Bestechungen und Schmiergelder

Dieses Hochgefühl war darum nicht weniger berechtigt, weil sich das Unterhaus durchaus nicht als Vertretung des englischen Volkes, sondern nur als den obersten Rat der Krone fühlte, aber es würde sich mit Notwendigkeit in der Geschäftsführung des Hauses durch eine überlegene Staatsweisheit haben zum Ausdruck bringen müssen.

Aber davon war niemals die Rede, dieses Parlament besaß bereits den Hauptfehler, an dem alle seine Nachfahren krankten, die Unehrlichkeit. Heute wissen wir alle durch lange und traurige Erfahrungen, dass derartige Versammlungen, heißen sie nun wie sie wollen: Reichstag, Nationalversammlung, A.- und S.-Räte, oder sonstwie, nichts sind als bloße Sprechbuden, in denen leeres Stroh gedroschen wird, zu Nutz und Frommen irgendwelcher parteipolitischer Gernegroße. Die großen Worte, die gebraucht werden, sind nur die Aushängeschilder, hinter denen sich die kleinen Zwecke verbergen, man sagt das eine und meint ganz etwas anderes, und wenn sich heute die Lüge einen Platz im öffentlichen Leben errungen hat, der so groß ist, dass man oft zweifelt, gibt es denn überhaupt noch eine Wahrheit?, so ist es doch nur der Fall, weil sie auf ehernen Füßen ruht, auf Parlament und Presse.


Auch das englische Parlament des 18. Jahrhunderts war nichts besseres als ein Theater, auf dem eine privilegierte Klasse sich in Szene setzte und sich selbst Vorstellungen gab, und wenn die Rollen dabei nicht nach bestem Wissen und Gewissen verteilt waren, sondern die Stichworte hinter den Kulissen abgegeben wurden und dem Souffleur meist der wichtigste Teil der Handlung zufiel, so unterschied es sich ja auch darin nicht gerade wesentlich von allen seinen kontinentalen Nachahmungen. Wenn heute etwas in Erstaunen setzt, so ist es nur der Umstand, dass ein Bestechungssystem dabei geübt wurde, ganz offen und selbstverständlich geübt wurde, wie man es öffentlich heute nicht mehr dulden würde, wenigstens bisher nicht geduldet hat. Es begann, sobald die faktische Macht an das Unterhaus gelangt war. Bereits Bischof Burnet spricht davon, indem er die Ostindische Handelsgesellschaft als den Hauptsünder hinstellte, der nicht nur die Wähler, sondern auch die Gewählten in sein Interesse zu ziehen wisse. Die große Epoche, in der die Bestechung als politisches Mittel wirksam wurde, war die Zeit Robert Walpoles.

Er sagte ganz unverhohlen: „Jeder Mann im Unterhaus hat seinen Preis“, und nach dieser Überzeugung handelte er. Er selbst war unbestechlich; der nach seinem Sturz gegen ihn geführte Prozess hat trotz aller Mühe, die sich seine Gegner gaben, nichts zutage gefördert, das seine Ehrlichkeit belastet hätte, aber die andern hat er nicht geschont. Parlamentsmitglieder, die er zum Essen lud, fanden unter ihrer Serviette Anweisungen auf 500 Lstrl. Nach Schluss der Sessionen erfolgten die Abrechnungen, bei denen die einzelnen Abstimmungen mit 500 oder 1.000 Lstrl. nach Maßgabe ihrer Wichtigkeit bezahlt wurden. Er rühmte sich einmal, einen glänzenden Sieg im Unterhause errungen zu haben, glänzend, weil er nur 900 Lstrl. gekostet hatte. Man machte ihm heftige Vorwürfe darüber, dass er die Korruption in dieser Gestalt begünstige, aber zu seiner Zeit hätte ein Verzicht auf dieses Mittel einem Verzicht auf die Regierung überhaupt gleich gesehen.

Robert Walpole hat dieses üble System nicht eingeführt, er hat sich seiner nur mit einer Offenheit, man kann vielleicht sagen: Schamlosigkeit bedient, die ihm am meisten von denen verdacht wurde, die seiner Vorteile nicht teilhaftig wurden. Die Bestechung ist mit Walpoles Sturz auch keineswegs verschwunden. Unter der Verwaltung des älteren Pitt war zur einfacheren Erledigung ein Bureau für die Bestechungen eingerichtet, in dem die Abrechnung über die Stimmabgabe erfolgte; sie wurden mit Zahlungen von 200 Lstrl. aufwärts honoriert. Pitt, der spätere Earl of Chatham, galt übrigens wie Sir Robert Walpole selbst, für ein Wunder der Unbestechlichkeit. Außer barem Gelde standen der Regierung natürlich auch Titel, Pensionen, Orden, Anstellungen und Sinekuren aller Art zur Verfügung, mit deren Hilfe sie die Abgeordneten so zu stimmen bewegen konnte, wie sie es wünschenswert fand. Da war freilich alle Rhetorik verloren; James Ferguson von Pitfour, lange Zeit Mitglied für Aberdeenshire, sagte einmal: „Ich habe im Unterhaus viele Reden gehört, die meine Überzeugung änderten, aber keine, die meine Abstimmung beeinflusst hätte.“ Manchmal, und das ist vielleicht ein Trost, machten die Minister auch üble Erfahrungen. So nahm Lord Orford 1762 von Henry Fox eine Stelle an, die ihm ein Einkommen von 2.200 Lstrl. im Jahre sicherte und stimmte dann stets gegen die Regierung.

Diese Zustände haben es veranlasst, dass das Unterhaus sich vor der öffentlichen Meinung abschloss und eifersüchtig darüber wachte, dass die Reden und Verhandlungen nicht über die vier Wände, innerhalb derer sie gehalten wurden, hinausdrangen. Das böse Gewissen verwahrte sich heftig gegen jedes Bekanntwerden, es scheute das Licht der Öffentlichkeit. „Das Unterhaus,“ erzählt Horace Walpole, „war wütend als man einmal auf der Galerie einen Franzosen, den Marquis von Saint Simon bemerkte, der sich Notizen machte.“ Ein großer Teil des Kampfes, der um die Pressefreiheit geführt wurde, drehte sich um die Frage, ob die Reden der Unterhausmitglieder in den Zeitungen gedruckt werden dürften oder nicht. „Eine Veröffentlichung sähe ja grade so aus,“ erwiderte Pulteney 1738 Wyndham, „als wären die Mitglieder für das, was sie im Hause tun, nach außen verantwortlich.“ Dem Buchstaben nach war das auch vollkommen richtig, denn die Wähler wussten gar nicht, wie die von ihnen Gewählten stimmten, und hatten auch gar keinen Einfluss darauf. Es war ein vollkommenes Novum, dass die Stadtgemeinde London, d. h. die City, 1769 ihren Abgeordneten Instruktionen für das Verhalten im Unterhaus mitgab. Es war dies in der Zeit der Kämpfe um Wilkes und es wurde den Mitgliedern, die die City vertraten, hauptsächlich zur Pflicht gemacht, eifersüchtig über das Recht der Individuen gegen ministerielle und parlamentarische Willkür zu wachen, die Unabhängigkeit des Richterstandes hoch zu halten, gegen Bestechungen zu wirken usw. Es treten in dieser Maßnahme der City deutlich zwei verschiedene Regungen hervor, einmal ein gewisses Misstrauen gegen das Unterhaus, welches dieses in der Tat nur zu sehr gerechtfertigt hatte, und dann das Gefühl, dass diese Versammlung im gründe mehr sei als nur ein Debattier-Club müßiger Gentlemen. Die öffentliche Meinung hat dem Unterhaus seine Rolle als Vertretung des ganzen englischen Volkes förmlich aufzwingen müssen und das ist nicht ohne lange und heftige Kämpfe abgegangen und es ist auch erst im neunzehnten Jahrhundert durchgesetzt worden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches England im 18. Jahrhundert
018. Die Herzogin von Cumberland. Schabkunst von Th. Watson nach dem Bude von Reynolds. 1773

018. Die Herzogin von Cumberland. Schabkunst von Th. Watson nach dem Bude von Reynolds. 1773

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