Schloß Englar im Eppan, 7. Nov. 1902. - gemeiner "Finke" , Holzkomment - Korpsstudent - "in Realavantage" - Frühschoppen, Renommierbummel - Fechtboden - Sekundant - Landsmannschaften, Vereinigung der engeren Landsleute - Europäer - Gardasee - Edelsitze und Schlösser - Castello - Trient - Dante-Denkmal - Taubentraulichkeit - Walther-Denkmal Bozen - Rittersmann.

In Innsbruck hatten, als wir dort waren, eben die welschen Studenten von den deutschen Prügel gekriegt. Nicht aber auf der Mensur mit Schlägern oder Säbeln, sondern auf ganz primitive Manier, mit Fäusten und Spazierstöcken, was man als gemeiner „Finke“ Holzkomment nennt, während sich der Leipziger Korpsstudent, führnehm, wie er nun einmal ist, über den Fall so äußern würde: „Die deutschen Studenten haben sich gegen die welschen „in Realavantage“ gesetzt.“ Ein ordentlicher, braver, wohlerzogener deutscher Korpsstudent tut so etwas nicht – wenn er es aber doch tut, so wird er auf vier Wochen aus dem Korps „gehängt“, muß statt der schönen, bunten Mütze einen ganz gewöhnlichen Filzhut tragen, entbehrt des erzieherischen Einflusses des Frühschoppens, des Renommierbummels, der Kneipe, und wird nur durch den Besuch des Fechtbodens daran erinnert, daß er immerhin noch Beziehungen zur Elite der akademischen Bürger hat. Eine grausame Strafe, aber berechtigt. Denn es ist wirklich nicht sehr nett von einem akademischen Bürger, wenn er einen anderen durchprügelt, ohne Sekundanten und Unparteiischen und ohne genaue Buchführung der „Blutigen“. Denn es muß Ordnung auch in der Keilerei sein, Kultur, Stil, höherer Gesichtspunkt. Warum, so frage ich mich verwundert, haben die Deutschen und Italiener nicht eine P. P.-Suite ausgepaukt? Es ging ja im eigentlichsten Sinne pro patria?! Als auf den deutschen Universitäten noch die alten Landsmannschaften existierten, die wirklich die Vereinigungen der engeren Landsleute waren, da lieferten sich zuweilen Franken, Schwaben, Rheinländer derartige Schlachten, und aus jener Zeit stammt der Ausdruck: P. P.-Pauken. Aber freilich, man war einander nicht so böse, wie Deutsche und Welsche in Innsbruck, denn man war schließlich eines Blutes, und wenn man sich einander ein bißchen davon abzapfte, so geschah es nicht so sehr um der Feindschaft, als um der Freundschaft willen: Hau her, Bruder, daß ich wieder hinhauen kann! Ein etwas barbarischer Ausdruck gegenseitiger Hochachtung, aber immerhin gemütlich. – Davon ist nun hier leider die Rede nicht. Man ist sich bitter Feind. Keine Spur von Gemütlichkeit und kameradschaftlicher Gesinnung. Man prügelt sich, um einem hohen Senate der Universität und nicht minder einem hohen Ministerium des Unterrichtes ad oculos zu demonstrieren, daß man überhaupt nicht mehr wünscht, einander Kamerad zu sein. Darin sind beide einig, Deutsche und Welsche: daß man auseinander möchte. Das Wort: sich schlagen und sich vertragen, ist hier nicht am Platze, vielmehr schlägt man sich, um es recht deutlich auszudrücken: wir wollen uns nicht vertragen. – Hübsch ist das nicht, aber begreiflich. Eine Universität in Innsbruck kann wohl nicht gut anders als eine deutsche Universität sein, und von italienischen Studenten kann man es kaum verlangen, daß sie deutsche Studenten werden. Freilich sollte eine jede Universität ein Kosmopolis sein, und akademische Bürger sollten, unbeschadet ihres Volkstums, den Ehrgeiz haben, sich auch als gute Europäer zu fühlen und dementsprechend zu betragen, aber an den Grenzen weht ein scharfer Wind und ein jeder fühlt sich hier auf Vorposten. Die Deutschen haben es nicht vergessen, daß die Italiener schon mehr als einmal den Anspruch erhoben haben, ihre Grenze bis an den Brenner zu rücken, und man kann es ihnen nicht verdenken, daß sie bei dem Gedanken wild werden. Es handelt sich hier um eines der schönsten Stücke deutscher Erde; diesen köstlichen Zipfel Süden wollen wir Hyperboräer uns nicht abwelschen lassen, wenn wir auch sonst gar nicht zu den Signori-Fressern gehören, vielmehr alles dessen dankbarst eingedenk sind, was wir der großen Mutter europäischer Kultur, der schönen Italia, schuldig sind. Von hier ist uns der holdstarke Vogelweider gekommen, und hier hat der derbtüchtige Wolkensteiner in derselben Sprache gedichtet, die hier noch im Munde der deutschen Bauern lebt. Dies alles, bis hinauf gegen den Gardasee hin, der selber seinen Namen noch aus deutschem Sprachstamme hat, ist deutsch, wenngleich es mehr als eine Nuance von Italien hat. Deutsch und Welsch hat sich zu einer wundervollen Einheit mit deutscher Dominante verschmolzen. Auch die Landschaft drückt dies aus, denn sie hat zwar bereits die große italienische Linie, aber den deutschen Wald. Wo dieser aufhört, da beginnt Italien. In der Architektur ist der italienische Einfluß, der Einfluß der älteren und südlicheren Kultur, unverkennbar, aber sie hat dabei die intimsten Züge des Deutschtums, das beim Heimbau aufs deutlichste das zum Ausdruck bringt, wofür es dem Italiener selbst am Worte fehlt: die Gemütlichkeit. Alle diese Edelsitze und Schlösser haben trotz ihrer italienischen Grundanlage viel mehr von der deutschen Burg als vom italienischen Castello. Erst von Trient an wird das anders. Dorthin würde eine italienische Universität nicht übel passen, wie sich ja auch das Dante-Denkmal dort nicht übel ausnimmt, das Land Italien mit den Augen suchend, während es das Land Tirol mit der Rückseite begrüßt, die man, da Denkmäler nicht die Gabe haben, sich zu setzen, allerdings nicht die Gesäßseite nennen kann. Es ist ein ziemlich temperamentvolles Monument, dieses Trientiner Dante-Denkmal, und der Gegensatz zwischen den beiden Nationen, die hier in aller Taubentraulichkeit friedlich nebeneinander wohnen würden, wenn es bloß auf die Wünsche einer k. k. Regierung und abgeklärter Freunde des Menschengeschlechtes ankäme, könnte nicht packender ausgedrückt werden, als wenn man es neben das Bozener Walther-Denkmal stellen würde – dos-à-dos natürlich. Der Dante von Trient ganz Grimm und Leidenschaft, der Walther von Bozen ganz Sinnigkeit und Minnigkeit. So stellen die Völker in ihren geistigen Helden gerne sich selber dar nach dem Bilde, das sie sich von sich selber machen, und es kommt dabei weder eine geistige Porträtähnlichkeit der Helden noch der Völker heraus. Die Italiener haben sich in ihrem Dante von Trient meinem Empfinden nach geschmackvoller geschmeichelt, als die Deutschen mit ihrem Walther von Bozen. So butterweich und zuckersüß sind wir denn doch nicht, selbst dann nicht, wenn wir Lyriker sind, und wir dürfen eigentlich verlangen, daß man, wenn in der südlichsten deutschen Stadt ein Sinnbild deutscher Art errichtet wird in Gestalt eines deutschen Dichters und Rittersmannes, nicht bloß den „Dichter“ hervorkehrte, wie ihn sich schmachtsinnige „Mägdlein“ vorstellen mögen, sondern auch den streitbaren Ritter und scharfen politischen Streiter, der nebenbei auch ein galanter Mann von Welt und Form gewesen ist, mindestens so graziös wie gefühlvoll.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine kleine Herbstreise im Automobil