Whigs und Tories

Das Parlament, welches die Revolution von 1688 machte, bestand aus zwei großen Parteien, die sich schon im Langen Parlament Karl II. geschieden hatten, den Tories und den Whigs.

Der Name Tory soll von dem irischen Ausruf „Tar a Ri“, „Komm, o König!“ herstammen, der der Whigs aus den Anfangsbuchstaben des Wahlspruches der schottischen Covenanter: „We hope in God“ bestehen. Beiden haftete zugleich etwas Verächtliches an, indem Tory auch einen irischen Straßenräuber, Whig einen schottischen Pferdedieb bezeichnete. Diese Namen haben sich die englischen Parteien zwei Jahrhunderte hindurch gegeben, trotzdem sich zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Tendenzen hinter ihnen verbargen, nur niemals die, welche femstehende Beobachter hinter ihnen vermuteten, die „Tory“ ein für allemal mit konservativ und königstreu und „Whig“ mit liberal und Republik gleichstellten. Die beiden Parteien übernahmen einfach die alten Gegensätze der Kavaliere und Rundköpfe, wie sie unter Karl I., der Presbyterianer und Independenten, wie sie im Bürgerkriege bestanden hatten, und setzten den alten Widerspruch unter neuen Namen fort. Diese neuen Namen hafteten so fest, weil sie an und für sich eigentlich nichts besagten. In der Revolution traten die Whigs für die Macht des Parlamentes, die Tories für das Recht der angestammten Monarchie ein, die einen waren für Toleranz, die andern gegen jede Duldung der von der Staatskirche abweichenden Dissenters.


Unter Wilhelm III. und noch lange nachher waren die Whigs die Regierungspartei, die Tories in der Opposition. Die Whigs waren für die Erhaltung der Thronfolge in einer protestantischen Familie, also für das Haus Hannover, die Tories hingen den Stuarts an und gehörten zum großen Teil zu den Jakobiten, welche die vertriebene Dynastie mit Gewalt auf den Thron zurückführen wollten. Als die Königin Anna regierte, waren die Whigs die Kriegspartei, die entschlossen war, die Macht des Hauses Bourbon um jeden Preis zu brechen, die Tories waren für den Frieden, für eine Verständigung mit Frankreich und gegen jede Politik, die geeignet war, England in Allianzen mit den Kontinentalmächten zu verstricken, die für das Inselreich lästige Verpflichtungen bedeuteten.

Zweimal im Laufe des 18. Jahrhunderts waren es die Tories, deren Eingreifen die englische Politik mit dem Odium der Doppelzüngigkeit und Heimtücke belastete. Sie veranlassten 1712 die Regierung, sich von ihren Bundesgenossen zwar nicht öffentlich zu trennen, aber sie heimlich im Stich zu lassen, indem der Oberbefehlshaber, Herzog von Ormond, offiziell den Befehl erhielt, den Krieg mit Eifer fortzusetzen, gleichzeitig aber heimlich dahin instruiert wurde, nichts mehr gegen die französische Armee zu unternehmen. Der Frieden, in dem England die bisherigen Alliierten im Stich ließ, bewahrte Frankreich vor dem Untergang und überlieferte gleichzeitig die Katalanen, die England seit 1705 aufgehetzt hatte, sich für Karl II. zu erklären, der Rache der Sieger. Sie haben dasselbe Spiel wiederholt als nach dem Regierungsantritt Georgs III. die englische Regierung, die ihre Zwecke erfüllt glaubte, Friedrich den Großen hinterrücks aufgab und mit den gemeinsamen Gegnern einen einseitigen, höchst vorteilhaften Frieden schloss, der des bisherigen Alliierten auch nicht mit einem Worte gedachte.

Den Rückhalt der Whigs bildeten die großen Grundbesitzer und die Kaufmannschaft, den der Tories der kleine Landadel und der Klerus, hauptsächlich die Geistlichen auf dem flachen Lande. Dadurch verschob sich in dem langen Zeitraum, in dem die Whigs die unbestrittene Herrschaft übten, der Gegensatz zwischen den beiden Parteien allmählich in den zwischen Industrie und Ackerbau, Kapital und Grundbesitz. Die Whigs dachten nur daran, Handel und Industrie zu begünstigen, um England reich zu machen, während die Tories das politische Schwergewicht in den Stand der Bodenbesitzer zu verlegen wünschten. Sie nannten sich selbst, wie Gibbon aus seiner Jugendzeit zu berichten weiß, in der die Gegensätze sehr schroff betont wurden, mit Vorliebe die „Landedelleute“. Wenn man will, vertreten die Whigs das uralte Prinzip der sächsischen Gemeindefreiheit, was sie mit Hilfe der Burgflecken in den Stand setzte, die Macht der Krone fast ganz auszuschalten, wenigstens äußerst einzuschränken, während die Tories auf der traditionellen Regierungsgewalt der anglonormännischen Könige fußten und von dem durch eine parlamentarische Mehrheit ernannten Ministerium nur eine neue Art der Tyrannei befürchteten. Das Schwankende der Parteianschauungen, die nie bestimmt formuliert werden konnten, hat dann, als die lange Dauer der Whig-Herrschaft die Gegensätze vertiefte, die Korruption verstärkte und die Schäden des einseitigen Parlamentarismus einer Kaste bloßlegte, zu dem merkwürdigsten Frontwechsel im parteipolitischen Bekenntnis geführt. Die Whigs, in der Herrschaft bedroht, klammem sich an das Bestehende, das ihnen den größten Vorteil bringt und gehen zu ganz konservativen Anschauungen über, während die Tones, die nur in der Änderung des Bestehenden und vom Wechsel Nutzen für sich erwarten können, sich zum Radikalismus wenden und völlig demokratisch auftreten. Nun liegen außerdem noch Schattierungen dazwischen, denn in einem Parlament, das auf die oben beschriebene Art und Weise zustande kam, in dem die Bestechung den Ausschlag gab, waren natürlich persönliche Rücksichten sachlichen Interessen übergeordnet. Enttäuschung und Unzufriedenheit, Neid und Missgunst waren die Motive, welche in der parlamentarischen Politik eine Rolle spielten, die mehr wie einmal im 18. Jahrhundert zu Umgruppierungen und Neubildungen unter den Parteien geführt haben.

Die Programme von Whigs und Tories waren so unlöslich mit Fraktionsinteressen verquickt, dass die Politik von den Familienbeziehungen bestimmt wurde. Im Anfang der Regierung Georgs II. schieden sich nach Lord Hervey Whigs und Tories, jede wieder in zwei Parteien, die Tories in Anhänger der Stuarts oder des Hauses Hannover, die Whigs in Patrioten und Höflinge, d. h. im klaren englisch: Whigs im Amt und Whigs ohne Amt. Die Whigs, die sich unter Robert Walpole zur Opposition hielten, hatten dafür gar keine sachlichen Gründe, sondern nur persönliche. Sie erhoben den Anspruch, für ihre Unterstützung des Ministeriums in irgendeiner Weise belohnt zu werden, und so stimmten diejenigen unter ihnen, die weder Ämter noch Pensionen erhielten, gegen die Regierung, die sie zu stützen berufen waren. Wie die Unterabteilungen der großen Parteien sich auch nennen mochten, ob sie Stuart vorschoben oder Hannover, Hof oder Vaterland, neues Interesse oder altes, des Pudels Kern war immer der Platz an der Futterkrippe. Die einen hatten ihn inne, die andern wollten ihn haben, alles andere war eitel Bluff. Reine Oppositionsparteien haben es ja immer außerordentlich leicht und wirken schon dadurch, dass sie sich hinzustellen lieben, wie die in unverdiente Not geratene Tugend. Sie tragen keine Verantwortung, haben keine positive Arbeit zu leisten, und können sich am Widerspruch begnügen. Verstehen sie nun dazu noch das geschickte Handhaben tönender Schlagworte, so haben sie alles getan, was von ihnen erwartet wird. Darin haben die englischen Parteien im 18. Jahrhundert Bedeutendes geleistet, Wahlspruch und Feldgeschrei, mit dem sie gegeneinander zu Felde zogen, waren immer gut und immer geschickt gewählt, sie mussten ja auch meist die Gründe ersetzen, an denen es auf beiden Seiten mangelte. „Widerstand“, „kein Widerstand!“ begannen in der Revolution die lange Reihe der Parteirufe, die sich mit „Stuart“ und „Hannover“ fortsetzten. Wollten die Whigs gegen die Tori es mobil machen, so hieß es: „Keine Papisterei“; hetzten die Tories gegen die Whigs, so gaben sie das Schlagwort aus: „Die Kirche ist in Gefahr“: „Christentum und Alt-England“, „Christentum für immer“. Gegen die Neigung der Tories für Frankreich ging der Ruf: „Keine Holzschuhe“, denn die Franzosen standen bei dem Durchschnitts-Engländer der Zeit in dem Verdacht, Frösche zu essen und Holzschuhe zu tragen. Manche dieser Schreie, besonders die gegen Papsttum und Frankreich haben das ganze Jahrhundert hindurch in ihrer Wirkung nicht eingebüßt, noch 1780 konnte Lord Gordon mit dem alten Kampfruf: „Keine Papisterei“ den Pöbel zu solcher Wut fanatisieren, dass zu einer gewissen Zeit halb London in Flammen stand. Der Gordon-Aufruhr bewies, dass die alten Schreie noch nichts von ihrer zündenden Kraft verloren hatten, und die Regierung hat mehr wie einmal der Opposition nachgegeben, nur weil sie ihr nicht den Vorwand zur Erfindung prächtiger Schlagworte liefern wollte, von deren Einfluss sie sich zu ihrem Schaden überzeugen musste. Die Opposition war um so mehr auf wirkungsvolle Äußerlichkeiten der Parteidisziplin angewiesen, als ihr, wie schon bemerkt, oft genug sachliche Gründe für ihre Haltung völlig fehlten. Unter Walpole wurden die Tories von Sir William Wyndham und Bolingbroke geführt, die unzufriedenen oder unbefriedigten Whigs von Pulteney, als die Wahlen von 1735 die Boy Patriots in das Unterhaus führten, die mit William Pitt, Gay Lyttleton, Richard Temple u. a. noch eine neue Oppositionspartei bildeten, die aber wie die beiden schon bestehenden, antiministeriellen Gruppen ihrer Politik kein anderes Ziel setzte als den Sturz des leitenden Ministers. Ohne Rücksicht auf das Wohl des Landes und die Interessen der Allgemeinheit haben sie vorzügliche Projekte der Regierung zu Fall gebracht und sie zu Schritten gedrängt, die sie selbst eingestandenermaßen für falsch hielten, nur mit der Absicht, den verhassten Minister, der ihrem Ehrgeiz im Wege stand, zu beseitigen. Walpoles Accise-Plan, der die Steuer vereinheitlicht hätte, war noch nicht einmal in seinen Grundzügen bekannt, da erhob die Opposition einen furchtbaren Lärm und erklärte in den Brusttönen sittlicher Entrüstung, der Minister plane nichts geringeres als die Freiheit Englands zu knechten und die Verfassung umzustürzen. Die Gegner nannten den Vorschlag, schon ehe sie ihn kannten, „die schauderhafte Erfindung gewissenloser Tyrannei“, aber all ihrer pathetischen Rhetorik zum Trotz, einen Gegenvorschlag haben sie nicht gemacht. Sie haben den Minister nach allen Regeln der Kunst verrissen, auf seine sachlichen Gründe sind sie gar nicht eingegangen. Wie geübte und gewissenlose Demagogen malten sie dem Volk ein Schreckbild an die Wand, um es aufzureizen und einzuängstigen. Sie wirbelten in Reden und Schriften einen solchen Staub auf, dass der ganze Plan mit all seinen Vorteilen völlig dahinter verschwand, und die Regierung sich genötigt sah, vor der entfesselten Wut des Volkes zu kapitulieren und die Vorlage zurückzuziehen. Aber Walpole blieb, und auch über die 1739 auftauchende Frage „Krieg oder Frieden?“ ist er nicht zu Fall gekommen. Er zog es vor, der Opposition nachzugeben und Spanien den Krieg zu erklären, einen Krieg, den er für ungerecht und unvorsichtig hielt und dessen sich diejenigen, die ihn angezettelt hatten, wie der ältere Pitt es später Burke gestand, sogleich selbst schämten. Das Fazit der oppositionellen Politik wurde aber erst gezogen, als es dem jahrelangen Ansturm der Gegner endlich gelungen war, den verhassten Staatsmann aus seinem Amte zu verdrängen. Am 22. Februar 1742 legte Sir Robert Walpole seine Ämter nieder und zog sich als Earl of Oxford in das Privatleben zurück. Nun wäre es die selbstverständliche Aufgabe der Opposition gewesen, die Regierung zu übernehmen, um die Sache besser zu machen als der Mann, den sie seit Jahren auf das feindlichste angegriffen hatte. Aber ihr Führer Pulteney schrak vor der Verantwortung zurück, er lehnte den Ministerposten ab. So lange es sich nur darum gehandelt hatte, alles besser zu wissen, war er auf dem Platz gewesen, als er aber zeigen sollte, dass er es auch besser machen könne, versagte er. Die ganze Hohlheit einer Opposition nur um des Opponierens willen ist nie beschämender zutage getreten als in diesem Falle.

Die Opposition gewann an Bedeutung, wenn auch nicht an Berechtigung, seit sie sich um den Prinzen von Wales gruppierte. Ein eigentümliches Verhängnis wollte, dass alle Könige des Hauses Hannover keine ärgeren Feinde kannten als ihre Hironfolger, sie haben stets mit denselben auf dem gespanntesten Fuße gestanden; was jeder von ihnen etwa gegen seinen Vater verschuldet haben mochte, hat er an seinem eigenen Sohne büßen müssen. Dass Prinz Friedrich von Wales, der Sohn Georgs II., ein kindischer Mensch und ein Schwachkopf war, hinderte die Opposition nicht, sich um ihn zu scharen, und ihn nicht, alle Gegner der Regierung seines Vaters zu unterstützen, soweit davon die Rede sein konnte. Wie ernst es ihm dabei war, zeigte der Ministerwechsel von 1746, der zwar die Partei ans Ruder brachte, der er bis dahin das Gewicht seines Namens geliehen hatte, der ihn aber so völlig desorientierte, dass er nichts besseres zu tun wusste, als sofort zu der neuen Opposition umzuschwenken, und sich heute gegen die zu erklären, für die er bis gestern noch eifrig Stimmung gemacht hatte.

Die Whigs, die von 1714 bis 1760 ununterbrochen die Majorität im Unterhause hatten, haben sich dieser Macht zu ihrem eigenen größten Vorteil bedient, aber wenn sie die Wahlbefugnisse des Parlaments auf Kosten der Krone auszudehnen wußten, so haben sie das doch niemals mit der Absicht getan, eine liberale Verfassung einzuführen. Der Gedanke, das Unterhaus sei die Vertretung des sich selbst regierenden Volkes ist niemals ernsthaft von ihnen in betracht gezogen worden. Diese Anschauung bricht sich allmählich Bahn und die Parteien sind es gewesen, die ihn groß gezogen haben. Im Streite der Whigs und der Tones galt jedes Mittel als erlaubt, wenn der Hieb nur saß und die Wunde schmerzte. Beide Parteien haben es nicht verschmäht, weite Schichten des Volkes in ihre Streitigkeiten einzuweihen und sie für oder gegen gewisse Grundsätze einzunehmen. Sie haben dadurch nicht nur die Politik in Kreise getragen, die sich vorher nicht um politische Fragen kümmerten, sondern sie haben direkt einen Parteigeist gezüchtet, der dem gesamten Zeitalter seinen Stempel aufgedrückt hat. Es gibt keine Angelegenheit, die die Öffentlichkeit beschäftigte, die nicht sofort in den Dienst irgendeiner Peurtei gezogen wird und sei es auch nur eine Kleinstadtkoterie oder eine Kirchspielclique. Jedermann erhitzt sich für oder wider. Reden, Flugschriften, Versammlungen schüren den Brand und so zieht sich durch das ganze Jahrhundert ein Geist der Parteiung, der das Leben der englischen Nation bestimmt hat.

Schon im „Tatler“ macht sich Addison über den politisierenden Tapezier lustig, der täglich die Zeitung liest, umherläuft, um Neuigkeiten aufzuschnappen und sich für die polnische Frage weit mehr interessiert als für die Angelegenheiten seiner eigenen Familie. Oliver Goldsmith spinnt den gleichen Faden weiter, wenn er in seiner chinesischen Reise bemerkt: „Um die Wissbegierde des Engländers zu befriedigen, wird ihm jeden Morgen ein Blatt mit politischen Instruktionen zum Tee serviert.“ Einige Jahre später schreibt Mr. Curran, der 1774 London besucht, an den Rev. Henry Weston: „Hier ist jeder Kohlenträger ein Politiker und lüftet seine Anschauungen vor dem Publikum mit der Wichtigkeit eines Mannes, der sich bewusst ist, dem öffentlichen Wohle zu dienen.“ „Was mich mit dieser Abgeschmacktheit versöhnt,“ fährt er fort, „ist die Betrachtung, dass sie durch diesen geringen Aufwand von Lächerlichkeit so glücklich gemacht werden, und sie haben ganz sicher mehr Vergnügen an dem Schimpfen auf die Missbräuche als sie durch das Abschaffen derselben empfinden könnten.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches England im 18. Jahrhundert
019. Elisabeth Gräfin Derby, Schabkunst von Dickinson nach dem Bilde von Reynolds. 1780

019. Elisabeth Gräfin Derby, Schabkunst von Dickinson nach dem Bilde von Reynolds. 1780

020. Lady Stanhope. Schabkunst von James Watson nach dem Bilde von Reynolds

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