VII. Die Baronin Wöhrstein ging, in einen rosa Domino gehüllt, am Arme ihres bedeutend älteren Mannes durch die erleuchteten, blumengeschmückten Gemächer ihres schönen Hauses...

VII. Die Baronin Wöhrstein ging, in einen rosa Domino gehüllt, am Arme ihres bedeutend älteren Mannes durch die erleuchteten, blumengeschmückten Gemächer ihres schönen Hauses. Sie hatte mehr als zweihundert Personen eingeladen und man war übereingekommen, verlarvt zu erscheinen, um einmal die Freuden eines Maskenballs in der ruhigen Gewißheit zu genießen, daß man sich im Kreise von Bekannten und in der besten Gesellschaft bewege. Nur die Theilnehmer an der Quadrille, in der Eva und der Assessor tanzten, hatten eine Verabredung über das Costüme getroffen; alles Uebrige war dem Zufalle überlassen worden, der heute die Herrschaft führen sollte.

Allmälig füllten sich die Zimmer mit Masken an. Alle Nationen, alle Zeiten waren vertreten; rauschende Musik empfing die Gäste, die sich anfangs mit deutscher Befangenheit schüchtern nebeneinander bewegten, bis der erste Walzer die Tanzenden in seine Wirbel tauchte und man sich frei und heiter zu fühlen begann.


Nach dem Walzer erschien ein Zug von Shakspear’schen Charakteren, unter ihnen Theophil und Eva, die im Vorübergehen Therese und Alfred begrüßten, trotz der Verabredung, daß man sich nicht als Bekannte verrathen wolle. Die Letztern befanden sich unter den Zuschauenden und hatten lange in ruhiger Unterhaltung bei einander gesessen, als die Quadrille vorüberzog und alle Blicke sich ihr zuwendeten. Plötzlich blickte Alfred nach der Eingangsthüre und sagte: Sehen Sie, das sind ein Paar prächtige Figuren!

Dabei wies er auf einen Mann in schwarzem Sammtdomino und Federhut, der eine italienische Bäuerin von Ischia am Arme führte. Der Domino hatte eine edle, hohe Gestalt, ein entschieden vornehmes Wesen, und die Italienerin, offenbar ein ganz jugendliches Mädchen, fiel durch ihre feinen und doch kräftigen Formen, durch die Fülle ihrer reichen schwarzen Flechten auf, die über den frischen, blendenden Nacken herunterfielen.

Alle Augen wendeten sich auf die eben Angekommenen, die allmälig der Mitte des Saales zuschritten; auch Therese blickte hin und glaubte einen Moment ihren Bruder in dem Domino zu erkennen. Da sie ihn aber beschäftigt wußte, da er außerdem sich einen weißen Domino bestellt hatte und eine ihr fremde Dame am Arme führte, lachte sie über ihre Vermuthung und sah sich wieder nach einer Nonne um, die einsam dem fröhlichen Treiben zugeschaut und alle Aufforderungen zu tanzen abgelehnt hatte.

Die Erscheinung der Nonne, ihre Kleidung waren so ungesucht, die kalte Ruhe, mit der sie in die laute Lust der Gesellschaft blickte, so ungekünstelt, daß Therese kein Auge von ihr wenden konnte und Alfred auf sie aufmerksam machte.

Sie ist mir auch seit einiger Zeit aufgefallen, sagte Alfred, und ich habe bei ihrem Anblick lebhaft an das gedacht, was Sie mir neulich über die Frauen sagten, die, ein heimliches Leid im Herzen, genöthigt sind, sich in die Anforderungen der Alltagswelt zu fügen. Jene Nonne sieht wirklich theilnahmlos aus.

Das finde ich nicht, entgegnete Therese; es scheint mir im Gegentheil, als suche sie Jemand, als erwarte sie irgend Etwas. Sehen Sie, jetzt verläßt sie endlich ihren Platz; die Quadrille ist zu Ende, die Nonne verliert sich unter die übrige Gesellschaft.

Während Alfred mit dem Auge der Nonne folgte, trat Eva zu Theresen heran. Es ist prächtig hier, sagte sie, dies ist endlich einmal ein Fest, wie ich es mir lange gewünscht habe. Ich schwimme in einem Meer von Wonne und selbst Dein Theophil ist ganz heiter und galant. Er hat mich eben versichert, daß er, wenn er wirklich Oberon wäre, mir nicht nur das Feenkind überlassen, sondern mir sein ganzes Reich zu Füßen legen würde, wenn ich immer so schön wäre als diesen Abend. Ich versichere Dich, er ist sogar eifersüchtig auf all die Complimente, die man mir macht. – So ein Maskenball ist Dir sehr gesund, ich werde Dich künftig öfter zu dergleichen überreden, theurer Oberon! sagte sie scherzend, als Theophil in ihre Nähe kam, in Lust und Frohsinn wirst Du schnell genesen und glücklich sein.

Bin ich es denn nicht jetzt? fragte er.

Ist es meine Nähe oder die der stolzen, kalten Königin Therese, die Dich glücklich macht?

Eva! schalt Therese leise.

Nein! nein! rief sie, er soll und muß es gestehen; oder ich nehme ihn gleich von Dir fort und führe ihn der Porzia zu, die dort noch ohne Tänzer steht und die ich kenne. Ich tanze den nächsten Tanz mit einem prächtigen Malteser. – Schade, daß Dein Bruder nicht auf dem Balle ist, sagte sie im Fortgehen, er fehlt mir heute recht.

Ohne Theophil’s Antwort abzuwarten, nahm sie den Arm des herantretenden Maltesers. Die letzten Worte hatte die Nonne gehört, die bis in Eva’s Nähe gekommen war und jetzt ihr folgte. Dir fehlt er heute, mir wird er ewig fehlen, schöne Feenkönigin! sagte sie leise; hüte Dich, daß Deine Lust nicht auch in Thränen ende. Kehre zurück in Dein luftiges Himmelreich, ehe die unbarmherzige Hand der Erdensöhne Deine Schwingen zerknickt und Deine Freude in Jammer verwandelt.

Eva fuhr erschreckt zusammen; auch der Malteser, der die Worte gehört hatte, sah sich nach der Nonne um, die sich schnell entfernt hatte und bald neben Therese und Theophil stand.

So sehe ich Sie gern, lieber Freund! sagte Therese. Mich dünkt, Sie bereuen es nicht mehr, hierher gegangen zu sein.

Ich ließe mich wol von der allgemeinen Lust tragen, wüßte ich nur, daß Sie Theil daran nähmen, daß auch Sie fröhlich wären. Ihre Gedanken sind nicht bei dem Feste, antwortete Theophil.

Ich vermag keine Lust von außen in mich aufzunehmen; ich bin zu alt dazu, glaube ich, oder zu ernst, zu deutsch – nennen Sie es, wie Sie es mögen, sagte Therese, als er auf ihre Bemerkung, sie sei zu alt, eine Widerlegung machen wollte. Ich kann nicht aus mir heraus gehen, ich bin immer ich, gleichviel in welchem Kleide, in welcher Umgebung.

Und ist Sie selbst sein, nicht das Höchste? Sind Sie, gerade wie Sie sind, nicht das Ziel, die Ursache –

Die Ursache, aus der Sie hier sind, ist zu tanzen, unterbrach ihn Therese. Hier die Nonne feiert müssig wie Sie; warum führt der lustige Oberon die ernste Nonne nicht in das fröhliche Leben?

Weil der Nonne das Leben zur Last ist, weil sie nach Grabesstille, nicht nach flüchtigem Sinnensrausch verlangt, entgegnete sie ernst, während Theophil, von einer Spanierin zum Tanze gewählt, dahinflog.

Alfred hatte sich entfernt, als er Therese mit Theophil und Eva gesehen hatte. Jetzt war sie mit der Nonne allein und diese sagte: Im Leben, in dem Alles uns lügt, verbirgt man sich am leichtesten in der Maske der Wahrheit; denn die Wahrheit vermuthet man nirgends.

Sprichst Du von Deiner Maske, heilige Frau? fragte Therese.

Nenne mich nicht heilig; Du thätest es nicht, stände ich außerhalb dieser Räume vor Dir. Du bist heilig und rein; Du bist der Liebe des Edelsten werth. Ich weiß, daß er Dich liebt, daß Du all Deine Kraft bedarfst, seinen Wünschen zu entfliehen und dem Verlangen in der eigenen Brust. Du trägst die Nonnentracht unter dem farbigen Kleide; Du hast entsagt mitten in dem fröhlichen Gewühl der Welt. O! wäre ich gewesen wie Du, dann brauchte ich nicht zu büßen, was ich nicht allein gesündigt.

Wer sind Sie? Um Gottes willen, wer sind Sie? rief Therese erschüttert und ergriff die Hand der Nonne, damit sie ihr nicht entschlüpfe.

Eine Unglückliche wie Du, deren Herz an hoffnungsloser Liebe verblutet, antwortete die Nonne, indem sie Theresen’s Hand an ihr Herz und dann an ihre Lippen drückte. Mit diesem Kusse bitte ich Dich um Vergebung, wenn ich Dich je betrübte. Ich scheide von der Welt, laß mich die Gewißheit hinübernehmen in die Einsamkeit, daß Du mich nicht verachtest; daß Du mich für eine Unglückliche, nicht für eine Ehrlose hältst.

Sie sind – – rief Therese –

Aber die Nonne fiel ihr in das Wort: Du weißt wer ich bin, nenne meinen Namen nicht; sein trauriger Klang paßt nicht zu dem heitern Feste. Gib mir Deine Hand als Segenszeichen, lebe wohl und Gott behüte Dich!

Sie ergriff nochmals Theresen’s Hand, die sie bebend drückte, trat schnell hinter eine Gruppe von Masken, die sich vor ihnen gesammelt hatte, und Therese vermochte sie nicht zu entdecken, obgleich sie ihr folgte. Man demaskirte sich in diesem Augenblick, wodurch ein so buntes, fröhliches Gewühl entstand, daß der Einzelne sich leicht darin verlieren konnte.

Viele Herren hatten gespannt auf den schwarzen Domino und die Italienerin geblickt. Jetzt, da sie die Larven abnahmen, begrüßte man freundlich den Präsidenten, während man bewundernd Agnes betrachtete, die strahlend vor Vergnügen, Schönheit und Jugend, sich mit kindlicher Schüchternheit auf seinen Arm stützte. Von allen Seiten fragte man Julian, wer seine Begleiterin wäre. Man wollte ihr vorgestellt sein und er genoß heiter den Triumph, das schönste Mädchen des Balles als seine Dame aufzuführen.

An jenem Tage, als Agnes so sehnsüchtig nach dem Balle verlangt hatte, war der Gedanke an diese Ueberraschung in ihm aufgestiegen. Er war zu dem Schneider gegangen, der für Agnes gearbeitet, hatte ein reiches, geschmackvolles Costüme für sie bestellt, die kostbarsten Spangen und Nadeln gekauft, und als Therese auf den Ball gefahren, da war er mit seinen Schätzen vor Agnes hingetreten. Sie hatte den Andern traurig nachgeblickt, keine Hoffnung mehr gehabt und vergebens überdacht, was jene Worte des Präsidenten bedeutet haben mochten, auf die sie ihre Aussichten gebaut. Um so größer war nun ihre Ueberraschung, ihr Entzücken gewesen, als Julian die prächtige Kleidung vor ihr ausgebreitet und ihr die Kammerjungfer geschickt hatte, sie anzukleiden. Agnes hatte sich nie in so glänzendem Costüme gesehen; ihr schönes Gesicht, ihre volle, frische Gestalt wurden durch die kleidsame Tracht bedeutend hervorgehoben. Sie selbst empfand mit stiller Freude, daß sie schön sei, was die Kammerjungfer ihr unablässig versicherte; und als der Präsident sie abzuholen kam, als auch er entzückt ausrief: Wie schön sehen Sie aus! da konnte sie sich vor Freude und Erkenntlichkeit nicht helfen und fiel ihm um den Hals, ihm mit einem Kusse für seine Güte zu danken. Julian hatte die größte Lust, sie fest an sich zu drücken, aber das kindlich unbefangene Vertrauen der Jungfrau hielt ihn in ehrfurchtsvoller Scheu davon zurück. Er wagte nicht, ihre Hingebung zu misbrauchen; es war ihm, als entweihe er sie durch die leiseste Berührung, und nur seinen Augen gönnte er die Lust, sich an ihrer Schönheit zu weiden.

Er hatte mit Agnes verabredet, daß sie sich Therese nicht zu erkennen geben wollten, bis man allgemein die Larven ablegen würde. An seinem Arme war sie froh und stolz durch die Reihen der Tanzenden gewandelt; er hatte sich an ihren naiven Bemerkungen, an ihrer Freude ergötzt und war unangenehm berührt, als er jetzt mit ihr vor seine Schwester hintrat und ein misbilligender Blick Theresen’s ihn in seiner guten Laune störte.

Therese unterdrückte aber ihren Unwillen schnell. Zu guthmüthig, Agnes in ihrem Glücke zu stören, hatte sie selbst Freude an dem schönen Mädchen und war innerlich so sehr mit der Erscheinung der Nonne beschäftigt, daß sie nur flüchtig auf die Erzählungen ihres Bruders und ihrer Pflegetochter achtete, bis diese sie fragte, ob sie es wol wagen dürfe, auf einem solchen Balle zu tanzen.

Warum denn nicht? meinte Theophil, der sie um eine Galoppade gebeten hatte.

Sie wissen es ja, ich habe noch gar nicht tanzen gelernt; ich fürchte, man lacht mich aus, wenn ich es schlecht mache, sagte Agnes.

Tanzen Sie immerhin! rieth der Präsident. Wen die Natur ausgestattet wie Sie, über den lacht man nur vor Wohlgefallen; der macht Alles recht und bedarf der Kunst nicht.

Auch Theophil redete ihr zu und sie nahm seine Aufforderung an, während Eva gegen Julian bemerkte: Sie werden dem Kinde noch den Kopf verdrehen. Agnes ist wirklich hübsch und die Tracht steht ihr sehr gut, aber für solch junges Mädchen ist sie doch zu groß und viel zu stark; sie wird kolossal werden und bis jetzt kann sie weder gehen noch stehen. Sehen Sie nur, sie tanzt wirklich wie eine Bäuerin.

Da neigte der Präsident sich zu Eva hernieder und fragte: Fürchtet die schöne Titania, daß ein Staubgeborner sich lieber der irdischen Bäuerin zuwendet? Fürchtet sie, daß man ihr treulos werden könnte?

Eva wurde roth und rief: Wer denkt denn daran? Glauben Sie, daß ich mir jemals eingebildet habe, mit meinen kleinen Elfenhänden einen Riesen wie Sie zu fesseln?

Aber den Oberon vielleicht, der jetzt so zärtlich mit meiner Italienerin spricht und sie mit seinen Elfenhänden recht fest zu halten scheint. Sehen Sie, wie sie dort hinfliegen! Der Treulose blickt sich nicht einmal nach Ihnen um! Aber trösten Sie sich und denken Sie, daß ich Ihnen bleibe, wenn Jener Sie verläßt; daß ein Mann auf Erden eben so gut ist, als ein Elfe in den Wolken.

Sie sind immer derselbe, Julian! rief Eva lachend, hing sich an seinen Arm und machte plaudernd einige Gänge mit ihm durch den Saal, bis der Tanz beendet war, Theophil und Agnes sich zu ihnen gesellten und der Präsident dieser seinen andern Arm anbot.

Mit den beiden jungen Schönheiten durchwandelte er die ganze Zimmerreihe, um sie die geschmackvolle Einrichtung des Hauses bewundern zu lassen, und verweilte endlich in dem letzten Kabinette, wo er seine Begleiterinnen aufforderte zu ruhen und sich von der Wärme des Tanzsaales zu erholen.

Es war ein kleines Gemach, das durch blühende Blumen und Schlingpflanzen in eine Laube verwandelt war. Der Thüre, welche auf den Hausflur führte, hatte man durch das Vorsetzen eines Schirmes, mit eingerahmten Lithophanien, hinter welchen Licht brannte, das Ansehen eines Fensters gegeben. Es war ein sehr liebliches Plätzchen und Eva warf sich tiefaufathmend in eine Bergère, die vor dem Fenster stand. Auch Agnes wollte sich niederlassen, legte aber erst behutsam den Sammtüberwurf, den sie trug, auf die Seite, um ihn nicht zu zerdrücken. Kaum sah das Eva, der nichts entging, als sie ausrief: Sehen Sie, wie natürlich die Kleine spielt; man sollte sie wirklich für eine Bäuerin halten, so ängstlich geht sie mit dem Sonntagsstaate um. Schämen Sie sich, Agnes, wissen Sie nicht, daß man in der Gesellschaft niemals an einen Anzug denken darf? Sparsamkeit ist zu ländlich und paßt nicht neben Ihrem Cavalier!

Ich bin keine Dame, sondern nur ein Landmädchen, und wenn ich etwas Ungeschicktes thue, sollten Sie es mir nicht so spottend vorhalten, antwortete Agnes empfindlich über die Neckereien Eva’s. Es würde mir leid sein, wenn ich der Güte des Herrn Präsidenten Schande machte.

Seien Sie unbesorgt, Agnes, beruhigte sie dieser; Titania ist heute übler Laune, sie mag nicht andere Götter haben neben sich. Ich freue mich, daß ich Sie hergeführt habe, und um Ihnen meinen Dank zu zeigen, gebe ich Ihnen, da ich eben nichts Schöneres habe, diese Rose, so frisch und blühend als Sie.

Dabei brach er eine Rose von einem nahestehenden Strauche, reichte sie Agnes und schickte sich an für Eva eine zweite zu pflücken, als eine Stimme dicht hinter ihnen rief: Es sind nicht die ersten Blumen, die Du brichst!

Die drei Plaudernden sahen sich verwundert um, eine Nonne trat hinter dem Schirme hervor und sagte vorüberschreitend: Wüßtest Du, wie schnell gebrochne Blumen welken, Du würdest barmherziger werden.

Julian sprang empor und wollte der Nonne erbleichend folgen, als Alfred ihm entgegentrat und hastig und leise zu ihm sagte: Sophie ist auf dem Balle.

Ich weiß es, antwortete Julian. Bleibe einen Augen blick bei den Beiden hier. Wo ist meine Schwester?

Ich verließ sie im Saale mit Theophil.

Gut denn! tragt Sorge für die Frauen und, falls ich nicht gleich wiederkehre, begleitet sie nach Hause.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.