Viertes Kapitel - Nach Carrara.

Die toscanische Eisenbahn. - Warmes Herbstwetter. - Pisa und Lucca. - Die Fahrtaxe im Abstreich. - Il Signor Conte. - Cecco und sein Parocino. - Tolle Fahrt. - Prachtvolle Aussicht von Monte di Chiesa. - Pietra santa. - Leben auf den Landstraßen. - Massa und Carrara. - Die zerstörte Capelle. - Der Bildhauer Schlaraffenland. - Hofer. - Die Marmorbrüche. - Ein Gastfreund.




Durch die Eisenbahnen von Florenz nach Pisa und von Pisa nach Lucca ist Carrara mit seinen berühmten Marmorbrüchen und zahlreichen Bildhauer-Ateliers der Arnostadt um ein bedeutendes näher gerückt, obgleich man noch immer eine gute Tagreise braucht, um dorthin zu gelangen. Der Bahnhof der toscanischen Central-Eisenbahn liegt vor der Porta al Prado in der Nähe des berühmten Spaziergangs der Cascinen. Das Bahnhofgebäude ist ziemlich geräumig und besteht neben den Wartesälen, den Zimmern für die Beamten &c. aus einer geräumigen Halle, unter welcher der Zug hält und die Passagiere einsteigen; da man die Fahrbillets am Eingang in dieselbe vorzeigen muß, wo sie auch markirt werden, so wird niemanden ohne ein solches der Zutritt gestattet, weßhalb es für begleitende Freunde einer besondern Erlaubniß bedarf, um eintreten zu können. Restaurationen fehlen hier gänzlich, und der Fremde, der hierauf gerechnet, muß hungrig und durstig abziehen.

Von Florenz führt die Eisenbahn flach und eben durch das Arnothal fast bis Pisa auf dem rechten Ufer dieses Flusses. Als ich abfuhr, lag Florenz in Nebel gehüllt, der von der Sonne niedergedrückt wurde, was einen schönen Tag versprach; nur die vielen Kuppeln und Thürme der zahlreichen Kirchen schimmerten deutlich hervor, das andere war ein graues Chaos von Häusermassen und Rauch, aus welchem die hellen und tiefen Töne der Glocken, da es gerade Sonntag war, unaufhörlich hervorklangen. Die Ausläufer der Apenninen hatten sich von oben herab schon etwas mehr geklärt, und hie und da glänzten die Spitzen derselben roth angestrahlt von der aufsteigenden Sonne; so malerisch und schön sich die zahlreichen Villen und Dörfer, im Einzelnen betrachtet, an den Abhängen dieser Berge ausnehmen, so stören sie doch den Gesammteffect der Landschaft; nirgends hat man eine ruhige sanfte Fläche, über welche das Auge so gerne hinschweift, über grüne Wiesengründe, durch dichtbelaubte Wälder, um droben auf der Höhe beim Anblick eines Schlosses, einer Ruine zu verweilen. Von weitem gesehen erscheint alles wie zerrissen und zerklüftet, und die Tausende von Häusern und Villen bilden überall Gruppen von weißen Punkten oder unregelmäßige Linien, welche die an sich so schönen Formen der Berge unruhig machen, ja fast zerstören.

Es war der sechste November, und die Luft so angenehm und warm, daß es mir in einem leichten Sommerrock nicht zu kühl war. An den Ufern des Arno saßen Gruppen von Männern, Weibern und Kindern, an einem andern Ort spielten junge Bursche in Hemdärmeln mit hölzernen Kugeln, welche sie so dicht wie möglich an die Mauer irgend einer alten Kapelle warfen – ein Spiel, das man, so glaube ich, bei uns »Anwerfen« nennt; barfüßige Kinder standen dabei und schienen an ihrer sehr dünnen Bekleidung vollkommen genug zu haben, und doch war es auch hier schon Winter; der Boden bedeckt mit den gelben und rothen Blättern der Kastanien, Ulmen, Eschen, kurz all der Bäume, die auch hier in der kalten Jahreszeit ihr Laub verlieren; die immergrünenden Bäume und Gebüsche aber, die dazwischen stehen, Steineichen, Lorbeeren, sowie die colossalen Epheuranken, welche ganze Stämme umwunden haben und das abgefallene Laub derselben vollständig ersetzen, machen den Anblick der Gegend hier so malerisch und schön; es liegt das wie aller Effect in den Contrasten, und man kann nichts schöneres sehen als dort z. B. jenes weiße Haus mit seiner weit vorspringenden Veranda, deren Laubdach theils auf alten grauen Holzstämmen, theils auf roh gemauerten Pfeilern ruht. Unter den Fenstern hängen Welschkornkränze von goldgelber Farbe, wilde Reben, die leicht über eine niedrige Mauer geschlungen sind, sehen glänzend roth aus, und während sich eine mächtige immergrüne Eiche wie liebend über das Dach hinneigt, stehen vorn am Eingänge des Gehöftes zwei sehr hohe schwarze Cypressen ernst und unbeweglich, das Kosen der milden Luft, welches die andern Blätter leicht erzittern läßt, macht auf sie keine Wirkung, und sie verharren ungerührt, finster, ja melancholisch; es ist noch ein Glück, daß ein junges hübsches Mädchen mit üppigem Haarwuchs und schwarzen, glänzenden Augen an einem dieser mürrischen Stämme lehnt und lachend »Dio mio« ruft, während wir vorüber sausen. Die Rebgewinde haben auch schon meistens ihre Blätter verloren, und man sieht deutlicher ihre phantastischen und seltsamen Verschlingungen. Wenn ich so die alten Maulbeerbäume ansehe, welche geduldig die Umarmungen der Rebe ertragen, so kommt es mir oft vor, als thäten sie das nur zu ihrem eigenen Vergnügen, und als hielten die bejahrten Stämme zuweilen eine kleine Tanzpartie und gebrauchten hierzu die Rebe als Guirlande oder Blumenkranz. Doch wir sind bereits dritthalb Stunden gefahren, immer an ähnlichen Gegenständen vorüber, die sich mit geringen Abwechslungen gleich bleiben, und haben Pisa erreicht, wo man beim Aussteigen durch eine fast undurchdringliche Schaar von Kutschern und Dienstfertigen aller Art, die uns selbst und unser Gepäck davonführen wollen, aufgehalten wird. Pisa ist für seine jetzige Bevölkerung viel zu groß, und seine Straßen liegen deßhalb öd und leer; man kann dieß selbst vom dortigen Lungarno sagen, der übrigens weit schöner und prachtvoller ist, als der Florentiner; wenige Spaziergänger sieht man hier in gewöhnlichen Stunden, selten rasselt eine Equipage über das Pflaster, und die großen Paläste und Häuser an den Quais stehen da ernst und trauernd. Übrigens ist Pisa bekanntermaßen eine schöne und sehr merkwürdige Stadt, im Sommer besucht von zahlreichen Fremden, welche die milde, einer kranken Brust so zuträgliche Luft einathmen und sich am Anblick der alten herrlichen Bauwerke, des Campo santo, der Kathedrale und des schiefen Thurmes ergötzen. Ach! mit dem Bild des schiefen Thurmes tritt mir eine Erinnerung aus der Jugendzeit so lebhaft vor die Seele! Ich hatte denselben auf einem Schreibheft abgebildet, konnte nicht begreifen, warum er in solcher naturwidrigen Haltung nicht umstürze, und versuchte eines Tages den Baumeister, der vielleicht Zufall heißt, auf meinem Schreibheft zu verbessern, indem ich den schiefen Thurm durch einige dicke Tintenstriche an der überhängenden Seite mit einem soliden Strebepfeiler unterstützte; dieß trug mir übrigens tüchtige Klapse ein, was aber unter anderm den Vortheil hatte, daß ich Pisa und seinen schiefen Thurm niemals vergaß.

Der Eisenbahnhof nach Lucca liegt in Pisa entgegengesetzt von dem Florentiner, und man muß die ganze Stadt durchfahren, um dorthin zu gelangen; er ist klein, etwas kümmerlich, und sieht sehr provisorisch aus. Nach Lucca kommt man in ungefähr dreiviertel Stunden durch eine wunderschöne und reizende Gegend; die Bahn führt meistens an den Bergabhängen hin, die mit Schlössern, Thürmen, kleinen und großen Villen übersäet sind, und bekleidet mit einer mannichfaltigen jetzt noch tief grünen Vegetation; klare Wasser stürzen aus den Schluchten hervor, und eilen unter der Bahn durch in das flache Land, das sich auf unserer Linken in einer unabsehbaren Ebene bis zum Meer hinausstreckt. Um Lucca treten die Berge etwas zurück; es ist eine eigenthümliche Stadt, die man, einmal gesehen, nicht so leicht wieder vergißt; einst eine Festung hat es seine Gräben und Wälle behalten, und letztere, aus grauen Mauern bestehend, erheben sich in langen, geraden und regelmäßigen Linien ringsumher aus der Ebene, so die Stadt umgebend. Diese Wälle sind Spaziergänge, mit hohen, dichtbelaubten Bäumen bepflanzt, weßhalb man von außen von Lucca wenig mehr sieht als die gerade graue Mauer mit ihren Baumreihen, und über sie hinaus ragen die Thürme einiger Kirchen.

Nur bis hieher konnte ich die Eisenbahn benutzen und mußte meinen Weg über Pietra santa nach Carrara auf einem Miethwagen fortsetzen. Um einen solchen zu erlangen, ließ ich mich in die Stadt hineinführen vor eines der Wirthshäuser, wo sich Vetturini und Kutscher zu versammeln pflegen, und war auch im Augenblick meiner Ankunft von einer solchen Schaar dienstfertiger Gesellen umgeben, die einander wegstießen, sich vordrängten und mir mit so gellender Stimme und lautem Geschrei ihre Wagen und Pferde anpriesen, daß ich genöthigt war, mir eine Zeitlang die Ohren zuzuhalten. Dabei war es ein completer Abstreich um meine werthe Person, und wenn mich einer um 10 Paoli haben wollte, so verlangte der andere 9, ein dritter 8 und ein vierter 7; ich glaube, wenn ich den Spaß länger ertragen hatte, ich wäre umsonst gefahren worden, ich würde noch Geld dazu erhalten haben. Die Kerle, die mich übrigens in ganz kurzer Zeit von einem einfachen Signor zum Cavaliere und Signor Conte vorrücken ließen, drängten sich mir gar zu pöbelhaft auf den Leib, und als ich über sie hinweg nach einem rettenden Gegenstand blickte, bemerkte ich auf der Treppe des gegenüberliegenden Hauses einen kleinen untersetzten Kerl mit einem grauen Calabreser auf dem Kopfe und angethan mit carrirter Jacke wie sie die englischen Stallleute zu tragen pflegen; um den Hals hatte er trotz des warmen Tags einen dicken Shawl geschlungen und kauete an dem Reste eines sogenannten Rattenschwanzes. Als ich ihn ansah, zuckte er die Achseln, schloß gegen die mich umgebende Menge verächtlich die Augen, indem er mir durch Pantomimen sagte: er fahre mich um sechs Paoli. Der Mann gefiel mir, ich brach mir gewaltsam Bahn durch den Kreis der andern Kutscher und ging mit jenem davon; natürlicherweise wurden ihm einige sehr unsaubere Redensarten nachgerufen, und einer sagte mir boshafter Weise, man zahle hier nie mehr als fünf Paoli für eine Fahrt nach Pietra santa. Mein Mann ließ sich aber durch alles das nicht aus dem Gleichmuth bringen, er schritt still lächelnd vor mir dahin, wobei er übrigens mit allen Leuten, die ihm begegneten, sehr bekannt that; so grüßte er auch alle hübschen Mädchen, die ihm begegneten, bald mit irgend einem Wort, bald indem er das linke Auge vertraulich gegen sie zukniff. Es war gut, daß ich in Lucca nicht bekannt war, sonst hätte ich in dieser Gesellschaft leicht in übles Gerede kommen können. Der Wagen, den er mir als unsere Reise-Equipage vorstellte, war nichts mehr und nichts weniger, als ein einfacher Parocino, d. i. ein zweirädriger Karren mit einem Sitze, der in Riemen hängt, und dessen Gabelbäume hoch auf dem Packsattel eines der kleinen lebhaften Pferdchen befestigt werden, wodurch das ganze Fahrzeug sehr hinten überhängt, was namentlich beim Bergsteigen äußerst unbequem ist. Während mein Kutscher, er hieß Cecco, sein Gefährte herrichtete, machte ich einen Gang durch die Stadt. Die Straßen von Lucca waren zu keiner Zeit sehr lebhaft, und liegen nun, seit der früher hier regierende Herzog Parma übernommen und dort residirt, in trostloser Öde und Einsamkeit. Während der Sommer- und Bade-Saison wird es freilich anders sein, denn die Bäder von Lucca haben immer noch einen guten Namen, und sollen recht besucht sein.

Unterdessen hatte mein Cecco sein Pferd eingespannt; ich bestieg den schwankenden Sitz, er warf sich neben mich hin, und nachdem er mich ermahnt recht fest zu sitzen, ging es vom Fleck aus im vollen Lauf durch die engen und winkligen Straßen Lucca's hindurch über das glatte Pflaster hinweg. Ich muß gestehen, daß ich mich zuweilen scheu umblickte, denn ich konnte die Idee nicht unterdrücken, es müsse an der oder jener Ecke nothwendigerweise irgend etwas von uns hängen geblieben sein; Cecco aber lächelte vergnügt zu meinen Blicken, schnalzte mit der Zunge, zerrte an seinen Zügeln und knallte mit der Peitsche. Ich habe nie einen Kerl von größerer Lebhaftigkeit gesehen, nicht eine Secunde lang konnte er ruhig sitzen bleiben; bald wandte er sich rechts, bald links, bald rückwärts, jetzt schaute er zu den Rädern hinab, dann stand er auf um sich den Kopf seines Pferdes in der Nähe zu betrachten, kurz, er fuhr beständig auf seinem Sitz hin und her wie – doch ich hätte mich fast eines unziemlichen Ausdrucks bedient.

Von Lucca aus führt die schöne breite Straße eben bis an den Fuß des Gebirges an zahlreichen Villen vorbei, durch kleine Dörfer unter hochstämmigen Bäumen dahin, die sich oben zusammenneigen und so ein Laubdach über unsere Wege bilden. Da es, wie schon gesagt, Sonntag war, so befand sich ein großer Theil der Bevölkerung auf der Straße, theils spazieren gehend, theils in lebhafter Unterhaltung auf den Mauern und Wegsteinen sitzend, oder auch gruppenweise in der Mitte der Straße stehend, was meinen Cecco jedesmal veranlaßte, mit vielem Geschrei an ihnen vorüber zu fahren. Unter den Weibern und Mädchen der Umgegend von Lucca sah ich viel mehr schöne Gesichter und Figuren als in der Nähe von Florenz, zuweilen bemerkte man wahrhaft herrliche Gestalten junger Mädchen, mit aufgelegtem Arm nachlässig an einen Thürpfosten gelehnt, die, wenn wir vorüberrollten, langsam, fast träge den Kopf aufhoben, dagegen unter den dunkeln Wimpern einen Blick hervorschießen ließen, der von großer Wärme und Lebhaftigkeit zeugte. Nach einer kleinen Stunde fast unaufhörlichen Galoppirens unseres Pferdchens erreichten wir den Monte di Chiesa, den ich, um das arme Thier etwas ausruhen zu lassen, zu Fuß hinanstieg.

Man kann sich nichts lieblicheres und schöneres denken als diesen Weg. Kaum hat man die ersten Krümmungen desselben hinter sich, so ist das Thal, welches wir so eben verlassen, unsern Blicken gänzlich entschwunden, und wir befinden uns plötzlich in einer feierlich stillen gewaltigen Bergnatur; murmelnde Quellen rieseln von den Höhen herab uns entgegen und würden uns gewiß viel schönes erzählen, wenn wir ihre Sprache verständen; die Bergwände, welche dicht neben der Straße steil in die Höhe steigen, sind dicht mit Büschen und Bäumen bedeckt, und auf der dunkeln Farbe der immergrünen Eichen und des Lorbeers zeichnen sich die Blätter des Olivenbaums mit ihrem grauen Schimmer, sowie die gelben und rothen Blätter der andern schon herbstlich gefärbten Waldbäume so mannichfaltig und prächtig ab. Die Ränder des Wegs sind mit allerlei wildwachsenden Blumen bedeckt, die ihre weißen Sterne und blauen Glocken hier cokett aufrecht tragen, dort sinnend, vielleicht trauernd herabhängen lassen. Da es bereits 4 Uhr war, so neigte sich die Sonne stark abwärts und war schon hinter dem Monte di Chiesa, den ich eben erstieg, verschwunden; die Schellen von Ceccos Pferd hörte ich nur noch in weiter Entfernung klingeln, und da sonst kein Fuhrwerk auf der Straße war, so befand ich mich ganz allein in diesen Bergen, zwischen diesen Schluchten, die schon mit tiefen Schatten bedeckt waren – allein mit meinen Gedanken, welche, ich will es gestehen, am heutigen Tage zu meiner ernsten, ja finstern Umgebung vortrefflich paßten. Glücklicherweise hatte mich die Sonne noch nicht ganz verlassen, sondern sandte durch eine Öffnung in den Bergen einen kleinen glänzenden Strahl ihres freundlichen Lichts, der die Spitzen der höher gelegenen Felswände prächtig vergoldete. Unten Nacht und Schatten, von oben Licht und Hoffnung, ein Bild unseres Lebens.

Wenn man den Monte di Chiesa hinaufgestiegen ist, und endlich auf die Höhe gelangt, so wird man durch die prachtvolle Aussicht, die man hier oben hat, vollständig belohnt; ein reicheres und herrlicheres Panorama kann man nicht leicht sehen. Da wo sich der Weg wieder abwärts neigt, steht eine kleine Capelle mit einem Vordach, welches auf dunkeln grauen Säulen ruht. Da an dem Kirchlein setzt' ich mich nieder und blickte lang hinab auf die Kuppen und Abhänge des grünen Bergs, zwischen welchen sich der Weg wie eine gelbe Schlange in vielfacher Bewegung durchwindet, bis er endlich in einem kleinen Dörfchen, dessen rother Kirchthurm freundlich emporblickt, scheinbar verschwindet und zu Ende ist; aber nur scheinbar, denn wahrscheinlich ermüdet von dem Bergsteigen, will er ein bischen faullenzen und verliert sich im flachen Land am Fuß der Felswand unter Olivenbäumen und Lorbeersträuchen.

Vor uns bildet der Monte di Chiesa eine gewaltige Schlucht, die ihren Fuß auf die Ebene vor uns setzt und uns so einen Blick gestattet weit über das flache Land hinaus bis zum Meer hin, das am Horizont in Wolken und Nebelmassen zu verschwinden scheint.

Die Färbung war unnennbar schön: durch die untergehende Sonne wurde ein Theil des Himmels mit einem Glanz bestrahlt, der von der Farbe des Goldes langsam in das feinste Roth überging, wodurch die dunkelblaue Luft, da wo sie mit jenem Colorit zusammentraf, hell seegrün erschien; all diese Farben nun spiegelten sich in den zahlreichen Wassergräben, in den Lachen der Sümpfe und Reisfelder wieder, womit die Ebene bedeckt war, und so glänzte es da unten in Gelb, Roth, Grün, Violett, als sei die ganze Fläche weit hinaus mit ungeheuern Stücken Perlmutter übersäet, und am Horizont erschien das Meer wie eine Einfassung von dunkelm Stahl, von dem die Flammen eines ungeheuern Brandes abstrahlen.

Mit einem Gefährt wie das unsrige kann man in der Ebene rasch vorwärts kommen, bergauf und bergab geht es sehr langsam, was übrigens meinen Cecco sehr ungeduldig machte. Da ich ihm auf seine vielen Fragen wenig Antworten gab, so unterhielt er sich meistens mit seinem Pferd, welches er denn auch, sobald wir wieder in der Ebene angelangt waren, bald mit Schmeicheleien, bald mit Schimpfworten zu neuem und eiligem Lauf antrieb; jetzt behauptete er, das Pferdchen sei seine theuerste Freundin, seine liebe Emilia; doch meinte er gleich darauf, es sei eigentlich doch wohl nur aus einer Hunderace entsprossen, und die niederträchtigste Bestie, die auf der ganzen weiten Welt zu finden sei; dabei hatte er aber noch vollkommen Zeit kein Mädchen ungeneckt ihres Wegs ziehen zu lassen, bald warf er ihnen Kußhände zu, bald knallte er nach ihnen mit der Peitsche, und wenn wir zufällig einen jungen Menschen erreichten, der mit seiner Freundin von der Chaussee in einen Feldweg einbog, so sang er ihnen eine Strophe irgend eines unübersetzbaren italienischen Liedes nach.

So rollten wir, den Monte di Chiesa hinter uns, zur Rechten die Bergwand, zur Linken die Maremmen und Reisfelder, auf der ebenen Landstraße dahin; die Luft war so klar und rein, daß man jedes Baumblatt scharf abgezeichnet sah und den Drath des Telegraphen neben uns weit hinaus mit den Augen verfolgen konnte. An der Straße standen hohe Ulmen, die ihre Kronen zu einander neigten und deren Stämme stundenweit durch Reben mit einander verflochten waren; dabei wurde die Färbung in der Luft, auf der Ebene und an den Bergwänden mit jedem Augenblick glühender, und war so weich, duftig und warm; gegen Westen lag auf dem Himmel ein wahrer Goldgrund, auf welchem sich Häuser, Bäume scharf und schwarz abzeichneten. Neben der Straße sah ich zuweilen einen einsamen dunkeln Nachen auf so hellem und ruhigem Wasser liegen, daß sein Schatten nicht einmal eine leise zitternde Bewegung zeigte. Insecten summten um uns her, und von fern und nah vernahm man den melodischen Klang der Glocken, welche das Ave Maria läuteten. Es lag ein unnennbarer Friede über der ganzen Natur, der sich aber in Ernst und Trauer verwandelte, sowie die himmlischen Lichter rings umher ausgelöscht waren und die grauen Abendnebel aufstiegen. Zu dieser Stunde fuhren wir überdieß noch durch einen dichten Olivenwald, der an sich schon etwas düsteres und melancholisches hat. Wenn sich das Blatt dieses Baumes, auf anderm Grün gesehen, mit seinem grauen Schimmer freundlich ausnimmt, so gibt auch eben diese graue Farbe da, wo die Bäume dicht bei einander stehen, denselben etwas unbestimmtes, und sie erscheinen wie in graue Schleier gehüllt, wobei ein solcher Wald einen eigenthümlichen, obgleich nicht unangenehmen Duft aushaucht. Ein Muttergottesbild von weißem Marmor, bei dem wir vorbeirollten, und vor welchem Cecco ehrerbietig seinen Hut abzog, hatte in dieser Umgebung etwas unendlich versöhnendes.

Pietra santa, ein kleines Städtchen mit hohen Mauern und festen Thoren, erreichten wir bei völliger Nacht, was übrigens meinen Kutscher nicht abhielt, auch ohne Wagenlaterne im gestreckten Lauf hindurch zu fahren. Ich wußte wohl, daß Pietra santa einen sehr guten Gasthof hatte, »Alla Posta« bei Bertolani Fratelli, leider hatte ich aber diesen Namen vergessen, und obgleich ich nach der ersten Locanda verlangte, führte mich Cecco dennoch nach einer kleinen Kneipe, wo es, seiner Aussage nach, vortrefflich sein sollte. Nachdem ich einmal dort abgestiegen war, ließ man mich auch nicht mehr fort, und als ich in einem finstern Erdgeschoß ein sehr schlechtes Nachtessen verzehrt und meine Cigarre angezündet hatte um noch einen kleinen Spaziergang zu machen, war es für mich ein unangenehmes Gefühl, nach einigem Umherschlendern das Haus Bertolani zufälligerweise aufzufinden, welchem der breite erhellte Thorweg, freundliche Gastzimmer und anständige Kellner ein so wohnliches Ansehen gaben.

Am andern Morgen setzte ich meine Fahrt nach Carrara wieder auf einem Parocino fort, doch war mein Kutscher diesmal ein alter gesetzter Mann mit gestickter Jacke und grauem unrasirtem Kinn. Sein Pferd paßte vortrefflich zu ihm und zeigte durchaus keine Neigung zu den schnelleren Gangarten; dagegen scheute es vor jedem Stein, vor jedem Wassergraben, und zeigte beim Stehenbleiben eine große Vorliebe für retrograde Bewegungen. So klepperten wir vorwärts, und unser langsames Fahren hatte den Vortheil, daß ich mit größerer Bequemlichkeit die immerfort schöne Gegend betrachten konnte. Hier hat alles ein malerisches und eigenthümliches Ansehen, jedes Haus, jeder Stall, jede Mauer würde sich ohne Zuthat allerliebst in einem Bild ausnehmen. Mit den Welschkornkolben verzieren sie dergestalt die Façaden ihrer Wohnungen, daß sie der ganzen Architektur genau folgen, wodurch die Gebäude mit einer goldgelben Farbe überzogen zu sein scheinen; auch die Staffage dieser Landschaft ist so bunt und mannichfaltig, die leichten Parocino's, die uns im vollen Lauf begegnen, die Pferde mit blankem Messinggeschirr und Schellen behängt, oben auf dem Kammdeckel nicht selten mit einer kleinen Windfahne versehen, führen bald eine einzelne Person in brauner Sammetjacke und spitzem Hut, oder sind zuweilen beladen mit einem halben Duzend stämmiger Kerle oder gewichtiger Weiber. Auch altvaterisch gebaute Miethkutschen kommen uns langsam entgegen, der Wagenkasten schwankt bedeutend hin und her, die Pferde lassen ihre Köpfe hängen, und der Vetturin, die Cigarre im Mund, zuckt vergeblich aufmunternd an den Zügeln. Oft ist die Straße weite Strecken bedeckt mit zahlreichen Ochsenkarren, welche Holz, Erde und Steine führen, die Thiere sind meistens weiß, Räder und Gestell zinoberroth angestrichen, und hoch oben auf der Ladung sitzt der Fuhrmann und lenkt das Ganze mit einer langen zugespitzten Stange und einem ausdrucksvollen Zungenschnalzen.

Bald hatten wir Massa Carrara erreicht, einen der lieblichsten Punkte, die man auf dieser Erde sehen kann. Die Stadt ist in einer Schlucht an den Berg hinangebaut, der oben gekrönt ist von den riesenhaften Trümmern einer ehemaligen Festung, vorne öffnet sich diese Schlucht auf die Ebene und das Meer, und ist bis tief hinab angefüllt mit Orangen, Citronen und Lorbeeren mit duftenden Blüthen und goldgelben Früchten. Es ist eigenthümlich, daß das ganze Massa Carrara etwas ruinenartiges hat, und es ist auch wohl hauptsächlich das, was ihm neben seiner prächtigen Lage einen so besondern Reiz verleiht. Wohl gibt es Straßen in der Stadt, die sehr wohnlich und gut erhalten sind, doch außerhalb der Mauern sieht man Veranden, Thorbogen, Garteneinfassungen in Ruinen, was um so mehr auffällt, als das Baumaterial vielfach weißer Marmor war, und man oft an zierlichen Treppen, an schlanken Säulen erkennen kann, wie sorgfältig die Gebäude einstens aufgeführt wurden, die man nun in Trümmer zerfallen ließ. Aber die Natur hat mit liebender Hand diese Wunden zuzudecken gewußt, und es beschleicht uns nur zuweilen ein Gefühl der Wehmuth, wenn wir in einen Garten hineinblicken, dessen marmornes Thor niedergestürzt ist, dessen Mauer zertrümmert daliegt, und wenn wir sehen, daß ihre Stellen so freundlich eingenommen wurden von duftenden immergrünen Bäumen, die sich jetzt statt des Thors am Eingang gegen einander neigen, oder von wehendem überhängendem Rebenlaub, welches nun die Stelle der Mauer vertritt. Ich hatte den Lorbeer nie so schön und kräftig wachsen sehen wie in der Umgebung von Massa Carrara, und es erregt ein eigenthümliches Gefühl, wenn man draußen vor der Stadt kleinen Kindern oder Weibern begegnet, die auf ihrem Kopf ein großes Bündel dieser edlen und schönen Zweige mit ihrer runden dunkelrothen Frucht tragen, wie man bei uns zu Land ein Bündel Reisig oder Tannenholz mit sich nimmt.

Der Platz vor dem Schloß hin ist mit einer zweifachen Allee von großen starken Orangenbäumen umgeben. Es ist dieß selbst hier in Italien eine Merkwürdigkeit, denn wo man sonst kräftige Bäume dieser Art sieht, ist das an Plätzen, wo sie durch eine Mauer, einen Fels oder dergleichen vor der rauhen Witterung einigermaßen geschützt sind. Ehemals befand sich auf einer Seite des Schloßplatzes in Lucca eine kleine Capelle, welche von den Franzosen zerstört und niedergerissen wurde; später füllte man diese Lücke ebenfalls mit Orangenbäumen aus, doch wollten sie nie recht gedeihen; ich sah das heute wieder, denn während die Kronen der andern Bäume voll und rund sind, auch im saftigsten Grün prangen, vegetiren die an jenem Platz kümmerlich fort mit kahlen Ästen und gelbem Laub. Natürlich behauptet der Volksglaube, der heilige Grund der zerstörten Capelle räche sich hierdurch an den armen und unschuldigen Bäumen; die Wahrheit aber ist, daß sie durch eine Häuserlücke, ihnen gerade gegenüber, von den Nordwinden bestrichen werden, die zuweilen sehr kalt von den Gebirgen herabwehen.

Jenseits der großen Brücke aus weißem Marmor, welche sich über einen schäumenden Waldbach spannt und den Berg von Massa mit La Foce verbindet, welche durch eine tiefe Schlucht geschieden sind, fanden wir einen umgeworfenen Reisewagen, dessen beide linke Räder zerbrochen waren, und der sich an einer sehr abschüssigen Stelle mit dem Wagenkasten an das Mauergeländer lehnte; glücklicherweise war kein weiteres Unglück vorgefallen, und die vier Passagiere desselben umstanden lachend ihr Fuhrwerk, während der Kutscher fluchend bemüht war, das Gepäck herabzuwerfen. Mir unbegreiflicherweise hatte dabei nur der Telegraphendrath Schaden gelitten, denn er war an dieser Stelle zerrissen und hing neben dem Wagen herab.

Meinem alten Kutscher voraus stieg ich zu Fuß den Berg hinan, um droben von der Höhe von La Foce die herrliche Aussicht einen Augenblick genießen zu können. Tief unter sich hat man auf der linken Seite Massa Carrara, und sieht jetzt so deutlich, wie es an den Bergen angebaut ist, unten die Stadt mit ihren gelben und weißen Häusern in einer Felsenschale voll des schönsten und frischesten Grüns liegend, oberhalb derselben das Schloß aus röthlichem Stein erbaut, mit seinen vielen Bogen, Gewölben und großen Fenstern, und endlich auf der Spitze des Bergs die alte Festung, eine schwere dunkelgraue Masse, deren Formen sich scharf auf dem blauen Himmel abzeichnen; vor uns flacht sich das Gebirge ab, die Berge werden Hügel, die Hügel immer flacher und ebener; in unserer Nähe sehen wir alles das in hell- und dunkelgrün gekleidet, weiterhin wird es violett und grau, bis unten in der Ebene die letzte Farbe vorherrscht, und alles wie Nebel und Duft erscheint, wie ein grauer kolossaler Schleier mit einzelnen Licht- und Schattenpunkten, der endlich am Horizont eingefaßt ist von dem silberglänzenden Meere.

Der Bergrücken von La Foce trennt die beiden Thäler, in denen Massa Carrara und Carrara liegt, und kaum ist man die ersten Windungen der Straße hinabgefahren, so erblickt man auch den letztern Ort schon vor sich: ein Mittelpunkt von weißen und grauen Häusern, überragt von ein Paar nicht all zu hoher Kirchthürme, um welche herum zerstreut andere Wohnungen liegen, die sich auf einigen Seiten als schmaler Streifen in die Schluchten des Gebirgs fortsetzen. So liegt Carrara vor uns tief gebettet zwischen hohen starren Felsmassen, die unten, wie alles übrige Gebirg, grün und grau erscheinen, oben aber schon von weitem seltsam erscheinende glänzendweiße Flecke, Risse und Linien zeigen, welche vollkommen das Ansehen haben, als sei da und dort in Schluchten und Höhlen eine beträchtliche Menge Schnees liegen geblieben. Die warme klare Luft aber und die grünen Bäume sprechen vom Gegentheil und haben vollkommen recht, und was wir dort vor uns sehen, sind die berühmten Marmorbrüche von Carrara, von denen immer neue vor unsere Augen treten, sowie wir uns dem Thale nähern.

Wenn bei uns ein junger angehender Bildhauer seine ersten Phantasien in grauem Thon ausarbeitet, der später beim Brennen öfters eine andere Form annimmt als der Künstler gewollt und z. B. ein edel gedachtes Gesicht einigermaßen verzerrt wiedergibt, oder wenn er einmal so glücklich ist, einen kleinen Entwurf ausführen zu dürfen, und nun am spröden deutschen Sandstein herumhämmert, so denkt er seufzend an ein Schlaraffenland, aber nicht an das, wo der große Mandelkuchenberg existirt oder wo die gebratenen Tauben und gebackenen Ferkel inständigst bitten man möge sie verzehren, sondern er denkt an ein Land, wo die Felsen aus dem schönsten weißen Marmor bestehen, wo die Straßen mit diesem edeln Material bedeckt sind, wo selbst ganze Häuser oder doch wenigstens sämmtliche Treppen, Thür- und Fenstereinfassungen, Thorbogen, Mauern, Fußpfade, Brunnentröge aus diesem glänzend weißen Stein bestehen – kurz er denkt an Carrara. Und es ist hier in Wahrheit so. Sowie man die Stadt betritt, schreitet man über Marmorsteine durch Marmorstaub bei großen Haufen zerschlagener Stücke vorbei, die vor den Ateliers liegen und genau wie weißer Zucker aussehen; aus den meisten Häusern, namentlich in der äußern Stadt, schallt uns der Schlag der Hämmer, das Knirschen der Marmorsäge entgegen, wo wir in eine weitgeöffnete Thüre hineinblicken, sehen wir zahlreiche Künstler an der Arbeit; dort arbeiten gewöhnliche Steinhauer den Block im Rohen einigermaßen zu, daneben sind die Punktsetzer, die unter ihrem Netz von Fäden mechanisch die ganze Figur nach dem Modell des Künstlers, ohne selbst Künstler zu sein, hervorbringen; daneben steht der Meister selbst und legt die letzte Hand an sein Werk, um die Statue, die bis jetzt nur in den Formen richtig dargestellt wurde, zu überarbeiten und ihr Leben und Bewegung zu verleihen. Es ist ein heiteres vergnügtes Leben in diesen Ateliers, die Bildhauer sind guter Dinge, wenn sie nur vollauf zu arbeiten haben, und schaffen da mit Lust und Liebe an dem edeln Stein herum. Der Staub in einem solchen Atelier ist fast wie der in einer Mühle und überzieht die Kleider mit einer weißlichgrauen Farbe. Um das Haar davor zu bewahren, tragen die meisten kleine Mützen von Papier in den seltsamsten Formen auf dem Kopf.

Freund Hofer von Stuttgart, den einzigen deutschen Bildhauer, der sich in diesem Augenblick in Carrara aufhält, fand ich ebenfalls in seinem großen Atelier in voller Arbeit. Nachdem er seine herrlichen Pferdegruppen vollendet, erhielt er von Sr. Maj. dem König von Württemberg den Auftrag, mehrere Statuen über Lebensgröße in weißem Marmor für den königlichen Schloßgarten in Stuttgart anzufertigen; bereits seit einigen Jahren arbeitet er mit großem Fleiß daran, so daß er diesen großen ihn ehrenden Auftrag wohl noch im Lauf des nächsten Sommers beendigen wird. Die meisten der Statuen stehen schon von seiner Hand überarbeitet vollendet da, und außer der wirklich künstlerischen schönen Ausführung, die sehr zu loben ist, hat sich Hofer bemüht, vollkommen fehlerfreien Marmor zu finden von gleicher Farbe, was bei so großen Stücken, wie er sie gebrauchte, sehr schwierig ist.

Hofer führte mich mit großer Freundlichkeit in den Ateliers von Carrara umher, und zeigte mir alles, was hier von angefangenen oder vollendeten Arbeiten von irgend einer Bedeutung war.

Carrara ist in diesem Augenblick außerordentlich beschäftigt, weßhalb denn auch die Preise des Rohmaterials und der fertigen Arbeiten gegen frühere Jahre bedeutend gestiegen sind. Steinhauer, Bildhauer, sowie auch die Ornamentisten haben alle Hände voll zu thun; Nordamerika hat große Bestellungen gemacht, und fast überall trifft man hier Statuen, dort Kamine oder Säulen, ja selbst ganze Monumente für Kirchen oder für das Freie bestimmt, die über das Meer wandern sollen; auch für Rußland wird stark gearbeitet, und eins der größten Ateliers ist schon seit längerer Zeit beschäftigt, Sachen, die zur Ausschmückung der Isaakskirche in St. Petersburg bestimmt sind, anzufertigen. Se. Maj. der Kaiser Nikolaus hat nämlich, wie man mir sagte, in Rom die Bilder verschiedener russischen Heiligen in kolossalen Dimensionen und in Mosaik ausführen lassen, für welche nun hier in Carrara die Einfassungen aus dem besten weißen Marmor erster Qualität gemacht werden; sie stellen Früchte und Blumenguirlanden vor, zwischen denen Vögel und andere Thierchen durchschlüpfen, einander folgen und so mit Laub und Blättern, welche die einzelnen Theile verbinden, eine reizende bewegte Kette bilden. Es sind dieß in der That sehr schöne Arbeiten, sowohl was Composition als Ausführung anbelangt. Hofer zeigte mir hierbei noch, daß man diese Arbeiten der größern Genauigkeit und Zierlichkeit wegen vorher in Punkte gesetzt habe, was man sonst bei Ornamenten nie zu thun pflegte. Nach Modellen von Rauch sah ich vier herrliche Genien für Se. königl. Hoheit, den Prinzen von Preußen bestimmt, in Arbeit, sowie von demselben Meister die Reiterstatue Friedrichs des Großen, nach dem gleichen Modell des großen Monuments in Berlin, natürlich im kleinern Maßstab als dort; an letzterm hatte man erst vor kurzem begonnen, und es war ein eigenthümlicher Anblick, wenn man sah, wie auf dem großen Marmorblock die Figur anfing so schattenhaft hervorzutreten.

Die Marmorbrüche von Carrara sind östlich von der Stadt gelegen, in einer Thalschlucht, durch welche der Carnone, ein zuweilen recht wildes Bergwasser, schäumend und brausend herabkommt; seine grünen Wellen haben sich ein tiefes Bett gewühlt, und treiben Mühlen und Marmorsägen. Da er in eigensinnigen Windungen seinen Lauf nimmt, so muß sich der geduldige Weg bequemen, ihm bald rechts, bald links Platz zu machen und sich zuweilen mit recht wenig Raum begnügen. In der Nähe der Stadt sind die Wände der Thalschlucht dicht mit Grün bewachsen, mit Bäumen und Sträuchen, die bis auf den Weg herunterreichen und von den steilen Ufern des Flusses in das Wasser hinabschauen – weiter oben aber wird das Thal breiter, kahler und bald sieht man auf beiden Seiten ein noch graues Steingeröll mit weißen Marmorbrocken vermischt, die von der Höhe herab im Gefolge der großen Blöcke bis unter unsere Füße gerollt sind. Lange helle Streifen von Staub und Steinen ziehen sich die Bergwand hinauf, und wenn man ihnen mit dem Blicke folgt, so bemerkt man zwischen den dunklen Felsen eine weißglänzende Fläche und sieht dort Menschen beschäftigt, die einen mächtigen Block abgelöst haben und ihn, nachdem sie vorher durch ein Hornsignal die unten Beschäftigten aufmerksam gemacht, in das Thal hinabrollen lassen. Rauschend und prasselnd kommt er daher, alles was in seinem Weg ist zermalmend, so daß ringsum weißer Staub auffliegt, und nicht eher ruhend, bis er unten angekommen ist. Zuweilen nimmt auch ein solcher Stein eine falsche Richtung, wendet sich an irgendeinem Felsstück und stürzt nicht selten an jäher Wand hernieder, sich selbst zerschmetternd oder unglückliche Arbeiter, die vielleicht dort unten saßen und arglos ihr Brod verzehrten.

Es ist interessant, die ältesten Brüche zu besuchen – so den Bruch Colonnata, der noch aus der Römerzeit herrührt – und hier zu sehen, wie mühsam man die großen Blöcke damals durch den Meißel ablösen mußte, ein Geschäft, welches jetzt ungleich leichter durch die Kraft des Pulvers besorgt wird. Übrigens kommen heutzutage die meisten Unglücke bei den Sprengungen vor. Das Signal hierzu wird gegeben, da es aber zuweilen etwas lange dauert, bis die Mine losgeht, so schaut hier oder da ein neugieriger Kopf hervor, um von einem umherfliegenden Stück getroffen zu werden. Weit hinten im Thal des Larrione liegt der Bruch Tantiscritto, wo auf einer glatten weißen Wand Buonarotti sein Handzeichen selbst eingehauen hat, mit großen Buchstaben: Michel Angelo! Sobald die Blöcke im Thalgrund angekommen sind, werden ihnen die scharfen Kanten genommen, und sie alsdann auf die niedrigen schweren Balkenwagen geladen und durch Ochsen nach Carrara geschleppt, um dort verarbeitet oder zur Verladung nach der Marine (la Venza) gebracht zu werden. Leider wird für die Wege hier so gut wie nichts gethan, und es ist jammervoll anzusehen, wie sich oft zehn bis zwölf der armen Zugthiere abquälen müssen, um die schwere Masse, vor die man sie gespannt, von der Stelle zu bewegen. Ein Engländer, Hr. Walton, der bei la Venza die schöne Brücke ins Meer hineingebaut, über welche man den Marmor leicht in die Schiffe ladet, geht damit um, eine Eisenbahn von den Brüchen zur Marine zu bauen; doch wird darüber eine gute Zeit hingehen und bis dahin noch eine große Anzahl der armen Ochsen eine Beute des Carraresischen Morasts und der Seuche werden, die stark unter ihnen grassirt. Die Wagenlenker hier zu Lande machen es sich im Gegensatz zu ihrem Vieh so bequem als möglich, sie sitzen meistens oben auf dem Joch, das ein paar Ochsen verbindet, das Gesicht den Thieren zugekehrt, die sie durch Worte und Hiebe aufmuntern. Es ist bekannt, daß aller Marmor aus den Brüchen verzollt werden muß, und dieß geschah früher nach dem Maß der Blöcke, in neuerer Zelt aber nach dem Gewicht, indem man die beladenen Karren auf eine Brückenwaage führt, wodurch man bis zum Loth die Schwere jedes Steins erfahren und besteuern kann.

Carrara hat ungefähr 8000 Einwohner, von denen nicht die Hälfte in den Brüchen, bei den Sägen, beim Zuhauen der rohen Blöcke und in den Ateliers, deren es etwa 60 hier gibt, beschäftigt ist. An öffentlichen schönen Bauwerken ist die Stadt sehr arm; das einzige nennenswerthe ist die prächtige antike Kirche Madonna delle Grazie, sowie das neue aus weißem Marmor erbaute Theater, das aber leer steht und es auch wohl für die jetzige Carnevals-Saison bleiben wird, denn die Herren vom Comite sind mit sich uneins, ob sie sich bis zur Oper versteigen oder mit einer Komödie begnügen sollen. Die Locanden hier sind schauderhaft, und wer eben kann, sucht um die Gastfreundschaft irgendeines Bildhauers nach, da es einige gibt, die gegen sehr mäßige oder bei guter Empfehlung auch ohne alle Vergütung den Fremden gern ein Zimmer und Platz am Tisch gewähren. Ich war so glücklich, dieß bei Herrn Livi zu finden, den ich in einem ähnlichen Fall allen meinen Lesern nicht bloß als freundlichen, liebenswürdigen Wirth, sondern auch als sehr guten, talentvollen und geschickten Bildhauer bestens empfehlen kann.

Die Rückfahrt nach Florenz machte ich auf demselben Weg über Lucca und Pisa, war aber so glücklich, in Carrara statt des Parocino einen geschlossenen Wagen zu erhalten, in welchem ich mich trotz des Mangels jeglicher Aussicht sehr wohl befand, denn es regnete den ganzen Tag unaufhörlich und ich hatte dadurch Muße, mich auf meine spanische Reise vorzubereiten, indem ich sehr fleißig conjugirte amo, amas, ama. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien