6. Belagerung Ragusas.

Am zweiten Tage nach dem Kampfe bei Brgat belagerten die Slaven Ragusa vom Lande her. Die kleine Insel vor der Stadt, Locrum benannt, hielten die Franzosen noch besetzt. Senjavin versuchte, ihnen diesen Stützpunkt zu entreissen, was ihm nicht gelang. Major Sabjelin nahm diejenigen Franzosen gefangen, die er noch ausserhalb der Stadt fand, sei es in Gravosa oder in den umliegenden Häusern und Schluchten. Nun wollte man nicht stehen bleiben, sondern dachte an weitere Schritte. Die erste Sorge war, wie man die Franzosen zur Uebergabe zwingen könnte. Vergeblich hat man Lauriston zur Kapitulation aufgefordert. Auf das energischste hat er es abgeschlagen. Er erwartete Hilfe aus Dalmatien. Etwas Proviant für das Heer besass er, jedoch nicht genug. Lange hätte er schon dort sich halten können, wäre die Zufuhr der Lebensmittel aus der Herzegovina nicht von den Montenegrinern abgeschnitten worden. Alle Wege nach und aus der Stadt wurden gesperrt und das Wasser abgeschnitten.

Darauf stellten die Russen ihre zwei Batterien auf der Höhe über der Stadt auf und fingen an, dieselbe zu bombardieren. Die Häuser Ragusas waren aus festem Material gleich den Ritterburgen gebaut. Auch eine hohe und dicke Mauer umgab die Stadt. Doch die Kanonenkugeln richteten bedeutende Schäden an. Tag und Nacht waren diese Batterien tätig. Lauriston sandte oft kleinere Abteilungen, damit sie die bokelischen Freiwilligen vertrieben, die sich in den Ruinen um die Stadt verborgen hielten und häufig auf dieselbe Angriffe versuchten.


Die eigentliche Stadt war von Menschen überfüllt. Einmal weil neben den Stadtbewohnern die starke französische Garnison darin weilte, und dann, weil das Volk aus der Umgebung noch vor der Belagerung dort Zuflucht gesucht hatte. Von Anfang an musste man deshalb mit allen Nöten kämpfen, wie Hunger, Durst und Krankheiten. Der schreckliche Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Senjavin war dies sehr wohl bekannt. Ihn und Vladika dauerte es besonders, dass die unschuldige Bevölkerung aus der Umgebung so furchtbar leiden musste. Darum versuchte Senjavin wiederholterweise Lauriston zur Kapitulation zu bewegen, aber jedesmal erfolglos.[31] Der französische General machte zweimal Versuche, um die Stadt von der Belagerung zu befreien. Am 28. Juni griffen seine Soldaten um Mitternacht den russischen rechten Flügel an, wurden aber zurückgeschlagen und liessen 10 Tote und 23 Verwundete auf dem Felde. Und am 3. Juli wurden zum zweiten Male 400 Franzosen nach der Vorstadt Pilae ausgesandt, um das verbündete Heer zu beunruhigen. Eine Abteilung Montenegriner erhielt daher den Befehl, diejenigen Häuser in der Vorstadt anzuzünden, von wo aus die Franzosen ihre Angriffe machten. Der Befehl wurde ausgeführt. Es kam zu einem heftigen Scharmützel, in welchem 100 Franzosen umkamen. (Russen und Montenegriner verloren 11 Mann.) Die übrigen flüchteten sich in die Stadt und wagten nicht mehr herauszukommen, solange die Belagerung dauerte.

Senjavin hatte schon seit Wochen den Befehl aus Petersburg erhalten, die Bocca den Oesterreichern zu übergeben, damit sie dieselbe an die Franzosen ausliefern könnten. Diesen Bescheid hielt er lange geheim. Es ging aber ein leises Gerücht durch die Armee, dass der Admiral einen solchen Befehl in der Tasche trüge. Senjavin liess jenes Gerede nicht unterdrücken oder dementieren, vielmehr schien es, dass er die Verbreitung desselben begünstigte, bis er schliesslich selber die Sache der Armee kund tat. Auf diese Nachricht wurden die Bokelen und Montenegriner bis zum Tode betrübt und entmutigt. Sie konnten gar nicht fassen, dass es des Zaren Wille sei, sie, die so mutig und aufopfernd gegen den gemeinsamen Feind gekämpft hatten, an diesen ausgeliefert werden sollten. Viele verliessen den Kampfplatz sofort und kehrten heim.

Die Belagerung dauerte bis am 6. Juli. An diesem Tage hatten die Slaven noch einen Zusammenstoss mit den Franzosen. Früh am Morgen kam die Nachricht ins russische Lager, dass 500 Mann Ersatztruppen für die Franzosen von Ston heranrücke. Der Vladika sandte zu der Mündung des Flusses Ombla eine Abteilung Montenegriner, den nahenden Feind zu empfangen. Kaum waren die Montenegriner dort angelangt, als ein neues Heer auf den türkischen Hügeln erschien. Das war General Molitor mit 3000 Mann. Ueber Ston hatte er jene 500 Leute ausgesandt, damit er die Aufmerksamkeit der Slaven dorthin lenke, sie dann von hinten überrasche und zwischen die beiden Feuer treibe. Als diese Armee zum Vorschein kam, eilten die Montenegriner und Bokelen ihr entgegen. Sobald die Armee die Grenze überschritt, fielen sie über sie her und zwangen sie, haltzumachen. General Molitor war erstaunt wegen dieses kühnen Streiches eines so kleinen irregulären Heeres. Es kam zu einem heftigen aber kurzen Zusammenstoss. Die Slaven wurden bis Gravosa zurückgedrängt. Molitor vereinigte sich mit der Armee aus der belagerten Stadt. Senjavin wollte sich nicht in einen weiteren Kampf einlassen, da er keinen Vorteil davon erwarten konnte. Die kriegerische Stimmung seines Heeres und insbesondere der Bokelen hatte nachgelassen. Der Vladika schiffte sich mit einem Teil seiner Leute ein und fuhr mit Senjavin und den Russen nach der Bucht di Cattaro. Ein anderer Teil Montenegriner hielt noch eine Zeitlang den Kampf gegen die Franzosen aufrecht. Sie traten langsam den Rückzug in der Richtung auf Zavtat an und gingen von da aus nach Castelnuovo, um sich mit dem übrigen Heere zu vereinigen.

In Castelnuovo war jetzt das Hauptlager der Bokelen, Russen und Montenegriner. Das Volk aus der Umgebung kam haufenweise, um die Krieger zu begrüssen. In diesem Lager ging es wie bei einer politischen Versammlung zu. Das Volk klagte und jammerte, dass es nach so vielen Opfern doch unterjocht werden solle. Es wurden flammende Reden gehalten gegen Franzosen, Oesterreicher und sogar gegen das offizielle Russland (nicht gegen die Russen überhaupt, denn die Russen, welche mit dem Volke gegen den Feind zusammenkämpften, waren in der Bocca sehr beliebt). Man beschloss, eine Deputation zum Zaren nach Petersburg zu schicken, um ihn zu bitten, die Bocca nicht ihrem Feinde auszuliefern. In der Bittschrift erinnerten sie den Zaren, wie die Franzosen wider das Völkerrecht Ragusa besetzt hätten, obwohl diese Republik unter dem Schutz der ottomanischen Pforte, der damaligen russischen Bundesgenossin, stand.[32] Vier Deputierte wurden gewählt und abgesandt.[33]

In Erwartung von Russlands Antwort konnte dieses Volk keine Waffenruhe halten. Die Montenegriner und Bokelen gingen oft nach Ragusa, um die Franzosen herauszufordern. Auch vom Meere aus fuhren sie heran, richteten allerlei Schaden an und kehrten dann in die Bucht zurück. Diese Bandenzüge beunruhigten fast täglich die französische Armee, dass diese—obwohl die Belagerung schon am 6. Juli aufgehoben war—immer noch nicht wagten, aus der Stadt abzuziehen.

Das war ihrerseits natürlich klug. Denn sie wussten, dass es zwischen Napoleon und Russland abgemachte Sache sei, die Bocca di Cattaro an sie auszuliefern. Warum sollten sie nun umsonst Blut vergiessen.