XVII. Alfred hielt Wort. Fast täglich besuchte er Sophie, aber die Nachrichten, die er ihr zu bringen hatte, waren wenig erfreulich. Der Zustand des Präsidenten schwankte anfangs hin und her,...

XVII. Alfred hielt Wort. Fast täglich besuchte er Sophie, aber die Nachrichten, die er ihr zu bringen hatte, waren wenig erfreulich. Der Zustand des Präsidenten schwankte anfangs hin und her, dann verschlimmerte er sich bedeutend und die Aerzte verwiesen, nachdem der siebente Tag vorüber war, auf eine Krisis am vierzehnten oder einundzwanzigsten Tage. Beide, Alfred sowol als Sophie, empfanden, getrennt von dem Gegenstande ihrer Sorge eine große Unruhe, und das Dasein in seinem Hause trug nicht dazu bei, Alfred über die Sorge fortzuhelfen. Der Unfriede zwischen den Eheleuten wuchs immer mehr. Caroline ging Tage hindurch schmollend an ihrem Manne vorüber, bis sie plötzlich eine Anwandlung von Reue empfand und Versöhnung suchte. Aber Versöhnung setzt gänzliches Vergessen des geschehenen Unrechts voraus und dies Vergessen erfordert Liebe. Liebe vergibt und vergißt, weil sie zu lieben verlangt. Sie freut sich, wenn es ihr gelingt, die Fehler des Geliebten verschleiern, sich über seine Mängel täuschen zu können; sie will nicht Rechte fordern, nicht gerecht sein, sie will gewähren, Nachsicht üben und, wenn es sein kann, bewundern und beglücken.

Diese Liebe hatte der Ehe seit ihrem Beginnen gefehlt und sie allein macht es möglich, daß ein Bündniß zwischen Menschen, bei den Schwächen der menschlichen Natur, ein glückliches werde. Alfred zwang sich, gerecht gegen Caroline zu sein, das mußte zu ihrem Nachtheil ausfallen, denn ihre guten Eigenschaften wurden durch ihre Mängel überwogen. Caroline hingegen fühlte nicht, daß sie sich zur höchsten Würde einer Frau erhebe durch Milde und Schonung; sie fürchtete, sich zu erniedrigen durch Nachsicht, sie fürchtete, in ihren Rechten gekränkt zu werden. Die Eheleute, die nur Einen Willen, nur Einen gemeinsamen Wunsch haben sollten, den Wunsch, zusammen, durch einander glücklich zu werden, standen sich mit getrennten Wünschen, mit gesonderten Interessen gegenüber. Wo es dahin gekommen ist, wo Eheleute einmal empfunden haben, daß sie nicht Eins sind in unauflöslicher Verbindung, wo sie sich als zwei gesonderte Parteien zu denken angefangen haben, da ist das Glück des Hauses unwiederbringlich zerstört. Nur Liebe vermag den menschlichen Egoismus zu besiegen, ohne sie bricht er hervor und fordert gebieterisch Selbsterhaltung und Glück.


Weder die Aufwallungen edlerer Gefühle in Caroline, noch Alfred’s gute Vorsätze vermochten die oftmals wiederkehrenden Aussöhnungen dauernd zu machen. Nach kurzem Frieden begann der Streit um so heftiger, und besonders in Alfred, dem das Unschöne dieser Verhältnisse doppelt verletzend war, bildete sich eine dauernde Erbitterung aus, die sich bald von beiden Seiten zu rücksichtsloser Härte steigerte.

Das Leben in seinem Hause wurde ihm so unerträglich, daß er jeden Anlaß wahrnahm, der ihn daraus entfernte. Er besuchte Theater und Gesellschaften, um dem Misbehagen zu entgehen, das ihn plagte, um sich selbst zu entfliehen. Von Natur häuslich und wissenschaftlichem Stillleben geneigt, stürzte er sich in einen Strudel von Vergnügungen, um nicht zu empfinden, wie unmöglich ihm jede Arbeit geworden sei, seit er die innere Ruhe dazu verloren hatte. Aber der Taumel der Zerstreuungen spannte ihn ab, ohne ihn einen Augenblick vergessen zu machen, was er zu vergessen wünschte. Stumpf und ermüdet kehrte er in die Heimath zurück, wo er Caroline fand, ebenfalls übersättigt von leeren Genüssen, verdrießlich und schmollend wie er. Der geringste Anlaß führte in diesen Stimmungen Mishelligkeiten herbei und Felix fing an, die Eltern zu vermeiden, wenn er sie allein beisammen fand. Oftmals ward er von Caroline gescholten, nur weil Alfred ihn gelobt hatte. Sie wußte, es thue Alfred wehe, den Knaben leiden zu sehen; sie litt durch Alfred und in der Aufwallung der gekränkten Gattin vergaß sie die Mutter. Es war das unglückseligste Verhältniß von der Welt.

Nur in Sophien’s Nähe besänftigte sich die innere Zerstörtheit Alfred’s, die fieberhafte Unruhe, die ihn umhertrieb, das Elend seiner Ehe zu fliehen, und Glück und Liebe zu suchen, die für ihn an Theresen’s Seite erblühen mußten. Mit Sophie, der er sein Lieben vertraut, sprach er von seinen Wünschen, von seinen Vorsätzen, bei ihr fand er ein theilnehmendes Herz. Immer länger dehnten sich seine Besuche bei ihr aus und wenn sie ihn darauf aufmerksam machte, sagte er traurig: Lassen Sie mich hier ausruhen, Sophie! bei Ihnen ist der heilige Tempel, in dessen Mauern die Eumeniden mir nicht zu folgen wagen. Nur so lange lassen Sie mich verweilen, bis ich die Ruhe gefunden habe, zu wollen, was ich muß.

Eines Abends kehrte er von der Freundin zurück und kam in Carolinen’s Zimmer, seinen Sohn zu sehen. Er fand den Kaplan Ruhberg bei ihr, und sie ging hinaus, bald nachdem ihr Gatte eingetreten war. Der Kaplan kam dem Hausherrn mit geflissentlicher Freundlichkeit entgegen und bot ihm die Hand. Alfred that, als bemerke er es nicht. Es war ihm unmöglich, einen Mann traulich zu begrüßen, den er nicht in seinem Hause zu sehen wünschte. Ruhberg brachte ihm Nachrichten aus der Heimat und sprach von den Angelegenheiten auf Reichenbach’s Gütern, soweit sie die kirchlichen Verhältnisse betrafen. Dann rückte er endlich mit der Bitte hervor, daß Alfred, der mannichfache Bekanntschaften unter den Räthen der verschie denen Ministerien besaß, seinen Einfluß zu Gunsten Ruhberg’s verwenden solle, um dessen Bestätigung als Domherr zu erlangen, die noch zweifelhaft schien. Die Behörden standen an, die auf ihn gefallene Wahl gutzuheißen, da seine hierarchischen Tendenzen nur zu sehr bekannt waren.

Alfred nahm seine Bitte kühl auf und sagte, da Ruhberg dringender wurde: Sie verkennen einerseits meinen Einfluß, mein Herr Kaplan, andererseits mich selbst. Ersterer reicht nicht so weit, als Sie glauben, und ich kann ihn nicht unbedenklich für Jemand anwenden, dessen Grundsätze und Ansichten den meinigen so sehr entgegen sind, als die Ihren. Im Uebrigen, Herr Caplan, denken Sie von meiner christlich vergebenden Gesinnung besser als ich selbst, denn ich habe weder vergessen noch kann ich vergeben, was Sie gegen mich verschuldet haben.

Der Kaplan erbleichte und ein Blick, scharf wie der Stachel einer Schlange, schoß aus seinen Augen auf Alfred, aber keine Muskel seines Gesichtes bewegte sich. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Herr von Reichenbach! sagte er. Ich bin mir bewußt, Sie wegen des kleinen Streites in Rosenthal um Vergebung gebeten zu haben, und was die Milde betrifft, er betonte das Wort scharf, die Sie an meinem Vorgänger so hoch geschätzt haben, und die Sie in gewissen Fällen vielleicht selbst bedürfen könnten, so sollen Sie mich so mild als Ihren verstorbenen Freund, den Domherrn, finden. Mit der kirchlichen Würde soll mir die christliche Milde kommen, wie ich hoffe. Es ist schwer in untergeordneter Stellung sich frei und richtig zu entwickeln, das Amt giebt Kraft und Einsicht mit dem Beistand Gottes.

Ich bedarf Ihrer Milde nicht, sagte Alfred stolz, und ich habe Ihnen keine Milde angedeihen zu lassen, nach der Beleidigung, die Sie, und wie ich erkundet habe, Sie allein mir mit der gehässigen Zeitungsanzeige zugefügt haben, deren Sie sich wohl erinnern werden. Damit ist Alles zwischen uns gesagt.

Er schritt hinaus, ließ Ruhberg stehen und ging seine Frau aufzusuchen, der er verbot, den Kaplan bei sich oder außer ihrem Hause zu empfangen und zu sprechen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.