XVI. Die Krankheit des Präsidenten hatte einen sehr gefährlichen Charakter angenommen. Als Alfred zu Sophien kam, war sie von derselben bereits unterrichtet und trat ihm mit der Frage entgegen, ...

XVI. Die Krankheit des Präsidenten hatte einen sehr gefährlichen Charakter angenommen. Als Alfred zu Sophien kam, war sie von derselben bereits unterrichtet und trat ihm mit der Frage entgegen, wie es Julian ergehe? Er konnte ihr nicht verbergen, daß der Zustand sehr bedenklich sei, fügte aber hinzu, daß man dennoch bei seines Freundes kräftiger Natur das Beste hoffen dürfe.

Sie hörte ihm ungläubig zu, lächelte schmerzlich und sagte: Ich hoffe nichts, Julian wird sterben. Sehen Sie, mein Freund! diesen Rosenstock brachte mir am Weihnachtsabend ein Knabe, als ich in tiefster Wehmuth der Vergangenheit dachte. Der Bote kannte den Geber nicht, aber mein Herz errieth ihn, meine innere Freude sagte mir, er käme von ihm. Die Blumen prangten in vollster Pracht. Glücklich, daß er meiner doch gedenke, daß ich nicht ausgetilgt sei aus seiner Seele, trug ich den Topf in mein Zimmer und drückte mein Gesicht in die Blüthen. Mir schien, als lehnte ich mich an sein Herz. Kaum aber war es geschehen, kaum war der Rosenstock eine kurze Zeit in meinem Besitze, als seine Blätter sich senkten; er fing an zu welken und ich wußte, was mir bevorstand, als ich am nächsten Morgen von meinem Arzte hörte, Julian sei erkrankt.


Vergebens stellte ihr Alfred vor, das Welken des Rosenstockes sei ein durchaus natürliches Ereigniß. Er ist in Treibhauswärme erwachsen, sagte er, dann hat ihn die kalte Nachtluft plötzlich berührt, ehe er in die warme Atmosphäre Ihres Zimmers gebracht wurde, das hat die Pflanze getödtet. Warum denn gleich das Schlimmste glauben? Warum in diesem Zufall so trübe Vorbedeutung suchen?

Sie sind ein Dichter, wendete Sophie ein, und können an das blinde Walten des Zufalls glauben? Haben Sie nie den wunderbaren Zusammenhang alles Erschaffenen empfunden? Haben Sie nie gefühlt, wie die Weltseele das All durchdringt und harmonisch wirkt in uns und in der Pflanze, in den Sternen und in den Thieren? Ich bin gewiß, alles Lebende empfindet mit uns, unsere Liebe klingt auch in den Geschöpfen wieder, denen kalte Philosophen die Empfindung absprechen. Ich halte fest an der Zuversicht, daß ein Theil von der Seele des Geliebten in allen Gaben lebte, die ich ihm verdanke und von denen ich mich nur mit blutendem Herzen trennen werde. Es wird mir ein erneuter Abschiedsschmerz sein und doch muß auch dieser durchlebt werden.

Ihre frühere Lebhaftigkeit hatte einer stillen Trauer weichen müssen, ihre Bewegungen waren langsamer und ruhiger geworden, das Feuer ihres einst so brennenden Auges gedämpft und selbst ihre Kleidung, schwarz und von einfachster Form, trug dazu bei, sie gänzlich verändert scheinen zu lassen. Alfred hatte diese Verwandlung gleich bei seinem Eintreten bemerkt und fragte sie, ob sie denn immer noch bei ihrem frühern Vorsatze beharre. Er hielt ihr die Bedenken vor, die sich in ihm dagegen regten, er bat sie, noch ein Jahr zu warten, er stellte ihr die traurige Einsamkeit des Klosterlebens, die Reize der Welt in den lebhaftesten Farben vor, und ging so weit, sie nochmals auf eine mögliche Aussöhnung mit Julian zu verweisen, um sie nur von ihrem Vorhaben zurückzuhalten.

Sie hörte ihm mit dankender Freundlichkeit zu. Die Erwähnung, daß Julian ihrer mitten in den Schmerzen seiner beginnenden Krankheit gedacht habe, füllte ihr Auge mit Thränen. Gott lohne es ihm, sagte sie, es sind die reinsten Freudenthränen, die ich weine! Daß er meiner liebend gedenkt, das ist der schönste Segen, den ich aus der Welt in die Zukunft hinüberzunehmen verlangen konnte. Ein anderes Glück giebt es für mich nicht und ich habe nur noch einen Wunsch: ich muß ihn sehen, ehe er stirbt.

Er wird nicht sterben und Sie werden ihn noch oft wiedersehen in Fülle der Gesundheit; hoffen Sie es doch mit mir! bat Alfred.

Schreckt Sie der Gedanke an seinen Tod, entgegnete Sophie, so nehmen Sie meine Bitte in anderm Sinne. Lassen Sie mich Julian noch ein Mal sehen, ehe ich sterbe für die Welt. Ist es Ihnen so lieber? fragte sie mit dem anmuthigen Lächeln, das noch vor wenig Monaten die kunstliebende Residenzstadt bezauberte. Ich habe endlich vor einigen Tagen meinen Abschied vom Theater erhalten, ich bin nun frei und könnte die Stadt verlassen, hätte ich ihn noch ein Mal gesehen. Dazu sollen Sie mir verhelfen. Sie sollen mich in sein Zimmer führen, auf welche Art Sie es zu machen wissen; das soll der Dienst sein, den ich von Ihnen fordere.

Alfred berichtete ihr, daß er selbst das Haus des Freundes nicht besuche, daß Therese ihn aus ihrer Nähe verbannt habe, und unwillkürlich ergoß sich der Strom seiner Leiden in Sophien’s theilnehmende Seele. Was er ihr aus Rücksicht für seine Gattin und für Therese verschwieg, ergänzte ihr feines Gefühl. Sie hatte das feinste Verständniß für die verborgensten Räthsel in einer fremden Brust. Sie wußte in einer Weise zuzuhören, die mehr erquickte und beruhigte, als die freundlichsten Trostesworte jedes Andern. Ihr Auge tauchte unter in die Seele des Leidenden und sein milder, warmer Schein trocknete die Thränen im tiefsten Grunde des Herzens, die nicht an das Licht hervorzubrechen wagten.

Auch Alfred fühlte sich besänftigt und beruhigt in ihrer Nähe. Er sagte ihr, wie werth sie ihm sei, wie ungern er sie scheiden sähe. Niemand, der wie Sie die Macht zu trösten besitzt, sagte er, darf diese heilige Gabe selbstsüchtig unbenutzt lassen, Ihr Beruf ist es, die Leidenden zu erquicken – –

Das will ich ich ja auch thun, rief sie mit großer Erhebung, das will ich thun, wenn Gott mir die Kraft dazu gibt; das gerade ist ja mein Vorsatz. Ich habe nicht mehr daran gedacht, in müßigem Hinbrüten mein Leben zu verlieren, seit ich mich wieder emporgerafft habe aus der stumpfen Betäubung meines ersten Schmerzes. Mir lebte eine Tante in Paris, die ich in meiner Kindheit oft gesehen habe; später trennten unsere verschiedenen Lebenswege uns gänzlich. Sie ist barmherzige Schwester. –

Alfred schreckte auf, er ahnte, was Sophie ihm sagen würde. Sie bemerkte sein Erstaunen und meinte: Wie die Welt wunderlich urtheilt und selbst die Besten vor ganz natürlichen Dingen erschrecken! Was ist es anders, wenn eine Mutter die kranken Kinder pflegt, wenn eine Frau gramvolle Nächte am Bette des Gatten durchwacht? Ich habe Niemand auf der Welt als Julian, der mein nicht mehr begehrt; ich stehe allein, ein Theil der leidenden Menschheit – sie kann meiner Dienste bedürfen und ihr will ich sie weihen. Ich bin ein Kind des Volkes, ich habe die Reichen und Glücklichen entzückt und erfreut, als ich selbst froh und glücklich war; lassen Sie mich nun zu dem Volke, zu den Armen zurückkehren und die Unglücklichen und Leidenden erquicken. Das dünkt mich der schönste Beruf, seit ich empfunden habe, was das Leiden ist. Ich habe meiner Tante geschrieben, der Brief hat sie noch lebend und rüstig gefunden. Sie freut sich meiner Absicht, sie wirkt noch immer segensreich an den Krankenbetten des Hôtel Dieu und unter ihrer Leitung werde ich meine neue Laufbahn beginnen.

Die sichere, freudige Klarheit, mit der sie sprach, beruhigte Alfred über sie. Er fühlte, daß nicht alle Naturen auf gleiche Weise zum Ziele, zum Frieden mit sich selbst gelangen können. Der Wirkungskreis, den Sophie jetzt erwählte, schien ihm ihrer würdiger, ihrem Gemüthe angemessener, als die klösterliche Einsamkeit, an die sie früher für ihre Zukunft gedacht hatte. Er sagte ihr das und sie bat: Lassen Sie mich denn, nun Sie meinen Vorsatz billigen, sobald als möglich scheiden. Lieber Freund! nur einen Augenblick lang führen Sie mich in Julian’s Zimmer, nur noch einmal muß ich vorher seine theuren Züge sehen. Ich darf ja kein anderes Bild von ihm behalten, als das in meinem Herzen! Gönnen Sie mir das einzige Glück, das ich fordere! Erfüllen Sie die erste Bitte, die ich an Sie richte. Sie haben mir ihre Freundschaft angeboten, auf diese richtet sich meine Hoffnung. Ich muß ihn sehen!

Ihre Bitten, ihre feste Erklärung, sie müsse und werde die Erfüllung dieses Wunsches erreichen, machten Alfred ungewiß, was er thun solle. Er kannte sie genug, zu glauben, sie werde nicht von ihrem Verlangen lassen, und er fürchtete, daß sie die Erreichung desselben in einer Weise bewirken dürfte, die für Julian oder Therese nachtheilig werden könnte. Deshalb versprach er ihr, er wolle versuchen, ihren Wunsch zu erfüllen, wenn sie ihm dagegen gelobe, keine Schritte ohne sein Vorwissen zu thun und geduldig zu warten, bis er es möglich machen könne, ihr zu willfahren.

Ich bringe Ihnen Nachricht von Julian, sagte er, ich verheimliche Ihnen nichts, vertrauen Sie mir. Ich komme noch oft, Sie zu sehen, so lange Sie bei uns weilen. Lassen Sie mich Muth und Entschlossenheit in Ihrem Beispiel finden. Mein Herz ist auch wund und mein Geist ist sehr müde; sein Sie auch künftig mir eine barmherzige Schwester, ein Engel des Trostes, wie Sie es mir heute gewesen sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.