Abschnitt 1

Zweites Kapitel
Die Revolutionsheere.


Erst nach Abwehr der Invasion bildete sich allmählich in Frankreich das neue Kriegswesen auf Grund der neuen politischen Ideen und Zustände.


Man hatte zunächst das überlieferte Söldnerheer verstärkt durch Bataillone von Freiwilligen. Bei der Abwehr der Invasion haben diese noch nicht wesentlich mitgewirkt. Als aber Dumouriez nach dem Rückzug der Preußen sich gegen die Österreicher in Belgien wandte, gewann er durch diese Freiwilligen eine so erhebliche Verstärkung, daß er ein österreichisches Korps von knapp 14000 Mann bei Jemappes in der Nähe von Mons mit dreifacher Überlegenheit und gewaltiger Artillerie angreifen konnte (6. November 1792). Trotzdem gingen die Franzosen nur sehr zaghaft ins Feuer und wurden von den Österreichern anfänglich zurückgeschlagen, aber ihre Überzahl war doch zu groß, als daß die Österreicher ihren Erfolg hätten ausnützen können. Sie räumten das Schlachtfeld und mußten schließlich ganz Belgien den Franzosen preisgeben.

Nach vier Monaten erfolgte der Rückschlag. Die Franzosen wurden von den Österreichern bei Neer winden geschlagen (18. März 1793) und über die Grenze zurückgetrieben. Eben in dem dem Augenblick aber hatte der Konvent bereits beschlossen (24. Februar), von der freiwilligen Werbung zur zwangsweisen Aushebung überzugehen und zunächst 300000 Mann aufgerufen. Sie sollten von den Gemeinden bestimmt oder ausgelost werden. Das Gesetz kam also der allgemeinen Wehrpflicht schon ziemlich nahe, wurde aber von der Mehrzahl des französischen Volkes mit heftigstem Widerstreben aufgenommen und zurückgewiesen. Bei der Hinrichtung des Königs war die Vendee noch ruhig geblieben, aber als nun die Bauernsöhne gar für die kirchenfeindliche Republik fechten sollten, erhob sich die ganze Landschaft und bald folgten die großen Provinzialstädte, Lyon, Marseille, Bordeaux und über 60 Departements von im ganzen 83. Nur das Seinebecken mit Paris und die Landschaften des Kriegsschauplatzes blieben im Gehorsam des Konvents. Während an den Grenzen österreichische, englische, preußische, piemontesische, spanische Heere Frankreich bedrohten, war es im Innern erfüllt von einem mit fürchterlicher Grausamkeit geführten Bürgerkriege. Die Republik aber behauptete sich nach außen, weil die Gegner untereinander haderten, und siegte im Innern, weil die demokratisierte Armee mit den 1791 und 1792 gebildeten Freiwilligen-Bataillonen zu ihr hielt. Der großen Rekrutierung im Frühjahr konnte man im September die prinzipielle allgemeine Wehrpflicht, die levée en masse, folgen lassen (23. August 1793). Ausgehoben wurden alle unverheirateten Diensttauglichen vom 18. bis 25. Jahr ohne Stellvertretung. Bis zum 1. Januar 1794 wurde damit die Armee, zwar nicht auf 1000000 Streiter, wie die Tradition wollte, aber doch nach einer Berechnung des Herzogs von Aumale auf 770000 Mann gebracht, wovon gegen den äußeren Feind etwa eine halbe Million in Waffen standen.

Das gab eine gewaltige Übermacht über die Söldnerheere der alten Mächte und bei Handschoten (8. September 1793) und Wattignies (16. Oktober 1793) konnten die Franzosen mit angeblich 50000 gegen 15000 und 45000 gegen 18000 Vorteile erfechten. Eine wirkliche Überlegenheit aber gewannen sie noch nicht, da die terroristische Regierung unfähig war, die große Masse in Form zu bringen. Von den 9000 Offizieren der alten Armee hatten Zweidrittel, etwa 6000, die Fahnen verlassen; von den alten Generalen blieben nur drei, Custine, Beauharnais, Biron, die alle drei guillotiniert wurden. Es mußte also von unten auf ein neues Offizierkorps gebildet werden. Besonders hinderlich war dabei, daß der Konvent noch lange vom Argwohn gegen die ehemals königliche Armee erfüllt blieb und deshalb auf die selbständigen Freiwilligen-Bataillone nicht verzichten wollte. Als der General Custine, der Eroberer von Mainz, in einem Tagesbefehl Ausreißern, Meuterern und Aufwieglern Erschießen androhte, erteilte ihm der Kriegsminister Bouchotte einen Tadel, da der freie Mann seinen Befehl nicht durch Schrecken, sondern durch Vertrauen bei seinen Brüdern durchsetze. Custine antwortete, er sei ein zu guter Republikaner, um einen Dummkopf, auch wenn er Minister sei, für einen Gott zu halten. Custine wurde darauf guillotiniert. Der Abgeordnete Carnot aber, ein ehemaliger Hauptmann, den der Wohlfahrts-Ausschuß zum Kriegsminister berief (August 1793), setzte die Verschmelzung der alten Linien-Regimenter mit den Freiwilligen-Bataillonen durch, baute wieder ein brauchbares Offizierkorps auf und gelangte so weit, die Unordnung, Vergeudung und Unterschlagung einigermaßen einzuschränken. Die ganz unbrauchbaren Elemente verliefen sich wieder und, so zu sagen, der Krieg selbst bildete im dritten Kriegsjahr, 1794, den Franzosen ein neues Kriegswesen. In der Übergangszeit finden wir nebeneinander entgegengesetzte Eigenschaften und Erscheinungen. Der General Elie berichtet einmal von den neuen Bataillonen, sie seien mit „vive la république“, „vive la montagne“, „ça ira“ in den Kampf gezogen, bei den ersten Kugeln aber hätte die Losung gelautet „nous sommes perdus“ und beim Angriff des Feindes „sauve qui peut“. Carnot mußte nach Übernahme des Ministeriums 23000 Offiziere entlassen, da die meisten von denen, die überhaupt bei der Fahne geblieben waren, hatten nicht Gemeine, sondern Offiziere sein wollen. Umgekehrt aber, in kleineren Verhältnissen, wo gerade tüchtige Männer an der Spitze standen, haben auch die Revolutions-Truppen schon im Jahre 1793 sich gut geschlagen, so z.B. bei der Belagerung von Toulon, wo dem ausgezeichneten Kommandeur der Belagerungstruppen, dem General Dugommier, als Konvents-Kommissar der zynische, aber tapfere und tätige Barras und als Chef der Artillerie der Leutnant Bonaparte zur Seite standen. Ganz ähnliche Bilder zeigt der Bürgerkrieg in der Vendee und zwar auf beiden Seiten, sowohl bei den aufständischen Bauern, wie bei den republikanischen Nationalgarden. In dem vortrefflichen Buche des Generals v. Boguslawski über diesen Krieg (Berlin 1894) kann man sich allseitig und zuverlässig unterrichten, was diese Volksaufgebote geleistet haben und was sie nicht leisten konnten.

Je länger der Krieg nun dauerte, desto mehr wurden die Schwächen überwunden und es kristallierten sich wieder festere militärische Formen heraus, in denen doch der Geist der Revolution weiterlebte.

Der sächsische Leutnant, spätere General Thielmann, schrieb schon aus dem Revolutionskrieg nach Hause (1796): „Nahe sind wir dem Zeitpunkt, wo die große Nation, die wir bekriegen, uns Gesetze vorschreiben und den Frieden befehlen wird. Man kann nicht anders, als diese Nation bewundern; ich habe gestern einen Hujarenoffizier gefangen, dessen Betragen so edel war, daß man verzweifeln möchte, es bei uns so zu finden“. Und 1808 in einer Denkschrift bezeugte er, „der deutsche Soldat ist religiöser als der französische, aber der französische ist sittlicher, insofern, das Prinzip der Ehre ohne Vergleich mehr auf ihn wirkt, als auf den deutschen.“

Die Demokratisierung der Armee in der neuen Kriegsverfassung brachte noch einen besonderen Vorteil durch die Herabsetzung der Ansprüche des Offizierkorps. Der Train konnte ganz wesentlich vermindert werden, weil man den Offizieren nur noch das Notwendigste an Bagage zugestand. Die Überlieferung übertreibt wohl einigermaßen in den Erzählungen von den Kommoditäten, die die Offiziere der alten Armee bis herab zu den Leutnants mit ins Feld geschleppt hätte, immerhin liegt es in der Natur der Dinge, daß mit der Annäherung zwischen Offizierkorps und Mannschaft jenes genötigt war, sich im äußerlichen Luxus nicht gar zu sehr über diese zu erheben. In Preußen hatte jeder Leutnant sein Reitpferd und sein Packpferd, die Kapitäns drei bis fünf Packpferde, und ganze Reihen von Wagen und Karren pflegten den Truppen noch über das Reglementsmäßige hinaus nachzuziehen. Die französischen Offiziere, sagte man in Preußen, hätten eine solche Ausstattung allerdings nicht nötig, da sie ja sozial nichts anderes als Unteroffiziere seien, die preußischen Offiziere aber seien Edelleute und würden, wenn man sie dem gemeinen Mann gleichsetzte, sich gekränkt und gedemütigt und unter ihren Stand herabgewürdigt fühlen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4