Fünfter Abschnitt. - Gabriele verlebte von nun an einige Jahre, getrennt von ihren Freunden, den Winter in einer großen lebensreichen Residenz, den Sommer in den besuchtesten Bädern. ...

Gabriele verlebte von nun an einige Jahre, getrennt von ihren Freunden, den Winter in einer großen lebensreichen Residenz, den Sommer in den besuchtesten Bädern. Sobald Moritzens verschrobener Sinn nur den Gedanken aufgefaßt hatte, daß alle Huldigungen, welche die Gesellschaft seiner Gemahlin darbringen mochte, auf ihn zurückfallen müßten, daß jeder ihrer Verehrer nur seinen Triumphzug verherrlichen könne, weil sie ihm allein angehöre, so hatte er weder Ruhe noch Rast, bis er Gabrielen auf eine Höhe gestellt hatte, von der sie seiner Überzeugung nach alles überstrahlen mußte. Überall, wo er länger sich aufhielt, war es seine erste Sorge, ein großes glänzendes Haus einzurichten. Gabriele mußte die Honneurs desselben machen, und Moritz tanzte vor Freude und rieb sich die Hände wund, wenn ihre Vorzüge recht blendend hervortraten. In allen Sprachen posaunte er das Lob seiner Frau, sogar in ihrem Beisein, ohne es zu achten, daß die peinlichste Verlegenheit sie in solchen Momenten fast zu Boden drückte. Alles Bitten und Ermahnen von ihrer Seite war an dem eitlen Toren verschwendet, er blieb bei seiner Weise mit all dem starren Eigensinn eines beschränkten Geistes, und Gabriele fand endlich keinen andern Ausweg, als dem Willen ihres Gemahls zu folgen und nur dabei durch noch einfachere Bescheidenheit und Anspruchlosigkeit den verhaßten Schein eitler Gefallsucht von sich abzuwenden. Es gelang ihr; sogar die Frauen haßten sie nicht, während alle Männer ihr huldigten und ihr Talent für die Welt bildete sich immer glänzender aus, je länger sie in dieser lebte. Von jener Blödigkeit, mit der sie im Hause der Tante erschien, konnte nicht mehr die Rede sein, noch weniger aber von jenem dreisten Blick, jenem arroganten Auftreten, die so oft die Stelle früher übertriebener Zurückgezogenheit ausfüllen. In kleinen gewählten Zirkeln wußte Gabriele durch ihr Gespräch mit der hinreißendsten Grazie die Aufmerksamkeit zu fesseln, doch besonders liebenswürdig war sie, wenn sie erzählte; dann lauschte ihr jedes Ohr und aller Blicke hingen an dem lebendigen Ausdrucke des schönen Gesichts. Aber sie wußte auch ihre glänzenderen Talente vor der Menge geltend zu machen, sobald es erforderlich war. Sie sang, spielte, tanzte, erschien sogar auf Privatbühnen, gewöhnlich weil Herr von Aarheim es wollte, zuweilen aber auch aus wahrer Lust an dem fröhlichen geselligen Treiben, das ihr die Tage ihres frühern Zusammenlebens mit Ottokarn zurückrief. Moritz genoß bei allen diesem mit dem allerbehaglichsten Gefühl die Gewißheit, der Gemahl der brillantesten Frau in der Residenz zu sein, während Gabriele dastand, als ahne sie nichts von der Höhe, zu welcher die allgemeine Bewunderung sie erhob. Auch wagte es niemand, sie unbescheiden darauf aufmerksam zu machen. Bei aller Frische des Jugendglanzes, der sie umstrahlte, gab die seltene Würde ihres Anstandes ihr etwas Matronenhaftes, und so, wie man in ihrem sechzehnten Jahr sie überall für noch weit jünger ansah, so schien jedermann jetzt in ihrem vierundzwanzigsten Jahre geneigt, sie für älter zu halten als sie war. Oder vielmehr, man dachte weder an Alter noch Jugend bei der, nicht weniger Achtung als Liebe einflößenden Erscheinung, für die es, wie für die himmlischen, keine Zeitrechnung zu geben schien.

Der Winter war vorüber, überall zeigten sich schon die ersten Vorboten des Frühlings. Bei der Unmöglichkeit, den vielfältigen Einladungen des Generals Lichtenfels schicklicherweise länger auszuweichen, hatte sich Moritz endlich entschlossen, mit Gabrielen den Besuch auf dem Landgute desselben zu wiederholen, als Gabrielens Tante, die Gräfin Rosenberg, ganz unerwartet in der Residenz eintraf. Napoleons weit aussehende Plane vertrieben sie aus Paris, indem sie die große Stadt verödeten. In ihrem ehemaligen Wohnorte fand sie ihr Haus von fremden Gästen eingenommen und ihre ehemaligen Zirkel zerstört. Beinahe alle ihre Bekannten waren ausgewandert und ihr blieb also keine andere Wahl, als sich einstweilen in einer Stadt niederzulassen, die ihr, bei allen Annehmlichkeiten des geselligen Lebens, die vollkommenste Ruhe und Sicherheit bot.


Die Wahl einer Wohnung, in welcher sie im gewohnten Glänze auftreten konnte, war gleich nach ihrer Ankunft in der Residenz die erste Sorge der Gräfin gewesen; ihr zweiter Wunsch war, sich bei Hof und in der Gesellschaft auf eine auszeichnende Weise eingeführt zu sehen. Rang und Reichtum, diese mächtigsten Talismane auf Erden, verhalfen ihr zu beiden in unglaublich kurzer Zeit, und kaum waren vierzehn Tage verstrichen, als sich schon in einem der schönsten Hotels alles, was nur auf Eleganz, Ton und Talent Anspruch machte, um sie und ihre Begleiterin, die junge, schöne Marquise d'Aubincourt versammelte. Von Paris aus, wo sie einander kennenlernten, waren diese beiden Damen unzertrennliche Reisegefährtinnen geblieben und gedachten jetzt mit vereinten Kräften ein glänzendes Haus zu bilden, das bei ihrem Vermögen und ihren Talenten alle andern in der Residenz zu verdunkeln drohte.

Gegenseitiges Bedürfen hatte gar bald das lockere Band bloßer Bekanntschaft enger zusammengezogen, welches anfangs die Gräfin und die Marquise vereinte. Es ward eine jener Liaisons daraus, wie die Welt deren so manche aufzuweisen hat. Sie mit dem Namen der Freundschaft zu bezeichnen, wäre Entweihung. Es kann weder von Liebe noch Achtung bei diesen Vereinen die Rede sein, aber sie trotzen doch oft jahrelang manchem Stoße von außen, ja selbst der langsam auflösenden Gewalt der Zeit und erhalten dadurch bei aller ihrer Frivolität einen Anstrich von Ehrwürdigkeit, den sie mit allem Dauernden gemein haben.

Die Gräfin hatte bei ihrer Rückkehr aus Rom nach Deutschland und auch später in Paris es sich nicht verbergen können, wie sie, unerachtet aller ihrer noch immer anerkannten geselligen Vorzüge, dennoch mit Aurelien einen großen Teil jener Zaubermacht verloren habe, durch welche sie sonst alles in ihre Nähe zog und festbannte. Ihr feiner Takt kam ihr bei dieser Entdeckung mächtig zustatten und, weit entfernt, sich durch dieselbe gedemütigt zu fühlen, suchte sie von der nämlichen Stunde an, wo sie solche gemacht hatte, nach einem Wesen, das fähig war, jene Lücke in ihrer Umgebung auszufüllen.

Die Marquise d'Aubincourt, eine junge, blendend schöne Frau, war in Paris zur nämlichen Zeit ebenfalls aus ihrer gewohnten Sphäre getrieben; ihr Gemahl mußte sie verlassen, um seinem Kaiser in weit entfernte Länder zu folgen, und da die französische Sitte die strengste Wächterin des äußern Scheines ist, so blieb ihr bei ihrer Jugend keine andere Wahl, als sich entweder während der Abwesenheit des Marquis der Welt gänzlich zu entziehen oder sich unter den Schutz einer ältern Frau von Rang und unbescholtenem Ruf zu begeben, in deren Begleitung es ihr allerdings erlaubt war, überall öffentlich zu erscheinen. Was konnte daher diesen beiden Damen wohl Erwünschteres kommen, als ihr Zusammentreffen zur Zeit gegenseitiger, völlig ähnlicher Not? Der Bund zwischen ihnen war bald geschlossen und da späterhin Langeweile beide aus Paris vertrieb, so erwarb die Marquise noch den Anstrich einer exemplarischen Treue, indem sie sich den Mühseligkeiten der langen Reise aussetzte, einzig, um, wie sie versicherte, ihrem bei den Eisbären hausenden Gemahle in Deutschland näher zu sein.

In allen Zirkeln, aus aller Munde vernahmen die Gräfin und die Marquise, sobald sie ein wenig einheimisch geworden waren, den Namen Gabriele von Aarheim, überall erscholl ihr Lob, Männer und Frauen klagten über ihre Abwesenheit. Die Marquise begann die Deutschen etwas langweilig zu finden, welche in Gegenwart einer schönen Frau es wagten, einer zweiten auf diese Weise zu erwähnen, während die Gräfin die ganze Familie Aarheim in ihrem Gedächtnis die Revue passieren ließ, um diese berühmte Gabriele aufzufinden.

„Unmöglich“, sprach sie sehr bedenklich, „unmöglich kann es meine kleine Nichte mit dem blassen Mondscheinsgesichte sein! In seinem sechzehnten Jahre wußte das arme Kind kaum drei zu zählen, so entwickelt kann sie sich nicht haben und doch gibt es meines Wissens keine andere Gabriele in meiner Familie. Vor fünf bis sechs Jahren ward mir die Nachricht ihrer Vermählung mit dem halbverrückten Erben unserer Mannlehngüter mitgeteilt; es ist unmöglich, daß sie es sei.“

„Ach Gott! Sie wird es wohl sein“, rief kläglich Graf Hippolit, der gegenwärtige Verehrer der Marquise, „sie wird es sein, die Mondscheinsdame; sie wird zu allgemein gepriesen, als daß wir viel von ihr erwarten könnten!“ – „Also Ihre Cousine? Liebe Rosenberg, nun ich sterbe vor Neugier, wenn ich nicht bald dieses Wunder der Welt zu Gesicht bekomme!“ fiel halb gähnend die Marquise ein.

„Ach, wie gern täte ich das auch“, rief lustig Hippolit, „aber mir sind leider schon in der Welt zu viele dergleichen Wunder vorgekommen, die, entschleiert, eigentlich alle sehr gewöhnlich und natürlich dastanden. Es ist immer das alte Buch mit einem neuen Titel, das nämliche Rätsel in ein anderes Gewand eingekleidet, was man uns da zu studieren gibt. Bei alledem bleibt es aber doch ein Studium, dessen man nie überdrüssig wird, besonders wenn uns, wie hier, jede Stunde mit einer neuen ganz unerhörten Kaprice beglückt.“ Indem er dies hinzusetzte, wollte er die Hand der Marquise an seine Lippen drücken, sie entzog sie ihm aber, heftig und unwillig sich sträubend. „Schöne Dame“, rief Hippolit in seinem Übermut, „indem Sie zürnen, beweisen Sie, daß ich Recht habe; die kleine Wut steht Ihnen so allerliebst, daß ich dadurch leicht verleitet werden könnte, Sie alle Tage halbtot zu ärgern. Die Versöhnungen, die doch auch nicht zu verachten sind, hätte ich dann für meine Mühe noch obendrein.“

Die Marquise begann recht ernstlich sich zu erzürnen, doch nicht auf lange; die Gräfin warf sich zur Vermittlerin auf, und der Frieden war bald geschlossen.

Der glänzende Graf Hippolit, entsprossen aus einem der edelsten Geschlechter in Ungarn, schön wie Apoll, kaum zwanzig Jahre alt und dabei schon unumschränkter Herr großer Reichtümer, war allerdings eine Eroberung, welche eine Frau wie die Marquise, sich auf alle Weise zu erhalten streben mußte. Auch war es ihr seit dem Moment gelungen, da er in Paris als ein weitläufiger Verwandter der Gräfin ihr vorgestellt ward. Ihre seltene Schönheit, ihr leichter Sinn, vor allem eine gewisse pikante Ungleichheit in ihrem Betragen entzückten ihn, und Gewohnheit, Überdruß an Wechsel hatten bis jetzt ihn festgehalten.

Als die Damen Paris verließen, wußte er eben nichts Besseres zu tun, als ihnen nach Deutschland zu folgen und bei dieser Gelegenheit späterhin einen Besuch in seinem Vaterlande und auf seinen Gütern abzustatten. Vor jetzt war er der tägliche Gast in ihrem Hause, ihr steter Begleiter außer demselben, aber die Strenge, mit welcher die Gräfin über die Gesetze des Anstandes zu wachen gewohnt war, hatte ihn veranlaßt, sich eine von ihnen abgesonderte eigene Wohnung zu wählen.

Ungeachtet seiner frivolen Außenseite, war Hippolit von Natur zu allem Großen und Edlen geeignet, aber das Schicksal, welches sein äußeres Leben mit jedem Vorzuge reichlich ausstattete, hatte ihn schon früh im Innern tief verletzt und sein Entwickeln verhindert. Von einer leichtsinnigen Mutter als fünfjähriger Knabe verlassen, von einem durch das Betragen seiner Gattin mit der Welt und dem Leben entzweiten, verbitterten Vater erzogen, war der arme Hippolit um jenes Vertrauen in die Menschen gebracht worden, ohne welches keine Jugendblüte fröhlich gedeiht. Sein ganzes Wesen widerstrebte der strengen klösterlichen Zucht, in welcher er bis in sein fünfzehntes Jahr gehalten ward, er fühlte zur Freude sich geboren, aber jede Jugendlust wie jede sanftere Regung ward von der Strenge seiner Zuchtmeister niedergedrückt. Er war zu stolz, die Hülfe der in ihm ihren künftigen Herrn schmeichelnden Diener anzunehmen und seinen Vater zu betrügen, um wenigstens stundenlang seinem Kerker zu entgehen, aber in ihm wogte ein verzehrendes Feuer, das, weit entfernt sein Herz zu erwärmen, es nur immer enger zusammenzog, während seine Phantasie ihm das Glück künftiger Freiheit in den glühendsten Farben malte. Das jedem gutgearteten Kinde eigene Sehnen nach Liebe sprach zwar auch mächtig in seiner Brust, aber er drückte es, als seiner unwürdig, nieder, denn wen sollte er lieben? Rings um sich sah er nur fühllose Strenge oder erbärmliche Kriecherei. Künftiger Genuß ward ihm die Losung des Lebens. Worin dieser bestehen sollte, wußte er nicht deutlich sich zu sagen, aber einstweilen gedachte er, die freudenlose Zeit, welche er jetzt verlebte, durch eifriges Bestreben nach Wissen als vorbereitend zu benutzen. Mit dem größten Eifer verfolgte er daher den Gang der ihm von seinem Vater vorgeschriebenen Studien, jede Stunde bereicherte seinen Geist, aber in seinem Gemüt ward es immer ärmer, immer mehr erstorben, bis der Zufall den einzigen Bruder seines Vaters in seine Nähe führte. Hippolit war jetzt fünfzehn Jahre alt und zum ersten Mal seit seiner frühesten Kindheit hörte er nun wieder mit milden Worten sich anreden. Da brach die Eisrinde, in welcher sein Herz beinahe erstarrt war. Mit der kindlichsten Liebe, mit der innigsten Treue eines jugendlichen Gemüts hing er sich nun an den Oheim, der wie eine himmlische Erscheinung in die Nacht seines Daseins strahlte und sogar auch die düstere Stimmung seines Vaters milderte, als letzterer plötzlich erkrankte. Ein seit langen Jahren allmählich heranschleichendes Übel warf den alten Grafen wenig Monate nach der Ankunft seines Bruders auf das Sterbebette. Bleich und bebend kniete Hippolit neben demselben, als der Vater zum ersten Mal liebend und segnend die schwere kalte Totenhand auf sein lockiges Haupt legte, in den rührendsten Ausdrücken den zum Jüngling heranreifenden Knaben der Vorsorge seines Oheims empfahl, und dann, getröstet durch dessen heiligstes Versprechen, ihn wie seinen eigenen Sohn zu betrachten, die müden Augen auf ewig schloß.

Der weinende, tief erschütterte Knabe folgte nun dem vom Vater ihm gegebenen Beschützer seiner Jugend auf dessen Güter, von wo er in Jahresfrist, begleitet von einem Hofmeister, auf eine von seinem Vaterlande Ungarn weit entfernte Universität gesandt ward. Während er dort, von heißem Durst nach Wissen getrieben, jede Stunde auf das gewissenhafteste anwendete, erhob sein Oheim in seiner Abwesenheit einen Prozeß gegen ihn, der ihn um sein väterliches Erbe bringen sollte. Aller seiner, dem sterbenden Bruder mit in die Ewigkeit gegebenen Versprechen vergessend, jedem menschlichen Gefühl entsagend, benutzte der Eigennützige den Leichtsinn der Mutter des Jünglings, dem er Vater zu sein geschworen hatte, um die Echtheit seiner Geburt anzugreifen und dann seinen eigenen Söhnen die beträchtlichen Güter desselben zuzuwenden. Der Versuch mißlang, er hatte nur die Folge, daß Hippolit etwas früher als gewöhnlich für mündig erklärt ward. Empört bis in den tiefsten Grund seiner Seele, überzeugter als je von der Erbärmlichkeit der Menschen, ging dieser nun nach vollendeten Studien auf Reisen; die Zeit des Genusses schien ihm gekommen, er war entschlossen, sie zu benutzen. Sein Rang, sein Reichtum, seine glänzende Persönlichkeit öffneten ihm Herzen und Türen, er taumelte von einem Vergnügen zum andern und übertäubte so den alten bittern Unmut in seinem Gemüt, der aber dennoch stets von neuem sich regte. Er sah, wie man ihn mit Schmeicheleien überhäufte, um ihn um so sicherer zu elenden Zwecken zu mißbrauchen, aber er verachtete die Menschen und in einzelnen schrecklichen Momenten sich selbst zu sehr, um es der Mühe wert zu achten, dem plumpen Netz entgehen zu wollen, das man ihm stellte. Es genügte ihm, seine sogenannten Freunde zuweilen in wilder Lustigkeit mit bitterm Hohn zu mißhandeln und dann mit Ekel sich von den ängstlichen Windungen wegzuwenden, in welchen sie strebten, ihn nicht zu verstehen, um nur auf guten Fuß mit ihm bleiben zu dürfen.

Auch Frauen kamen überall dem schönen reichen Jünglinge entgegen, kämpften untereinander um ihn mit allen Waffen der Schönheit und Kunst, suchten überall mit Blumen ihn zu fesseln, und gern vergaß er bei ihrer lieblichen Erscheinung alles, was ihn hätte warnen können. Noch einmal überließ er sich Träumen himmlischer Seligkeit, er glaubte sogar, zu lieben, aber er ward grausam erweckt. Ohne zu bedenken, wie so ganz ohne Umsicht er sich hingegeben hatte, klagte er jetzt das ganze Geschlecht des Verrats der einzelnen an und schwur sich selbst, nie wieder die Maske für Wahrheit zu nehmen. Dem trostlosesten Unglauben zum Raube, vermochte er aber doch nicht, der Freude zu entsagen, sich wissentlich täuschen zu lassen, solange dies irgend nur möglich war. Bitter lachendes Spotten seiner selbst übertönte dann oft nur mühsam das Weinen in seiner Brust, wenn ein schöner Traum, den er lange festgehalten hatte, in nichts zerrann, aber er achtete dessen nicht, auch nicht der herben Schmerzen, mit denen er jede Regung des Bessern gewaltsam in sich erstickte, um zu sein wie die andern. Dennoch sank er nie zum Gemeinen herab, so achtlos er auch dem Treiben der Welt sich hingeben mochte. Was ihn blenden und verführen konnte, mußte wenigstens den Anstrich des Reinen und Sittlichen zu erhalten streben; denn seine bessere Natur und Reminiszenzen der früher bei seinem Vater ihm eingeprägten strengern Grundsätze hielten ihn noch immer über dem Abgrund empor.

„Das Wunder der Welt ist endlich angelangt, wie ich sehe“, rief Hippolit freudig aus, indem er die Visitenkarten auf dem Tisch der Gräfin musterte und Gabrielens Karte hoch in die Höhe hielt. „Da steht der geheimnisvolle Name des Erzengels, und mein törichtes Herz erbebt sogar ein wenig bei seinem Anblick! Ich bitte Sie, teuerste Gräfin!“ fuhr er mit komischem Pathos fort, „ist es die Mondscheinscousine? Sagen Sie nein! Ich flehe darum.“

„Daß sie die Gabriele ist, die ich meine, weiß ich jetzt gewiß“, erwiderte die Gräfin, „obgleich ich sie noch nicht gesehen habe; wir verfehlten einander bei unsern gegenseitigen Besuchen, und so bleibt uns nichts übrig, als die Soiree zu erwarten, mit der wir, wie Sie wissen, morgen hier debütieren wollen.“

„Also morgen, morgen ist der große, der entscheidende Tag“, rief Hippolit und wendete sich gleich darauf zur Marquise mit der Bitte um den zweiten Tanz. „Den ersten“, setzte er hinzu, „bin ich so gut als versagt, den tanze ich mit der Wunderdame, meine Ehre duldet es nicht anders, ich muß der erste sein, mit dem sie auftritt.“

„Ich überlasse Sie ihr mit Vergnügen auf den ersten, den zweiten, den dritten und alle folgenden Tänze; ich tanze morgen gar nicht; entweder ich habe Migräne oder ich habe mir den Fuß verrenkt; ich bin noch nicht entschlossen, welches von beiden“, erwiderte die Marquise, ein wenig pikiert.

Hippolit blickte lange schweigend und verwundert sie an. „Wahrhaftig, Marquise! Ich erkenne Sie nicht mehr“, sprach er endlich. „Zum ersten Mal sehe ich, daß auch Sie etwas schwerfällig nehmen können; doch hoffe ich, Sie werden sich eines bessern besinnen und allen Erzengeln und Erzengelinnen zum Trotz morgen tanzen, wie immer!“

„Diesmal beliebt es wohl dem Herrn Grafen selbst, sich etwas schwerfällig zu zeigen; denn, um des Himmels willen! Wer denkt denn an Ihre Erzengelin?“ erwiderte spottend die Marquise. „Schon in Paris nahm ich mir vor, morgen krank zu sein; sehen Sie hier den Beweis davon“, fuhr sie fort, indem sie einer Kammerfrau ein Kleid, welches diese eben durch das Zimmer trug, vom Arme nahm und vor dem Grafen entfaltete.

Mit dem größten Erstaunen erblickte dieser ein ganz einfaches, blendend weißes Gewand, fein und durchsichtig, wie aus Äther gewoben, doch schien es für eine Riesin bestimmt; es mußte, wenn die Marquise es trug, nicht nur hinten, sondern auch vorne und von allen Seiten mehrere Ellen lang ihr auf dem Fußboden nachschleppen. „Aber wie in aller Welt wollen Sie es anfangen, in diesem Gewände nur zwei Schritte zu gehen?“ rief er endlich.

„Gehen“, erwiderte die Marquise und lachte jetzt wirklich recht herzlich, „gehen? Aber, lieber Graf! Sie werden immer schwerfälliger. Wer geht denn, wenn man krank ist?“

„Ach Gott“, seufzte Hippolit, „eigentlich fängt es an, mir leid zu tun, daß diese Gabriele morgen erscheint; abwesend gab sie zu so manchem guten Einfall, zu so manchem pikanten Scherze Anlaß, und ihre Gegenwart wird gewiß nichts weniger als pikant oder amüsant sein. Ich sehe sie schon im Geiste vor mir mit dem Mondscheinsgesichte, wie sie an der Seite ihres alten Gecken die gestrenge Penelopeia mitten unter den übermütigen Freiern zu spielen bemüht ist. Die Maske ist übrigens schon etwas verbraucht, indessen wenn sie ihr nur halb so gut steht, als die Leute es behaupten, so mag es drum sein. Ich fürchte aber, der morgende Triumph unserer schönen Freundin wird kaum der Mühe des Erkämpfens wert sein, obgleich ich diese sehr gering anschlage.“

Der Abend kam. Die glänzende Reihe kerzenheller Säle füllte sich nach und nach, und die Gräfin bemühte sich mit gewohnter Liebenswürdigkeit, die Abwesenheit der Marquise mit einer heftigen Migräne zu entschuldigen, welche aber hoffentlich späterhin zur gewohnten Stunde nachlassen und ihr erlauben würde, die Gesellschaft, in kleinere Partien geteilt, in ihrem Zimmer wenigstens auf Minuten zu sehen. Hippolit wich beim Empfange der Gäste der Gräfin nicht von der Seite. Mit dem Bedeuten, er müsse sie erraten, hatte diese es abgeschlagen, ihm Gabrielen gleich bei deren Eintritt bemerkbar zu machen, daher hielt er es für das sicherste, auf diese Weise seinen Willen durchzusetzen. Indessen war es spät geworden, die Erwartete fehlte noch immer, Graf Hippolit begann aus Verdruß darüber der Gräfin allerlei witzig-bittere Mutmaßungen über die Abwesende zuzuflüstern, als ein Kreis seiner Bekannten ihn einen Augenblick festhielt, und dadurch ihn von der Gräfin trennte, ohne daß er solches bemerkte.

Ein lächerlich modern gekleideter dicker Mann stand mitten im Kreise der jungen Leute, sprach alle Sprachen zugleich und erzählte, heftig gestikulierend und im völligen Ernste, die Geschichte einer heftigen Leidenschaft, welche vor einigen Jahren eine Nepotessa des Papstes für ihn gefühlt hatte. Dabei erwähnte er der mannichfachen Gefahren, deren er sich ausgesetzt gesehen, um ihr und den Verfolgungen ihrer mächtigen Verwandten in Rom zu entgehen. Die jungen Herren um ihn her stürmten mit Fragen auf ihn ein; er wußte für alle eine Antwort, löste alle Zweifel, die man ihm in den Weg warf; das Lachen, das Lärmen wurden bald lauter, als man es in einer solchen Assemblee hätte erwarten sollen. Hippolit nahm recht herzlichen Anteil daran, als plötzlich erst ein leises Geflüster, dann ein allmähliches Verstummen in dem Kreise entstand. Die, so den lebhaftesten Anteil an den Neckereien genommen, welche man an dem alten Herrn ausgeübt hatte, begannen, sich leise davonzuschleichen, die übrigen nahmen sich sichtbar zusammen und standen dann in etwas feierlich verlegener Fassung; alles verkündete den Eintritt einer allgemein geachteten Person. Hippolit suchte mit den Augen den Gegenstand, der diese plötzliche Umstimmung des Tones verursacht haben mochte und erblickte die Gräfin, welche eben eine Dame hereinführte, deren anmutige und doch würdevolle Haltung und seltne Schönheit ihm gleich in ihr die lang Erwartete erraten ließ. Vor dem Zauberton ihrer Stimme, in dem sie einige ihr nahestehenden Bekannte anredete, war plötzlich jede Spur wilder Lustigkeit verschwunden. Selbst als der alte dicke Herr mit dem Ausruf: „ ma femme, ma petite femme vous voilà!“ auf sie lossprang, um sie zu begrüßen, wagte es niemand, den Mund zu einem spöttischen Lächeln zu verziehen. „Die ist es?“ flüsterte Hippolit der Gräfin zu, und diese beantwortete seine Frage, indem sie ihn erst Gabrielen vorstellte und dann ihn mit Adelberten bekannt machte, welcher Geschäfte halber Gabrielen und Herrn von Aarheim in die Residenz begleitet hatte.

Hippolit vermochte von nun an nicht, sein Auge von Gabrielen zu verwenden, er sah, wie mehrere Bekannte, Männer und Frauen herbeieilten, um die lange Entbehrte zu begrüßen, wie alles um sie sich drängte, als sei mit ihr die Seele der Gesellschaft heimgekehrt.

Moritz wich nicht von der Seite Gabrielens, rieb immerfort freudig die Hände aneinander und brach in tausenderlei Redensarten aus, auf welche niemand achtete, obgleich die meisten mit ma femme dit oder ma femme sait anfingen. Der leise Schmerz, der dabei in Gabrielens Lippen fast unmerkbar zuckte, die ängstliche Röte, welche, schnell entstehend und entschwindend, ihr Wange, Hals und Busen überhauchte, entgingen Hippolitens Späherblick nicht. Eine wunderbar fremde Regung des Mitleids überschlich ihn dabei, und er begann mit einer Art Ängstlichkeit darauf zu sinnen, wie der Lästige auf gute Art aus Gabrielens Kreise zu entfernen sei, um diese in ungestörter Anmut sich bewegen zu sehen, als sie ihren Gemahl mit wenigen, leicht hingeworfenen Worten auf einige Vasen von seltner Schönheit aus kostbaren Steinarten geformt, aufmerksam machte. Der Tisch, auf welchem diese Vasen standen, war mit farbigem Marmor aller Art ausgelegt, und Moritz fand und benutzte hier ein reiches Feld, auf welchem er mit der einzigen Wissenschaft, welche er wirklich besaß, glänzen konnte. Bald gesellten mehrere Sachkundige aus der Gesellschaft sich zu ihm, ein lebhaftes Gespräch entstand, und Gabriele wendete sich sichtbar heiterer ab, um in den Nebenzimmern die übrige Gesellschaft aufzusuchen.

Sinnend folgte ihr Hippolit mit immer regerem Bemerken. So hatte er sie sich nicht gedacht, nicht so fein, nicht so gewandt, nicht so heiter. Die Melodie ihrer Worte, die Harmonie in allen ihren Bewegungen zogen ihn noch unwiderstehlicher an, als ihre Schönheit.

„Es ist doch nur eine Maske, wie sie alle“, dachte er, „aber dieser steht sie vortrefflich und ist so herrlich angepaßt, daß schon der Versuch, sie zu lüften, Belohnung verdient.“ Er versuchte es hierauf, Gabrielen anzureden, aber es war, als ob eine ihm fremde Gewalt den gewohnten Fluß seiner Worte hemmte; Gabrielens gerader kalter Blick brachte ihn aus der Fassung; zum ersten Male fühlte er sich verlegen und war froh, als die Gräfin mit der Bitte erschien: Gabriele möge sie zur Marquise begleiten, welche eben etwas besser sich fühle und den Augenblick kaum erwarten könne, in dem es ihr vergönnt würde, die geliebte Nichte ihrer Freundin zu umarmen.

Der kleine Zug der zu diesem Besuch Auserwählten, welchem auch Hippolit sich anschloß, folgte der Gräfin durch die ganze lange Enfilade prächtiger Säle, welche, wie es in Paris gebräuchlich ist, mit dem Schlafkabinett der Marquise endeten.

Ein reicher seidner Vorhang verhüllte noch den Tempel, nachdem schon die Flügeltüren sich geöffnet hatten, aber der berauschende Duft der auserlesensten Aromas des Orients verkündete die Nähe der Göttin. Auch der Vorhang wurde beseitigt und selbst der verwöhnte Hippolit stand jetzt geblendet von dem unerwarteten Anblick.

Auf einer Estrade, zu welcher einige, mit prächtigen Teppichen belegte Stufen hinaufführten, stand, schimmernd von Gold und Elfenbein, das der edelsten antiken Form nachgebildete Bette. Eine purpurrote, mit goldener Stickerei und goldnen Franzen geschmückte Decke war darüber hingebreitet, auf welcher die Marquise in der anmutigsten Stellung hingegossen ruhte. Ein großer Spiegel an der Hinterwand desselben, ein anderer an der Decke des Baldachins über ihrem Haupte, und mehrere, anscheinend von ungefähr, aber eigentlich mit sorgfältiger Wahl im Zimmer geordnete große Ankleidespiegel vervielfältigten die schöne Erscheinung, indem sie sie von allen Seiten zeigten. Der Genius des Schweigens von Bronze, den Finger auf die Lippen gedrückt, schien den leicht vom Baldachin herabrollenden Schleier zu heben, der sie zu verhüllen drohte, und blühende Rosenbüsche, Orangenbäumchen, Jasminsträuche, in köstlichen Vasen zu beiden Seiten auf den Stufen der Estrade, gaben der Nische, in welcher das Bette stand, das Ansehen einer Laube aus dem Paradiese der Muhamedaner. Alabasterlampen verbreiteten den zauberhaften Schimmer einer mondhellen Nacht und kleine bläuliche Wölkchen kräuselten sich, aus Kassoletten aufsteigend, in welchen das ausgesuchteste Räucherwerk brannte. Das Auge irrte geblendet auf alle dem mannichfaltigen Geräte von köstlichen Hölzern, von Kristall, von Marmor und Bronze, welches das Schlafzimmer einer eleganten Pariserin zum glänzendsten Prunkzimmer des Hauses macht.

Mitten in alle dieser Pracht lag die Marquise, ganz einfach gekleidet und dennoch alles überstrahlend. Der wohl berechnete Überfluß des früher erwähnten weißen langen Gewandes, in große malerische Falten von Künstlerhänden geordnet, umschwebte ihre Gestalt, ohne sie neidisch zu verhüllen; die schönen Formen schimmerten hindurch, wie der Mond durch Silberwölkchen, die an ihn sich heranzudrängen scheinen. Unter der Brust hielt ein großer strahlender Rubin das Gewand zusammen, der eine der weiten Ärmel, wie von ungefähr zurückfallend, enthüllte einen wunderschönen Arm, auf dem gestützt, das reizende Köpfchen im lieblichsten Ausdruck der Ermattung ruhte. Eine um den Arm geschmiedete goldne Sentimentskette und einige Perlenschnuren schienen sich abstreifen zu wollen. Den andern Arm bedeckte der Ärmel bis zu den zierlichen Fingerspitzen, die, dem Kopfweh zu Ehren, ein Riechfläschchen hielten. Um die hohe Stirne schwebten die glänzendschwarzen Locken in zierlicher Unordnung, nur ein einfaches Band hielt sie und die reichen Flechten zusammen, welche den ganzen Kopfschmuck bildeten. Die Marquise war unbeschreiblich reizend in diesen Umgebungen, auch fesselte stummes Erstaunen alles bei ihrem Anblick; nur Hippolit wagte es, sich in ihre Nähe zu schleichen und ihr ein leises „Bravo!“ zuzuflüstern.

Gabriele ward mit der entzückendsten Freundlichkeit von ihr empfangen; sie zog sie liebkosend zu sich herab, um sie zu umarmen, und als die hohe, schlanke Gestalt sich zu der auf dem Bette Ruhenden niederbeugte, umschwebte ihr goldnes Haar die dunkeln Locken der Marquise wie mit einer Strahlenglorie, während diese mit beiden Lilienarmen den stolzen Marmornacken der geliebten Nichte ihrer Freundin umschlang und ihr Entzücken darüber in den schmeichelhaftesten Ausdrücken laut verkündete.

Nichts kann einander ungleicher sein, als beide Frauen in diesem Augenblick. Farbe, Augen, Haare, Ausdruck des Gesichts, nichts von alledem hatten sie miteinander gemein, und doch war es unmöglich zu entscheiden, welcher von ihnen die Palme der Schönheit gebühre?

Zu matt für eine fortgesetzte Konversation, bat die Marquise eine wie durch Zufall gegenwärtige berühmte Künstlerin, die Gesellschaft für ihre kranke Langweiligkeit durch die Zaubertöne ihrer Harfe zu entschädigen. Die Dame ließ sich dazu willig finden, denn eigentlich war sie, nach Pariser Sitte, der die Marquise in Deutschland treu blieb, um eine bedeutende Summe von letzterer für den Abend erkauft. Ein griechischer Sessel ward für sie zu den Füßen des Ruhebettes auf die Estrade gestellt, die große goldige Harfe strahlte in ihren Armen, und kaum hatte die Virtuosin mit prüfenden Akkorden die Saiten berührt, als mehrere wunderschöne, fast idealisch gekleidete Kinder aus dem Nebenzimmer herbeieilten und sich in malerischen Gruppen zwischen den Rosen- und Orangenbäumchen ordneten. Als große Lieblinge der Marquise hatten sie in deren Wohnzimmer gespielt und waren von den Tönen der Harfe herbeigelockt worden. So wenigstens suchte ihre Beschützerin das unerwartete Erscheinen mit lächelndem Zorne darüber zu entschuldigen, aber es bedurfte keiner Entschuldigung, denn jedermann fühlte sich von dem wirklich feenhaften Anblick hingerissen, den die Estrade in diesem Augenblick gewährte; es war, als sähe man die Liebesgöttin von Amorinnen umflattert.

Endlich ward Ruhe. Der Zirkel war allmählich größer geworden; mehrere, die nicht mit der Gräfin gekommen waren, hatten nach und nach sich vor und in dem Kabinette selbst versammelt, dessen Türen jetzt weit offen standen. Allgemein herrschte die tiefste Stille einer zur Bewunderung bereiten Erwartung; aber kaum hatte die Künstlerin in leisen Akkorden begonnen, als ein wunderliches fortwährendes Klirren sie wieder verstummen machte.

Zürnend blickten alle in die Ecke, aus welcher das störende Geräusch zu kommen schien. Dort stand Adelbert, totenbleich, den stieren Blick auf die Marquise geheftet. An allen Gliedern heftig bebend, hielt er sich, anscheinend völlig bewußtlos, an einem Gestelle fest, welches in einer Ecke des Kabinetts mit Porzellan beladen stand, sein Zittern teilte sich den darauf befindlichen Prunkvasen und Tassen mit, alles stieß tönend aneinander, ohne daß Adelbert weder dieses, noch die daraus entstehende Störung gewahr ward. Seine Seele war in seinen Augen, sein Herz klopfte in ängstlichen Schlägen gegen seine Brust, als wollte es sie zersprengen, denn mit dem ersten Blick auf die Marquise hatte er in ihr Herminien erkannt.

„Adelbert!“ rief Gabriele und sprang erschrocken von ihrem Sessel auf, dem Freunde, den sie plötzlich erkrankt glaubte, zu Hülfe zu eilen.

Ein allgemeiner Aufruhr entstand, die Damen drängten sich um die Marquise her, welche vor Schreck ohnmächtig zu werden drohte, die Herren führten Adelberten in ein Nebenzimmer, der noch immer bewußtlos mit erstorbenen Augen jedermann anstarrte. Alle umstanden ihn unschlüssig, auch Gabriele, die im ersten Schrecken, jede konventionelle Regel vergessend, ihm gefolgt war. Plötzlich erkannte er diese und mit einem erstickten Schrei des Schmerzes ergriff er ihre Hände, drückte sie an seine Augen, unter fast konvulsivischem Beben, während einzelne Tropfen kalt und schwer ihm über die Wangen rollten.

„Um Gottes willen einen Wagen, einen Arzt! Der Rittmeister ist sehr krank“, rief Gabriele wie außer sich; „er muß gleich nach Hause gebracht werden.“

„Liebe Nichte, das ist ja ein entsetzlicher Zufall“, sprach die Gräfin, welche als Frau vom Hause eben hinzutrat; „doch beruhigen Sie sich, mein Wagen wird angespannt, der Arzt wird gleich hier sein, den Herrn von Lichtenfels zu begleiten, und nun bitte ich, folgen Sie mir zu den übrigen Damen, beruhigen Sie sich, bitte ich nochmals, für alles Nötige wird gesorgt.“

Gabriele war indessen zu aufgeregt, um auf alle diese Redensarten zu achten, sie schien im Gegenteil völlig entschlossen, den Rittmeister, der in ihrem Hause wohnte, zu begleiten. Die Gräfin stand in peinlicher Verlegenheit dabei, und sogar von ihrem Betragen etwas beleidigt, als plötzlich Moritz, mit dem Geschrei, ma che cosa che cosa? What's the matter? ihr zum Trost erschien, gerade im Momente, als das Bereitsein des Wagens gemeldet ward.

Die Gräfin beeiferte sich, Gabrielens Gemahl den Vorgang zu erklären. „Herr von Lichtenfels ist von einem plötzlichen Schwindel ergriffen“, sprach sie, „er braucht schnelle Hülfe, gewiß werden Sie ihn begleiten und unsre Gabriele wird sich beruhigen, uns ihre Gesellschaft nicht entziehen, wenn sie ihn unter Ihrer Vorsorge weiß.“

„ Certainement“, erwiderte Moritz und begann in der Kürze die Reichtümer seiner Hausapotheke anzupreisen, die seltensten arcana, die kostbarsten Wunderessenzen gegen Schlagfluß, Schwindel und bösen schnellen Tod. „Sie stehen ihm alle zu Diensten“, rief er, „ich freue mich der Gelegenheit, ihre Kräfte einmal erproben zu können. Vous resterez, ma chère!“ setzte er, gegen Gabrielen gewendet, etwas scharf und schneidend hinzu, da er bemerkte, wie sie dennoch Miene machte, ihn begleiten zu wollen.

Hippolit hatte bis jetzt ganz ohne alle äußre Teilnahme, den prüfenden Blick auf Gabrielen geheftet, dagestanden; doch jetzt, als er sie besonders bei Erwähnung der Hausapotheke, ängstlich noch bleicher werden sah, konnte er einer mitleidigen Regung sich nicht erwehren. Er nahte sich ihr unbemerkt. „Vertrauen Sie mir“, flüsterte er ihr zu, „ich begleite ihn auch und verlasse ihn nur unter der Aufsicht des Arztes. Sobald er meiner Gegenwart nicht mehr bedarf, bringe ich Ihnen Nachricht von ihm; von dem Glücklichen, der so Ihre Teilnahme zu gewinnen wußte!“ Mit einer leichten Wendung kehrte er sich nach diesen wie im Fluge gesprochnen Worten gegen Adelberten, der sich eben etwas erholte, um ihn die Treppe hinunter zu führen. Moritz folgte beiden, immerfort seine Wunderessenzen anpreisend.

Die Marquise hatte indessen für gut gefunden, den leichten Schreck bald zu überwinden, und als Gabriele am Arme der Gräfin zu ihr zurückkehrte, fand sie zwar sie noch immer in der Lage einer Kranken, aber voll Lust und Leben, voll Witz und Laune.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gabriele