Innsbruck im Goldenen Stern, den 5. Mai 1902.

In Mittenwald wollten uns die Bauern bange machen, indem sie uns, recht vorsorglich, Pferde anboten, damit unser Wagen über die Scharnitzer Höhe käme. Da ich mutmaßte, daß dieses Interesse nicht ganz selbstlos sein möchte, dankte ich verbindlichst, und wir überließen uns unsern acht Pferdekräften im Motor. Es regnete noch immer, aber die Berge waren nicht mehr ganz von Wolken verhüllt, so daß wir die großen Massen neuen Schnees sehen konnten, mit denen sie sich in der Nacht bis ziemlich herunter bedeckt hatten. Ich schätze, daß sich der Beherrscher Luxemburgs doch einmal bedenklich erkälten wird, wenn er fortfährt, bei dieser Witterung in den Bergen zu jagen, wie er tatsächlich wieder vergangene Nacht getan hat. Just, als wir aufstanden, kehrte er von seinem nächtlichen Waidwerk zurück. Von der Strecke haben wir leider nichts zu sehen bekommen. Vermutlich ist auch diese Art Jagd mehr ein empfindsames Vergnügen für Leute, die ihre Nerven massieren lassen wollen, als daß sie einen wesentlichen praktischen Zweck hätten. – Unser Motor bekam reichlich zu tun. Er hatte in kurzer Zeit von 913 auf 1180 Meter zu steigen und dabei einmal eine so steile Straße zu nehmen, daß wir es vorzogen, den Wagen um unser Gewicht zu erleichtern und etwa zehn Minuten zu Fuße zu gehen. Der Abstieg nach Innsbruck ist noch erheblicher, da diese Stadt nur 574 Meter hoch liegt. Ohne so ausgezeichnete Bremsvorrichtungen, wie sie unser Adlerwagen hat, wäre die Befahrung eines solchen Gefälles im Automobil eine lebensgefährliche Tollkühnheit. Es ist eine echte Hochgebirgspartie von mächtiger Schönheit. Der Blick geht tief herunter nach dem Tale der Inn, während rings der Alpenwall gewaltig aufragt. Die Riesenhäupter hatten sich freilich wieder in Wolken gehüllt, aber manchmal entblößte sich ein schneeiges Gezack in wundervollstem Glanze, während der untere Teil dick umwölkt blieb. Was uns an Menschen begegnete, war urwüchsiges Bergvolk, Leute, denen Wind und Wetter förmlich Holzschnittfalten in die Gesichter gegraben haben. Am Fuße des Berges führt der Weg an der alten Ruine Fragenstein und der schroffen Martinswand vorüber, auf der sich nach der Überlieferung Kaiser Maximilian I. bei einer Gemsjagd verirrt haben soll. Als ihn aber ein Geistlicher in dieser Todesgefahr mit der Absolution versah, indem er ihm von dem gegenüberliegenden Martinsbühel die Hostie zeigte, erschien ein Engel und führte die Majestät wohlbehalten auf die Alpe. In der Maximilianshöhle, wo sich dies begeben haben soll, steht heute ein Kruzifix, das man von unten aus deutlich erblickt. Schwindlige Leute werden, glaube ich, auch in Begleitung von Engeln den Weg nicht riskieren wollen, während er für schwindelfreie Bergsteiger, wie man mir sagt, eine Partie ist, zu der man keinen Führer braucht, weder einen geflügelten, noch einen ungeflügelten. – Obwohl wir nur einen kurzen Weg zurückgelegt hatten, beschlossen wir, da der Regen immer dichter wurde, in Innsbruck Rast zu machen. Wir sind im Goldenen Stern eingekehrt, einem Gasthaus, in dem nicht Queue gebildet wird, und wo man sich deshalb doppelt wohl fühlt. Daß wir nicht mehr im bayrischen Gebirge sind, merken wir mit Vergnügen an der guten Küche. Ich begreife den Großherzog von Luxemburg durchaus, daß er sich, wenn er nach Mittenwald zur nächtlichen Jagd reist, einen luxemburgischen Koch mitnimmt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil