterisieren, daß die Taktik der alten Linien- und leichten Infanterie untereinander verschmolzen und aus der Theorie die Kolonne hinzugefügt worden sei. Aber das würde die Nebenvorstellung erwecken, als ob es sich um eine bewußte Neuschöpfung handle, und das wäre unrichtig. Nirgends ist mir in der Überlieferung aufgestoßen, daß man in dem Bewußtsein gelebt habe, hier, wie in der Staatsordnung etwas neues, besseres zu schaffen und schaffen zu wollen, sondern man gebrauchte von den überlieferten Formen, was man anzuwenden vermochte und ließ das Unverwendbare fallen. So entstand eine ganz neue Fechtweise, indem doch jedes einzelne Moment an etwas Überliefertes, Vorhandenes anknüpfte.

Auch als die Disziplin wieder hergestellt und die Armee wieder in festere Formen gebracht war, hat eine systematische Neuordnung nicht stattgefunden. Napoleon hat ein neues Exerzier-Reglement nicht gegeben, sondern bis zum Jahre 1831 ist die französische Armee nach dem Reglement von 1791 ausgebildet worden. Die Revolution knüpfte also auf dem Gebiete der Taktik nicht nur direkt an Überliefertes an, sondern nahm auch in ihrem Fortgang Momente aus der Überlieferung, die schon verloren gegangen waren, wieder auf. Das gilt im besonderen von der Disziplin. Die Generale, die in den Revolutionskriegen emporkamen, waren fast sämtlich (hauptsächlich Moreau ausgenommen) schon vor der Revolution Soldaten gewesen, die meisten von ihnen junge Leutnants, wie Bonaparte, und die Einsicht, daß die Frucht des Exerzierens die Disziplin sei und daß die Leistungsfähigkeit im Kriege auf der Disziplin beruhe, war auch in alten Wirren und Wehen der Revolution erhalten geblieben. Sobald die neuen Generale die Armee wieder in der Hand hatten, wurde mit Eifer und Strenge in diesem Sinne gearbeitet. Bonaparte befahl sofort nach Abschluß des Friedens 1797, daß die Reglements studiert würden, daß morgens Einzelexerzieren, abends Bataillonsexerzieren, zweimal wöchentlich Regimentsexerzieren gehalten werde. Er inspizierte persönlich so eifrig, „wie ein Kasernen-Troupier“. Als er erst Herr geworden war, ließ er die Rekruten nicht eher in die Regimenter einstellen, ehe sie nicht nur äußerlich abgerichtet, sondern auch innerlich in die militärische Ordnung eingewöhnt waren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4