Das Oberhaus

Im Gegensatz zum Unterhaus, das immer im Mittelpunkt der politischen Interessen stand, hat das Oberhaus stets mehr oder weniger im Schatten existiert. Es setzte sich aus den Lords und Peers der Monarchie zusammen, stellte also gewissermaßen die organische Vertretung von Amt und Besitz dar, der sich in dieser Klasse verkörperte.

Es bildete dem Unterhaus gegenüber, dessen Mitglieder ebenso wechselten wie seine Majoritäten schwankten, einen festen Körper mit der gleich bleibenden Tendenz des Beharrungsvermögens. Es war der stabile Kern, der den Bestand der Gesellschaft sicherte, in dem die bestehende Rechtsordnung ihr Schwergewicht erkannte. Das Oberhaus sah sich selbst gern als den großen Rat der Krone an und betrachtete sich in allen Fragen der Gesetzgebung durchaus nicht nur als kritisierende Revisionsinstanz der Beschlüsse des Unterhauses, sondern als gleichberechtigten und gleichbedeutenden Faktor des staatlichen Lebens. In den Kabinetten waren die Peers sowieso in der Überzahl, gewöhnlich gehörten von 14 oder 16 Ministem 11 bis 14 dem Hause der Lords an.


In Bildung und Gesittung waren die Mitglieder des Oberhauses den Gemeinen soweit überlegen als die Erziehung der Peers diejenige der gewöhnlichen Squires überragte, aus denen das Unterhaus bestand. Schon der Besitz, den sie zu verwalten hatten, gab ihnen einen weiteren Gesichtskreis oder hätte es wenigstens können, gewiss ist, dass unter ihnen ein liberalerer Geist herrschte als im Unterhaus und dass es erst das Eingreifen Georgs III. war, der das Haus der Lords umgestaltet hat. Die Pairsschübe, die dieser König vornahm, haben die seiner Vorgänger unendlich übertroffen. Von 1700 bis 1760 war die hohe Aristokratie um 111 neue Mitglieder vermehrt worden, in den nächsten 60 Jahren, von 1760 bis 1 820, stieg diese Zahl auf 388, so dass Horace Walpole einmal geringschätzig von dem „Mob der Nobility“ spricht. Wenn das dem Ansehen der Körperschaft schon an und für sich nicht vorteilhaft war, so schadete der Gesichtspunkt, unter dem diese Ernennungen vorgenommen wurden, dem Hause noch weit mehr. Es galt den liberalen Geist zurückzudämmen und die Lords zu einem gefügigen Werkzeug der Krone zu machen. Das gelang dem König nur zu gut; Georg III. hat das Haus der Lords in einen Club umgewandelt, in dem über interessante politische Themata mit Würde und Geschmack debattiert wurde, der aber auf jede politische Initiative vollkommen verzichtete und sich in seiner Impotenz nur zur Negative aufraffen konnte.

Die Lords haben jedem Reformversuch nach Kräften widerstanden und solange sie konnten, die Anpassung veralteter Gesetze an den Geist der Zeit verhindert und hinausgeschoben, jede wirkliche Reform musste über ihre Köpfe hinweg vorgenommen werden. Da viele der rotten boroughs und der Grafschaftsorte im Besitz von Peers waren, die über die Sitze im Unterhaus, die von diesen gewählt wurden, frei verfügen konnten, so bestand eine gewisse Abhängigkeit des Unterhauses vom Oberhause, die ungern ertragen wurde und viele Eifersüchteleien, Streitigkeiten und Kompetenzkonflikte hervorrief. Am bekanntesten wurde wohl der Aylesbury-Fall, der sich unter der Regierung der Königin Anna ereignete und Oberhaus und Unterhaus einander gegenüber sah. Einem Wähler dieses Ortes war sein Wahlrecht verkümmert worden, was zur Anrufung der Gerichte und schließlich zur Einmischung des Oberhauses führte. Das Unterhaus wollte keinesfalls zulassen, dass die Lords sich als eine Art Appellhof konstituierten, damit sie nicht in den Fall kämen, in die bürgerliche Rechtsprechung einzugreifen. So ging der Streit mit einander widersprechenden Verordnungen von beiden Seiten lange Zeit fort. Er ist schließlich nicht ausgetragen worden, sondern endete durch Aufschub in Vergessenheit.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches England im 18. Jahrhundert