Begräbnis (zu früh)

Seit Hippokrates bis auf unsere Zeiten haben die Ärzte wegen der Unzuverlässigkeit der Todeszeichen vor dem zu frühen Begraben gewarnt. Die Schriften der Ärzte aller Jahrhunderte sind voller Beispiele von Scheintoten, die man für wirklich tot gehalten, und die durch Kunst oder Zufall wieder ins Leben zurückgekehrt sind. Dieses soll uns warnen, mit dem Begräbnis ja nicht zu eilen.

Man würde diese Warnung als eine leere Grimasse ansehen, wenn nicht die Erfahrung bestätigte, was die Beobachter aller Zeiten von den Kennzeichen des Todes angemerkt haben. Leute, bei denen weder das Herz noch der Puls eine Bewegung gehabt hat — wo sich nicht die geringste Spur eines Umlaufs des Bluts offenbart — wo keine Spiegel noch Federprobe das mindeste Atemholen entdeckt; wo das Gesicht eine Totenfarbe gehabt — die Glieder steif und unbeweglich gewesen — die natürliche Warme sich gänzlich verloren, und die heftigsten Eindrücke in die Sinne kein Zeichen einer Empfindung gegeben haben, sind für tot gehalten, einige Tage lang zur Schau gestellt, endlich begraben, und doch zuletzt, da sie sich in ihren Gräbern gemeldet, noch lebendig gefunden worden. Diese Beobachtungen gehen über alles, was ihnen der Witz und die Disputiersucht entgegensetzen kann.


Wir schließen vielmehr aus diesen Wahrnehmungen mit Recht, dass uns der erste Zustand frischer Leichen, worin wir alles bemerken, was wir für Todeszeichen halten, keineswegs berechtigt, zu behaupten, dass zugleich mit ihrem letzten Atem und Pulsschlage, und zugleich mit dem Anfange aller dieser äußerlichen Zeichen des Todes, auch der wahre Tod völlig erfolgt sei. Da einige solche Personen wieder zum Leben gebracht worden sind, nachdem sie sich in eben dem Zustande befunden haben, wie andere frische Leichen, und da also in diesem Zustande dennoch der letzte Lebensfunke noch nicht erstickt gewesen ist; so folgt unwidersprechlich, dass der wahre Augenblick des völligen Todes gar nicht an alle diese Zeichen gebunden sei, und dass Personen, die sich in diesem Zustande befinden, wenn sie auch nie wieder zum Leben gelangen, noch eine Zeitlang nach diesem ihrem scheinbaren Absterben, einige tierische Vermögen und Kräfte behalten können. Wenigstens würde es eine völlige, erweisliche und ganz unbedachtsame Übereilung sein, wenn man aus dem Zustande einer frischen Leiche, weil er dem Zustande völlig Toter ähnlich ist, schließen wollte, dass sie in der Tat schon im strengsten Verstande völlig tot wäre. Man kann auch nicht schließen, dass diejenigen Personen, welche nach einigen Tagen wirklich in Fäulnis gehen, deswegen gleich vom Anfange an wahrhaft tot gewesen wären. Die Ursachen des Zustandes, der dem Tode ähnlich ist, können in manchen Fällen nach und nach von selbst oder auch durch Hilfe der Kunst wieder vernichtet werden.

Man kann die Ursachen, welche einen Scheintod hervorbringen, am besten unter folgenden Rubriken betrachten.

Die erste Art ist die Erstickung, welche darinnen besteht, dass das Atemholen gehemmt ist. Auf diese Art sterben die Ertrunkenen — ferner diejenigen, die in einer unreinen mephitischen Luft sterben — auch diejenigen, welchen ein fremder Körper die Luftröhre verstopft, die erhängt oder erwürgt werden — und auch die Vollblütigen, welche nach einer heftigen Erhitzung des Körpers, wo das Blut sich in der Brust und im Kopfe anhäuft, plötzlich sterben.

Die zweite Art des Scheintodes ist eine plötzliche Verwirrung und Zerstörung des Nervenwesens. Dies geschieht bei einer heftigen Erschütterung von einem Fall oder Schlag auf den Kopf, Magen, oder auch die Schamteile, und von einer schnellen und heftigen Leidenschaft.

Oft ist die Erstickung mit einer Zerstörung der Nervenkräfte verbunden, und dies ist die dritte Art. Dies trifft man bei den Erfrornen — vom Blitz Getroffenen u. s. w. an.

Viertens entsteht der Scheintod von einer plötzlichen Entleerung und Entkräftung, wo durch einen Blutverlust oder eine andere Verschwendung der Kräfte der Körper so erschöpft wird, dass er aller zum Leben nötigen Kräfte beraubt, dahin sinkt.

Die fünfte Art entsteht von einer innerlichen fehlerhaften Leibesbeschaffenheit, und ist ein Zufall innerlicher Krankheiten, z. B. hysterischer, hypochondrischer Zufälle — oder auch einer jeden Krankheit, wo die Lebenskräfte beträchtlich angegriffen werden, z. B. in bösartigen Faulfiebern.

In allen, diesen Fällen ist es Pflicht, für die Wiederbelebung des Scheintoten Sorge zu tragen; und diesem zufolge muss man alle, Mittel, wodurch die Reizbarkeit in Bewegung gesetzt wird, anwenden. — 1) Müssen wir uns bemühen nicht allein auf die festen, sondern auch auf die flüssigen Teile des Körpers zu wirken; daher sind die Hilfsmittel, welche beides leisten, auch die hilfreichsten. 2) Müssen wir vorzügliche Rücksicht auf die Lebenswerkzeuge und vorzüglich auf das Herz nehmen, denn dieses ist mit der kräftigsten Reizbarkeit begabt. 3) Muss man dabei die Erwärmung nie vergessen, und genau Acht haben, dass der Grad der Wärme allemal nach dem vorhandenen Leben eingerichtet werde.

Die glücklich angestellten neueren Versuche mit Wiederbelebung der Scheintoten rechtfertigen die älteren Geschichten, und geben ihnen eine Glaubwürdigkeit, die sie ohne diese nicht haben würden. Aesculapius soll zu seiner Zeit schon Tote auferweckt haben, und die Geschichte sagt, dass er wegen diesem Unternehmen vom Blitze getroffen worden sei, oder wie die Fabel erzählt, „Pluto habe den Zeus bewegt, diesen Schmäler seines Reichs zu töten. Dieser tat es, und Apollo, Vater des Aeseulap, suchte sich dadurch zu rächen, dass er die Kyclopen umbrachte, die dem Zeus seine Blitze geschmiedet hatten.“ Asclepiades begegnete einem Leichenzuge, und rief dabei aus: dass derjenige, den man da zur Erde bestatten wollte, noch bei Leben sei. Plinius erwähnt mehrere Beispiele von Menschen, die schon zu Grabe getragen worden waren, und doch wieder zum Leben kamen. Von Apollonius Tyaneus hat man die berühmte Geschichte, dass er der Leiche eines vornehmen römischen Mädchens begegnet sei, das als Braut von ganz Rom betrauert, so eben für tot durch die Straße getragen worden. Apollonius ließ den Sarg niederstellen, und man schrieb ihm die Wiederherstellung der Römerin zum Leben zu.

Es ist seltsam zu sehen, wie einige Theologen und Kirchenschriftsteller sich bemühen, diese und ähnliche Geschichten der Wiederaufweckung verschiedener Personen entweder gänzlich zu leugnen, und so allen heidnischen Schriftstellern in diesem Stücke den historischen Glauben zu versagen, oder wohl gar das ganze Werk dem leidigen Teufel und seinem Anhange, ganz zuversichtlich und aus der bloßen Ursache allein zuzuschreiben, weil sie ahnden, es möchten den gleichen außerordentliche Handlungen heidnischer berühmter Männer einen Schatten auf die Wunder der Propheten und besonders auf die Wunder Jesu werfen, und so die Beweise der Religion schwächen. Allein wenn Elisa sich dort nach vorhergegangenem Gebet auf ein von seiner Mutter für tot gehaltenes Kind ausbreitet, Mund auf Mund, Aug auf Aug legt, bis des Kindes Leib warm wird, ist er nicht ebenfalls als ein Wohltäter der Nation und als ein Wundertäter in derselben anzusehen? und kann man, weil er sich eines natürlichen Mittels bedient hat, denselben wohl für einen Betrüger, für einen Taschenspieler erklären? Und die Auferweckung des schon in Verwesung und übelriechende Fäulnis übergegangenen Lazarus, bleibt doch noch immer die einzige in ihrer Art, mit welcher keine von den übrigen Geschichten der Wiederbelebung scheintoter Personen in Parallele kann gestellt werden — Wir werden es mit allen Kräften der Fakultät nie dahin bringen, einen faulen Lazarus wieder lebendig zu machen.

Um alle möglichen Unglücksfälle zu vermeiden, wäre am besten, eine gewisse Zeit zu bestimmen, unter welcher kein Toter begraben werden dürfte, und während derselben, eine fleißige Beschauung anzustellen. Wir treffen hier bei einem rohen Volke auf ein Beispiel von guter Ordnung, obschon das Gesetz in abergläubischen Gebräuchen verhüllt liegt. In dem Augenblicke, da bei den Kalmucken ein Kranker den Geist aufgeben will, muss solches ihrem Geistlichen angezeigt werden. Dieser urteilt alsdann, in welcher der zwölf Stunden, in die sie Tag und Nacht einteilen, der Kranke ohngefähr gestorben ist, und nach der Todesstunde wird aus den Büchern die Art bestimmt, wie mit dem Leichnam verfahren werden solle.

Es wäre am besten, wenn nach jedem Sterbefall, ein von dem Staat dazu eigends angenommener und salarierter Arzt sich nach der Wohnung des Erblichenen verfügte, von der Dauer der Krankheit, dem Alter, Geschlechte, und Todesart des Verstorbenen genaue Erkundigung einzöge; und wenn der Tod zweideutig wäre, die nötigen Rettungsmittel veranstaltete. Um den längern Aufenthalt des Toten im Sterbehaus zu vermeiden, müsste ein allgemeines weitläufiges Aufbewahrungshaus für Tote errichtet werden. Hier müssten Ventilatoren angebracht, auch die Zimmer mit Öfen versehen sein, um im Winter einheizen zu können. Hier kann man den Toten so lange aufbewahren, bis Zeichen einer wahren Fäulnis eintreten, und während dieser Zeit muss der bestellte Arzt denselben fleißig in Augenschein nehmen.

Auch die Juden müssten von Polizei wegen angehalten werden, die frühe Beerdigung ihrer Toten einzustellen. Der Landesherr hat hierinnen das Recht, ohne die Pflichten der Toleranz zu übertreten, hierinnen die nötige Verfügung zu treffen, um das Leben eines Untertanen zu erhalten, der dem Staate Steuer und Abgaben geben muss. Es ist eine bloße Polizeiverordnung, und kein Eingriff in die jüdische Religion. Moses befiehlt nicht, die Toten alsobald nach vier Stunden zu begraben — von dieser bösen Gewohnheit der Juden, findet man vor dem Babylonischen Exilio keine Spur; vielmehr wurde zu Mosis Zeiten Joseph 150 Jahre in einem Sarge unbegraben über der Erde gehalten. — Abraham wurde nicht eher begraben, als bis seine beiden Söhne, welche doch ziemlich weit von einander entfernt wohnten, zugegen waren. Mosis Gebot: „dass ein Gehenkter noch des nämlichen Tages begraben werden müsse, passt keineswegs auf einen natürlichen Toten, und gesetzt, es wäre ein solches Gesetz vorhanden, so wäre es bloßes Polizeigesetz — welches wohl in dem Lande Kanaan als Regel und Richtschnur dienen konnte, in einem Lande hingegen, wo die Juden nur vergünstigungsweise sich aufhalten, nicht anwendbar ist; besonders da die Talmudisten selbst sagen: „Man bewache die Toten bis drei Tage. Es geschah einst, dass ein solcher Bewachter aufstand, und fünf und zwanzig Jahre lebte; so auch ein anderer, der nachher noch fünf Kinder zeugte.“ Sagen die Talmudisten dieses selbst, so sieht man keinen Grund, warum die Juden sich nicht von, einer armseligen Volkssitte losreißen sollten, wider welche die Menschheit sich so laut empört.