12. Die Beziehungen der zwei neuen Nachbarn.

Bald nach der Besetzung der Bocca di Cattaro schrieb Napoleon an Marmont: «Tenez un agent auprès de l'évêque et tâcher de vous concilier cet homme ...»[74] Und der Generalmajor aus Warschau gab an Marmont folgende Instruktion in bezug auf Montenegro: «Vous ne devez pas, général, attaquer les Monténégrins, mais, au contraire, tâcher d'avoir avec eux des intélligences et de les ramener à nous pour les ranger sous la protection de l'Empereur; mais vous sentez que cette démarche doit être faite avec toute la dexterité convenable.»[75] Fragt jemand: «Was lag Napoleon an guten Beziehungen zu Montenegro und seinem Bischofe, da er nun einmal die Bocca in seiner Macht hatte?», so müssen wir nochmals an den grossen Einfluss erinnern, den der Vladika auf die Bevölkerung der Bocca und auf das Militär Montenegros besass, das die einzige Macht an der Ostküste des Adriatischen Meeres war, die der französischen Armee Widerstand zu leisten vermochte. Marmont selbst, der keine besonderen Sympathien für den montenegrinischen Bischof hatte, sagt von seinem Einflusse: «Son autorité positive et légale était peu de chose dans son pays, mais son influence était sans bornes.»[76] Dann ging die Absicht Napoleons dahin, den Vladika zu bewegen, das russische Protektorat aufzugeben und das seinige anzuerkennen. Marmont versuchte auf alle mögliche Weise diesen Wunsch Napoleons zu verwirklichen. Die Sache aber ging nicht so leicht wie sich Marmont dachte. Auf alle Versuche Marmonts, den Vladika für Napoleons Pläne zu gewinnen, antwortete dieser: «Wenn Napoleon die Türken bekriegen sollte, so kann er immer auf das ganze Volk Montenegros rechnen.» Marmont unterliess nicht, den Vladika auch mit vielen und kostbaren Geschenken zu überhäufen.[77] Auch das war vergeblich. Denn was Napoleon wollte, war nicht bloss, dass der Vladika sein Protektorat ausrufen, sondern auch alle Beziehungen zu Russland abbrechen sollte. Und dieses letztere wäre, scheint es, für ihn noch wichtiger wie das erstere gewesen.

Diese Versuche Napoleons dem Vladika gegenüber blieben den Höfen in Wien und Petersburg nicht verborgen. Diese verhielten sich natürlich nicht passiv in der Sache, sondern suchten den Vladika wie die Volkshäupter Montenegros zu bewegen, alle Vorstellungen Marmonts abschlägig zu beantworten. Dieser klagte über die österreichischen Intrigen in Cetinje.[78] Mit grossem Unwillen sah er, wie die Beziehungen zwischen Oesterreich und Montenegro von Tag zu Tag immer freundlicher wurden.


In seinem Uebermut verlangte er schliesslich von Napoleon 7-8000 Mann und 8 Tage Zeit, um Montenegro zu erobern.(!)[79] Das wurde ihm natürlich nicht gewährt. Unterdessen bekam Marmont Anlass, sich über den Vladika noch mehr zu beklagen, im dem Augenblick nämlich, wo er von dem zwischen Montenegro und seinem ehemaligen Todfeinde, dem Vezier von Scutari, abgemachten Frieden hörte. Dieser verbot den französischen Truppen, durch sein Land nach Albanien und Korfu zu ziehen. Es verbreitete sich sogar das Gerücht, dass er einen Einfall in die Bocca di Cattaro im Verein mit den Montenegrinern plane. Statt dessen aber geschah etwas anderes, was zu noch gespannteren Beziehungen zwischen Franzosen und Montenegrinern führte.

Noch im Sommer 1808 hatten die Franzosen in Cattaro zwei Montenegriner als angebliche Spione gefangen genommen und ohne weiteres erschossen. Diese waren der Priester Lazar Radonic aus dem Geschlecht Njegusch und sein achzehnjähriger Sohn. Infolgedessen war ganz Montenegro empört, insbesondere das genannte Geschlecht. Es gab nun in dem Küstenlandstrich zwischen Cattaro und Antivari einen alten Stamm, Braici benannt, der die neueingeführte französische Ordnung und Verwaltung nie anerkennen wollte, sondern sich gegen die französische Obrigkeit stets auflehnte. Daher wurden dessen Angehörige von den Montenegrinern, insbesondere von dem benachbarten Geschlecht Njegusch, aufgereizt und sogar mit bewaffneter Hand unterstützt. Darüber wütend, sandte Marmont den General Delzons, um diese Aufrührer zu bestrafen. Delzons wurde aber geschlagen und zurückgedrängt, wobei er 50 Mann verlor. Marmont machte Vorstellungen beim Vladika,[80] der erklärte, von den aufrührerischen Umtrieben vorher nicht unterrichtet gewesen zu sein. Napoleon war infolge dieser Ereignisse ausser sich. Er drohte, die Schwarzen Berge mit dem Blute der Montenegriner zu Roten Bergen zu machen.[81] Bald darauf setzte er den montenegrinischen Bischof in der Bocca di Cattaro ab und unterstellte diese dem von ihm neu gegründeten dalmatischen Bistum.

Den weiteren Vorschlag der französischen Regierung, einen ihrer Konsule in Cetinje zu akkreditieren und dann eine Strasse zwischen Cattaro und Nikschic über Cetinje auf eigene Kosten zu bauen, schlug der Vladika entschieden ab.

So wurden die Beziehungen zwischen den zwei Nachbarn immer trüber, bis sie sich schliesslich scheinbar wieder besserten. In ebenjenem Jahre kam ein französischer Geschäftsträger, der General Bertrand de Sivray, zum Vladika und schloss mit ihm den sogenanten Vertrag von Lastva. Dieses Abkommen erleichterte den Grenzverkehr zwischen den Franzosen und Montenegrinern. Letzteren wurde der Zugang zu den Märkten in Cattaro und Budua freigegeben, unter der Bedingung aber, dass sie an der Grenze ihre Waffen zurückliessen. Dieser Vertrag vermochte gleichwohl das feindschaftliche Verhältnis zwischen Frankreich und Montenegro nicht zu ändern. Von Anfang an waren die Franzosen den Bokelen und Montenegrinern widerwärtig. Der Hass gegen Napoleon und seine unersättliche Herrschsucht wurde auf die ganze französische Nation übertragen. Darum wurden, obwohl die französische Landesverwaltung keineswegs unterdrückender und gewaltsamer war als diejenige Österreichs, die Franzosen von der Bevölkerung der Bocca verachtet und verschmäht. So sehnte man sich nach einer günstigen Gelegenheit, um gegen die unerträgliche Fremdherrschaft aufzustehen.

Im Jahre 1811 dachte Napoleon an eine Unterwerfung Montenegros; er liess sich sogar einen Plan für einen Feldzug gegen dieses Land ausarbeiten.[82] Andere Ereignisse lenkten aber seine Aufmerksamkeit von Montenegro ab, und so gab er seine Absichten wieder auf.