Allgemeine Betrachtungen beim Schlusse des Mittelalters

Fassen wir nun am Ende dieser mehr als 300jährigen Periode kurz die im Laufe derselben bewirkten Veränderungen und Umgestaltungen zusammen, so finden wir in jeder Beziehung des Staats- und Volkslebens die wichtigsten Ergebnisse.

Das aus den Trümmern des untergegangenen slavanischen Königreichs entstandene deutsche Reichsland Mecklenburg hatte sich während des Mittelalters fast um die Hälfte vergrößert. Die vorübergehenden Besitzungen im Auslande ungerechnet, waren zu dem ursprünglichen Stammlande Pribislaws die Grafschaften Schwerin und Fürstenberg, die Herrschaft Stargard, die Lande Stavenhagen, Wredenhagen, Lübz, Grabow, Dömitz und Weningen erworden. Die wendische Sprache verschwand nach und nach gänzlich; an ihre Stelle trat die niederdeutsche. Als diplomatische Sprache herrschte bis ans Ende des 13ten Jahrhunderts ausschließlich die lateinische; von da an finden sich Urkunden und Staatsschriften in plattdeutscher Sprache, und seit der Mitte des 15ten Säculi verschwinden alle lateinischen Dokumente. Armselig sind jedoch die Beiträge, welche die sonst reichhaltige plattdeutsche Literatur aus Mecklenburg erhielt. Als eigentümlich vaterländisches Produkt haben wir aus diesem ganzen langen Zeitraume nur ein einziges, nämlich die Rostocker Chronik aus dem 15ten Jahrhunderte. E. v. Kirchbergs mecklenburgische Geschichte: ,,das Albrechtsbuch, 1378“ ist in mittelhochdeutschen Reimen abgefasst. Das Hochdeutsche fand erst durch die Reformation Eingang in Mecklenburg. Luthers Bibelübersetzung musste 1557 erst durch Bugenhagen ins Plattdeutsche übertragen werden, da nicht alle Geistliche des Landes der hochdeutschen Sprache kundig waren.


Hörte das Ohr aber in Mecklenburgs Gauen statt der Zischlaute des slavischen Idioms die volltönenden niederdeutschen Vokale, so war auch an die Stelle des wendischen Volkes ein durchaus deutsches getreten, deutsch in seinen Sitten, seinem Streben, seinen Einrichtungen. Auch unsre Geschichte zeigt uns die allgemeinen Merkmale des germanischen Mittelalters, die grellsten Gegensätze, die schroffsten Richtungen des Zeitgeistes. Auch hier herrschte in tausend Landfriedenbrüchen die roheste Ausübung des Faustrechts, neben der rührendsten Hingebung und Aufopferung für das Elend der Menschheit in unzähligen wohlthätigen Stiftungen und Vereinen; auch hier tobte die wildeste Kampflust neben regsamer Ausübung der Künste des Friedens; ungebundene Raubgier bemannte der Vitalier spähende Barken, wie der regsame Handelsgeist der Kauffahrer reichbeladene Schiffe; da schollen der Harfner milde Gesänge in denselben Burghallen der Ritter, welche Zeugen der ärgsten Trunksucht und ekelhafter Völlerei waren, da paarte sich die zarteste Galanterie mit ungebundenen Ausschweifungen; da trieb andächtiger Sinn den Pilger zu gefahrvollen Wallfahrten, frommer Eifer den Ritter in den heiligen Kampf, während gleißnerische Pfaffen zu Doberan noch im 15ten Jahrhunderte sich nicht scheuten, arme Schiffbrüchige zu Leibeigenen zu knechten, und Habgier und Aberglaube 1492 auf dem Judenberge bei Sternberg ein schauerliches Auto da Fé hervorrief - kurz, alle jene abenteuerlichen Kontraste von Rohheit und Bildung, Frömmigkeit und Laster, Einfachheit und Üppigkeit, welche um das Mittelalter so lange einen rätselhaften Zauberschein verbreiteten.

Der Einfluss des Deutschen zeigte sich auch in Mecklenburg in allen Richtungen des Lebens. Er schuf die freien Allodialbesitzungen der wendischen Starosten in dienstbare Lehngüter um; er verwandelte die großen Dörfer in geordnete Stadtgemeinden (fast alle mecklenburgischen Städte datieren aus diesem Zeitalter ihre Stadtrechte), die Betriebsamkeit des Bürgers ordnete der echtdeutsche Zunftgeist in bestimmte Gilden und Innungen.

Was die Tätigkeit in Künsten und Wissenschaften betritt, so war selbige hier, wie im größten Teile Deutschlands selbst beim Schlusse dieses Zeitraums nur geringe. Zwar gab es seit dem 13ten Jahrh. in den bedeutenden Städten Schulen (1249[b] in Parchim 2, desgleichen [b]1279 zu Wismar, 1279 zu Güstrow und Rostock); auch bei den Klöstern (z. B. Zarentin und Rhena) blühten hier und da Lehranstalten, und an der Spitze stand seit 1410 die Landesuniversität. Aber alle diese Anstalten waren doch nur freundliche Oasen in der öden Wüste rings herrschender Unwissenheit; der Elementarunterricht wurde erst im Volke erreichbar durch die Reformation und durch die Verbreitung gedruckter Schriften. Die erste Druckerei bestand in Mecklenburg seit 1472 im Michaeliskloster zu Rostock; die ersten daselbst erschienenen Bücher waren die Homilien des Heil. Augustin.

Indessen, wenn von einem eigentlichen wissenschaftlichen Leben das Mittelalter nur wenige Spuren hat, so zeigt dasselbe doch in manchen Fächern der Kunst hohe Schöpferkraft und reiche Erfindung. Man denke nur an die schönen Monumente der Baukunst, an die festen Schlösser und Burgen, vor allen an die herrlichen Dome, die diesem Zeitalter ihr Dasein verdanken, an die kunstvollen Schöpfungen der Glasmalerei, wovon unsre Kirchen noch so manche schöne Überreste enthalten. Auch der Schiffbau war in unserm Lande schon früh bedeutend; vor allen aber blühten aller Hindernisse ungeachtet seit uralten Zeiten die Kultur des Bodens; wichtig war der Obstbau, selbst Wein ward von hier erzeugten Trauben gekeltert. - unter andern gab es, um 1513 bei Plau beträchtliche Weinpflanzungen. In Anwendung der Erfindungen der Kriegskunst blieben die Mecklenburger nicht zurück.

Schon 1398 führten die Vitalierschiffe Bombarden, und bei der Belagerung von Treptow, 1469, bediente sich Herzog Heinrich großer Mörser und Kanonen.

Die Hierarchie der Kirche bildete sich auch in Mecklenburg in diesem Zeitraume völlig aus An der Spitze standen die Bischöfe; Domkapitel waren zu Schwerin, Bützow, Güstrow und Rostock. Unter den Klöstern ragte über alle empor das reichdotierte Doberan, dessen Äbte sich nach päpstlicher Vergünstigung selbst des bischöflichen Ornats bedienten. Außerdem gab es wenigsten 30 Klöster. Indessen hat die mecklenburgische Hierarchie auf die Staatsangelegenheiten nie einen so wichtigen und nachteiligen Einfluss ausgeübt, als in manchen andern Ländern und Staaten, obwohl die Geistlichkeit auch hier oft den Arm ausstreckte in weltliche Händel, besonders in der spätern Zeit, da die Macht der gewonnenen Reichtümer sich in Eingriffen in landesherrliche und Privatrechte kund tat. Auch bei uns wich bald der fromme, gottgeweihte Sinn der Mönche der zügellosen Üppigkeit und Schwelgerei. Bischof Herrmann Malzahn von Schwerin war einer der gefürchtetsten Raubritter seiner Zeit; die Mönche des heil. Antonius von Tempzin erfuhren 1461 ihrer Sittenlosigkeit wegen öffentliche Ausweisung aus Kolberg; des anstößigen Betragens der fahrenden Priester und Nonnen gedenken oft unsere Annalen.

Wenden wir uns zu einer erfreulicheren Erscheinung, zu dem großartigen Institute der deutschen Hansa, an deren glänzender Entwicklung unsre Seestädte den rühmlichsten Anteil nehmen. Sie entstand aus einzelnen Bündnissen mehrerer Städte zum gemeinsamen Schutze ihres ausländischen Handels, welche sich schon aus dem 8ten Säculo herdatieren. Sie entstanden aber ohne höhere Zwecke, ohne den Plan einer monopolistischen Handelsherrschaft, wozu sie späterhin sich ausbildeten. Um die Mitte des 13ten Jahrhunderts begann diese Verbindung sich kräftiger und bedeutungsvoller zu entfalten; 1259 schlossen Lübeck, Wismar und Rostock einen Bund zur Unterdrückung des Seeraubs; schon 1285 verhandelten sie mit Riga und Wisby, nach einem Kampfe gegen Norwegen, den Kalmarschen Frieden mit dem Könige Erich. Später traten Stralsund, Greifswald, Hamburg und Lüneburg hinzu, welche mit den vorhin genannten unter dem Namen der wendischen Hansestädte begriffen wurden. Der Ausdruck Hansestädte kommt zuerst 1330 vor. Seine glänzenste Periode verlebte der Bund von dem ruhmvollen Frieden von 1370 an bis gegen das Ende des 15ten Jahrhunderts; 80 Land- und Seestädte bildeten ihn, von den Ufern des Wolchow bis zur Scheide- und Maasmündung; diese besaßen den durch viele schwere Kämpfe errungenen Alleinhandel in den nordischen Reichen, sie trieben einträglichen Zwischenhandel nach Frankreich, England und den Niederlanden; Brügge, London, Wisby und Nowgorod waren ihre Hauptmärkte und Stapelorte; den von ihnen aufgestellten Handelsrechten wussten sie durch Achtung gebietende Flotten Anerkennung zu verschaffen; Könige zitterten vor ihnen. Aber wie dem weiland heil. römischen Reiche deutscher Nation, so mangelte auch ihrem Vereine das belebende und kräftigende Prinzip der Einheit, und darum sank auch das Institut der Hansa, als die ihr Aufblühen begünstigenden Umstände sich änderten oder wegfielen. Die Zerstörung des wichtigen Handelsstaats Nowgorod durch den russischen Czar Iwan Wasiliewitsch, 1480, beraubte sie des einträglichen russischen Handels; der mehr und mehr erwachende Handelsgeist der Holländer und Engländer verengerte den Spielraum ihrer Spekulationen, bis endlich die, durch die Entdeckung von Amerika und die Auffindung des Seeweges nach Ostindien, veränderte Richtung des Welthandels, und noch später die Verheerungen des dreißigjährigen Krieges ihrem Verkehre den Todesstreich versetzten. Inzwischen waren zu Ende dieser Periode die Hansestädte noch blühende Commünen mit ausgebreitetem See- und Landhandel, der, wenn gleich meist Zwischenhandel, doch auch zur Erweckung und Belebung mancher Zweige der Industrie diente. So blühten in unsern Seestädten vorzüglich Bierbrauereien (in Rostock gab es über 230 Brauhäuser), Woll- und Leinwebereien.

Was die ständische Verfassung des Landes anbetrifft, so gelangte diese zwar erst in der folgenden Periode zu der jetzigen Gestaltung und Ausbildung, aber die Keime derselben finden wir hier schon in der altherkömmlichen Teilnahme des angesessenen Adels an den Beratungen der Fürsten, deren Spuren wir bis ins graue Altertum verfolgen können. Der Einfluss der Städte zeigt sich zuerst, als 1329 nach Fürst Heinrichs des Löwen Tode, zur vormundschaftlichen Regierung außer ritterschaftlichen Deputierten auch die Stadträte der Seestädte zugezogen wurden. Ein Anteil an Landesangelegenheiten des durch reichen Grundbesitz mächtigen Prälatenstandes ist erst seit dem 15ten Jahrhunderte bemerkbar. Sein erstes Auftreten in dieser Eigenschaft geschah, nach dem Zeugnisse der Geschichte, als 1437 die Prälaten, Manne und Städte dem Kaiser die Bitte vortrugen, die Rechte Mecklenburgs an das Fürstentum Wenden, gegen die Anmaßungen Brandenburgs, durch einen Reichsspruch zu sanktionieren.

Diese 3 Stände bildeten die Gesamtheit der Freien. Ohne alle staatsbürgerliche Rechte war die zahlreiche Klasse der Bauern, welche sämtlich in dem Zustande der Leibeigenschaft sich befanden, deren beengende Fesseln indessen in diesem Zeitraume wenig gefühlt werden mochten; wie dieselbe denn überhaupt in Mecklenburg nie so drückend auf den Unfreien lastete, als in den meisten andern Ländern.

Was die Verwaltung der Regierung anbelangt, so bietet uns die Geschichte meistens das freundliche Bild trefflicher und ausgezeichneter Regenten; nur sehr wenige aus dieser ganzen langen Periode schienen ihrem hohen Berufe nicht gewachsen (Nicolaus das Kind und Pribislaw von Richenberg). Inzwischen ist begreiflicher Weise das Staatsgebäude des Mittelalters nicht den komplizierten Staatseinrichtungen der Gegenwart zu vergleichen. Die Rechtsverfassung war höchst unvollkommen und verworren. Schiedsrichter waren in allen öffentlichen Sachen gebräuchlich; auch die Sprüche der Vehme fanden in Mecklenburg Anwendung, bis Kaiser Max 1493 es dem Sprengel derselben entzog. Die Ausübung der Polizei fand an dem herrschenden Zeitgeiste oft unüberwindliche Schwierigkeiten. Für Belebung des Handels und der Industrie waren mehrere Fürsten tätig; doch blieben die projektierten Wasserstraßen meist Pläne. Die Finanzen des Staats befanden sich oft in übler Verfassung. Die ordentlichen Einkünfte flossen teils aus den Intraden der Domänen, teils aus Regalien und Steuern. Zu erstern gehörten: die Zölle, das Geleits- und Judenschutzgeld, das Münzregal (zu Schwerin, Güstrow, Wismar, Rostock und Parchim prägte man Geld), das Salzregal, ferner die Strand- und Hafenrechte, das Recht der Ablager in den Klöstern. Die Steuern waren teils Pflicht, teils Unpflicht, d. h. ordentliche oder außerordentliche. Als gewöhnliche Abgabe zahlten die Städte Orbede und Schoß, das platte Land die Landbede.

Zum Kriegsdienste war jeder Freie verpflichtet, dagegen der Leibeigene Frohndienste tat. Die Söldner kamen erst später in Gebrauch, zuerst bei den Hansestädten, welche auch eine nicht unwichtige Marine unterhielten. Ihre Kriegsflotte ward bis auf 240 Segel mit 10.000 Mann Besatzung vermehrt.