Vorrede

In dem Geh. Staats-Archiv (zitiert: St. A.) gaben die R. 21 N. 207 B. 2 signierten Akten in Hunderten von Fascikeln chronologisch geordnete Specialia über Berlin: Schutzbriefe und Prozesse, Klagen und Beschwerden von und gegen Juden; Akten, die über einzelne Personen und spezielle Verhältnisse genügende Aufklärung gewährten. Die allgemeinen Verhältnisse, Verordnungen und Gesetze für die Juden Berlins und des ganzen preußischen Staats ließen sich zum großen Teile aus den gleichfalls chronologisch geordneten R. 21 N. 207 B. 2a signierten Akten erkennen. Wertvolle Ergänzungen boten dann einzelne Fascikel aus anderen Akten, vor Allem die Akten des Staatskanzleramts, die mich die Zustände in den Jahren 1810 — 1822 und namentlich die Ausarbeitung des Edikts vom 11. März 1812 klar erkennen ließen. Leider ist mir nicht gewährt worden, die Materialien über den letzteren Gegenstand so wie über einige andere, in dem Maße, wie ich wünschte, für die Bearbeitung und Mitteilung zu benutzen.

Sehr wertvoller Stoff war auch in dem Ministerialarchiv (zitiert: M. A.) enthalten, der mir zur Einsicht und unumschränkten Benutzung mitgeteilt wurde. Denn hier waren alle Akten des General-Direktoriums vereinigt, jener regierenden Oberbehörde, die bis zum Jahre 1806 Bestand gehabt hatte. Allerdings ist ein nicht unbeträchtlicher Teil der Akten: Schutzbriefe, Konzessionen, Privilegien, Urkunden über Häuser und andere Spezialien vor nicht langer Zeit vernichtet worden, und damit sind Materialien verloren gegangen, die für den Historiker oft nicht unwichtig sind — ich erinnere nur an den Schutzbrief Moses Mendelssohns und die damit zusammenhängenden merkwürdigen Aktenstücke s. u. II, S. 131; für einen anderen Fall vgl. S. 84. Doch bieten die vorhandenen, unter Rubriken, nicht chronologisch geordneten Akten noch reichen Stoff dar; besondere Hervorhebung verdienen die über die Edikte v. 1730 und 1750, über die Entfernung der überzähligen Juden 1737, über die Reformbestrebungen 1787 — 1792.


Durch die Resultate meiner Forschungen in diesen beiden Archiven durfte ich die Stellung der Juden dem Staate gegenüber für die Zeit bis 1812 als genügend aufgehellt betrachten. Für die neueste Zeit wäre der Versuch, das Archiv des Ministeriums des Innern zu durchforschen, wohl nicht unlohnend gewesen, aber einmal verbot die Kürze der Zeit eine so weitaussehende Unternehmung, dann sind für jene Periode Zeitungen und Druckschriften wohlunterrichtete wenn auch nicht ganz genügende Führer, endlich lag die Gefahr nahe, bei immer mehr gehäuftem Material den Charakter einer Spezialgeschichte ganz zu vergessen. Nur für die Kultus- und Schulangelegenheiten 1812 — 1824 benutzte ich 2 Bände des Kultus-Ministerial-Archivs (zitiert: C. M. A.). Einzelne willkommene Mitteilungen über die Stellung der Juden der Stadt gegenüber gewährte das Stadt-Archiv (zitiert: B. A.).

Um die innere Geschichte der Gemeinde zu erkennen, mussten die jüdischen Quellen herangezogen werden. Leider besitzt aber unsere Gemeinde für die ältere Zeit kein Archiv. Nur ein Gemeindebuch (zitiert: G. B.) ist vorhanden, das wichtige Beschlüsse der Ältesten, aber erst von 1723 an bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, verzeichnet; und durch seine zwar wertvollen aber halben Mitteilungen den Mangel einer ausreichenden Kenntnis sehr fühlbar macht. Für das erste Viertel dieses Jahrhunderts gewährt das Gemeindearchiv (zitiert: G. A.) gar keine Mitteilung, von 1824 an bietet es dagegen vollständiges und wohlgeordnetes Material.

Das waren meine handschriftliche Quellen. Daneben konnten natürlich die gedruckten nicht außer Acht gelassen werden. Reiche literarische Hilfsmittel, sofern sie nicht speziell jüdisch waren, gewährte die köngl. Bibliothek; Schriften aller Art, die das jüdische Berlin betrafen, waren in seltener Fülle, um nicht zu sagen vollzählig, in der Bibliothek des Herrn Landshuth vereinigt und ich konnte sie, sowie manche andre von Herrn Landshuth gesammelte Materialien, benützen.

Vorarbeiten musste ich fast ganz entbehren. Nur S. Stern hatte in Kleins Kalender für Israeliten 1845 den Versuch gemacht, eine Geschichte der Juden in Berlin zu schreiben, doch war er ausschließlich den zwar aus den Akten geschöpften fleißigen, aber keineswegs ausreichenden Angaben von König: Annalen der Juden in der Mark Brandenburg, Berlin 1798, gefolgt. Trotz der Anerkennung, die auch ich diesem Werke zolle, habe ich mich, soweit dies irgend möglich war, für keine Tatsache bei seinen Angaben beruhigt, sondern habe selbstständig geforscht; nur die Einleitung beruht auf seinen Mitteilungen und Fidicins genauer Erzählung im jüngst erschienenen I. Bande der Chronik der Stadt Berlin.

Dem Werke, das nun in etwas neuer Gestalt vor das Publikum tritt, wünsche ich, dass es so aufgefasst werde, wie es geschrieben ist: als ein wissenschaftliches Buch, dem jede Absicht oder Parteilichkeit fern liegt, als eine Spezialgeschichte, die aber den Zusammenhang mit der allgemeinen Kultur- und Geistesgeschichte stets zu erhalten bemüht ist.
Berlin, September 1871.
Ludwig Geiger.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Juden in Berlin