Ein Winter in Spanien

Autor: Hackländer, Friedrich, Ritter v. H. (1816-1877), Erscheinungsjahr: 1855
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Leseprobe aus Kapitel 1 - Nach Italien.

An einem warmen schönen Herbstmorgen, es war der 8. Oct. 1853, bestieg ich mit meiner Familie in Stuttgart den Eisenbahnwagen, um eine Reise nach Italien und Spanien anzutreten, – »fertig, fort« rief der Zugführer, und es ist das die letzte Abfertigung, das Signal zur Abfahrt – fertig, fort! – man hört es oft wenn man kleine Ausflüge in der Umgebung macht und freut sich alsdann den dunkeln Bahnhof verlassen zu können. Heute aber, wie das »fertig, fort« den leichten Faden zerriß, der uns noch an die Heimath band, und wir gleich darauf langsam vorwärts fahrend, noch einmal im Fluge die betrübten Gesichter der Freunde und Bekannten sahen, die uns vom Abschied schmerzlich bewegt das Geleite gegeben, winkend mit der Hand und mit feuchten Augen, unser letztes Lebewohl ebenso erwidernd – heute bewegt das einfache »fertig, fort« unsre Herzen, und wir, die wir abreisen, sitzen schweigend und gedankenvoll – an die Zukunft denkend, an den langen langen Weg vor uns, und auch viel und gern an eine glückliche Heimkehr. Nur die Kinder freuen sich des Fahrens und schauen mit glänzenden Augen in das vielfarbige Grün des Schloßgartens, an dessen Gränzen wir dahinfliegen, rücken aber nun ängstlich zusammen, als uns die Locomotive in den Rosensteintunnel hineinreißt, und lachen erst wieder als wir jenseits des Berges das sonnenbeglänzte Neckarthal erreichen. –

Ja es war ein schöner heiterer Tag, aber die Sonnenwärme hatte den klaren Himmel redlich erkämpft, erst nach langen heftigen Gefechten schlug sie die irdischen Nebelschauer aufs Haupt und zwang sie sich in ihre Schluchten und Berge zurückzuziehen. Wohl schwebten noch längere Zeit einige Nachzügler, als Wolken zusammengeballt, an dem tiefblauen Himmelsgewölbe dahin, doch führte der schöne Tag die Besiegten wie im Triumph mit sich; ihre weißen Massen dienten seiner Schönheit als Relief, und er benutzte sie, um die glühende im bunten Herbstschmuck prangende Gegend hin und wieder mit zierlichen leicht vorüberziehenden Wolkenschatten neu zu schmücken. So fuhren wir dahin in ziemlich leerem Wagen, weßhalb es denn auch möglich war, selbst gegen das Reglement hie und da an die Thür zu treten, um einen Blick in das schöne Neckarthal hinauszuwerfen. Bis nach Göppingen hinauf dampft die Locomotive fast unter lauter Obstbäumen dahin, die sich über der Bahn die Hände reichen und jetzt ihre reifen Früchte in gelb und roth beinahe auf die Wagendecken herabhängen lassen. Zur Rechten begleitet uns der Neckar bald in breitem Sand- und Kiesbette, bald durch mächtige Mauern eingeengt, die ihn auf die Seite drücken und ihm einen Platz für den Schienenweg abnöthigen; hier stürzt sich der Fluß schäumend über ein Wehr hinab, dort trägt er geduldig und ergeben das Joch einer alten hölzernen Brücke mit ihren plumpen unregelmäßigen Formen, während sich bei Untertürkheim die zierlichen Geländer der so eben neuentstandenen eisernen Gitterbrücke wohlgefällig in seinen klaren Fluthen abspiegeln. Zur Linken haben wir die Abhänge der Berge, welche die Eisenbahn tragen, auf ihnen alte und neue Schlösser, Wartthürme, an ihrem Fuß freundliche Dörfer, meistens in kleinen heimlichen Nebenthälern liegend. Die Ernte ist aller Orten vorüber, kaum weht der Wind über die Stoppeln, und schon wird ein Theil der Felder von dem unersättlichen Menschengeschlecht wieder zu neuem Dienst vorbereitet; der Pflug reißt hier die dampfende Erde auf, dort wird die Seele der Landwirthschaft ausgebreitet, und während man an dieser Stelle noch Kartoffeln ausgräbt, wirft man drüben schon wieder die Wintersaat aus. Aber dieses Leben, diese Bewegung in der herbstlichen Landschaft ist so mannichfaltig, so schön, die Erde hat sich, nachdem sie alles hingegeben, mit dem armseligen Überrest ihres reichen Sommers herrlich geschmückt, und lächelt uns noch einmal freundlich zu, ehe des Winters kalte Hand über sie dahinfährt und von ihr streift den letzten Schmuck, die gelben und rothen Blätter, die schon jetzt bei jedem Lufthauch, ahnend ihr baldiges Vergehen, ängstlich an den matten Stielen zittern. Die Gärten, an denen wir vorüberdampfen, sehen schon recht traurig und verwahrlost aus, die halbvertrockneten Stängel und verwelkten Kräuter sind niedergetreten; Unkraut wuchert triumphirend über sie empor und lacht recht höhnisch zu den hohen Dahlien auf, die gestern noch stolz ihre bunten Köpfe trugen, und sie jetzt, durch den Reif verletzt, tief und traurig herabhängen lassen. Die gelben Capuciner haben schon ein zäheres Leben, und ihre hellen Blumen leuchten noch ziemlich frisch aus dem dunkeln Laub hervor; – vorbei – vorbei! Dort in einem Waldwinkel weidet eine Schafheerde, und die weißen Thiere treten aus dem Grün deutlich hervor, der Hirt und sein Hund schauen uns nach, der Mann ist nachdenkend, er hat so traurige Gedanken über die Eisenbahn und das wilde Getriebe, das mit ihr hier in den stillen Thälern entstanden. ...

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