Ahndungen

Unter denen Neigungen des menschlichen Geschlechts zum Wunderbaren, stehet der unphilosophische Glaube an Ahndungen oben an — Ein Glaube, der so alt und allgemein ist, als der Glaube an Gespenster. Die Neigung der Menschen zum Außerordentlichen —, die so natürliche Begierde, andern von sich etwas Sonderbares erzählen zu können, oder von andern erzählen zu hören — das fürchterlich angenehme Gefühl erschüttert zu werden — und vorzüglich auch die Meinung von höhern auf uns wirkenden Geistern, haben gewiss das Meiste dazu beigetragen, jenen Glauben auszubreiten, wohin man noch die Neigung, seinen Voreltern in Absicht der unter sich zugetragenen Ahndungen nicht zu widersprechen, rechnen kann.

Ahndungen sollen alsdann stattfinden, wenn wir uns der Gründe, woraus wir das Zukünftige schließen, gar nicht bewusst sind, dennoch aber die Folgerung, die wir daraus herleiten, in unserer Seele empfinden. Im Schlafe, im schattigsten Traume — wo sich eine allgemeine Dämmerung in der Seele ausbreitet, da sollen sie sich am deutlichsten wahrnehmen und unterscheiden lassen. In diesem Zustand glaubt man, übertreffe der Mensch sich oft selbst, — hier schaue er hinter den Vorhang der Zeit, ohne zu wissen, wie er es angefangen hat, ihn zu ergreifen und hinwegzuziehen — hier sage er, was geschehen wird, wenn er auch sonst kaum so erleuchtet ist, zu sehen, was geschieht.


Wir können an das Ahndungsvermögen nicht glauben, so allgemein dasselbe angenommen wird.

Ein solches Vermögen streitet mit der natürlichen, einmal von dem Schöpfer bestimmten Art und Weise, wie unsere Begriffe und Empfindungen entstehen — es streitet mit der Idendität unsrer Denkkraft, die durch eingeschobene Ideen, welche in der natürlichen Folge und Verbindung unsrer übrigen Begriffe keinen Grund hätten, auf eine übernatürliche Art aufgehoben werden müsste — es streitet also auch mit der Natur derjenigen Schlussfolge, vermöge welcher wir nur das Zukünftige durch Vergleichung der Ursache und Wirkung, nie aber etwas bloß Zufälliges vorhersehen können —, es muss also der Vernunft sehr fabelhaft vorkommen, dass ein Mensch künftige Ereignisse vorhersehen könne, ohne sich im geringsten ihrer Ursachen bewusst zu sein.

Es ist auch gewiss sonderbar, dass dies Vermögen so wenigen Menschen zu Teil geworden ist, so dass man es von jeher für eine sehr seltene Erscheinung hat halten müssen. Wäre dem Menschen eine solche Fähigkeit nützlich, und das müsste sie doch nach den ewigen Gesetzen der Natur sein, wenn sie mit der Weisheit Gottes bestehen sollte, so fragt es sich, warum dieses nützliche Geschenk so vielen Tausenden ganz und gar versagt worden ist? Will Man sagen: „dass, weil es sich bei einigen Menschen findet, so müsste es auch bei allen existieren, ob es sich gleich nicht wirksam bezeigte,“ so ist dieses ein untergeschobener willkürlich angenommener Satz, indem dieser Schluss gerade das Ding ist, darum noch gestritten wird.

Erwägt man ferner, dass ein solches Ahndungsvermögen dem Menschen mehr zum Unglück als zum Glück gereichen würde, so muss man vollends an seiner Existenz zweifeln. Denn da wir nur voraus sahen, dass uns etwas Unglückliches begegnen würde, in der Beschaffenheit desselben aber unwissend blieben, so wären wir außer Stand, Vorkehrungen zu treffen, und diese Kenntnis könnte also zu nichts anders nützen, als uns zu martern — zu unseren Geschäften untätig zu machen, und alle die kleinen Freuden, die sich uns in der Zeit darböten, entweder zu rauben, oder zu vergiften. So gibt es tausend Fälle im menschlichen Leben, wo uns ein Ahndungsvermögen zur höchsten Qual gereichen würde, da hingegen man nur weit weniger anführen kann, wo es uns zum Nutzen gereichte, und der Urheber der Natur sollte uns eine solche Eigenschaft verliehen haben?

Können wir aber nicht vielleicht Ahndungen durch Hilfe außer uns vorhandener Geister haben? Können diese nicht eine Sprache mit uns reden, wozu sie keine Gesichts- und Gehörnerven nötig haben, und zeigen nicht manche schnell in uns entstandene herzerhebende, unerwartete Gedanken und Gefühle sehr wahrscheinlich, dass wir sie von andern geistigen Wesen außer uns bekommen haben müssen?

Allein hier können wir mit gutem Grunde wiederum fragen: gibt es denn wirklich uns umgebende Genien überhaupt? Kann ich eine Hypothese (die Ahndungen) mit einer andern Hypothese (uns umgebende Geister) beweisen? Und wie können wir von höhern Geistern in bloß zufälligen Begebenheiten unsers Lebens Unterricht erhalten, da sie zufällige Dinge so wenig wie wir wissen können — oder wenn es überhaupt nichts Zufälliges gibt, wie ist es denkbar, dass ein eingeschränkter Geist (denn dies sind auch die weit über uns erhabene Wesen) das Ganze so überschauen könne, dass er das Notwendige, uns aber zufällig scheinende, uns dennoch entdecken könne? Jene schnelle Gedanken und Gefühle, welche die theologische Andacht so gern vom Himmel herableiten möchte, beweisen auch nichts — Die Unwissenheit und Schwärmerei hat unendlich oft den seltsamsten Bizarrerien in Gedanken und Empfindungen den Namen göttlicher Wirkungen gegeben, und die menschliche Eitelkeit, welche so gern einen höhern Umgang mit unsichtbaren Geistern träumt, oder ihn auch nur affektiert, hat diesen Träumereien ein widerrechtliches Privilegium der Wahrheit gegeben, ohne einen andern Richter dabei zu Rate zu ziehen, welcher doch allein der Lehrer aller Wahrheit sein müsste — nämlich die gesunde Vernunft.

Schon aus der Beschaffenheit unsers Köpers, unsrer Sinne und unsers Nervenbaues, können wir innere Vorherempfindungen erklären, deren Entstehen, wegen der versteckten Ursache uns unbekannt ist, und die eine äußere Empfindung zum Erfolg haben, obschon diese Folge uns auffallend vorkommen muss, weil wir die verborgene Quelle nicht entdecken. Es ist bekannt, dass mit dem Nervengefühl eine Vorstellung in der Seele verbunden ist, die mit dem sinnlichen Eindruck in Verhältnis stehet. Gesetzt demnach, dass die Ausdünstungen gewisser Gegenstände in einem sehr schwachen Grade unsere Geruchsnerven berühren, so muss hieraus in der Seele eine dunkle Idee entstehen. Es bleibt daher das Entstehen dieser Idee der Seele verborgen und unbekannt. Da sie aber doch einmal die Vorstellung besitzt, so kann sie durch Aufmerksamkeit selbige zu einem größeren Grad von Klarheit erheben, und daher Gelegenheit bekommen von dem Gegenstand zu reden, welcher diese Idee unbemerkt veranlasste.“ Zeigt sich hierauf der Gegenstand selbst, so glaubt die Seele, sie habe eine Vorauserkennung der Sache gehabt, deren Grund ihr verborgen ist, und man sagt alsdann: „man habe die Sache geahndet.“ Es ist bekannt, dass jeder Mensch etwas Eigenes seinen Ausdünstungen besitze. Wer daher ein zartes Gefühl, einen sehr feinen Geruch besitzet, ist wohl im Stande, bloß durch seine Geruchsnerven Menschen von einander zu unterscheiden — Warum wollte man demnach zweifeln, dass ein Mensch durch unsichtbare Annäherung seines Freundes, vermittelst des Geruchs eine Idee von selbigem, ohne sonderliches Bewusstsein erhalten könne, wodurch er Veranlassung bekommt, von diesem Freunde zu reden, auch wohl dessen Gegenwart zu wünschen. Zeigt sich nun dieser Freund, so hat man sich nicht zu verwundern, wenn man dessen Erscheinung als einen Erfolg von einer Ahndung ansieht. In solchen und andern ähnlichen Fällen liegt also ein ganz natürlicher Grund der Ahndung zum Grunde, ohne dass wir zu verborgenen Eigenschaften unsere Zuflucht nehmen dürfen.

Eben so erregen viele Lokalempfindungen im Körper dergleichen dunkle bange Vorstellungen in der Seele. Es verdiente in der Tat eine genaue Untersuchung, ob nicht eine widert natürliche Beschaffenheit eines wichtigen innerlichen Teils, und eine demselben daher bevorstehende plötzliche Läsion eine solche sonderbare Empfindung in dem Menschen erregen könne, die derselbe keinen eigentlichen Schmerz nennen kann — sondern wo er nur eine besondere Unruhe und Ängstlichkeit fühlt, die auch auf seine Seele einen tiefen Eindruck macht, die er deswegen eine Ahndung nennt, und sich selbst seinen nächst bevorstehenden Tob prophezeit. Auch ängstliche Träume, die sich hierher beziehen, können in dem Körper ihren Grund haben. Auch das Temperament kommt hier in Anschlag. Es ist bekannt, dass Ängstlichkeit eine von den Haupteigenschaften des melancholischen Temperaments ist; man trifft sie bald in einem stärkern, bald in einem geringeren Grade an, je nachdem die Mischung des Temperaments verschieden ist. Der Melancholische empfindet oft ihre Wirkung in ihrer ganzen Stärke —, er bildet sich Gefahren und Schrecknisse ein, wo entweder gar keine anzutreffen sind, oder wo sie wenigstens nur in Kleinigkeiten bestehen — kommt noch eine schlechte Verdauung oder sonstige physische Ursache hinzu, so ist nichts gewöhnlicher, als dass man sich allerlei Einbildungen macht — dass man oft von den gleichgültigsten Dingen Unglück erwartet, dass man vielleicht eine geliebte Person nicht wiedersehe, oder dass ihr oder uns ein Unglück zustoßen möchte u. s. w. welches bei einem finstern und ängstlichen Charakter in einem hohen Grade statt finden muss, da man es sogar bei den heitersten Personen antrifft. Treffen die bösen Vermutungen ein, so geschieht dieses gewiss sehr zufällig. Auf einem Planeten wie der unsrige, wo unangenehme Vorfälle so gar nichts seltenes sind, darf jemand durch diese oder jene Umstände nur oft in die Lage gesetzt werden, zukünftige Übel zu vermuten, so werden seine Vermutungen auch gewiss sehr oft eintreffen.

Man nehme demnach bei Erklärung der Ahndungen auf folgende Punkte Rücksicht.

Ob nicht diese oder jene Person, deren Ahndungen eingetroffen sind, auf keine Art und Weise ihr Unglück durch vorhergegangene und gegenwärtige Umstände oder auch Gemütslagen vermuten können? In welchem Seelenzustande befand sich der Ahnende, wenn er ein gewisses Vorgefühl von, einem bevorstehenden Unglück zu haben glaubte? Was trug Melancholie, Einbildung, Hypochondrie, dazu bei, sich erst ein Übel überhaupt möglich zu denken, und hinterher sich ein bevorstehendes Übel insbesondere vorzustellen?

Wurde nicht manchmal eine hypochondrische Grille, die eintreffen, aber auch nicht eintreffen konnte, hinterher durch eine zu lebhafte Einbildung wahr? Wurden nicht diese Leute, die sich einbildeten, den und den Tag zu sterben, und auch wirklich starben, ein Opfer ihrer angestrengten Phantasie?

Bildet man sich nicht oft nach einem Unglücke eine bestimmte Ahndung davon gehabt zu haben ein, die vorher sehr unbestimmt war?

Welchen nahen oder fernen Einfluss hat der Zufall auf die Erfüllung einer Ahndung gehabt? Ein Umstand, den man aufs genaueste bei der Erklärung der Ahndungen erwägen müsste, selbst da, wo sie auf die pünktlichste Art in Absicht der Zeit und unserer Situationen in, Erfüllung gegangen sind. Es tragen sich Dinge in der Welt oft auf die sonderbarste Art zu, stimmen so genau in der Absicht des Orts und der Zeit überein — scheinen so natürlich in einander gegründet zu sein, dass man darauf schwören sollte, dass sie in einander gegründet wären, ob sie es gleich nicht sind. Und dieses ist auch hier der Fall.

Wenn man alles dieses zusammen nimmt, wenn man ferner bedenkt, dass nicht nur zu sehr vielen Ahndungen unwahre Ideen und unsere Lagen hinzugedichtet werden — wenn man überhaupt bedenkt, dass ein solches unerklärbares, wider die Einrichtung unsrer Denkkraft streitendes Ahndungsvermögen für unsere moralische Ausbildung unbrauchbar, ja wegen der Neigung der Menschen zum Aberglauben höchstschädlich sein muss; so kann und darf alles, was Ahndung heißt, vor dem Richterstuhle der reinen Vernunft keinen Wert behalten, und die Menschen würden sich tausend Unruhen erspart haben, wenn sie nie daran geglaubt hätten.